Читать книгу Herrin der Wälder - Jennifer Roberson - Страница 10

5. Kapitel

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Der Earl von Huntington musterte seinen Sohn besorgt. Er fand, daß Robert John nicht mit der erforderlichen Umsicht behandelte; genauer besehen, ließ er jedoch nichts gegenüber Umsicht walten.

»Nun?« bellte John.

Der Earl hielt den Atem an, während sein Sohn sich von der Tür abwandte. Locksleys Gesicht entbehrte jeden Ausdrucks. »Nun?« gab er zurück.

Ist er denn verrückt geworden, sich John gegenüber so zu benehmen? Huntingtons Lippen lösten sich leicht.

Nicht als geduldiger oder toleranter Mann bekannt, zeigte der Count von Mortain jetzt, wie unmäßig schlecht gelaunt er sein konnte. »Mein Bruder«, erklärte er zwischen zusammengepreßten Zähnen. »Ihr sagtet, Ihr wärt mit ihm zusammengewesen?«

Locksley neigte seinen Kopf. »Das war ich, Mylord. Im Heiligen Land.«

Der Earl preßte eine Hand auf sein Herz, das etwas unregelmäßig unter der teuren Kleidung schlug. Glaubte Robert etwa, irgendeine kleine Begünstigung, die der König ihm Tausende von Meilen entfernt gewährt hatte, könnte ihn gegenüber Johns unvermittelterem Zorn unverletzbar machen? Jeder wußte, daß John unberechenbar, engstirnig und nachtragend war ... und daß ihm die Wünsche seines Bruders vollkommen gleichgültig waren.

»Was sagte er, mein Bruder? Das letzte Mal, als Ihr ihn saht?« fragte John kühl lächelnd.

»Vieles, Mylord. Er gab Befehle aus, besprach Strategien –«

»Mit Euch?«

Locksley machte einen Moment Pause, dann ließ er die Anspielung auf sich beruhen. »Er sprach mit vielen von uns, Mylord. Ich hatte die Ehre, bei vielen Gelegenheiten sein Vertrauen zu genießen ... es war seine Art, Mylord, Männer um sich zu versammeln, um zu erfahren, was sie von bestimmten Situationen dachten –«

»›Bestimmten Situationen‹«, fiel John ihm ins Wort. Auf einmal war der schwankende, nuschelnde Banause wie ausgewechselt. Er wirkte listig und hellwach, seine Worte kamen klar und beißend. »Wir wissen doch alle, welche Art von ›Vertraulichkeiten‹ mein Bruder teilte, oder nicht? Muß ich dann etwa annehmen, daß Ihr einer seiner – besonderen Gefährten wart?«

Locksley blieb unverändert ruhig. »Er nannte viele von uns ›Freund‹, Mylord. Nennt er nicht auch seinen Bruder so?«

John ließ sich dadurch nicht abschrecken. Seine Stimme klang wie eine Peitsche. »Er hat eine Frau und trotzdem kein Kind. Es sind Gerüchte im Umlauf, daß Berengaria unfruchtbar ist – während wieder andere behaupten, daß es nicht ihr Fehler ist; daß man von einer Frau wohl kaum erwarten kann, daß sie schwanger wird, wenn sie noch Jungfrau ist. Eine verheiratete Jungfrau, Locksley!«

Locksley stand regungslos und merkwürdig entspannt da. »Er bedauerte zutiefst, daß England keinen Erben hat.«

Überrascht hielt der Earl die Luft an. Vielleicht hatte Robert im Kreuzzug doch gelernt, die Staatskunst und das Ränkespiel – so oft ein und dasselbe – zu beherrschen.

»Keinen Erben?« zischelte John. »Aber natürlich gibt es einen Erben! Ich bin Erbe, von Gottes Gnaden, zwei toten Brüdern, einer alten Vettel von Mutter und einem Narren an Vater, welcher jedoch Richard ernannte statt meiner –« Unvermittelt hielt er jedoch, tiefdüsteren Gesichts und vor Wut zitternd, inne und ließ das Geschrei verhallen. Langsam verlor sich seine Röte, und er lächelte Locksley auf einmal wieder ruhig an. »Selbstverständlich gibt es einen Erben. Er muß gemeint haben, kein Erbe seines eigenen Blutes – kein Same seiner eigenen Lenden.... Er wechselte das Thema, und sein Ton wurde leiser und durchdringender. »Ob er Lenden hat, was glaubt Ihr?«

Locksley zögerte nicht. »Alle nennen ihn einen Bullen, Mylord.«

Die Worte hingen im Raum.

Johns dunkle Augen wurden schmal. Dann hob er eine Braue. »Wie nennt Ihr ihn denn?«

Locksley neigte seinen Kopf. »König von England, Mylord.«

»Seid verflucht – ich will die Wahrheit von Euch wissen!« Er machte einen Schritt nach vorne, wobei er seine Amtskette so fest umklammerte, daß seine Knöchel weiß schimmerten. »Glaubt Ihr denn, ich sei ein Narr? Glaubt Ihr denn, ich hätte nicht meine Quellen?«

»Vergebt mir, aber ich war zwei Jahre fort. Vielleicht könntet Ihr mich aufklären –«

»Euch aufklären!« Mit drei Sätzen stand John vor Locksley. »Man sagt, er schläft mit Knaben. Und Ihr wart einer von ihnen!«

Im Sonnenuntergang leuchteten die Mauern von Huntingtons Burg golden. Sir Guy von Gisbourne pausierte außerhalb der Tür, die zur Hauptburg führte, um seinen Schweiß in der Dämmerung trocknen zu lassen. Er lehnte an der Steinmauer.

Wie gedemütigt hatte er sich gefühlt, als er entdecken mußte, daß die Frau, nachdem sie ihn weggeschickt hatte, um Wein zu holen, verschwunden war.

Gisbourne schloß die Augen. Ich kann nicht sein wie sie. Ich kam als Kaufmannssohn zur Welt... Es nagte an ihm. Er war nie arm gewesen, aber immer ein gewöhnlicher Mann ... und das würde wahrscheinlich auch so bleiben, wenn er nichts unternahm. Sein Vater hatte sicher den ersten Schritt für ihn getan, indem er ihm die Ritterswürde gekauft hatte – aber was hatte er schon davon? Er konnte einer Frau nichts bieten, außer sich selbst, und das war nicht eben viel. Überhaupt nicht viel. Es sei denn, ich würde mehr darstellen – irgendwie.

Er hörte Schritte. Gisbourne öffnete, halb fürchtend, es könnte sie sein, seine Augen, aber es war nur ein Mann, den er nicht kannte. Er war in Samt und Brokat gekleidet.

Als der Mann Gisbourne entdeckte, grüßte er in normannischem Französisch. Automatisch antwortete Gisbourne ihm in derselben Sprache. Gisbourne wurde bewußt, daß der Fremde Normanne war wie er. Er sprach ohne Akzent.

Sie tauschten Namen und Positionen aus: Der Mann war Gilbert de Pisan, der Seneschall von Prinz John.

Gisbournes Erwiderung erfolgte prompt. »Aber ich bin ebenfalls Seneschall! Vom Sheriff von Nottingham.«

Da war sie: die Gelegenheit. Gisbourne spürte es instinktiv. In deLaceys Diensten würde er nicht höhersteigen können, außer deLacey erwarb ein höheres Amt und Gisbourne würde zu seinem Nachfolger ernannt werden – was er für unwahrscheinlich hielt, aber schließlich gab es noch andere Arbeitgeber als den, dem er diente.

»Ich habe ein recht gutes Geschick als Kämmerer«, verkündete er freimütig und eifrig; in Diplomatie war er unerfahren.

De Pisan zuckte mit den Schultern. »Daran habe ich keinen Zweifel.«

Schwach flackerte Befangenheit in Gisbourne auf; war ihm dieser Mann wohlgesonnen? Im Bewußtsein, daß er sich jedoch schon ausgeliefert hatte, machte er einen weiteren Vorstoß. »Und doch wäre ein Mann wie ich ein Narr, eine Stelle mit einem Herrn, wie Ihr ihn habt, scheel anzusehen.«

De Pisan lächelte frostig. »Gerade im Moment hat er einen Seneschall.«

Gisbourne reagierte entsetzt. »Nein! Nein – ich wollte mich nicht um Eure Stelle bewerben. Ich will Euch nur mitteilen, und Eurem Lord, falls es in Eurem Haushalt noch Platz für mich gäbe ...« Es lief überhaupt nicht gut. Er war nicht raffiniert, sondern ein ehrlicher Mann. Aber nun war es zu spät. Er stählte sich innerlich und holte einmal tief Luft. »Ich bin es gewohnt, Geheimnisse zu wahren.«

»Ah.« Das frostige Lächeln veränderte sich etwas, obgleich noch immer eine merkwürdige Belustigung darunterlag. »Das sind wir, die wir als Kämmerer agieren, alle. Es spricht sicher sehr für Euch, daß Ihr wißt, wann Ihr den Mund aufmachen dürft – und wann nicht

Gisbourne nickte nachdrücklich.

De Pisan hob seine schlaffe Hand und machte eine nichtssagende Geste. »Vielleicht. Ich kann Euch nichts versprechen. Ihr könnt aber gewiß sein, daß ich dem Prinzen von Euch erzähle.«

»Das ist alles, worauf ich hoffen kann.«

Gilbert de Pisan musterte Gisbourne einen Augenblick lang. »Allerdings.«

Johns deutliche Anspielung in bezug auf Locksleys Gelüste erschütterte den Earl zutiefst. Huntington würgte heiser und griff taumelnd nach einer Stuhllehne. »Mylord, ich bitte Euch –«

»Ruhe!« fuhr ihn John an. »Das ist keine leere Anspielung, Huntington – ich bin überrascht, daß Ihr noch nicht davon gehört habt.«

Der Earl drückte laut atmend eine Hand auf seine Brust. »Ich – habe nichts davon gehört, Mylord ... nichts dergleichen –«

»Mylord Count.« Locksley meldete sich mit untadeliger Höflichkeit zu Wort. »Wenn Ihr mir gestatten würdet, Euch nach der genauen Art Eurer Kenntnisse zu fragen –«

»Ich erzählte sie Euch doch bereits«, erklärte John. »Oder wünscht Ihr, daß ich meine Quelle preisgebe? Haltet Ihr mich für so dumm?«

»Nein, Mylord. Ich glaube nur, daß das, was Euch zugetragen wurde, nicht stimmt.«

»Inwiefern ›nicht stimmt‹? Im Inhalt? Sie sagen, er schläft mit Knaben. Vergeßt Ihr, daß ich sein Bruder bin? Es waren keine Küchenmädchen, mit denen er sich vergnügte –«

Ungläubig hörte Huntington, wie sein Sohn Johns Verleumdung ruhig, aber entschieden unterbrach. »Mylord, Eure Quelle hat nicht alles berichtet.«

»Wieso?«

Locksley sog Luft ein. »Erwähnte mich Eure Quelle namentlich?«

John beugte sich zu ihm vor. »Man sagte mir, Locksley: Ein Mann von heller Hautfarbe und noch hellerer Haarfarbe teilte das Bett meines Bruders.«

Locksleys Kinnmuskel zuckte kurz. »Blondel.«

John kniff die Augen zusammen. »Was redet Ihr da?«

»Ein Name, Mylord. Blondel. Ein Minnesänger. Ein Lautenspieler, Mylord.«

»Und rühmt sich dieser Lautenspieler auch solch hellen Haares?«

»Ja, Mylord. Es wurde oft geäußert, daß der König zwei so blonde Männer begünstigt hat –«

»Begünstigt?« John zog Locksley nah zu sich heran. Er war um ein beträchtliches kleiner, weshalb er seinen Kopf nach hinten auf die gepolsterten Schultern legen mußte. »Wie begünstigte Euch mein Bruder der König denn?«

»Er ernannte mich zum Ritter, Mylord.«

»Ernannte Euch zum Ritter, ja? Und sind wir jetzt Sir Robert?«

»Ja, Mylord. Von Gottes Gnaden – und den Gnaden des Königs von England.«

John antwortete nicht gleich. Seine drohende Miene war verschwunden, jetzt wirkte er matt, schwach und ausgelaugt. »Und Huntingtons Erbe obendrein.«

Er hatte seltsam heiser und kraftlos gesprochen. Der Earl erkannte in diesem Moment, daß John auf Huntington – und alles, was mit seiner Grafenwürde verbunden war – angewiesen war. Zumindest auf seine Einkünfte. Auf seinen Einfluß. Auf seine Macht. John war nicht König. John war nicht einmal offiziell Richards Nachfolger, nicht solange die Ehe mit Berengaria von Navarre, wie unfruchtbar sie auch sein würde, einen möglichen direkten Erben versprach. John brauchte sie alle.

John blickte wieder zu Locksley. »Dieser Blondel – lebt er noch?«

»Ich glaube ja. Er war es, der den König in Deutschland fand.«

»Ein Lautenspieler

»Es gibt da ein Lied – ein Schlachtlied. Eines der Lieblingslieder des Königs. Als wir den König verloren hatten, beschloß Blondel, durch die Lande zu ziehen und den Gerüchten zu folgen – wie man sich erzählt, hörte Richard das Lied in seiner Zelle, meldete sich und wurde so entdeckt.«

John musterte Locksley eingehend, während er über dessen Worte nachsann. Als er schließlich antwortete, stellte er jedoch nicht die Geschichte in Frage. »Richard?« fragte er sanft nach.

Locksley spannte seinen Mund an. »Der König, Mylord.«

»Er gestattet Euch, seinen Vornamen zu benutzen?«

»In der Schlacht, Mylord, spielen solche Dinge wie der Stand oft nur noch eine untergeordnete Rolle –«

»Blondel«, sagte John scharf. »Sein Bett teilte also ein Lautenspieler... und kein junger Bursche, der gerade die Ritterswürde erhielt und eine Zunge besitzt, die zu geschmeidig ist für seinen Mund?«

Locksley neigte den Kopf. »Ihr braucht nur Blondels Aussehen zu überprüfen –«

»Ich brauche nur danach zu fragen, ob es ihn gibt. Und seid sicher, daß ich das tun werde.« John bedeutete ihm mit gebieterischer Geste, daß er entlassen wäre, dann wandte er sich an den Earl. »Welche Unterhaltungen habt Ihr für den heutigen Abend denn vorgesehen? Wir sind in der Verfassung, gebührend geehrt zu werden – und gebührend unterhalten.«

Der Earl holte Atem, um zu antworten, während sein Sohn schweigend das Zimmer verließ.

Der schwingende Lautenklang erstarb; wie ein Seufzer hallte er in die Stille unerwiderter Liebe. Alain, auch Alan genannt, lächelte die Frau neben sich mit bittersüßem Flehen an. Sie bebte, zum Zerreißen gespannt vor Begierde. Er sah die Unverhülltheit ihres Verlangens und die Schwäche ihres Willens. Bei ihr war es sogar noch einfacher. Einfacher als bei den anderen, die das Spiel nach festen Regeln spielten und bei denen unendliche Geduld erforderlich war. Manchmal bevorzugte er das; diesmal nicht. Sie war die Tochter des Sheriffs von Nottingham, einem Mann von einiger Macht. Es war weit klüger, sie schnell zu beschlafen und anschließend nach anderen Opfern Ausschau zu halten.

»Lieder haben ihre Berechtigung«, erklärte sie ihm heiser. »Aber zum Leben gehört mehr als nur Musik.«

»Ja?« Mit sinnlicher Bedächtigkeit schlug er die Lautensaiten an. Strich zärtlich mit seiner langgliedrigen Hand vom Hals bis zum Bauch – als liebkose er eine Frau. »Ich bitte Euch, Lady, ich bin nur ein armer Mann, der hofft, ein wenig von seinem Talent weitergeben zu können ... Musik ist mein Leben. Andere Vergnügungen und gewisse – Gepflogenheiten bin ich nicht gewohnt.«

Eleanor deLacey legte einen Finger an ihre rundliche Unterlippe und fuhr die Linie ihres Mundes nach. Im schwachen Licht wirkten ihre Augen schwarz. »Es gibt Menschen, die einen darin unterweisen können.«

Er lächelte. »Gewiß.«

Sie nahm ihren Finger wieder weg und lehnte sich leicht nach vorne. »Habt Ihr ein Zimmer?«

Er schüttelte den Kopf. »Der Saalboden wird mir als Schlafstätte dienen.«

Ihre Lippen kräuselten sich in leichter Verstimmung. »Noch habe ich keinen Raum für mich allein. Ich muß ihn teilen... Aber es gibt andere Arrangements.«

»Natürlich.«

Sie lehnte sich noch näher an ihn heran. »Besorge uns ein Zimmer.« Dann setzte sie, in einem gänzlich veränderten Ton, hinzu: »Mein Vater. Ich muß gehen.«

Alan lächelte voller Vorfreude in sich hinein.

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