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16. Kapitel

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Marian setzte sich auf den Schemel, der neben dem Bett stand. Die Kammer war winzig und bot nicht mehr Platz, als für ein schmales Bett nötig war. Matilda schien es bereits besserzugehen. Sie lag auf federngefüllte Kissen aufgestützt und murmelte wiederholte Beteuerungen, ihr ginge es gut und Marian brauche sich keine Sorgen zu machen.

Marian lächelte und nickte. Sie behielt ihre Gedanken für sich, während sie der alten Frau half, einen Kräutertee zu sich zu nehmen. Wie oft hat sie das für mich getan? Zu oft, um es zu zählen. Seit dem Tod ihrer Mutter hatte Marian wahren Trost und Beruhigung nur bei der untersetzten Amme gefunden.

»Er ist ein guter Mensch.« murmelte Matilda. »Es ist sehr gastfreundlich von ihm, daß er mich so aufnimmt.«

»Der Sheriff? Was hätte er denn sonst tun sollen? Nur ein Mann ohne Herz oder Seele hätte uns die Aufnahme verweigert.«

»Aber Ihr hättet es abgelehnt, wenn es nicht um mich gegangen wäre. Verbergt es nicht vor mir, Mädchen. Ich habe den Blick in Euren Augen gesehen.«

»Ich finde, er hat sich in der Angelegenheit des Minnesängers nicht gut verhalten«, sagte Marian schließlich. Verunsichert fragte sie sich, ob sie deLacey gerade wieder Unrecht tat.

»Väter von Töchtern erkennen nicht immer, was das beste ist.«

»Was wird der Sheriff mit seiner entehrten Tochter nun anstellen?«

Die alte Amme nahm brummend Haube und Schleier ab, wodurch ihr zusammengedrücktes graues Haar zum Vorschein kam. »Wahrscheinlich in ein Kloster stecken oder sie mit einem Mann verheiraten, bei dem die Wahrscheinlichkeit am geringsten ist, daß er dagegen Einwand erhebt.« Ihre blauen Augen leuchteten kurz auf. »Was nun Euch angeht –«

»Mich?«

»Das Jahr ist vorüber, mein Mädchen. Da Euer Vater nun nicht mehr unter uns weilt, ist’s das beste, wenn wir einen geeigneten Mann für Ravenskeep suchen.«

Geschäftig legte Marian Wäsche zusammen und beiseite, dann strich sie nichtvorhandene Falten und Knitter aus der Bettdecke. »Damit habe ich keine Eile.«

»Morgen werdet Ihr nicht jünger sein.«

»Aber auch nur ein wenig älter. Du hast es doch nicht etwa eilig, mich loszuwerden, oder?«

»Pah, ich würde Euch doch gar nicht loswerden ... außer Ihr wollt mich entlassen. Wer soll sich denn wohl um die Kinder kümmern, die Ihr haben werdet?«

Marian lachte. »Ich glaube, es ist viel zu verfrüht, um an Kinder zu denken –« Sie brach ab, als die Tür aufging.

»Marian.« DeLacey, der sich neu angekleidet und erfrischt hatte, lächelte sie an. Doch gleich nachdem er sie begrüßt hatte, steuerte er auf die Frau im Bett zu. »Matilda, wie geht es dir? Benötigst du noch irgend etwas? Etwas zu essen vielleicht oder noch eine Decke?« Er kniete sich nieder, nahm ihre mollige, feuchte Hand zwischen seine beiden Hände und lächelte sie warm an. »Du darfst dich nicht scheuen, mir oder meinen Untergebenen etwas mitzuteilen, Matilda ... Ich möchte nicht, daß du leidest, nur weil du uns keine Umstände machen willst.«

»Mylord –«, hob die alte Frau an.

Mit einer Handbewegung brachte er sie zum Schweigen. »Ich möchte keinen Einwand hören, Matilda.« Sein Blick wanderte zu Marian. Bedeutungsvoll hob er die Augenbrauen, dann drehte er sich wieder zu der alten Frau um. »Es gibt da allerdings etwas, um das ich dich bitten würde ...« Er ließ den Satz absichtlich unvollendet.

Matilda ergriff den Köder. »Mylord, aber selbstverständlich!«

Er lächelte. »Dann überredet Lady Marian dazu, mit mir auf den Jahrmarkt zu gehen.«

Marian schüttelte den Kopf. »Das geht nicht.«

»Aber natürlich könnt Ihr«, entgegnete Matilda. »Es ist das beste, wenn Ihr auf den Jahrmarkt geht, viel besser, als wenn Ihr hier bleibt. Was tut Ihr mir schon Gutes damit, wenn Ihr mein schlafendes Gesicht anstarrt?«

»Ich kann nicht weg.« Uneingeschüchtert von deLaceys hoher Stellung, warf Marian ihm einen tadelnden Blick zu. »Ich kann sie nicht alleine lassen.«

»Aber natürlich nicht«, stimmte er ihr sanft zu, als überrasche ihn ihre Annahme, er würde etwas dieser Art vorzuschlagen wagen. »Ich dachte, daß zwei Bedienstete bei ihr bleiben.«

»Geht«, beharrte Matilda. »Die Luft wird Euren Wangen ein wenig Farbe verleihen.«

Anklagend blickte Marian von einem zum anderen. »Ihr habt Euch gegen mich verschworen.«

DeLacey wechselte lächelnd einen Blick mit Matilda. »Wir verstehen einander.«

»Geht um meinetwillen«, sagte die Amme hartnäckig. »Bringt mir einen bunten Besatz oder ein frisches Parfumdöschen mit Frühlingskräutern mit.«

DeLacey erhob sich. »Ich schicke dir die Bediensteten herein«, sagte er zu Matilda.

Marian warf einen Blick in seine Richtung, dann wandte sie sich an Matilda. »Gegen euch beide komme ich nicht an.«

»Das sollt Ihr auch gar nicht; wir beide wissen, was gut für Euch ist, selbst wenn Ihr es nicht wißt. Geht nur, mein Kind. Eine alte Frau braucht Zeit für sich allein.«

Der Sheriff ging um das Bett herum und streckte ihr zum Abschied seine Hand hin. »Sie hat uns galant entlassen, finde ich. Sie erinnert mich an meine alte Amme, Gott sei ihrer Seele gnädig.«

Marian griff nach ihrem verdreckten blauen Mantel und erhob sich. »Mylord, ich denke –«

»Wartet.« Er nahm ihr den Mantel aus den Händen. »Der hat, dank Gisbournes blutiger Tapferkeit, harte Tage hinter sich. Ich werde Euch einen anderen bringen lassen. Einen von Eleanors Mänteln.«

Marian machte den Mund auf, um ihm zu widersprechen, aber er hatte sich bereits von ihr abgewandt und öffnete die Tür.

Später, versprach sie sich selbst. Nicht hier und jetzt... Sie blickte flüchtig auf Matilda hinunter, dann fand sie sich plötzlich mit der Situation ab. »Noch vor der Dunkelheit«, sagte sie entschlossen.

Die Augen des Sheriffs glänzten. »Mit Besatz und Parfumdöschen.«

Es war nicht gerade elegant, aber es war das Beste, was möglich war: Von einer Schaubude stibitzte Alan sich, als der Händler gerade wegschaute, einen Holzeimer, schüttete das Wasser aus und stellte ihn umgedreht hin. Dann setzte er sich darauf, nahm seine Laute vom Rücken, legte seine scharlachrote Mütze auf die Erde und begann zu spielen.

Das war zwar nicht, was ihm gesagt worden war, aber was sollte er sonst tun. Die Wirtschaft, in der er sich hatte einfinden sollen, gab es zu seiner großen Bestürzung nicht mehr. Im vergangenen Jahr hatte ein Feuer einige Gebäude, darunter auch das Wirtshaus, zerstört; das brachte Alan auf den zynischen Gedanken, ob sein Retter das vielleicht gewußt und ihn mit Absicht dorthin bestellt hatte, um das versprochene Geld einbehalten zu können.

Eine ganze Weile lang nahm niemand Notiz von ihm. Alan war auch nicht der einzige Musiker, der sich ein paar Münzen verdienen wollte. Aber er wußte, daß er gut war, und ließ seine Stimme von seinem Selbstvertrauen tragen. Schon bald blieb eine ältere Frau stehen, dann eine jüngere und dann zwei junge Mädchen mit ihrer Mutter. Anschließend kamen ein junger Mann oder zwei hinzu und junge Frauen mit ihren Männern.

Als er gerade eine Pause machte, um seine Finger zu lockern, stieß eine junge Frau dazu und reichte ihm einen Becher süßen, gewürzten Apfelsafts. Sie war nicht hübsch; sie war zu dünn, fast ohne Figur, aber nichtsdestotrotz weiblich, und sie reagierte auf sein Lächeln.

Sei vorsichtig, ermahnte ihn sein Gewissen, während er trank. Doch als ihn das Mädchen dann aufgeregt anlächelte, dachte er: Das nächste Lied singe ich für sie.

Leise und melancholisch fing Alan an zu singen, und als er zu Ende war, weinte das Bauernmädchen. Die Tränen liefen ihr über das Gesicht, auch wenn sie keinen Laut von sich gab.

Auf einmal schämte sich Alan. Sie war nicht wie Eleanor. Sie war keine Ehefrau eines reichen Mannes. Sie war nur ein junges, englisches Bauernmädchen, das von der tragischen Geschichte und seinem gekonnten Vortrag gerührt war.

Ich verschwende mein Talent... Doch dann fielen zwei Geldstücke in seine Kappe, gefolgt von drei weiteren.

DeLacey faßte Marian am Ellbogen und zog sie geschickt an einer Urinpfütze vorbei, die ein Pferd hinterlassen hatte. Marian sagte kühl: »Das war wirklich raffiniert.« Sie befreite ihren Ellbogen aus seinem Griff. »Matilda blieb nichts anderes übrig.«

Er gab sofort nach. Er wußte, wann Ausflüchte keinen Sinn mehr hatten. »Ja, es war raffiniert – und der letzte Ausweg eines verzweifelten Mannes. Hätte ich mich an Euch gewandt, wären wir jetzt nicht auf dem Jahrmarkt.«

»Nein«, stimmte sie ihm zu. »Und Ihr wißt auch, warum.«

Er nickte. »Matilda ging es aber schon wieder viel besser, Marian. Das habt Ihr selbst gesehen.« Ein leiser Anflug von Ironie schlich sich in seine Stimme. »Seit einem Jahr trauert Ihr nun. Es ist an der Zeit, daß Ihr wieder an Zerstreuung denkt.«

Sie hob den Saum des karmesinroten Mantels, der im Staub schleifte. Eleanor war größer als sie. Die Körpergröße seiner Tochter, dachte deLacey, war allerdings auch das einzige, in was sie Hugh FitzWalters herrliche Tochter übertraf. Sicher nicht in ihrer Stimme; Marians Stimme war tief und merkwürdig – verführerisch – rauchig. »Mich beschäftigt momentan mehr Matildas Gesundheit.«

»Sie ist alt, Marian. Selbst Ruhe wird ihr nicht mehr die vergangene Jugend ersetzen können.«

Seine Direktheit erschreckte sie, und der Wahrheitsgehalt seiner Worte traf sie schwer. »Mylord –«

»Laßt uns nicht streiten.« Er nahm ihre Hand und legte sie sich sanft um seinen Ellbogen, dann drückte er die Hand mit dem Ellbogen an seinen Körper. »Glaubt mir, wenn ich denken würde, daß sich Matilda in ernsthafter Lebensgefahr befindet, würde ich den besten Arzt von ganz Nottingham rufen lassen. Aber sie ist alt und erschöpft, und das Reisen strengt sie jetzt sehr an. Sie hätte nicht mit Euch kommen sollen.«

»Nein. Nein, das sehe ich genauso ... aber wie hätte ich ihr das beibringen sollen? Seit meiner Geburt ist sie bei mir... wie hätte ich ihr erklären sollen, daß ich möchte, daß sie zu Hause bleibt?«

»So, wie es sich für die Tochter eines Ritters geziemt«, sagte er mit gleichmäßiger Betonung. »Sanftmütig, mitfühlend, aber absolut unnachgiebig. Wenn Ihr möchtet, daß sie noch lange lebt und Eure Kinder großzieht, muß sie zu Hause bleiben.«

Seine Worte lösten anscheinend etwas in ihr aus. Überrascht sah deLacey, wie eine Welle tiefer Röte die keltische Blässe wegwusch. Das verlieh ihr eine Lebendigkeit, die ihm den Atem raubte. Als sie seinen Blick bemerkte, machte sie eine hinreißend schöne Handbewegung, mit der sie die Fragen abwehren wollte.

Der Drang war überwältigend. In jenem Augenblick – diesem Augenblick! – wollte er nichts lieber, als ihr den Mantel abstreifen und all die anderen Kleidungsstücke, um das nackte Fleisch bloßzulegen, nach dem es ihn so sehr verlangte. Er wollte ihr die Haube abnehmen und ihr wundervolles Haar befreien, seine Hände darin versinken lassen und sich selbst in der Befriedigung des Fleisches verlieren, die, wenn sie auch nur von kurzer Dauer war, doch so berauschend war wie Macht. Ich möchte alles. Reichtum. Macht. Und diese Frau.

»Mylord?« fragte sie.

Er kam wieder zu sich. »William«, sagte er rauh. »Ihr müßt mich William nennen.«

Einen Moment lang musterte sie ihn angespannt. Er fühlte sich auf gräßliche Art entblößt; als lese sie jede Nuance in ihm, sähe das fleischliche Verlangen und wäre davon abgestoßen.

Aber Marian war noch unerweckt. Marian verstand solche Bedürfnisse noch nicht. Nicht so, wie Eleanor es vielleicht tat. »Nein«, sagte sie nur mit ihrer ruhigen, rauchigen Stimme und zog ihre Hand weg.

Herrin der Wälder

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