Читать книгу Herrin der Wälder - Jennifer Roberson - Страница 22

17. Kapitel

Оглавление

Da Locksley kein Geld für Apfelsaft, Ale oder Wein besaß, blieb er bei einem Brunnen stehen und wartete inmitten der Stadtbewohner und Bauern darauf; daß er an die Reihe kam. Er hörte ihre Gespräche, ihre unzufriedenen Kommentare und die gemurmelten Verwünschungen gegen jene, die sie unmäßig besteuerten und sie zum Hungertod verurteilten, weil ihnen im Namen der Selbstsucht des Königs oder des Privatbesitzes des Earls das Jagen verwehrt wurde.

Der Sheriff, darin waren sich alle einig, war ein harter, unbeugsamer Mann, der sein Amt ausführte, ohne an ihre Lage zu denken. Murrend fragten sie sich, wie er es wohl finden würde, wenn der Lord High Sheriff gezwungen wäre, für ihn zu schuften und ihm verboten würde, Forstwild zu erlegen, das tausend Dorfbewohner während der schlimmsten Winterzeit ernähren könnte? War es denn ein Wunder, daß Bauern zu Wilderem wurden?

Stumm hörte Locksley ihnen zu, während er in der Schlange stand, und schließlich wurde ihm die Schöpfkelle gereicht. Er setzte seine Lippen an die Schöpfkelle, an die die Landbevölkerung ihre Lippen setzte; trank vom Wasser, das auch die Landarbeiter tranken. Zumindest das Wasser war kostenlos, es verlangte keine körperliche Anstrengung, keine Steuer oder Knechtschaft, und es erforderte keine Erlaubnis des Herrn, der über sie gebot.

Locksley senkte die Kelle und starrte ausdruckslos in den Brunnen, während Wasser sein Kinn hinunterlief. Die plötzliche Erkenntnis verwirrte ihn. Ich bin wie sie, und sie sind wie ich ... es besteht kein Unterschied zwischen uns. Die Sarazenen machten mich zu ihrem Knecht, so wie ich diese Leute zu meinen mache.

»He, was ist?« Das kam vom Mann hinter ihm. »Was ist – willst du ihn etwa austrinken?«

Als sich Locksley zu ihm umdrehte, fiel der Mann vor Schreck rücklings gegen den Mann hinter ihm, der fluchte, dann aber abrupt seinen Mund schloß, als er ebenfalls Locksleys Gesichtsausdruck sah. Sie waren beide einfache Arbeiter, von Kindheit an darauf geschult, Höherstehende zu erkennen und gebührend zu behandeln. Locksley trug zwar schlichte, schmucklose Gewänder, aber sein Auftreten und die ungreifbare Stärke seiner Persönlichkeit hoben ihn heraus.

Alle strichen sich hastig durch das Haar, während sie sich insgeheim fragten, was er hier tat und warum er in aller Öffentlichkeit von einem Brunnen trank, den die Landarbeiter benutzten.

»Nein«, sagte Locksley kurz angebunden und drückte dem nächsten Mann den Schöpfer in die Hand. »Nein, ich trinke ihn nicht aus. Ihr habt mehr Recht darauf als ich.«

Marian konnte William deLacey nicht ins Gesicht sehen. Er hatte unbefangen davon gesprochen, daß Matilda für ihre zukünftigen Kinder sorgen werde, ohne zu wissen, daß er damit die Worte der Amme wiederholte. Die Worte selbst waren weder erschreckend noch besonders ungewöhnlich, doch sie aus dem Munde des Sheriffs zu hören, den ihr Vater ihr zum Ehemann gewünscht hatte, verwirrte sie.

Sie zog sich den geborgten Mantel fester um die Schultern und verbarg ihre Hände. Auf der Suche nach Ablenkung schaute sie sich um. »Besatzbänder!« rief sie aus. »Ich soll Matilda ja einen Besatz mitbringen–« Rasch lief sie auf die andere Straßenseite, um dort Hände und Geist zu beschäftigen, indem sie die Bänder auf Farbe, Stoff und Länge hin untersuchte.

Wie erwartet folgte er ihr. Doch bis er schließlich neben ihr stand, hatte sich Marian wieder im Griff. Und, wie sie sah, er sich auch; ruhig streckte er eine Hand aus und zog aus dem Korb ein einzelnes karmesinrotes Band heraus. Er legte es ihr über die Schulter auf den hellen Wollmantel. Dann sagte er unvermittelt: »Nein«, und nahm den Stoffstreifen wieder weg.

Es war ganz und gar verwirrend. Marian wandte sich wieder von ihm ab und durchwühlte den Korb. Sie fand viele farbenfrohe Borten, die ihr gefielen; am Ende wählte sie eine weinrote, weil sie wußte, daß die Farbe Matilda gut stand.

Bevor sie etwas sagen konnte, hatte der Sheriff schon bezahlt. Marian machte Einwände, aber er tat sie leichthin ab. »Kommt mit«, sagte er. »Es gibt da etwas, was ich Euch zeigen möchte.«

Sie fügte sich und steckte ihre eben erstandene Borte im Gehen in den Geldbeutel, der unter ihrem Mantel hing. Der Sheriff führte sie zu einer Bude, die lauter feingewebte Stoffe anbot. Die Qualität war sehr gut, die Farben leuchteten. Weder im Gewebe noch in der Farbe gab es Unregelmäßigkeiten.

»Der hier«, verkündete deLacey und hob einen Stoff hoch. Es war ein kräftiges, leuchtendes Blau. »Der hier«, sagte er. »Blau paßt zu Euren Augen und zu Eurem schwarzen Haar.«

»Nein«, erwiderte sie sofort. »Nein, Mylord – das verbiete ich Euch.«

Er lächelte unbekümmert. »Euer Mantel ist ruiniert. Und dieser hier –«, er berührte ihn, »dieser hier gehört Eleanor. Er bringt Euch nicht gebührend genug zur Geltung.«

Sie blieb stur. »Ich habe noch andere Mäntel zu Hause.«

Er gab ebenfalls nicht nach. »Ich werde ihn Euch schneidern lassen und Euch persönlich bringen.«

In diesem Moment wurde Marian bewußt, daß diese Auseinandersetzung sie ihr Leben lang verfolgen würde, wenn sie nicht die Anstrengung auf sich nahm, das zu ändern. Irgend etwas war geschehen. Irgend etwas hatte ihm die Erlaubnis gegeben, um sie zu werben. »Nein«, sagte sie halb flehentlich. »Bitte, Mylord –«

»Es macht mir aber Freude«, sagte er. »Verweigert sie mir nicht.«

Er kauft mich in kleinen Teilen, löst sie Stückchen für Stückchen von mir ab. Egal, was ich sage, egal, was ich tue... Mit fester Stimme sagte sie: »Ich werde ihn nicht tragen.«

DeLacey wandte sich von ihr ab und blickte zum Händler. »Bringt ihn zur Burg. Ich werde die Rechnung später begleichen.«

Marian legte ihre Hand auf sein Handgelenk. Instinktiv wußte sie, daß er dadurch innehalten würde. »Mylord, ich bitte Euch – bringt mich nicht in eine solch schwierige Lage. Ich kann das nicht annehmen.«

»Doch, das könnt Ihr, und das werdet Ihr auch. Ich bestehe darauf. Es ist beschlossene Sache.«

Sie zog ihre Hand wieder weg. Sie wußte, daß die List fehlgeschlagen war. »Habe ich denn kein Mitspracherecht?«

Er lächelte. »In diesem Fall nicht. Marian – bitte macht mir die Ehre. Ich möchte Euch nur meine Anerkennung zollen. Könnt Ihr mir das verwehren?« Er fuhr fort, bevor sie antworten konnte. »Euer Vater und ich waren Freunde. Ich verlange nicht mehr Vertraulichkeit als das, Marian ... erlaubt mir, daß ich Euch das im Andenken an seinen Namen schenke.«

Er war geschickt mit Worten und redegewandt. Sie kannte viele Seiten an ihm, die sie nicht alle schätzte, aber sie konnte nicht leugnen, daß seine Worte wirkungsvoll waren. Sein Verhalten war untadelig.

Und dennoch blieb ein kleiner Stachel zurück, der aus der Bitterkeit heraus entstand, daß sie so schwach sein konnte. »Ich frage mich, wie Ihr wohl seid, wenn Ihr ohne Rücksicht auf die Erfordernisse Eures Amtes sprecht.«

Er zog sich zurück, geringfügig nur, aber wahrnehmbar. Sie sah es, weil sie darauf gewartet hatte. »Soll das heißen, ich sei ein Lügner?«

Marian lachte, als sie sein aufrichtiges Erstaunen sah und hörte. »Ein Diplomat, Mylord. Ein Mann, der überaus geschult im Reden ist und der sich weit besser auszudrücken weiß als die meisten Menschen, fürchte ich. Und obwohl ich das Mittel verstehe, so verstehe ich doch nicht seinen Zweck. Warum wollt Ihr Euch bei mir einschmeicheln?«

Endlich hatte sie ihn wirksam unterhöhlt. »Weil«, sagte er schließlich in ungewohntem Ton, »Ihr es nötig macht.«

Locksley hörte das Geräusch und erkannte es sofort. Rasch bahnte er sich einen Weg durch die Menschenmenge und blieb am Rand der Grünfläche in der Nähe des Marktplatzes stehen. Sechs Bogenschützen traten gegeneinander an. Locksley beobachtete sie genau und musterte die Langbögen und die Pfeile, die mit gesprenkelten Gänsefederkielen befiedert waren.

Die Zielscheiben hatten annähernd Menschenform. Sie bestanden aus mit Stroh gefüllten Säcken, die an beweglichen Holzpfosten angebracht waren. Auf der Brusthöhe jedes »Menschen« befanden sich mehrfarbige Ringe und in deren Mitte ein Herz.

Locksley lächelte und verschränkte die Arme. Er schaute zu, wie die sechs Männer die Pfeile zogen, sie auflegten und abschossen. Ein Schaft flog zu weit und beendete damit die Teilnahme seines Schützen. Zwei andere bohrten sich nur ins Stroh, was ebenfalls die Runde für sie beendete. Einer erreichte den äußeren Ring, zwei andere den Ring in der Mitte. Doch keiner traf in das Herz. Keiner der Männer durfte weitermachen.

Locksley nickte geistesabwesend. Der Ausrufer rief nach neuen Schützen. Locksley guckte sich einen Mann aus, und als alle sechs gescheiterten Schützen von der Linie wegtraten, stellte sich Locksley ihm in den Weg. »Ein guter, solider Bogen«, sagte er sanft mit einem veränderten Akzent, der weniger aristokratisch klingen sollte, »aber ein wenig zu lang für dich.«

Wütend starrte der Mann ihn an. Er hatte dunkle Haare, dunkle Augen und schaute mürrisch drein. Er schielte leicht auf einem Auge. »Glaubste, du kannst es besser?«

Locksley zog die Schultern hoch. »Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden. Leih mir deinen Bogen und fünf von deinen Pfeilen. Du bekommst einen Anteil vom Gewinn.«

»Wieviel?«

»Ein Viertel«, antwortete Locksley.

»Die Hälfte«, gab der Mann zurück. »Ohne Pfeil und Bogen gewinnst du überhaupt nichts.«

Locksley zögerte einen Augenblick lang, als würde er darüber nachdenken. »Abgemacht.«

Der Mann schielte ihn an. »Wer bist du eigentlich?«

Er zögerte. »Robin. Robin von Locksley; das liegt in der Nähe von Huntington.«

»Das kenne ich.« Der Mann reichte ihm den Bogen. »Ich bin Tom Fletcher, aus Hathersage.«

»Tretet zur Seite!« rief jemand. »Laßt die Schützen vorbei!«

Zusammen mit fünf anderen Schützen trat Locksley an die Linie. Die Zielscheiben blieben im selben Abstand stehen, da vorhin keiner ins Herz getroffen hatte. Locksley nahm Maß, achtete darauf, wie der Wind ging, und konzentrierte sich. Mit dem fremden Bogen und einem Pfeil, der ihm nicht vertraut war, würde er mehr als ein Mal brauchen.

Die fünf anderen schossen. Locksley legte den geliehenen Pfeil auf, hob seinen geborgten Langbogen und zog seine rechte Hand zum Kiefer. Sehne und Arme spannten sich; sie versprachen süße Kraft. Mehr Monate, als sich zu erinnern ihm lieb war, hatte er keinen Langbogen mehr in der Hand gehabt.

Er zählte, dann ließ er los. Die Sehne summte kurz, als sie den mit Federn geschmückten Schaft durch die klare Frühlingsluft schnellen ließ. Er traf das Ziel gerade außerhalb des herzförmigen Zentrums.

Tom Fletcher grunzte. »Nicht schlecht für den ersten Schuß.«

Aber nicht gut genug. Locksley langte nach dem zweiten Pfeil. Er schoß gleichzeitig mit den anderen. Diesmal bohrte sich der Pfeil ins Herz. Tom Fletcher schlug ihm auf den Rücken. »Gut gemacht! Und die Hälfte des Gewinns gehört mir!«

»Noch nicht«, sagte Locksley. »Ich habe noch drei Pfeile.«

»Aber du hast gewonnen! Du hast die anderen geschlagen, Robin. Was willst du mehr?«

Herausfinden, ob ich es noch kann. Aber das behielt er für sich.

»Getroffen!« rief jemand. »Zehn Schritte zurück; glaubst du, du schaffst das?«

Locksley legte den Pfeil auf. Als er losließ, steckte im Herz ein zweiter Schaft.

»Treffer!« brüllten einige. Das Ziel wurde weitere zehn Schritte nach hinten versetzt.

Tom Fletcher fluchte. »Junge, das schaffst du nicht. Nimm deinen Gewinn und geh.«

Locksleys Augen funkelten. »Nachdem ich ihn geteilt habe?«

Er spuckte aus. »Wenn du das Herz noch zweimal triffst, mein Junge, dann gehört dir auch meine Hälfte.«

Locksley schoß weitere zwei Male. Beide Male traf er ins Herz. Als die Zuschauermenge jedoch drohte, ihn jubelnd zu zerquetschen, gab der ehemalige Robert von Locksley, Gefährte des Königs, den Bogen zurück, nahm mit gemurmeltem Dank den Beutel entgegen und verschwand in der Menge.

Alan von Dales beendete den Akkord mit einer Verzierung und neigte sich zu einer verkrampften Verbeugung nach vorne. Die Zuhörer um ihn herum applaudierten. Münzen landeten in seinem Hut. Er sah silberne Markstücke glitzern und blickte mit einem Lächeln des Dankes hoch. »Mylord –« Als er jedoch merkte, daß die Anrede tatsächlich paßte, ließ er seine falsche Schmeichelei sein. Statt dessen stand er auf, die Laute baumelte an seiner Seite.

»Ich sagte Euch doch, Ihr sollt zur Wirtschaft gehen.«

Der Ärger ließ ihn Widerrede leisten. »Sie ist letztes Jahr abgebrannt – oder habt Ihr das vergessen, Mylord?«

Nur einen Moment lang überlagerte Erstaunen die kühle Unerbittlichkeit. Dann sagte Locksley unfreundlich: »Letztes Jahr war ich auf Kreuzzug.«

Das war Antwort genug. Alan schämte sich kurz, weil er so grob gewesen war, aber er konnte trotzdem dem Impuls nicht widerstehen, Locksley nochmals anzugreifen. »Ich wußte nicht, ob Ihr es gut mit mir meint oder nicht.«

Locksley warf noch mehr Silber in den Hut. »Ich schlage vor, Ihr nehmt Euren Verdienst und geht, solange Ihr noch die Möglichkeit dazu habt.« Er machte eine Pause. »Oder ist Euch Eure Zunge so wenig wert, daß Ihr sie an William deLacey verlieren wollt?«

Alan hängte sich die Laute über die Schulter und schob sie sich dann auf den Rücken. »Mylord – warum das alles? Ihr habt die Wachmänner bestochen, mich freigelassen ... und nun gebt Ihr mir Silber. Wie kann ich Euch das zurückzahlen?«

»Ich weiß aus eigener Erfahrung, was Gefangenschaft bedeutet.« Noch immer lächelte Locksley nicht. »Was das Zurückzahlen betrifft – wählt Eure Gefährtinnen in Zukunft etwas sorgsamer aus und auch die Gemächer, in die Ihr sie führt.«

Alan wurde von einem karmesinroten Fleck hinter Robert of Locksley abgelenkt und schärfte seinen Blick. »O Gott – sie. Der Sheriff scharwenzelte die ganze Zeit um ihre Röcke herum – sie wird mich bestimmt verraten –« Hastig beugte sich Alan hinunter, hob den mit Münzen gefüllten Hut auf und verbarg ihn unter seiner Tunika. Er murmelte ein Wort des Dankes und bahnte sich seinen Weg durch die Menge und verschwand in einer Gasse.

Marian mußte beim Gehen Eleanors Mantel raffen, damit er nicht schmutzig wurde. Sie segnete seine Länge, denn dadurch hatte sie eine Ausrede, daß ihre Hände nicht frei waren für deLaceys Vertraulichkeiten.

Zunehmend nahm sie die wachsende Spannung zwischen ihnen wahr. Seine Haltung war steif, und selbst seine Stimme drückte es aus, wenn auch nur im Tonfall und nicht in den Worten.

Er war um sie besorgt und großzügig, spendierte ihr gewürzten Apfelsaft, kaufte ihr Konfekt, kaufte ihr alles, worauf sie nur einen kurzen Blick warf, und ignorierte jeglichen Protest von ihrer Seite. Sein Geldbeutel schien ohne Boden, oder er stand bei allen in großem Ansehen, und Marian ging schließlich dazu über, auf den Boden zu starren, um seine Großzügigkeit nicht weiter herauszufordern. Wenn er glaubt, daß er mich einfach so kaufen kann ...

»Einen Augenblick.« Er machte halt und wandte sich ab, um etwas an der nächstliegenden Bude zu betrachten, was sich ihrem Blick entzog.

Nicht noch etwas... Marian entfernte sich langsam von ihm, zog den Mantel fester zusammen und wäre am liebsten in der Menge untergetaucht.

Sie schnappte Lautenklänge auf, die Verzierung eines Endakkords. Zwischen den Menschen hindurch erhaschte sie einen Blick auf ihn. Er hatte sich über das Instrument gebeugt, während die Leute ihm applaudierten. Dann trat ein Mann vor den Minnesänger und versperrte ihr die Sicht auf ihn. Er warf Silbermarkstücke in den karmesinroten Hut.

Locksley? Er war es. Das helle Haar, die breiten Schultern, die Körperhaltung. Unverkennbar. Sie erkannte ihn augenblicklich. Und sie wußte, ohne zu wissen, warum, daß sie ihn immer erkennen würde.

Locksley. Bei einem Minnesänger.

Marian trat zur Seite und spähte im Versuch, an Locksley vorbeizusehen, durch die Menge. Ja, es war Eleanors fahrender Sänger. Alan von Dales.

Und Locksley war bei ihm. Und warf Münzen in seinen Hut. Marian drehte den Kopf, um über die Schulter einen Blick auf den Sheriff von Nottingham zu werfen. Es war also nicht deLacey gewesen – Huntingtons Sohn hatte ihn befreit. Eine Erkenntnis drang in ihr Bewußtsein. Er wird ihn gefangennehmen lassen

Ohne an die Folgen zu denken, schmiegte sich Marian in den hell leuchtenden Mantel, stürmte zwischen den Passanten hindurch und lief diagonal über die Straße zum umgedrehten Eimer und zu Locksley, den sie am Arm berührte. Als sie angekommen war, war der Minnesänger verschwunden. »Oh, gut«, sagte sie mit einem Seufzer der Erleichterung. »Der Sheriff ist da drüben – gleich da drüben – seht Ihr?« Sie blickte wieder zu Locksley. »Weshalb ist er überhaupt hierhergekommen? Warum war er so dumm?«

Locksleys Gesichtsausdruck war wie immer eine Maske. »Ich gab ihm die Anweisung dazu.«

»Hierherzukommen?« Ihr blieb beinahe der Mund offenstehen, sie hielt nichts von ihren Gefühlen zurück. »Seid dann also Ihr ein Narr, einen Mann derart in Gefahr zu bringen?«

Er versuchte, ihre Verzweiflung einzuschätzen, aber es blieb ihr verborgen, zu welchem Ergebnis er kam. Kühl sagte er: »Daran habe ich keinen Zweifel.« Bevor sie sprechen konnte, blickte er zum Sheriff hinüber. »Der Minnesänger sah, wie Ihr zu uns herüberblicktet. Er dachte, Ihr würdet ihn verraten.«

Sie war überrascht. »Wieso?«

Locksley sah sie wieder an. »Er sagte etwas unfein, William deLacey scharwenzele um Eure Röcke herum.«

Heiße Demütigung zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. Er musterte sie eingehend. Sie hatte ihm die Wahrheit gesagt, doch er war sichtlich nicht überzeugt davon. Er verließ sich statt dessen auf seine eigene Einschätzung.

»Nein?«

»Nein.« Marian haßte sich selbst dafür, daß sie so weltfremd war. Eine Frau wie Eleanor deLacey hätte mit solch einer Situation viel besser umgehen können. »Ihr wart es also, nicht der Sheriff.«

»DeLacey!« Es überraschte ihn. »Weshalb würde wohl ein Mann, der vor aller Öffentlichkeit gedemütigt wurde, den Mann auch noch befreien, der all seine Pläne zunichte machte?«

Erklärungen füllten ihren Kopf. Keine schien allerdings ausreichend für Robert von Locksley, der sie unzweifelhaft für etwas dümmlich und wortkarg hielt. Er wird denken, ich sei dumm. Nun, vielleicht war sie das ja auch. »Ich dachte, es wäre möglich, daß er heimlich einen Mann freilassen würde, von dem er wußte, daß er unschuldig ist.«

Er zog eine Augenbraue hoch. »Wußte er denn davon?«

Marian nickte stumm. Sie wollte Eleanor nicht noch mehr belasten.

Zum ersten Mal, seit sie ihn auf der Estrade hatte stehen sehen, lächelte Robert von Locksley. Es war ein aufrichtiges, offenes Lächeln, das nicht von seiner sonstigen Selbstbeherrschung zurückgehalten wurde und von dem eine überwältigende Kraft ausging. »Es scheint, als sei jeder hier in dieser Gegend von Eleanor deLaceys Unbesonnenheiten unterrichtet. Vielleicht sollte ich dem Minnesänger dankbar dafür sein, daß er sie auch mir enthüllt hat.« Endlich war er ein Mensch.

Ermutigt lachte Marian ihn an. »Der Sheriff ließ es deutlich erkennen, Mylord – er wollte seine Tochter mit Huntingtons Sohn verheiraten.«

»Und so ist mir die Last einer zügellosen Frau erspart geblieben.«

Das Lächeln war verschwunden, aber die gute Laune schimmerte noch durch. Sag es jetzt... es wird sich keine bessere Gelegenheit mehr bieten. Marian holte Luft. »Mylord Robert –«

»Nur Robert«, sagte er. »Oder – Robin.«

»Robin?« Das schien ihr unpassend. Es entsprach nicht einem erwachsenen Mann, einem vormaligen Kreuzzügler, der gerade aus dem Krieg des Königs zurückgekehrt war. Robin nannte man einen Jungen, und er war eindeutig keiner.

»Mein Vater nennt mich Robert. Für meine Mutter war ich Robin.«

Marian starrte ihn an. Eine derartige Vertraulichkeit hatte sie nie erwartet, nicht von ihm. Die Anspannung, die sie auf dem Podest und hinterher im Raum gesehen und gehört hatte, war verschwunden.

»Mylord –« Sie brach ab, als sie seinen Blick sah: Er zog sich verletzt zurück. »Robin.« Sie schluckte verkrampft. »Ich möchte Euch einen Handel vorschlagen.«

»Oh?«

Sie hob ihr Kinn, um ihn nicht merken zu lassen, wie nervös sie war. »Mein Vater ließ mir eine Botschaft übermitteln. Die, die Ihr mir vorletzte Nacht überbrachtet.«

Die Anspannung kehrte in seinen Körper zurück. Es ging so schnell, daß sie, erstaunt von seiner plötzlichen Steifheit, schwerer atmete. Sein Gesicht erstarrte wieder zur Maske. Die Augen, die gerade noch amüsiert gefunkelt hatten, hörten auf zu glänzen. Selbst der Mund war verkniffen, und die Narbe an seinem Kinn trat hervor. Mein Gott – was habe ich getan?

»Ich erinnere mich an die Botschaft.« Es waren klare, kalte Worte, die kein Gefühl verrieten.

Es war ein Fehler gewesen. Aber nun war es zu spät, um es wieder rückgängig zu machen. Sie hatte mit dem Thema begonnen, jetzt mußte sie es auch zu Ende bringen. »Ein Handel, Mylord.« Gegenüber solchem Ernst und solch eiserner Selbstbeherrschung war Förmlichkeit angesagt. »Ihr sagt dem Sheriff nichts von der Botschaft meines Vaters, und ich für meinen Teil verrate nicht, wo Alan sich aufhält.«

»Ihr wißt nicht mehr, wo sich Alan befindet.«

»Gut«, erklärte sie geradeheraus, selbst überrascht über ihre Worte.

Seine Augen blickten sie fragend an. »Das ist ein schlechtes Geschäft.«

Bekümmert seufzte sie. »Aber das einzige, das mir einfiel.«

»War es denn nötig?«

»Ich glaube schon, Mylord.«

»Um mich davon abzuhalten, daß ich dem Sheriff eine persönliche Botschaft mitteile, die Euer Vater nur Euch zugedachte?«

»Ja, Mylord.« Sie zögerte nicht mit der Antwort, auch wenn sie begriff, daß sie ihm damit Unehrenhaftigkeit unterstellte. Sie kannte die Männer nicht. Sie wußte nicht, wozu er fähig war, und sie begann zu lernen, daß jeder Mann grundsätzlich fähig war, Dinge zu tun, die sie abscheulich fand.

Locksley sah an ihr vorbei, zu der Bude, an der sie ihrem Begleiter fortgelaufen war. »Und Ihr habt nicht den Wunsch, William deLacey zu heiraten.«

»Nein, Mylord.« Das sagte sie mit deutlichem Nachdruck.

Robert von Locksley blickte ihr wieder ins Gesicht. Von seinen Augen konnte man nichts ablesen. »Dann solltet Ihr ihm das vielleicht sagen.«

»Das kann ich nicht.«

Er hob die Augenbrauen. »Weshalb nicht?«

»Nicht, bevor er mich nicht gefragt hat.«

»Wird er?«

»Wahrscheinlich nicht. Er wird es mir höchstwahrscheinlich als Tatsache bekanntgeben.«

Seine Mundwinkel lockerten sich. »Und doch seid Ihr mit ihm hier.«

Die Unterstellung schmerzte, so, wie er das ohne Zweifel auch beabsichtigt hatte. Marian blickte ihn an. »Ihr seid keine Frau. Ihr könnt nicht verstehen, wie sich eine Frau gegenüber einem mächtigen Mann verhalten muß.«

»Nein«, gab er nach langem, ernstem Schweigen zu.

»Und werdet es auch nie wissen.«

»Nein«, sagte er wieder.

Sie sah zu ihm hoch. Er war ein beträchtliches Stück größer als sie. »Ich werde keinen Mann heiraten, der es für richtig hält, unschuldigen Männern die Zunge herauszuschneiden.« Da. Es war heraus. Klar und offen. Wenn ich es doch dem Sheriff sagen könnte...

»Der Sheriff?« sagte Locksley.

Marian starrte ihn an.

»Der Sheriff«, wiederholte er.

Diesmal verstand sie. Sie drehte sich um und sah, wie deLacey näher kam. Seine Augen, dunkel wie der Tod, fixierten Robert von Locksley.

Herrin der Wälder

Подняться наверх