Читать книгу Gabe & Fluch - Isabella Maria Kern - Страница 12
Der Streit
ОглавлениеDiese Melanie ging mir nicht aus dem Kopf. Sie war hübsch, jung, hatte eine Figur, die alle Blicke auf sich zog. Sie kleidete sich dementsprechend exzentrisch und sexy. Genauso wollte ich auch immer sein! Seit ich sie gesehen hatte, schlich ich jeden Abend um das Chinarestaurant und wurde dafür bereits nach fünf Tagen belohnt. Ich war achtunddreißig, hatte ein paar Kilo zu viel, meine dunkelbraunen Haare waren mit ein paar Silberstreifen (wie ich sie beinahe liebevoll nannte) durchzogen und ich kaufte nur mehr Anti-Aging-Cremes für mein Gesicht. In meinem Wäscheschrank fanden sich Push-Up-BHs und gegen meine aufkommende Cellulite trieb ich Sport, was ich allerdings nicht regelmäßig schaffte.
Ich war ein „Quartalsläufer“.
Es gab Phasen, in denen ich täglich Sport trieb, meinen Körper bis zu Erschöpfung quälte, nur um Wochen später jeden Abend auf der Couch zu verbringen, ungesundes Zeug in mich hineinstopfend. Dann hasste ich mich abgrundtief. Diese Melanie hingegen schien perfekt. Ich setzte mich zwei Tische weiter, von wo aus ich sie ungestört beobachten konnte. Mein Blick fiel auf ihre Schuhe: hochhakige, auberginefarbene Pumps. Ihre zarten Fesseln und die gleichzeitig sportlichen Unterschenkel gaben dem Bild eine Perfektion, dass ich meinen Blick kaum davon abwenden konnte. Melanie gähnte und aus der Unterhaltung konnte ich schließen, dass sie nicht mehr zu einem Lokalwechsel mit ihrer Freundin gewillt war. Pamela konnte ihren Unwillen darüber kaum verbergen und Melanie schien ihr diese Verständnislosigkeit wirklich übel zu nehmen. „Ich muss morgen bald raus“, verteidigte sich Melanie und fragte den Kellner nach der Rechnung. „Glaubst du, ich weiß nicht, wann du zu arbeiten beginnst?“, fragte Pamela zynisch und knallte ihre Geldtasche auf den Tisch. Melanie wollte es vermeiden sich diesbezüglich auf eine Diskussion mit ihrer besten Freundin einzulassen und biss sich auf die Lippen. „Ach komm schon, nur ein Drink“, versuchte Pamela sie nun mit freundlichen Worten umzustimmen. „Nein, es tut mir leid, aber ich möchte heute wirklich nicht mehr. Ich will nach Hause!“ Melanie bemühte sich um einen sicheren, entschlossenen Ton in ihrer Stimme. Viel zu oft hatte sie sich umstimmen lassen. Sie wollte an diesem Abend nicht und damit BASTA!
„Du bist eine Spielverderberin“, zischte Pamela wütend, „gerade heute ist viel los in dieser Singlebar. Die haben nicht jeden Tag eine Party.“ Neugierig beobachtete ich Melanie, die nervös auf ihrem Sessel hin- und her rutschte. „Warum kannst du ein „Nein“ von mir nicht akzeptieren? Ich möchte heute auf keine Singleparty. Abgesehen davon heißt es Singleparty. Du kannst da ruhig allein hingehen, wenn du unbedingt möchtest.“
„Auf keinen Fall gehe ich allein hin, das weißt du ganz genau!“ Pamela konnte ihre Wut fast nicht mehr im Zaum halten. „Das ist aber nicht meine Schuld, wenn du dich nicht traust ein Lokal ohne Begleitung zu betreten!“ Melanies Stimme wurde eine Oktave höher und etwas lauter. Ich kratzte auf meinem Teller herum und verfolgte gespannt den weiteren Verlauf der Diskussion. Der Kellner näherte sich dem Tisch und unterbrach für eine kurze Zeit das Streitgespräch.
„Weißt du was?“, fauchte Pamela, nachdem er wieder weg war, stand auf und zog sich ihre Jacke an. Melanie blieb sitzen und funkelte sie streitlustig an. „Was?“
„Wenn du heute nicht mit mir auf diese Party gehst, dann kannst du in Zukunft auch allein ausgehen, dann brauche ich dich nicht mehr!“ Einige Leute hoben die Köpfe und sahen in die Richtung der Streitenden. Pamela aber war in Fahrt und merkte gar nicht, dass sie die Aufmerksamkeit des ganzen Lokals auf sich zog. Melanie blieb ruhig sitzen. „Ich lasse mich nicht erpressen. Ich werde jetzt definitiv nach Hause gehen, ob dir das passt oder nicht!“, Melanie bemühte sich um eine feste Stimme.
Pamela knallte einen Geldschein auf den Tisch, so wie ich das aus amerikanischen Spielfilmen kannte, drehte sich auf dem Absatz um und lief aus dem Lokal. Ich merkte, wie schlecht es Melanie in diesem Moment ging. Sie kämpfte mit den Tränen und langsam nahmen die anderen Gäste ihre Gespräche wieder auf. Melanies Hand zitterte, als sie zum halb vollen Glas griff und einen winzigen Schluck nahm. Ich stand auf und bewegte mich auf Melanies Tisch zu, noch nicht wissend, wie ich ein Gespräch mit ihr anfangen sollte. Ein kurzer Blick auf ihre Schuhe gab mir aber Mut und ich griff nach der Lehne des leeren Stuhls.
„Darf ich?“, fragte ich pro forma und setzte mich, ohne ihre Antwort abzuwarten. Melanie sah mich verwundert an. „Es tut mir leid, aber ich habe Ihr Gespräch verfolgt. Es war leider nicht zu überhören“, sagte ich und streckte ihr die Hand hin.
„Augustine“, sagte ich und lächelte aufmunternd. „Melanie“, stammelte sie etwas unsicher. „Vor ein paar Jahren hatte ich mit meiner besten Freundin auch so eine Diskussion, nur in einem anderen Restaurant“, log ich und versuchte ganz ungezwungen zu klingen. „Wirklich?“, fragte Melanie neugierig. Ich spürte, dass sie mir instinktiv vertraute. „Ja. Ich war an diesem Abend sehr müde und sie ließ mich nicht in Ruhe. Immer tat ich das, was sie wollte. Meistens gab ich nach. Meine Freundin war eine sehr dominante Persönlichkeit und sie wusste das auch und nützte es aus. Und ich“, lächelte ich, „ich kann schlecht „Nein“ sagen.“ Mit diesen Worten hatte ich genau den Kern der Sache getroffen. Es kam Leben in Melanie. „Ja, genauso ist es. Pamela bestimmt immer, was wir tun, wohin wir gehen und wann wir nach Hause gehen sollen. Wenn ich einen anderen Wunsch habe, dann übergeht sie ihn meistens. Sie ist egoistisch!“, sagte sie trotzig. Ich nickte zustimmend.
„Vor kurzem hat sie mir gestanden, dass sie eifersüchtig wäre, wenn ich einen Freund hätte und sie nicht!“, erklärte sie bereitwillig. „Genau wie meine Freundin“, log ich weiter. „Aber dann kommen mir Zweifel, ob sie mich wirklich mag. Denn wenn ich jemand gernhabe, dann vergönne ich ihm doch das höchste Glück! Oder liege ich da falsch?“
Da sie anscheinend meine Meinung dazu hören wollte, konnte ich ihr nur lebhaft zustimmen, was sie dazu bewegte, mir ihr ganzes Herz auszuschütten. „Pamela wollte, dass wir zusammen eine Wohnung nehmen, aber ich hatte Angst davor, da sie zu krankhafter Eifersucht neigt. Ich überlege mir, mich mit einem Mann zu treffen, denn dann würde ich sie verletzen“, Melanie drehte etwas nervös das Glas in ihrer Hand. „Und was würde sie zu einer neuen Freundin sagen?“, fragte ich und sah sie zwinkernd an. Melanie musste unwillkürlich lächeln. Der Gedanke schien ihr zu gefallen. „Naja, damit könnte sie sich wahrscheinlich nur schlecht abfinden. Bis jetzt stand ich ihr immer, oder fast immer, zur Verfügung. Aber… das könnte man ja ausprobieren!“
Melanie hob ihr Glas, um mit mir darauf anzustoßen. Wir waren bereits Komplizen. „Leider werde ich die Stadt bald verlassen“, sagte ich und bereute bereits, dass ich davon angefangen hatte. „Warum denn das?“, fragte Melanie neugierig. „Ich habe ein gutes Jobangebot“, sagte ich knapp und wechselte das Thema.
Nachdem wir noch je ein weiteres Viertel Wein getrunken hatten und ich sie davon überzeugen konnte, dass ich mir noch überlegen würde zu übersiedeln, verließen wir das Restaurant. „Ich bin etwas, wie solle ich sagen, aufgekratzt“, meinte sie und suchte nach Worten. „Möchtest du doch noch nicht nach Hause?“, fragte ich augenzwinkernd und Melanie nickte erleichtert. In mir brannte die Sehnsucht, ich spürte mich ganz nahe am Ziel.
Ich wollte ihre Schuhe!