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cc) Insolvenzgeld
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Ein Problem bei der Betriebsfortführung ist das fehlende Geld. Im Zeitpunkt des Eröffnungsantrags ist zumeist kein Bargeld mehr vorhanden und das Konto ist regelmäßig am Limit. Ohne Gegenleistung lassen sich aber weder Lieferanten noch Arbeitnehmer dazu überreden, Leistungen zu erbringen. Häufig wird daher bereits im Eröffnungsverfahren ein Massekredit aufgenommen, um „den Laden am Laufen zu halten“. Für die Arbeitnehmer gibt es ein eigenes „Zaubermittel“, das sog. Insolvenzgeld. Es ist in §§ 165 bis 172 SGB III geregelt.
Ausgangsfall
Der vorläufige Insolvenzverwalter will den Betrieb der MyTV GmbH während des Eröffnungsverfahrens weiter führen. Dabei möchte er das Instrument des Insolvenzgeldes nutzen, um die 660 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu bezahlen. Unter welchen Voraussetzungen ist die Gewährung von Insolvenzgeld möglich? Warum dauert das Eröffnungsverfahren typischerweise drei Monate?
Kommt es zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens (oder Abweisung mangels Masse), bezahlt die Bundesagentur für Arbeit die Lohnrückstände der Arbeitnehmer aus den letzten drei Monaten (§ 165 Abs. 1 SGB III). Da Auszahlungsanlass erst der Eintritt des Insolvenzereignisses ist, müsste ein Insolvenzverwalter die Arbeitnehmer im Eröffnungsverfahren bitten, die nächsten drei Monate (umsonst) weiterzuarbeiten mit dem Versprechen, dass sie am Stichtag der Verfahrenseröffnung (bzw. Abweisung mangels Masse) ihr Insolvenzgeld von der Bundesagentur erhalten.
Beispiel
Am 2.1.2105 beantragt die MyTV GmbH die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Wird am 2.4.2015 dann das Verfahren tatsächlich eröffnet, bekommen die 660 Arbeitnehmer der GmbH „auf einen Schlag“ die offenen Gehälter für Januar, Februar und März 2015. Da die Arbeitnehmer aber in diesen drei Monaten fixe Ausgaben haben (Miete, Essen, Handykosten), ist diese SGB III-Lösung nicht ganz ideal.
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Daher haben kreative Insolvenzverwalter eine Lösung erarbeitet und die „Insolvenzgeldvorfinanzierung“ (§ 170 Abs. 4 SGB III) erfunden. Die Vorfinanzierung geschieht derart, dass eine Bank den 660 Arbeitnehmern den (künftigen) Anspruch auf Insolvenzgeld abkauft (Forderungskauf) und sich abtreten lässt (§ 398 BGB).[46] Die erforderliche Organisation übernimmt der vorläufige Verwalter. Dieser teilt an alle 660 Arbeitnehmer die entsprechenden vorgefertigten Vertragserklärungen aus, sammelt diese nach Unterzeichnung wieder ein und gibt sie an die Bank weiter. Mit der Gegenzeichnung durch die Bank ist die Vorfinanzierung perfekt. Die 660 Arbeitnehmer erhalten ihren jeweiligen Nettolohn für drei Monate (= Kaufpreis) von der Bank. Die Bank wiederum erhält den abgetretenen Anspruch auf Insolvenzgeld gegen die Bundesagentur (diesen kann die Bank dann ab 2.4.2015 geltend machen). Anfallende Zins- und Sachbearbeitungskosten werden aus der Masse beglichen.[47] Mit dem Insolvenzgeld lassen sich Betriebsfortführungen in der Eröffnungsphase finanziell meistern. Nicht nur die Mitarbeiter sind zufrieden, sondern auch der Insolvenzverwalter, da er das Unternehmen in der Eröffnungsphase für drei ganze Monate ohne Personalkosten fortführen kann (ärgert die Konkurrenz). Um einen Missbrauch zu verhindern, hat der Gesetzgeber eine Hürde eingebaut. Danach darf das Insolvenzgeld nur vorfinanziert werden, wenn die zuständige Agentur für Arbeit ihre Zustimmung erteilt (§ 170 Abs. 4 SGB III). Dies setzt voraus, dass eine ernsthafte Sanierungschance für das Unternehmen besteht und ein erheblicher Teil der Arbeitsplätze erhalten werden kann. Ist die Prognose gut, wird die Bundesagentur ihre Zustimmung erteilen.[48] Zahlt sie das Insolvenzgeld dann aus, gehen die ursprünglichen Lohnansprüche der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber (für diese drei Monate) auf die Bundesagentur über (§ 169 SGB III). Die übergegangenen Ansprüche sind aber keine Masseforderungen, sondern einfache Insolvenzforderungen (§ 55 Abs. 3 S. 1 InsO), auch im Fall eines starken vorläufigen Verwalters.