Читать книгу Gabe & Fluch - Isabella Maria Kern - Страница 18
In Melanies Wohnung
ОглавлениеAls ich am nächsten Morgen erwachte, freute ich mich, dass Samstag war. Die Sonne schien durch mein Fenster und meine schönste Zimmerpflanze, ein Ficus Benjamini, warf mit seinen zahlreichen Blättern ein schönes Schattenmuster auf meine Bettdecke. Ein Vogel sang vor meinem Fenster und ich rappelte mich auf und schaute ins Freie. Meine Wohnung lag im fünften Stock und ich hatte einen schönen Rundblick auf die umliegenden Häuser, die etwas niedriger gebaut worden waren. In einem großen Innenhof, der fast wie ein kleiner Park aussah, standen viele Bäume und Sträucher. Der Rasen wurde vom Hausmeister regelmäßig gemäht und sah daher sehr gepflegt aus. Unter einer großen Birke stand eine Bank, die jetzt von der Morgensonne beleuchtet im satten Grün stand und darauf wartete, dass sich jemand auf ihr niederließ. Ich fragte mich, warum ich nie mit einem guten Buch in den Garten ging. Vielleicht hielt mich das Geplärre der Kinder davon ab, die gleich nebenan in einem Sandkasten ihr Unwesen trieben und gleichzeitig drängte sich mir die Frage auf, warum ich mit Kindern nichts anfangen konnte. Als ich mich in die Küche begeben wollte, um Kaffee zu machen, stolperte ich über Melanies Schuhe, die ich am Vortag eilig abgestreift und einfach liegen gelassen hatte. Mein Blick fiel durch die offene Küchentüre und ich sah Melanies Schlüsselbund auf dem Tisch liegen. Er schien mich zu rufen.
Ein scharfer Schmerz durchbohrte mich irgendwo zwischen Magen und Herz. Wieder wurde mir übel. Ich starrte die Schuhe an, und ein unbändiges Verlangen regte sich in mir. Noch nie hatte ich ein Paar Schuhe zweimal angezogen. Noch nie war ich ein zweites Mal in den Körper eines anderen geschlüpft. Mein Herz raste.
Warum eigentlich nicht?
Ich hatte keine Ahnung, was passieren würde. Ich spürte nur, dass ich es wollte. Ich wollte zu Dominik. Ich hielt es nicht mehr aus. Ich musste ihn spüren. Es war schmerzhaft zu transcorporieren, wie ich es nannte, um mich in einen anderen Körper zu transferieren. Auch für Melanie war es nicht gefahrlos, aber ich wollte es versuchen. Der erste High Heel passte wie angegossen, so als wäre er für mich gemacht und als ich in den zweiten schlüpfte, begann ich zu zucken, meine Haut brannte wie Feuer und mein Kopf drohte zu zerplatzen, dann wurde mir schwarz vor Augen. Die Transcorporation war erfolgt und Melanie erfolgreich verschwunden. Einen kurzen Augenblick hatte ich einen Gedanken, der mich selbst erschreckte. Was, wenn ich sie für immer verschwinden ließ? Aber die Ernüchterung folgte auf den Fuß, denn ohne die Schuhe konnte ich nur eine begrenzte Zeit die fremde Person bleiben. Ich legte meinen „neuen“, hübschen Kopf in den Nacken, frisierte „meine“ wunderschönen Haare – Melanie musste ich wohl gerade aus dem Schlaf gerissen haben – schlüpfte aus ihrem Pyjama und zog ein hübsches Kleid von mir an. Dann machte ich mich auf den Weg, den ich nur allzu gut kannte: zu Sabinas Haus. Ich hoffte inständig, dass Dominik zuhause war.
Ich läutete Sturm. Meine Finger weigerten sich, den Knopf gleich wieder loszulassen, obwohl ich merkte, dass ich maßlos übertrieb. Sabina öffnete verschlafen die Tür einen Spalt. „Was ist los?“, fragte sie und blickte mich verständnislos an. Ich schluckte. „Warum in aller Welt läuten Sie so stürmisch. Ist etwas passiert?“, fragte sie noch einmal, da ich sie nur anstarrte und kein Wort über die Lippen brachte. „Äh. Nein, es ist nichts passiert. Mein Name ist Melanie“, stotterte ich und streckte ihr meine Hand entgegen. Ich durfte keinen Fehler machen.
Sie nahm sie zögernd und schüttelte sie.
„Sabina. Was kann ich für Sie tun?“, Sabina klang nicht besonders erfreut. „Ich möchte zu Dominik“, brachte ich langsam hervor und hielt den Atem an. Sabina erwiderte nichts, drehte den Kopf und schrie:
„Dominik! Besuch für dich!“, und ließ mich in der Türe stehen. Es dauerte nicht lange, da tauchte sein Kopf schon auf und er blieb wie angewurzelt stehen, ehe sein Gesicht von einem breiten Lächeln erhellt wurde. „Melanie!“, rief er und nahm mich in die Arme. Er drückte mich fest an sich.
„Ich hatte beschlossen, dich heute zu besuchen, nachdem du mir keine Telefonnummer gegeben hast. Aber ich weiß ja, wo du wohnst!“, grinste er, dann erstarrte er. „Aber woher weißt du, wo ich zuhause bin?“, fragte er und beobachtete meine Reaktion. Mein Herz stand still und meine Gedanken rasten.
Verdammt! Ich musste Pokern! „Äh! Du hast Pamela erzählt in welcher Gasse du wohnst und draußen traf ich eine alte Frau, die ich nach einem Dominik gefragt habe und sie hat mich hierhergeschickt. Zufällig war es der richtige Dominik und außerdem: Dominik ist doch kein so häufiger Name. Gott sei Dank!“ Meine Hände waren schweißnass, mein Puls jenseits der hundertfünfzig. Ich hatte vergessen, mich vorzubereiten. Einen kurzen Augenblick sah er mich ernst an, dann winkte er ab, lächelte und gab mir einen Kuss.
„Schlaues Mädchen!“, raunte er mir ins Ohr und belohnte mich für meine Lüge. Er zog mich mit sich ins Haus. Die Anwesenheit von Sabina war mir sehr unangenehm, vor allem als sie mir erzählte, dass eine Freundin von ihr, dasselbe Kleid wie ich hätte und dass es uns beiden sehr gutstehe. Um von Sabina wegzukommen, schlug ich vor, mit mir nach Hause zu kommen, besser gesagt, in Melanies Zuhause.
Zur Mittagszeit, als die Sonne heiß auf den Asphalt brannte, öffnete ich die quietschende Haustüre. Dominik hatte etwas an sich, dass ich vorher bei keinem Mann gespürt hatte. Ich fühlte mich, als zöge er mich in seinen Bann und als gäbe es keine Rettung für mich. Wir fielen uns in die Arme und um uns verschwand die ganze Welt. Ich fühlte mich wie auf Wolken und verstand plötzlich den Spruch: „auf Wolke Sieben sein“.
Es war tatsächlich so.
Alles weich und wunderbar. Selbst meine Gedanken fühlten sich weicher an als sonst, mein Atem ging gleichmäßig und sanft spürte ich den Sauerstoff in meine Lungen streben, um mir neue Kraft und Leben zu geben. Ich wollte für ewig diesen Augenblick festhalten und mein Wunsch in diesem Körper zu bleiben erfüllte mich mit schmerzlich süßer Sehnsucht. Wir lagen stundenlang im Bett, küssten und liebten uns immer wieder, versanken in unseren Blicken und Armen, ließen uns erschöpft und schweißgebadet in die Kissen zurückfallen.
Es war herrlich!
Ich war wohl etwas eingenickt und erwachte abrupt, als ich einen stechenden Schmerz am linken Knöchel fühlte. Ein „Ah!“, entfuhr mir und ich griff mir an das Fußgelenk. „Was hast du?“, fragte Dominik und küsste meine Stirn. „Nichts! Das Bein ist wohl eingeschlafen“, erwiderte ich und verließ rasch das Bett. Dominik sah mir fragend nach. Ich humpelte panisch ins Vorzimmer. Die fremden Schuhe konnte ich nach der Transcorporation nur ein paar Stunden ausziehen, ohne mich zurückzuverwandeln. Ich hatte einfach die Zeit übersehen. Entsetzt über meine Achtlosigkeit suchte ich die High Heels und fand sie endlich im Badezimmer. Der Schmerz war fast unerträglich und ließ erst wieder nach, als ich in beiden Schuhen stand. Erleichtert seufzte ich und vergrub mein Gesicht in beiden Händen. Was tat ich da bloß?
Das war nicht gut! Das war ganz und gar nicht gut!
Leise öffnete Dominik die Tür. Ich hatte ihn gar nicht kommen gehört und saß wie ein Häufchen Elend auf dem Badewannenrand, noch immer mein Gesicht in den Händen vergraben. „Was machst du denn da?“, schreckte mich eine zärtliche Bassstimme aus meinen trüben Gedanken. „Gar nichts“, war alles, was mir einfiel. „Hast du noch Schmerzen?“, fragte er mitfühlend und sein Blick fiel auf meine Schuhe. „Mit diesen Dingern werden deine Füße bestimmt nicht besser“, scherzte er, beugte sich zu mir herab und umarmte mich. Gut, nun konnte ich es wieder riskieren, die Schuhe eine Weile auszuziehen. „Hast du nicht bequemere Schuhe? Mit diesen High Heels machst du dir nur die Füße kaputt“, meinte er und strich eine Haarsträhne aus meinem Gesicht. Ich riskierte einen Blick in den Spiegel. Mein Gott, war ich schön! Ich liebte Melanies Gesicht. Kein Wunder, dass dieser Typ darauf abfuhr! Meine Sorge galt nun Dominiks Frage. Was, wenn ich andere Schuhe von Melanie anzog? Würde das die Transcorporation irgendwie beeinflussen? Oder müsste ich bei demselben Paar Schuhen bleiben, mit denen sie sich vollzogen hatte?
Ich war ratlos. Sollte ich es riskieren?
Während ich noch weiter grübelte und meine Waden massierte, sah sich Dominik im Bad um. „Kann ich bitte ein Badetuch haben? Ich möchte gerne duschen“, er legte seine Lippen an mein Ohr und fügt noch hinzu: „oder lassen wir uns ein Bad ein?“ Sein Mund berührte die kleine Halbinsel, die den Gehörgang zum Teil verdeckte und nach unten mit dem Ohrläppchen verschmolz. Ich zitterte, und ein Stich im Unterleib war schneller als ein „Ja“, das meine Lippen fast lautlos formten.
Badetücher, Badetücher!
Wo zum Teufel konnte Melanie diese deponiert haben?
Im Badzimmer gab es keinen Platz dafür. Vermutlich im Schlafzimmer, wo sonst? Etwas nervös, von Dominiks Blicken gefolgt, öffnete ich den großen Schlafzimmer-Einbauschrank. Nichts! Nur T-Shirts, Unterwäsche, Pyjamas, Pullover und Bettzeug in den Fächern. Blusen, Hosen und Jacken waren fein säuberlich aufgehängt. Ich öffnete eine weitere Tür, in denen sich anderer Alltagskram befand. Verflixt! Auch die dritte Schranktür brachte mir kein Glück. Dominik stand lässig am Türstock gelehnt und sah mir neugierig zu. „Hast du etwa vergessen, wo du deine Handtücher hast?“, fragte er und seine Stimme war eine Mischung aus Belustigung und Sorge. Ich wurde noch nervöser.
„Natürlich nicht“, versuchte ich zu lächeln, „wollte nur frische Unterwäsche holen“ und zog triumphierend einen BH und das dazu passende Höschen aus der eben geöffneten Schublade. „Du kannst inzwischen die Badewanne einlaufen lassen“, fiel mir zu meiner Rettung ein. Dominik nickte, machte kehrt und schlenderte in Richtung Badezimmer. Fieberhaft durchsuchte ich zuerst im Wohnzimmer alle Kästchen, ehe ich im Vorraum neben der Garderobe fündig wurde. Erleichtert nahm ich zwei rosafarbene Badetücher heraus und wollte mich gerade ins Bad begeben, als mich die Türglocke zu einer Salzsäule erstarren ließ.
Wer um alles in der Welt wollte jetzt zu Melanie! Der Schweiß trat auf meine Stirn. Ich schlich zur Tür und schaute durch den Spion. Pamela! Ich hatte so etwas befürchtet. Mein Gehirn arbeitete fieberhaft, ohne einen richtigen Gedanken zu fassen. Es vergingen einige Sekunden, ehe es zum zweiten Mal läutete. Gleichzeitig klopfte sie an die Tür und rief:
„Mela! Bitte mach auf, ich muss mit dir reden!“
Mein Herz, oder besser gesagt, das von Melanie raste. Sie läutete abermals und ich stand noch immer erstarrt mit den Badetüchern im Arm vor der Tür und konnte mich nicht rühren. „Melanie?“, ertönte Dominiks Stimme aus dem Bad und ich hoffte inständig, dass man das nicht durch die dicke Wohnungstür gehört hatte. Wieder läutete sie und rief: „Ich weiß, dass du da bist, bitte mach auf!“ Endlich konnte ich mich bewegen und schlich leise ins Bad. Beim Eintreten legte ich einen Finger auf die Lippen und versuchte so natürlich wie möglich zu wirken. „Ich möchte heute nicht gestört werden“, raunte ich und sah an Dominiks Körper herab, bis zu der Stelle, die mir den Atem nahm. Schnell war ich aus meiner spärlichen Kleidung geschlüpft und stieg zu ihm in die Wanne, wo er mich an der Taille nahm, und zärtlich, aber bestimmt zu sich hinzog. Es läutete noch zweimal an der Eingangstür, dann hatte Pamela offensichtlich aufgegeben. Vorerst jedenfalls, dachte ich und verschmolz mit meinem Liebsten.