Читать книгу Affenknacker für Wiederholungstäter - Iris Fritzsche - Страница 18
11.3.2002 Weißenfels, Hakos und die Ratten
ОглавлениеWilli hatte eine sehr unruhige Nacht hinter sich und so richtig wohl fühlte er sich auch nicht. Auch zum Frühstück aß er nur eine Spatzenportion. Deshalb hielten wir es für besser, ihn heute nicht hinters Steuer zu lassen. Immerhin hatten wir bis Weißenfels eine größere Strecke vor uns. Einhelliger Beschluss: Ich soll heute der Fahrer des Tages sein. Doch bevor wir starteten, warfen wir noch einen Blick in den Kolonialwarenladen von Büllsport. Der wurde auch im Reiseprospekt erwähnt, musste also interessant sein. War er dann auch. Darin sah es aus, wie es sicher auch schon vor 100 Jahren ausgesehen hatte. Oder wie man es manchmal in alten Filmen sieht. Jedenfalls gab es allen möglichen Krimskrams, von Mehl bis Schuhe. Bei uns würde so etwas vermutlich „Tante Emma Laden“ heißen. Na gut, aber was heißt „Tante Emma Laden“ auf Namibisch? Diese Frage konnten wir leider nicht klären. Es wurde Zeit für die Abfahrt.
Nach dem Start in Büllsport ging es zunächst in Richtung Solitär. Kurz vor Solitär bogen wir in Richtung Rehoboth ab. Hinter Koleos erneuter Straßenwechsel, dieses Mal direkt in Richtung Gästefarm Weißenfels. Nach dem die Straße anfangs noch durchs Gebirge und über den Remhoogte-Pass geführt hatte, wurde es allmählich flacher und ebener. Wir durchquerten jetzt häufiger trockene Flussbetten und große Restpfützen vom Regen des Vortages. Zum Glück hatte es in der Nacht nicht mehr geregnet. Sonst wäre sicher auch in den Flussbetten noch Wasser gewesen.
Nach einer vierstündigen Fahrt hatten wir die Gästefarm Weißenfels erreicht und bogen ins Farmgelände ein. Doch irgendetwas hier war merkwürdig. Sonst standen bereits an der Einfahrt Schilder, die den Weg in Richtung Unterkünfte und Rezeption wiesen. Hier war nicht eines der Schilder zu sehen. Na gut, es gab ja nur diesen einen Weg, da wird das schon so richtig sein. Nach einer Weile mussten wir noch einmal durch ein trockenes Flussbett. Hinter der nächsten Biegung musste doch nun endlich die Rezeption sein, dachten wir. Wir fuhren um die nächste Biegung. Aber was war denn das? Statt Rezeption und Unterkunft überall Schuttberge und Baugerüste. Um das Farmhaus betreten zu können, mussten wir zusammengestellte Sesselstapel auseinander rücken und über Berge von Tapetenresten klettern. Doch hier wie da, keine Menschenseele zu sehen. Da blieb uns nur die Möglichkeit, uns akustisch bemerkbar zu machen. Nach dem ich mehrmals laut gerufen hatte, kam plötzlich ein Herr aus einer Ecke, die ich für den Küchenbereich gehalten hatte. So wie der guckte, hatten wir ihn wohl gerade beim Mittagessen gestört. Wortreich erklärte er uns, dass die Renovierung unseres Zimmers leider nicht abgeschlossen werden konnte, weil der Regen dazwischen gekommen ist. Wir glaubten ihm kein Wort. So wie das gesamte Gelände aussah, steckten da größere Arbeiten dahinter. Und am Regen konnte es auch nicht liegen. So lange regnete es ja noch gar nicht. Doch wir ließen ihn höflicherweise erst einmal zu Ende reden. Im weiteren Verlauf seiner Rede stellte sich nämlich dann heraus, dass er mit einer befreundeten Gästefarm namens HAKOS gesprochen hatte und wir deshalb dorthin umgeleitet werden. Aha, eine vorbereitete Ersatzvariante! Von wegen Regen! Die Information dieser Umleitung war nur nicht bis zu uns vorgedrungen. Warum das so war, keine Ahnung. Der Herr malte uns jedenfalls noch einen Zettel mit der Wegbeschreibung und schien froh, uns damit endlich los zu sein. Begeistert waren wir über dies Änderung nicht gerade. Zum einen, weil das weitere 20 Kilometer Fahrt bedeutete und zum anderen, weil es Willi immer noch nicht besser ging. Langsam machte ich mir seinetwegen echt Sorgen. Aber erst einmal mussten wir unsere Unterkunft erreichen. Nach fast 15 Kilometern zurück in Richtung Walvis Bay und vorbei an mindestens drei anderen Farmen, fanden wir endlich das Schild, welches uns den Weg zur Farm wies. Nun ging es nochmals sieben Kilometer über Stock und Stein auf steinig holpriger Piste. Dann tauchte etwas auf, das wir für das Farmhaus hielten. Irgendwelche Gästebungalows waren aber aus unserer Sicht nicht erkennbar, nur ein großes Haus, umgeben von einer hohen Mauer. Auf der Mauer war auch noch elektrisch geladener Draht drauf. Das Ganze machte schon einen recht merkwürdigen Eindruck für eine Gästefarm. Aber vielleicht waren die Zimmer oder Häuschen ja auf der anderen, für uns momentan nicht sichtbaren Seite? Doch da wir ja hierher geschickt worden waren, musste hier auch irgendetwas sein. Willi ließen wir erst einmal im Auto sitzen. Er machte einen bedauernswerten Eindruck. Elli und ich betraten die Festung durch die einzige erkennbare Pforte. Durch die Fahrt, die Umleitung und die schlechte Wegstrecke war ich schon leicht angesäuert. Nach dem wir dann das Haupthaus betreten und uns lautstark bemerkbar gemacht hatten, kam uns ein etwas seltsam aussehender älterer Herr in schlabberigen Schuhen, dreckiger Kleidung und mit speckigem Hütchen entgegen. Äußerst misstrauisch fragten wir, ob wir hier wohl richtig wären. Erst stotterte er herum, dann meinte er plötzlich, es wäre viel Platz im Haus, zeigte auf das Schlüsselbrett und meinte, wir sollen uns einen Schlüssel aussuchen. Elli und ich guckten uns an. Wir wussten in diesem Moment nicht so recht, was wir dazu sagen sollten. Begegneten uns heute nur lauter merkwürdige Zeitgenossen? Hier musste jetzt professionelle Hilfe von unseren Iwanowski-Ansprechpartnern her. Deshalb verlangte ich zu telefonieren, bevor ich hier irgendwelche Entscheidungen treffe. Worauf ich erfuhr, dass das Telefon bereits seit zwei Tagen defekt sei. Also musste der Strolch von der Farm Weißenfels alles schon längerfristig umdirigiert haben und Iwanowski gar nicht davon verständigt haben. Deshalb konnten wir auch nichts davon wissen. So schiebt man sich hier also gegenseitig Kunden zu! Wie auch immer, jetzt waren wir hier. Also suchten wir uns notgedrungen erst einmal zwei nebeneinander liegende Zimmer aus und brachten das Gepäck und Willi hinein. Willi ging es inzwischen so schlecht, dass er freiwillig nach einem Fieberthermometer verlangte. Das war ein äußerst schlechtes Zeichen! Nach dem wir Willi ins Bett gepackt hatten, gingen Elli und ich erst einmal auf Expedition ins umliegende Gelände. Viel gab es nicht zu erforschen. Außerhalb der Mauer sahen wir allerdings ein paar Bergratten flitzen. Dadurch aufmerksam geworden und weil mir Isaak ja auch erzählt hatte, wie schlecht die Tiere für Menschen sind, schauten wir natürlich innerhalb der Mauer gleichfalls nach den Tierchen. Und richtig, mehrere entdeckten wir gleich auf Anhieb. Mittlerweile war ein Fahrzeug der namibischen Telekom eingetroffen und reparierte die Leitung. Darüber waren wir heilfroh. Nach dem wir nochmals nach Willi gesehen hatten (dessen Temperatur war mittlerweile auf über 38 °C angestiegen), riefen wir gleich bei Extravaganza, unserem Ansprechpartner an. Dabei stellte sich heraus, dass sie über die Umquartierung informiert waren, aber vergessen hatten, es an uns weiterzuleiten. Allerdings schienen auch sie nicht das ganze Ausmaß der angeblichen Zimmerrenovierung zu kennen. Als ich dann auch noch die Sache mit den Ratten auf Hakos erwähnte und die schwere Erkältung von Willi, merkte ich, wie meine Gesprächspartnerin am anderen Ende der Leitung merklich unruhiger wurde. Sie ließ sich von dem alten Mann die Telefonnummer von Hakos geben und versprach die Sache zu klären.
Wie sich nach dem Telefonat herausstellte, war der alte Mann der Vater der Eigentümerin. Er brabbelte etwas von „alles in Ordnung“ und „er hätte inzwischen in den Unterlagen seiner Tochter nachgesehen. Da wäre alles eingetragen. Nur hatte er mit einer Reisegruppe von fünf Personen gerechnet“. Erstens Blöde Ausrede! Zweitens: Auch bei fünf Personen hätte seine Bekleidungsordnung nicht gestimmt. Weiter erzählte er, seine Tochter und ihr Mann wären aber zur Zeit unterwegs und er würde sie erst am morgigen Tag wieder zurück erwarten. Na toll! Um erst einmal etwas Ruhe hineinzubringen, bot er uns einen Kaffee an. Die Idee war gut. In der Zwischenzeit hatte ein heftiger Platzregen eingesetzt. Es regnete derart heftig, das im Bereich zwischen Haupthaus und dem Anbau, wo sich auch die Zimmer befanden, richtige Bächlein flossen und das Wasser hereinlief. Zum Auffangen des Wassers hatte er deshalb an der einen Tür sämtliche zur Verfügung stehende Tabletts platziert. Auf der anderen Seite lagen dicke Läufer zum Aufsaugen. Doch beide Varianten waren mehr als unzureichend. Deshalb machte er sich, nachdem er den Kaffee gebracht hatte, daran, die Wasserfluten aufzuwischen. Daraus schlussfolgerten wir, dass weder für die Küche, noch für das Haus irgendwelches Personal anwesend war. Uns kam das alles recht merkwürdig vor. Elli brachte jedenfalls erst einmal etwas zu essen und zu trinken zu Willi auf das Zimmer. Ich blieb im Haupthaus, weil ich ja auf den Rückruf von Extravaganza wartete. Der kam zum Glück recht bald und fiel auch sehr positiv für uns aus. Die beiden schlecht arbeitenden Gästefarmen müssen nun ihre Kosten unter sich ausmachen, für uns bekommen sie von der Agentur keinen Pfennig. Dafür dürfen wir am nächsten Tag vorzeitig auf der Gästefarm Ondekaremba anreisen. Für den heutigen Tag war ja leider alles zu spät. Mir fiel ein riesiger Stein vom Herzen.
Am Abend war dann noch ein weiteres Ehepaar in Hakos eingetroffen. Na da hätten wir ja die gesuchten fünf Personen. Wir begegneten uns beim Abendbrot, welches übrigens überraschend gut war. Das Ehepaar erzählte, dass sie Hobbyastronomen seien und Hakos wegen dem hier vorhandenen Fernrohr ausgesucht hätten. Sie wollten viele Sterne beobachten und erzählten auch was von der Magellanschen Wolke, die von hier aus gut sichtbar sein sollte. Nun, an diesem verregneten Abend mit seinem wolkenverhangenen Himmel sicher nicht. Dann erzählten sie uns noch von lustigen Erdhörnchen, die auf ihrer Terrasse herumsprängen. Innerlich musste ich ja grinsen. Da wollten die Leute so gebildet sein, den Unterschied zwischen Erdhörnchen und Bergratten aber bemerkten sie nicht. Dabei waren sie angeblich schon mehrmals in Namibia. Ich ließ sie in dem Glauben, es seien Erdhörnchen. Es war mir in dem Moment irgendwie recht egal. Meine Hauptsorge galt Willi, der krank und mit hohem Fieber im Zimmer lag. Und morgen war dieser Alptraum für uns ja überstanden.