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H. Innovationen im Insolvenzrecht und aktuelle Reformen
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Die Erkenntnis, dass Unternehmertum jederzeit scheitern kann, ist nicht eine Erfindung des letzten Jahrhunderts. Das zeigt unser Insolvenzrecht, das römische Wurzeln hat. Das Wort concurrere (Zusammenlaufen der Gläubiger) wurde in den deutschen Sprachgebrauch (Konkurs) integriert. Die früheren Rechtsordnungen gingen mit dem insolventen Schuldner nicht gerade zimperlich um. Noch im Mittelalter wurde der Schuldner in den Schuldturm gesteckt. Die Konkursordnung (KO), die 1900 in Kraft trat, zeigte sich schon moderner. Statt persönlicher Haft wurde das Vermögen des Schuldners den Gläubigern als Haftungsobjekt zugewiesen. Das Unternehmen wurde liquidiert, d.h. alle Vermögensgegenstände versilbert, sämtliche Arbeitnehmer entlassen und am Ende der Rechtsträger aus dem Register gelöscht. Der Gründer war mit seinem Lebenswerk gescheitert und mit dem Konkurs für sein Leben stigmatisiert (keine Einladung mehr auf den Opernball, zu Empfängen etc.). In den 70iger Jahren wurde eine Kommission eingesetzt, um Reformen zu erarbeiten. Grund war u.a., dass die Konkursordnung mehr oder weniger gescheitert war. So führten nur 25 % der Konkursanträge zu einem geordneten Konkursverfahren. In 75 % der Fälle wurde der Antrag mangels Masse abgewiesen und die Unternehmen zur „Selbstbeerdigung“ nach Hause geschickt.[1] Die Verlierer waren die Gläubiger. Wurde das Konkursverfahren eröffnet, sah es für die Gläubiger auch nicht viel besser aus. So lag die Konkursquote zwischen 3 % und 5 %.[2]
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Die InsO von 1999 hat dem Insolvenzrecht tatsächlich ein modernes Gepräge gegeben. Neben der Liquidation wird nun auch die Sanierung des Unternehmens als gleichrangige Verfahrensalternative angeboten (§ 1 S. 1 InsO). Instrument hierfür ist das Insolvenzplanverfahren (§§ 217 ff. InsO). Dank dieses Paradigmenwechsels gehört das Insolvenzrecht heute zum Wirtschaftsrecht (und nicht nur zum Vollstreckungsrecht).[3] Um die Massearmut zu bekämpfen, wurden neue Anreize, aber auch Sanktionen eingeführt (Verschärfung des Insolvenzgrunds der Zahlungsunfähigkeit, Einführung des Insolvenzgrunds der drohenden Zahlungsunfähigkeit, Kostenvorschüsse durch Gläubiger). Das hat tatsächlich etwas bewirkt. Mittlerweile führen ca. 66 % der Eröffnungsanträge zur Eröffnung des Verfahrens.[4] Revolutionär war auch die Einführung der Restschuldbefreiung für natürliche Personen, denen nach der Insolvenz ein Neustart ohne Schulden ermöglicht wird (§§ 286 ff. InsO). Von diesem Instrument wird rege Gebrauch gemacht. Das Restschuldbefreiungsverfahren wurde mit Wirkung zum 1.7.2014 durch das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte (vom 18.7.2013, BGBl. I 2013, 2379) nochmals überarbeitet (im Folgenden als „Insolvenzrechtsreform 2014“ bezeichnet). So gewährt es besonders sparsamen Menschen bereits nach drei Jahren die Restschuldbefreiung, wenn sie 35 % Befriedigungsquote erreichen.
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Trotz allen Reformeifers hat sich wenig daran geändert, dass die Insolvenz in Deutschland von der Gesellschaft nach wie vor als Debakel gesehen wird.[5] Insbesondere die Inhaber und die Leitungsorgane von Unternehmen werden nach wie vor als „talentlose Versager“ angesehen. Daher ist das am 1.3.2012 in Kraft getretene Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (im Folgenden als „ESUG“ oder „ESUG 2012“ bezeichnet)[6] besonders zu begrüßen, das die Sanierungschancen von Unternehmen in der Insolvenz verbessern will. Etabliert wurde zum einen ein vorläufiger Gläubigerausschuss, der im Eröffnungsverfahren (vor allem über die Person des Insolvenzverwalters) mitreden darf (§§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 1a, 22a InsO). Die Stärkung der Eigenverwaltung (§§ 270a, 270 InsO) und die Einführung des sog. Schutzschirmverfahrens (§ 270b InsO) sind allerdings die „Renner“ der Reform. Krisengebeutelte Unternehmen sollen „die Insolvenz als Waschstraße verwenden“, um eine Sanierung in Eigenregie (per Insolvenzplan) durchzuführen. Zwar machen derzeit nur „elitäre“ (Groß-)Unternehmen von diesen Neuerungen Gebrauch. Die Instrumente taugen aber auch für KMU (kleine und mittelständische Unternehmen) und werden die gelebte Praxis am Insolvenzstandort Deutschland nachhaltig (zum Positiven) verändern. Dass der Veränderungsprozess Zeit benötigen wird, liegt u.a. daran, dass eingespielte Muster verlassen werden müssen. Die Zusammenarbeit zwischen Insolvenzgerichten und Insolvenzverwaltern hat jahrzehntelang reibungslos funktioniert. Nun kommen die (insolventen) Unternehmen „auf Augenhöhe“ dazu, die Mitsprache einfordern und eine anderes Denken (betriebswirtschaftliches, kein rechtliches) mitbringen. Bereits jetzt ist zu sehen, dass sich zahlreiche Insolvenzverwalter neu aufstellen und verstärkt als Berater fungieren.[7]