Читать книгу Herrin der Wälder - Jennifer Roberson - Страница 18

13. Kapitel

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Kaum war Marian aus der Tür des Sheriffs getreten, blieb sie stehen. Er wird diesem armen Mann die Zunge herausschneiden, und nur wegen einer Lüge!

Es erschien ihr mehr als unglaublich, mehr als barbarisch, mehr als ungerecht. Es brach ihr Vertrauen in einen Menschen und in ein Prinzip, an das zu glauben sie erzogen worden war.

Sie kannte deLacey ihr ganzes Leben lang, wenn auch nicht gut; er war der Freund ihres Vaters gewesen, nicht ihrer. Es hatte jedoch nie einen Grund gegeben, schlecht über den Sheriff zu denken oder seine Handlungen in Frage zu stellen. Es war ihr nie in den Sinn gekommen, daß er so ungerecht sein könnte, so unbarmherzig, daß er einen Mann stumm machen würde, der von seiner Zunge abhing, um sich Essen und Kleidung zu beschaffen.

Marian schauderte. Ihr Herz schmerzte, und ihr Bauch tat ihr weh; sie würde sich am liebsten ins Bett legen und sich die Decke über den Kopf ziehen.

Doch das war feige. Das war das Verhalten einer Frau, die kein Rückgrat hatte.

»Eleanor«, murmelte sie, als sie sich daran erinnerte, wer das gesagt hatte. Und dann wußte sie, was zu tun war.

Prinz John, der sich nach der verpfuschten Jagd langweilte, wünschte, in der neuen Burg des Earls herumgeführt zu werden. Es kümmerte ihn wenig, daß die Sonne bereits untergegangen war und sich die Dämmerung schnell in Finsternis verwandelte.

Er mußte die Vorzüge der Burg kennenlernen. Er mußte erfahren, wie sie gegen ihn verwandt werden konnte, aber hauptsächlich wollte er den Earl mehr an den englischen Prinzen als an den englischen König binden, wenn das überhaupt möglich war. Die Barone waren, wie John wußte, nicht allzu erfreut über seine Steuerpolitik.

Huntington geleitete John nach draußen in die Hauptburg, dann ins Torhaus und die schmale Wendeltreppe hinauf zum Wehrgang, der entlang der inneren Mauer verlief. Von dort aus konnte man das Vorwerk und die Außenmauer mit ihren Ecktürmen und dem Haupttor mit dem Fallgitter übersehen.

Langsam spazierten sie über die Mauer und redeten über Architektur und die Fortschritte, die mit den normannischen Burgen Einzug gehalten hatten – klugerweise erwähnte der Earl nicht, daß die Existenz normannischer Burgen England von dem Mann aufgezwungen worden war, der das Land erobert hatte; schließlich stammte John von den Normannen ab. Schon bald hatte John das Gefühl, er hätte seinen Gastgeber in die geeignete Stimmung versetzt, um ein anderes Thema anzusprechen.

John machte an einer der Zinnen halt und lehnte sich hinaus. Er nickte anerkennend. »Wirklich eine prächtige Burg.«

Huntington blieb neben John stehen. »Danke, Mylord.«

John musterte den Mann von der Seite. Er war alt, aber er war noch immer sehr kräftig und ungeheuer einflußreich. Dieser Mann war kein Dummkopf. »Ein Jammer«, bemerkte John. »So schnell ist ein Mann durch die Dummheit seines Kindes ruiniert.«

Der Earl wurde sofort steif. »Ja, Mylord. Ein Jammer.«

»Ohne Zweifel hatte der Sheriff auf eine gute Partie gehofft.« John lehnte sich weiter vor und schaute an der massiven Steinmauer hinunter. »Das ist schließlich ganz natürlich – man kann mit klug geschlossenen Verbindungen viel erreichen ... allerdings habe ich erfahren, daß sie die jüngste von mehreren Töchtern ist, und von daher hat er noch Aussicht auf Aufstieg.« Er kratzte geistesabwesend mit einem Fingernagel über den Stein. »Andere Männer sind nicht so glücklich dran. Ihr habt natürlich einen Sohn – aber nur einen.«

»Ich hatte mehrere, doch alle starben. Er ist der einzige, der überlebte.« Der Earl nickte. »Ja, ich bin glücklich dran. Gott beliebte es, ihn heil zu mir zurückzuschicken.«

»Und nun seht Ihr Euch einer Aufgabe gegenüber, die der des Sheriffs ähnelt: eine geeignete Partie für Euer einzig verbleibendes Kind zu finden.«

Huntington antwortete nicht sofort.

»Natürlich wird das nicht einfach werden«, fuhr John fort. »Huntington ist ein alter Name, ein feines Geschlecht ... Ihr könnt kaum das erstbeste Mädchen, das Euch angeboten wird, akzeptieren. Außer, natürlich, sie wäre vom selben Stand wie Euer Sohn.«

Huntington rührte sich nicht. »Diese Entscheidung wird ihre Zeit brauchen.«

»Gewiß. Aber er ist im richtigen Alter ... und Ihr seht Euch, wie alle Männer, der Notwendigkeit gegenüber, Euer Haus in Ordnung zu bringen, ehe der altbekannte Feind sich nähert.« John drehte sich um, lehnte sich an die Mauer und verschränkte die Arme. »Ohne Zweifel habt Ihr Pläne für Euren Sohn und seine Zukunft.«

»Beizeiten, Mylord, werde ich ihm vorschlagen –«

Ruhig schnitt ihm John das Wort ab. »Ich verstehe Eure Lage. Ich habe auch Kinder, wenn auch Bastards. Dennoch sind sie Kinder von königlichem Blut und von daher bedeutender als andere uneheliche Kinder...« Seine dunklen Augen glitzerten im schwachen Fackelschein. »Meine Tochter, Joanna – sie ist ein hübsches und aufgewecktes Mädchen ... zwar noch jung, aber eine wahre Pracht.« Er ließ das Gesagte eine Weile lang wirken. »Aber, wie Ihr sagt, alles beizeiten.«

Da. Es war heraus. Ein Köder, zur richtigen Zeit ausgeworfen, würde schließlich seine Wirkung tun.

Mit kräftigem Schwung warf Marian die Tür hinter sich zu. In der Schlafkammer, die sie und die anderen Frauen in der vergangenen Nacht geteilt hatten, war niemand, abgesehen von der einen, die sie am dringlichsten zu sprechen wünschte. »Sagt ihm die Wahrheit«, sagte sie. »Geht sogleich zu Eurem Vater und sagt ihm die Wahrheit.«

Eleanors Kleid war schmutzig und zerknittert. Ihr braunes Haar hing ihr zu beiden Seiten ihres blassen Gesichts herab.

Sie hatte sich erhoben, als Marian eingetreten war, und stand nun unbeweglich fünf Schritte von ihr entfernt. Sie war sichtlich von Marians Entschiedenheit verblüfft, aber ihr Erstaunen verwandelte sich fast sofort in Aggression. Sie ging auf Marian zu und holte mit einer Hand zum Schlag aus, doch Marian trat auf sie zu, faßte Eleanors Schultern und hielt die Frau mit ausgestreckten Armen auf Abstand. Dadurch kam Eleanor aus dem Gleichgewicht und stolperte über eine Matratze. Unsanft setzte sich Eleanor hin und starrte schockiert und wütend hoch.

»Wie könnt Ihr es wagen?« fuhr Marian sie an. »Erwartet Ihr etwa, daß ich glaube, daß der Mann, nach dem Ihr so verrückt wart, Euch gegen Euren Willen zwang? Erwartet Ihr, daß ich kein Wort sage, wenn sie ihn aus dem Verlies zerren und ihm die Zunge herausschneiden?«

»Ihr habt meinem Vater davon erzählt –«

»Ich habe nichts erzählt!« schrie Marian. »Ich ehrte mein Versprechen, das ich Euch gab, von Frau zu Frau –«

»Er hätte es sonst nicht wissen können!« gab Eleanor zurück. »Warum sonst wäre er wohl so früh zurückgekommen? Wie hätte er davon wissen können –«

»Er wußte nichts«, fuhr Marian sie an. »Euer Vater kam zurück – sie alle kamen zurück! –, weil Gisbourne schwer verletzt wurde. Habt Ihr das etwa nicht gesehen? Saht Ihr nicht all das Blut, als sie ihn in das Zimmer trugen?«

»Ihr habt es ihm erzählt. Ihr könnt mich anlügen, soviel Ihr wollt, aber ich weiß es besser. Ihr seid eifersüchtig auf mich. Ihr habt noch nie bei einem Mann geschlafen, weil Ihr kein Rückgrat habt, und jetzt rächt Ihr Euch –«

Marian lachte eher aus Ungläubigkeit denn aus Erheiterung. »Mein Gott, Eleanor – hörtet Ihr selbst, was Ihr da gerade gesagt habt? Ihr sitzt hier vor mir und gebt widerliche Lügen von Euch –«

Röte überzog Eleanors Gesicht. »Ihr seid wie alle anderen auch. Ihr schließt Eure Jungfräulichkeit weg und beschuldigt mich dann, eine Hure zu sein, weil ich den Mut habe, meinen Körper zu genießen.«

Marian schüttelte den Kopf. »Ihr könnt schlafen, bei wem Ihr wollt – ich werde nichts dagegen sagen! –, aber Ihr könnt einem unschuldigen Mann nicht den Rücken kehren. Zahlt den Preis, Eleanor. Geht zu Eurem Vater und sagt ihm die Wahrheit. Ich bezweifle, daß er Euch die Zunge herausschneiden lassen wird.«

Eleanors Augen funkelten. Sie hob ihr Kinn. »Er hat mich geschändet.«

»Eleanor –«

»Er hat mich geschändet.«

»Denkt daran, was Ihr damit anrichtet!«

Sie wiederholte es mit ausgesuchter Deutlichkeit: »Er – hat – mich – geschändet.«

Als der Bottich endlich mit heißem Wasser gefüllt war, der Schemel hineingestellt und Seife und Handtuch bereitlagen, schickte Locksley die Bediensteten fort und entledigte sich seiner schmutzigen Gewänder. Von verkrustetem Blut überzogen, konnte er seinen eigenen Geruch nicht ausstehen.

»Mein Gott, Robert – was haben sie dir angetan

Er fuhr herum. Sein Vater war ins Zimmer getreten. Sein Vater hatte ihn gesehen.

Unbeholfen blieb der Earl direkt vor der Tür, die er gerade geschlossen hatte, stehen und starrte seinen Sohn schockiert an. Das alte Gesicht war leichenblaß. »Robert – mein Gott –«

Locksley setzte sich sofort hin und ließ die Schultern unter die Wasseroberfläche gleiten, doch der Rückzug kam zu spät.

Der Earl umklammerte mit der Hand sein Gewand und zerknitterte den teuren Stoff. »Robert – Robert –«

Locksley biß die Zähne aufeinander. »Ihr solltet es nie erfahren.«

»Aber – Robert ...« Der Earl fuhr zitternd mit der Hand durchs Gesicht. »Sie sind Barbaren!«

Locksleys Feindseligkeit schwand. Auf zynische Weise war er belustigt: Sein Vater – ein Mann, dem von Geburt Reichtum, Rang und Macht zukam, der jedoch erhaben darüber war, körperliche Mißhandlungen auszuteilen, wenn es nicht der Disziplin zugute kam – war in seinem Zorn unberechenbar. »Ich glaube, es machte keinen Unterschied, wessen Sohn ich war.«

»Barbaren, alle miteinander.«

»Ja«, stimmte Locksley zu und ließ es dann auf sich beruhen. »Ich wußte nicht, daß Ihr mich sprechen wolltet, Mylord.« Es war ein sanfter Tadel, obgleich er bezweifelte, daß der Earl ihn bemerken würde. Doch daß er wagte, den Tadel auszusprechen, wie subtil er auch immer sein mochte, bedeutete für Locksley eine neue und vorerst noch vorsichtige Befreiung.

Der Earl sank auf die Bank, die an der Wand neben der Tür stand. Er seufzte. »Ich hatte nicht die Absicht, mit dir darüber zu sprechen. Jedenfalls noch nicht. Doch es sprach jemand mit mir darüber, und so gebe ich das an dich weiter.« Huntington lächelte schief. »Du wirst wegen vieler Eigenschaften bewundert, Robert. Aber vor allem, weil du noch ledig bist.«

Locksley zog eine Grimasse. Es war schneller gegangen, als er angenommen hatte. »Er hat also bei Euch vorgesprochen.«

Der Earl hob seine weißen Brauen. »Hat er mit dir darüber geredet?«

Locksley zuckte mit den Schultern. »Er hat es gestern angesprochen. Ich habe ihm keine Antwort gegeben. Doch ging ich davon aus, daß es jetzt, nachdem was passiert ist, nicht mehr in Frage kommt.«

Huntington runzelte die Stirn. »Was geschah denn heute, was die Möglichkeit verändert?«

»Sie ist doch öffentlich entehrt oder nicht?«

Der Earl schreckte zurück. »Davon habe ich nichts gehört!«

»Ihr wart doch dabei, Mylord.«

Huntington starrte ihn erst an, dann brach er in verblüfftes Gelächter aus. »Guter Gott, Robert! Nicht deLaceys Tochter – mein Gott, glaubst du wirklich, ich würde dieses infame Ding für dich in Betracht ziehen?«

Sein Sohn mußte fast lächeln. »Ich wußte nicht, daß sie infam ist. Sie war es noch nicht, als ich fortging.«

»Ganz sicher ist sie das. Wir wollen nicht über dieses Mädchen sprechen«, sagte der Earl streng.

»Sehr wohl. Wie ist es denn dann mit dem Minnesänger?«

»Mit dem Minnesänger? Er interessiert mich nicht. Der Sheriff mag mit ihm anstellen, was er will.«

»Er wird ihm die Zunge herausschneiden, habe ich gehört.« Locksleys Ton war unbewegt.

Der Earl zuckte mit den Schultern. »Der Kerl kann sich glücklich schätzen, wenn man ihn nicht tötet.«

»Und wenn er unschuldig ist?«

»Unschuldig! Ihr wart dabei, Robert ... es gab keinen Zweifel daran, was sie taten!«

Locksley schmunzelte beinahe. Bei der Erinnerung wurde dem Earl offensichtlich unbehaglich zumute. Es beleidigte ihn, daß solche Handlungen unter seinem Dach geschahen; daß seine Gastfreundschaft so schamlos ausgenutzt wurde. »Nein, das vielleicht nicht – aber was ist mit der Schuldfrage? Ihr sagtet selbst, daß Eleanor deLacey ein infames Mädchen ist.«

»Das ist mir gleichgültig«, erwiderte der Earl. »Es geht mich nichts an, und dich auch nicht. Wir haben etwas Wichtigeres zu besprechen.«

Und so wurde das Thema gewechselt. »Heirat«, stimmte Locksley ihm zu. »Fahrt bitte fort, Mylord.«

Der Earl nickte. »Es geht um einen Bastard, der aber sehr hoch steht. Zweifellos haben schon viele uneheliche Kinder königlichen Blutes in gute Familien eingeheiratet.«

»Wessen Bastard ist es?«

»Johns. Sie heißt Joanna. Er erwähnte sie nur, nicht mehr. Der Mann ist ein vollendeter Taktiker. Er unterhält sich über Burgen, während er doch gleichzeitig herausfinden will, ob ich vorhabe, mich – nun, da ich dazu in der Lage bin – gegen ihn zu erheben.«

Das war das erste Gespräch, an das sich Locksley erinnern konnte, welches weniger Befehle als Meinungen und Feststellungen enthielt. Er zweifelte daran, ob sein Vater seine Gewohnheiten grundlegend ändern würde, aber zumindest brachte er jetzt der Tatsache, daß sein Sohn erwachsen war, die gebührende Achtung entgegen.

Wenigstens, solange es ihm paßt.

Huntington lehnte sich zurück. »Jetzt preist er dich, während er dich noch gestern beleidigte, indem er unaussprechliche Dinge andeutete. Wie ich schon sagte, ein Taktiker. Er weiß, daß er bei den Baronen nicht sehr beliebt ist. Er weiß, wie sehr er auf uns angewiesen ist. Und deshalb kommt er jetzt angekrochen, wie ein Junge, der einem Mädchen den Hof macht.« Huntington ging auf die Tür zu. »Mach dir darüber keine Gedanken, Robert. Zweifellos läßt er den Namen des Mädchens jedem Baron gegenüber fallen, der einen unverheirateten Erben hat.«

Stumm sah Locksley zu, wie der Earl hinausging und die Tür hinter sich zumachte. »Nein«, sagte er schließlich. »Ich werde mir darüber nicht den Kopf zerbrechen.« Er hatte nicht die Absicht, jemals zu heiraten.

Herrin der Wälder

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