Читать книгу Gabe & Fluch - Isabella Maria Kern - Страница 9

Freundinnen

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Pamela bürstete ihre langen Haare und beobachtete sich dabei im Spiegel. Ohne meinen prachtvollen Wuschelkopf bin ich ein unscheinbares Ding, ging ihr durch den Kopf. Pamela arbeitete mittlerweile seit drei Jahren an ihrem Selbstbewusstsein. Sie verschlang alle möglichen esoterischen Bücher, vertrieb sich die Zeit mit psychologischen Werken, wachte morgens auf und dankte Gott für ihr „Dasein“. Von Zeit zu Zeit fragte sie sich, wofür sie danken sollte, wo ihr Leben doch so gar nicht nach ihrem Geschmack verlief. Aber daran war sie im Grunde selbst schuld, wo doch jeder für sein eigenes Glück verantwortlich war. Dankbar sein, das Leben so annehmen, wie es ist und gleichzeitig darauf vertrauen, dass der Himmel nur das Beste für einen will. Haha! Pamela ließ die Bürste sinken und lächelte. Genau! Lächeln nicht vergessen! ermahnte sie sich. Aber eigentlich hatte sie gar keine Lust dazu.

Es war später Nachmittag und sie hatte sich abends mit einer Freundin verabredet. Pamela setzte sich in der Küche nieder und griff frustriert nach der Zigarettenschachtel. Der Aschenbecher auf dem kleinen Tisch quoll beinahe über. Sie schenkte ihm einen verächtlichen Blick, dann zündete sie sich eine Zigarette an und blies den Rauch geräuschvoll zum Plafond hinauf. Der Magen machte sich plötzlich mit einem lauten Knurren bemerkbar. Pamela fiel ein, dass sie seit dem Frühstück keinen Bissen mehr gegessen hatte. Vor einer halben Stunde hatte sie das Geschäft verlassen, in dem sie als Schuhverkäuferin arbeitete. Es war ein schöner, großer Laden, mit ausgesuchten Modellen, kein Konsumtempel, wo von jeder Größe zehn gleiche Paare an Frauenfüßen den Shop verließen, um sich dann in der Stadt an jeder Ecke wiederzutreffen und den eifersüchtigen Blick des Gegenübers standhalten zu müssen. Pamela arbeitete gerne, auch genoss sie das Vertrauen ihrer Chefin, die sie oft zu Einkäufen als Beraterin hinzuzog. Es erfüllte sie mit Stolz und vor zwei Monaten wurde sie offiziell als Einkaufsassistentin zwei neuen Mitarbeiterinnen vorgestellt. Auch war sie es, die die Auslagen gestaltete, und sie erledigte die ihr übertragenen Arbeiten stets zur Zufriedenheit der Geschäftsleitung. Für die Ordnung in den Regalen war ihre Arbeitskollegin Melanie zuständig, deren Arbeit fast im selben Ausmaß gewürdigt wurde.

Melanie war mehr eine Freundin als eine Kollegin, und in ihrer Freizeit trafen sich die beiden Frauen mehrmals die Woche. Die Wochenenden verbrachten sie fast immer gemeinsam. Es gab sogar Überlegungen, dass sie gemeinsam in eine Wohnung ziehen sollten, da beide Singles waren. Obwohl jede froh gewesen wäre, die Abende nicht mehr allein vor dem Fernseher verbringen zu müssen, scheiterte das Zusammenziehen dann doch an Melanie, die zu bedenken gab, dass eine der Freundinnen eine Beziehung haben werde, und es dann nur zu Komplikationen kommen würde. Also blieb es bei den abendlichen Treffen in der Stadt, bei Kinobesuchen und den Wochenendausflügen.

Pamela dämpfte die Zigarette aus, griff zum Telefon und wählte Melanies Nummer. Doch anstatt Melanies meist fröhliche Stimme zu hören, antwortete die Mobilbox. Pamela legte das Handy ärgerlich auf den Tisch und fingerte nervös in ihren Locken herum. Sie wusste selbst nicht, warum sie so schlecht gelaunt war. Das mochte vielleicht am Wetter liegen, oder …

Warum hob Melanie bloß nicht ab?

Ein seltsames, brennendes Gefühl machte sich in Pamelas Brust breit. Fast fühlte es sich an wie Eifersucht. Sie starrte zum Fenster hinaus und sah, dass es leicht zu nieseln begonnen hatte. In letzter Zeit kam es öfter vor, dass Melanie nicht erreichbar war, was Pamela sehr seltsam fand. Der Verdacht lag nahe, dass Melanie etwas zu verbergen hatte. Vielleicht hatte sie jemanden kennengelernt, was sie Pamela nicht sagen wollte, damit sie sie nicht verletzte? Pamela stand auf und trat näher ans Fenster. Sie fröstelte. Was, wenn es wirklich so war? Was, wenn ihre beste Freundin plötzlich nicht mehr so viel Zeit mit ihr verbringen wollte?

Pamela bekam ein schlechtes Gewissen, denn sie wusste, dass sie es ihr nicht wirklich vergönnen würde. Sie war die Ältere und seit zwei Jahren Single. Hätte sie nicht als Erste etwas Glück verdient? In dem Moment, als ihre Stimmung den Nullpunkt erreichte, läutete ihr Handy. Am anderen Ende meldete sich mit gewohnt fröhlicher Stimme ihre beste Freundin. Aller Trübsinn war wie fortgeblasen, als Melanie erklärte, das Telefon nicht gehört zu haben, da sie unter der Dusche stand. Pamela seufzte. Sie machte sich ständig sinnlose Sorgen. Sie verabredeten sich für halb acht zum Essen beim Chinesen in der Innenstadt.

„Ich muss dir etwas gestehen“, begann Pamela, nachdem sie die Stäbchen zur Seite gelegt, und sich mit der Serviette den Mund abgewischt hatte. Melanie steckte den letzten Bissen Reis in den Mund und sah sie fragend an. Als Pamela nichts sagte, nuschelte sie etwas Unverständliches und legte das Besteck beiseite. Sie hasste diese doofen Stäbchen, dir ihr andauernd durch die Finger rutschten und alles, was sie bereits mühevoll aufgeladen hatte, wieder auf das Teller zurückplumpsen ließ. Melanie lehnte sich zufrieden in ihren Sessel zurück und der Kellner eilte sofort herbei, so als hätte er nur darauf gewartet, dass sie endlich den letzten Bissen gegessen hatten. Mit einer freundlichen Verbeugung servierte er die leeren Teller ab.

„Was willst du mir denn gestehen?“, fragte Melanie nun wirklich gespannt. Pamela bereute es bereits, dass sie damit angefangen hatte. „Ich denke wir bekommen ein Problem, wenn eine von uns beiden einen Mann kennenlernt“, begann sie und versuchte, sich auf die kleine tanzende Flamme der Kerze in der Mitte des Tisches zu konzentrieren. Melanie setzte sich etwas auf, um ihrer Freundin besser in die Augen sehen zu können.

„Was genau meinst du damit?“, fragte sie etwas gereizt, obwohl sie wusste, auf was Pamela anspielte. Als diese aber nicht gleich antwortete, beschloss Melanie, ihr diese Arbeit abzunehmen.

„Nicht WIR bekommen ein Problem, sondern DU bekommst eins! Ich nehme an, dass du mir damit sagen möchtest, dass du es mir nicht vergönnen würdest, einen Freund zu haben. Ich, im Gegenteil, würde mich für dich freuen“, sagte sie und verschränkte ihre Arme vor der Brust. Sie war sehr ärgerlich. Pamela hatte augenblicklich ein schlechtes Gewissen. Ihre Freundin hatte recht, es war egoistisch. Sie schämte sich dafür.

„Es tut mir leid, Melanie. Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist. Ich habe eine furchtbare Phase. Vor ein paar Wochen noch dachte ich, dass es jetzt endlich bergauf geht. Ich dachte, ich sei glücklicher. Ich lese schlaue Bücher, ich versuche dankbar zu sein. Ich … aber irgendwie schaffe ich es trotzdem nicht“, sie machte eine Pause. „Du bist meine beste Freundin und ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass ich dich verliere. Wenn du nichts mehr mit mir unternimmst, dann habe ich überhaupt keine Lebensfreude mehr“, sie starrte weiter in die Flamme. Melanie sah sie etwas befremdet an. Irgendwie gefiel ihr dieser Charakterzug an Pamela überhaupt nicht. Was sollte diese Eifersüchtelei, noch dazu, wo momentan überhaupt kein Grund dazu bestand.

Von einem Nebentisch aus hatte ich die ganze Unterhaltung mitangehört. Eine meiner Stärken – oder man konnte es auch Schwächen nennen – bestand darin, dass ich mich uneingeschränkt in das Gefühlsleben meiner Mitmenschen hineindenken konnte. Vielleicht hatte das aber auch etwas mit meiner Andersartigkeit zu tun, die mich zu emotionalen Höchstleistungen anspornte. Wieder stieg dieses Gefühl in mir hoch, welches ich Angst nannte, das mich auf eine seltsame Weise reizte und weitertrieb. Eine leise Stimme, die mich zwang Sachen zu tun, die eine „nette“ Augustine, nie machen würde.

Diese Melanie gefiel mir ausgesprochen gut. Sie wirkte mit ihren eng beieinanderliegenden, dunkelbraunen Augen, wie eine zarte Elfe. Sie war blass, sehr blass sogar, fand ich, aber das ließ sie nur noch lieblicher erscheinen. Ich verspürte einen momentanen Drang, sie beschützen zu müssen.

Gleichzeitig fiel mein Blick auf ihre Schuhe.

Ich schloss die Augen, mir wurde übel.

Mir wurde umgehend klar, vor was ich sie beschützen wollte.

Vor mir!

Gabe & Fluch

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