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1. Kapitel Huntington Castle
Frühjahr 1194

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Marian lächelte schief. Dagegen ist Ravenskeep eine Hütte.

Das stimmte nicht, jedenfalls nicht ganz; ihr geliebtes Rittergut war ein sehr würdiger Wohnsitz und weit besser als die Hütte eines Leibeigenen. Doch Huntington Castle mit seiner erhabenen Größe und seiner fallgitterbewehrten Stattlichkeit war in der Tat tief beeindruckend und auch wunderbar neu; es konnte sich der neuesten Errungenschaften in Baukunst und Verteidigungsanlagen rühmen. Den Bergfried umgab eine neumodische Ringmauer, die zu Verteidigungszwecken mit Wehrgängen und Schießscharten überladen war, aber es waren weniger die Größe und die Massigkeit der Burg, die Marian überwältigten, als der Machtanspruch und der Reichtum ihres Eigentümers.

Nicht weniger beeindruckend war der große Saal mit seinen modernen massiven Steinwänden, die in Abständen von bemalten Wandteppichen bedeckt waren. Die Halle wurde von Kerzen und Lampen erhellt. Lautenklänge untermalten die Wärme der vielen Körper, den Duft nach Konfekt, Gewürzen und Wein und die angeregten Gespräche, die im gesamten Saal im Gange waren. Marian nahm das alles wahr, wenngleich auch distanziert, da sie statt dessen an den Anlaß dachte, aus dem sie und die anderen – selbst die Nichtgeladenen – gekommen waren.

Er wird sich nicht an mich erinnern. Er konnte es nicht; warum sollte er? Er war der Sohn eines Earls und sie die Tochter eines Ritters. Daß sie sich einmal begegnet waren als Kinder, würde ihm nichts bedeuten. Ich wünschte... Doch sie unterbrach sich. Es hatte keinen Zweck.

Sie spürte ein flaues Gefühl im Magen. Es ist falsch. Ich weiß es. Ich sollte ihn nicht damit belästigen; nur weil er zur selben Grafschaft gehört, kann ich nicht erwarten, daß er mehr weiß als ich. Sie holte tief Luft. Aber jetzt bin ich schon mal hier. Ich werde ihn ohnehin ansprechen. Was kann es schon schaden, ihn zu fragen?

Beinahe jeden Tag kehrten jetzt Männer vom Kreuzzug zurück, aber sie kannte keinen von ihnen. Nicht mehr jedenfalls, als ich Locksley kenne... und ich kann ihn doch zumindest fragen – Marian biß sich auf die Lippe. Es ist nichts dabei, ihn zu fragen, oder?

Robert von Locksley, Erbe des gewaltigen Vermögens, des alten Titels und der neuen Burg seines Vaters, saß ruhig und vollkommen reglos auf der Kante eines Stuhls. Wenn er sich nicht bewegte, wenn er nicht einmal zuckte, würde der Stuhl nicht zusammenbrechen.

Und ich auch nicht.

Durch die beschlagene Eichentür, die er sorgfältig geschlossen und verriegelt hatte, um allein zu sein, drangen Geräusche in sein Bewußtsein: Echos, die durch das Holz, den Stein und die Entfernung gedämpft waren; verzerrt von Sinneswahrnehmungen und ihren Deutungen, die von Erlebnissen in der Vergangenheit geformt waren, eigentümlicherweise aber dennoch in seine Gegenwart hineinreichten. Er fragte sich in einer seltsam abgelösten, gleichgültigen Art, ob dieselben Echos wohl auch seine Zukunft prägen würden.

Richard. Er schloß die Augen. Seine Hände, die schlaff auf seinen Oberschenkeln ruhten, zogen sich krampfartig zusammen und ballten sich zur Faust, wobei seine Fingernägel über den Hosenstoff kratzten. Ein Zittern erschütterte seine Unbeweglichkeit, dann erstarb es. Wenn ich mich weigere, es zu hören...

Doch der Lautengesang und das Gelächter jenseits der Tür verwandelten sich, ohne daß er etwas dagegen tun konnte. Die Geräusche waren nun dröhnend laut ...

... das Hämmern von Steinen, die gegen die Steinmauern der Christenheit geschleudert wurden und dort aufprallten ... die Schreie eines sterbenden Mannes, getroffen vom Geschoß eines Katapults ... die Flüche und die Gebete, die für die Kreuzfahrer so oft ein und dasselbe waren, da sie nur daran dachten, daß sie Gott und ihrem König dienten, und vielleicht ihrem eigenen Machttrieb...

Und das derbe Lachen von Löwenherz, das durch Schicklichkeit und Anstand nicht gehemmter war als seine Gelüste durch seinen Rang.

Locksley zuckte zusammen, als jemand seinen Namen rief. Seine Augen öffneten sich, ohne daß sie etwas wahrnahmen. Tastend kämpfte er sich den Weg empor zur Oberfläche. Die Stimme kannte er doch ...

Die Stimme drückte Ungeduld, Unannehmlichkeiten und strenge Autorität aus. »Robert –« Jetzt sprach sie ruhiger, aber nicht weniger scharf und eindringlich, »willst du meine Gäste denn die ganze Nacht warten lassen?«

Mit Mühe kam Locksley wieder zu sich, versetzte sich aus dem Heiligen Kreuzzug zurück zum Krieg des Willens, der nun, subtiler, in den Burghallen seines Vaters ausgefochten wurde. Einer tiefsitzenden Müdigkeit gewahr, erhob er sich und wischte sich die Feuchtigkeit auf seiner Stirn unterhalb seines dichten hellen Haarschopfes mit der Handfläche weg. Körperlich war er gesund. Was sein Vater jedoch von ihm wünschte, wollte er hingegen nicht. Es war besser, es sofort zu beenden.

Sich zum erwarteten höflichen Benehmen aufrufend, jedoch in der Absicht, es offen auszusprechen, um keinen Raum für Mißverständnisse zu lassen, öffnete er die Tür. Davor stand sein Vater. Und hinter ihm wandelte ein Großteil der englischen Adeligen, über die Richard I., genannt Löwenherz, herrschte.

Locksley erlangte die Selbstbeherrschung zurück. »Vergebt mir.« Er wählte einen freundlichen Ton. »Hättet Ihr mich gefragt, hätte ich Euch gesagt, daß Ihr Euch keine Umstände zu machen brauchtet. Mit – etwas Derartigem.« Er deutete kurz auf die Welt jenseits der Tür. »Ich würde lieber zu Bett gehen.«

Dem Earl, der inzwischen eingetreten war, blieb in Anbetracht seines unerwartet widerspenstigen Erben beinahe der Mund offenstehen. Dann ließ seine Verwunderung nach, und er wurde herrisch. »Bei Gott – du wirst jetzt herauskommen. Und zwar sofort. Ich habe alle eingeladen. Sie sind alle gekommen. Und alle erwarten –«

Locksley sprach leise, aber bestimmt. »Es kümmert mich nicht, was alle erwarten. Ihr gabt ihnen Anlaß zu dieser Erwartung, ohne mich vorher zu konsultieren.«

Der Earl schloß mit der Kraft beeinträchtigter Autorität und dem Verlangen, sie auf der Stelle wiederherzustellen, die Tür. »Bei Gott, Robert, ich bin dein Vater. Es ist an mir, zu planen, was ich planen möchte, sei es mit oder ohne vorherige Konsultation.« Doch dann wurde der wutentbrannte Ausdruck milder. Der Earl durchschritt das dunkle Zimmer und legte beide Hände auf die Arme seines Sohnes. »Ach Robert, laß es doch sein. Warum müssen wir uns jetzt streiten, und noch dazu über eine solch unwichtige Angelegenheit? Ich dachte, du seist tot – und indessen stehst du hier vor mir, gesund und in voller Lebensgröße ...« Seine blauen Augen leuchteten vor Freude. »Komm schon, Robert – du mußt zugeben, daß deine Rückkehr eine Feier wert ist! Der einzige Sohn des Earl of Huntington ist zurück vom Kreuzzug mit König Richard. Ich möchte, daß sie es sehen, Robert!«

«Sie wissen es doch schon«, erwiderte sein Sohn ruhig. »Dafür habt Ihr schon gesorgt.«

»Und machst du mir etwa einen Vorwurf daraus? Ja?« Der Earl gab seine rauhe Herzlichkeit auf und wurde nun eindringlicher, wenngleich auch eine väterliche Ungeduld mitschwang. »Ich dachte, mein Sohn sei tot. Man berichtete mir, mein Sohn sei tot, an Löwenherz’ Seite gestorben... und dennoch kommt anderthalb Jahre später ebenderselbe Sohn, versiegelten Mundes und trockenen Auges, in meine Burg und erzählt nichts, außer daß die Gerüchte nicht stimmen. ›Nicht tot‹, sagte er, ›sondern in Gefangenschaft der Sarazenen‹ ...« Die blauen Augen des Earls wurden feucht. »Bei Gott, Robert! – Kein lebender Vater könnte einer Feier widerstehen. Und zwei Jahre auf Kreuzzug mögen aus dem Knaben einen Mann gemacht haben, aber ich bin immer noch dein Vater. Du wirst tun, was ich sage.«

Das Alter hatte die Kanten abgeschliffen, aber der Tonfall war immer noch vertraut. Es war ein Tonfall, dem man Gehorsam leisten, den man fürchten mußte und der Strafe verhieß, doch der Sohn, der ihn hörte, war nicht mehr derselbe.

Die kämpferische Haltung des Earls ließ nach, während er seinen schweigenden Sohn betrachtete. »Bei Gott, Robert, laß mich stolz auf dich sein«, bat er. »Laß mich dich all denen in strahlendem Licht vorführen, mit denen du zu tun haben wirst, wenn ich im Grab bin.«

Locksleys Bauch krampfte sich zusammen. Während des Kreuzzugs war ihm die Willensstärke seines Vaters, seine Unnachgiebigkeit und seine selbstherrliche Autorität gegenwärtig geblieben. Niemals hatte es in seinen Erinnerungen oder Tagträumen jedoch eine weichere Seite an ihm gegeben.

Ich bin alles, was er noch hat... Es war den Kampf nicht wert. Er hatte schon zu viele gefochten. Sollte sein Vater doch diesen einen gewinnen: Die Gefangenschaft hatte Locksley die Gleichgültigkeit gelehrt. Zuviel zu wollen, schmerzte nur.

Seufzend zog Locksley die Tür weit auf. Dahinter schwirrte die Menge und erzählte sich Geschichten über seine Gefangenschaft, seine Heldentaten und seine Tapferkeit. Was sie nicht wußten, erfanden sie.

Als er das bemerkte, verfluchte der Sohn sich als Narr.

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