Читать книгу Herrin der Wälder - Jennifer Roberson - Страница 8

3. Kapitel

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Locksleys Griff auf ihrem Arm schmerzte, doch Marian ließ ihn gewähren und machte, erschreckt sowohl von seiner Frage als auch seiner Berührung, noch einen Knicks. Verblüfft von seiner unerwarteten Angespanntheit musterte sie ihn eingehender.

»Ja«, sagte sie deutlich. Dabei fragte sie sich, was an ihrem Namen ihn aus seiner Reglosigkeit in die plötzliche Hitzigkeit getrieben hatte. »Marian von Ravenskeep; Sir Hugh ist –«, sie überprüfte das, »war mein Vater.«

Als hätte er seine Hand vergessen, blieb sie auf ihrem Arm liegen. Durch den Stoff der Kleidung fühlte Marian den Griff seiner Finger. »An Euch sandte ich den Brief. Ich vertraue darauf, daß Ihr ihn erhalten habt.«

Sie drehte sich ein wenig und wand ihr Handgelenk, um sich zu befreien. Sofort ließ er sie los, ohne sich jedoch zu entschuldigen. »Ich erhielt keinen Brief, Mylord.«

Das hatte er augenscheinlich nicht erwartet. Er runzelte die Stirn. »Ich habe ihn aber an Euch losgeschickt«, erklärte er, ohne Raum für Zweifel zu lassen. »Vor Monaten schon. Ich dachte, Ihr solltet wissen, wie Euer Vater starb.«

Seine Direktheit nahm ihr den Atem. Wie kann er wissen, daß das meine Frage war? Ruckartig schüttelte sie den Kopf. »Ich erhielt keinen Brief...«

»Robert.« Das war der Earl, der ihr eilig ins Wort gefallen war. »Robert, die anderen warten. Wenn du unbedingt mit dem Mädchen sprechen mußt, dann vielleicht zu einem anderen Zeitpunkt ...?«

Ihre Zeit mit dem Earl war um. Die Aufmerksamkeit seines Sohnes wurde woanders gebraucht.

Als schließlich das Essen vorbei und die Tische abgeräumt waren, wurde zum Tanz aufgespielt. Marian hätte es vorgezogen, sich unauffällig im Hintergrund zu halten, aber das verhinderte William deLacey, der darauf bestand, mit ihr zu tanzen. Das Trauerjahr war vorüber, hielt er ihr vor Augen, und ihr Vater würde keine solch strenge Frömmigkeit von ihr verlangen, wenn es ums Tanzen ging.

Und so tanzte sie mit deLacey und einer Handvoll anderen, und zuletzt mit Sir Guy of Gisbourne, der sich ihr in gutem normannischen Französisch vorstellte, wodurch er sofort seine Abstammung preisgab. Sie wußte nur wenig über ihn, außer daß er deLaceys Untergebener war und daß der ihm den Kreuzzug erspart hatte, da der Sheriff ihn vom Kriegsdienst freigekauft hatte.

Gisbourne war ein stämmiger, dunkler und gedrungener Mann mit kurzen Gliedmaßen und hatte, wie sie es von seiner Unterhaltung her beurteilte, nur wenig Phantasie.

Als Ritter stand ihm einige Ehrerbietung zu. Sie war die Tochter eines Ritters und verstand das nur zu gut. Gisbourne stammte jedoch aus einer einfachen Kaufmannsfamilie, die ihm den Stand gekauft hatte, und er war zu jung, um rechtmäßig in königlichem Dienst Land erworben zu haben. Er hatte deshalb keinen Besitz, kein Gut und war zwei Jahre vor Richards jüngstem Kreuzzug als Verwalter in die Dienste des Sheriffs von Nottingham getreten.

Seine Gesichtszüge waren kräftig und derb, und er bewegte sich schwerfällig. Seine Kleidung war aus gutem, schwarzgefärbtem Tuch. »Lady«, sagte Gisbourne heiser. »Mich dünkt, Ihr vergaßt die richtige Schrittfolge.«

Sie hatte sie tatsächlich vergessen. In Gedanken versunken, hatte sie sich falsch gedreht. Dadurch kamen sie einander zu nahe, zu nahe – flammenden Gesichtes machte sie einen Schritt zurück und sah das Aufflackern in seinen Augen. Die Augen eines Ebers, dachte sie. Klein, schwarz, glänzend.

»Lady«, wiederholte er. »Wünscht Ihr aufzuhören?«

Es lag nichts anderes in seinen Worten als eine verlegene Höflichkeit, die sie von einem Mann mit Eberaugen nicht erwartet hatte. Marian, die sich der Hitze in ihrem Gesicht bewußt war, schämte sich.

Sie schaffte es, ihre Stimme beiläufig klingen zu lassen. »Ich glaube, es ist besser, wir hören auf. Ich bin ein wenig überhitzt – vielleicht würde ein Becher kühlen Weines ...?« Sie fragte absichtlich nach Wein, da sie wußte, daß er dann weggehen würde und sie fliehen könnte.

Vom Funkeln in Gisbournes Augen her zu schließen, schien er das zu wissen. Steif verbeugte er sich. Marian beobachtete, wie er wegging, dann drehte sie sich um und wollte sich unter die Festgäste mischen.

Unvermittelt blieb sie stehen, da ihr ein großer Mann im Weg stand. Sie öffnete ihren Mund, um sich bei ihm zu entschuldigen. Dann schloß sie ihn jedoch wieder; es war Locksley. Seine haselnußbraunen Augen blickten sie sonderbar eindringlich an.

»Kommt mit mir«, sagte er. »Dies ist nicht der geeignete Ort, um zu reden.« Nein, das war er nicht, aber das hatte sie auch nicht erwartet. »Hier entlang«, verkündete er und faßte ihr rechtes Handgelenk.

Locksleys Verhalten war besitzergreifend, angespannt und mehr als nur ein wenig selbstbezogen. Er fragte nicht, er befahl. Auf der anderen Seite, mußte Marian ihm gerechterweise zugute halten, ist er jedoch Sohn eines Earls.

Er zerrte sie beinahe durch die Menge. Sobald die Leute ihn erkannten, machten sie ihm Platz, und dann fielen ihre Blicke auf sie.

Ihr Gesicht brannte, und ihre Brüste prickelten. Sie kamen am Minnesänger vorbei, dessen blaue Augen wissend funkelten; sein Lächeln galt ihr.

Im Zimmer schlug Locksley hinter ihr laut die Tür zu. Marian sah an ihm vorbei und erblickte Stühle, Kerzenständer und teppichbehangene Wände. Zumindest, dachte sie gewollt ironisch, hat es kein Bett. Wenigstens das wird er mir ersparen.

Er drehte sich zu ihr um. »Wißt Ihr, wie es ist, als Fremder nach Hause zu kommen und entdecken zu müssen, daß sich alles verändert hat?«

Sie war sich nicht sicher, ob er eine Antwort wollte. Er blickte sie nicht an.

»Wißt Ihr es?«

Sie legte ihre Hände auf den Rock und überlegte, was er wohl hören wollte. »Nenn ich fort war, vollziehe ich immer ein Ritual. Ich mache mich wieder mit allem vertraut, um zu sehen, ob sich etwas verändert hat. Ich gehe von Raum zu Raum. Von Saal zu Saal.«

»Ein Ritual«, wiederholte er. »Wie ein Ritter, der in die Schlacht zieht für Sieg, Ruhm und Ehre ... und für den König?«

»Ich weiß nicht, Mylord. Ich war nie im Krieg.«

»Nein. Sie schicken Frauen nicht in den Krieg.«

Sie zögerte nicht. »Nur in die Ehe.«

»Seid Ihr deshalb gekommen?« fragte er. »Um einen Köder auszuwerfen für den verlorenen Falken, der zuletzt zu seinem Käfig zurückgekehrt ist?«

Seine bittere Vehemenz verblüffte sie. Sie war wegen nichts dergleichen gekommen. Doch sie nahm es Locksley nicht übel.

Marian lächelte. »Da fragt Ihr besser den Sheriff. Oder all die anderen, die ihre schön gekleideten Töchter im Schlepptau hinter sich herziehen.«

»Was ist dann mit Euch?«

»Was mit mir ist? Ihr brachtet mich hierher.«

Er seufzte und wandte sich ab. Mit einer Hand fuhr er sich durch das blonde Haar. Dann schwang er wieder herum. »Wir sind uns schon begegnet.«

Marian brachte ein Nicken zustande. »In Ravenskeep, Mylord. Einen Heiligabend« – es war schwerer, als sie erwartet hatte – »wart Ihr und Euer Vater von London her auf dem Heimweg, als ein Sturm Euch zum Einhalten zwang. Ihr kamt zum Rittergut meines Vaters und verbrachtet den Abend mit uns.« Vielleicht wird ihn das zufriedenstellen. Möglicherweise erinnert er sich nicht an mehr.

»Ravenskeep ...« Seine Augen blieben unbewegt. »Ihr zogt mich unter die Mistel und fordertet den Preis von mir.«

Er erinnert sich noch daran. Hitze flutete über ihr Gesicht, gefolgt von Röte. Sie brauchte all ihren Mut, um seinem Blick, seinem Lächeln zu begegnen; um ihre Befangenheit zu verbergen. »Ich war sehr jung, wie Ihr auch«, begann sie, indem sie sich auf die Wahrheit verließ, gleich wie peinlich sie war, »und ich hatte bereits alle anderen geküßt. Ihr wart der einzige, der noch übrig war.«

Sie dachte, er würde vielleicht lachen, aber er tat es nicht. Sie erwartete, er würde zumindest lächeln, aber er wischte die Erinnerung nur mit einer selbstherrlichen Geste, die an seinen Vater erinnerte, weg. »Ich sandte Euch einen Brief«, erklärte er kategorisch. »Nachdem Euer Vater gestorben war, schrieb ich Euch«

Locksleys Art, ihre Gefühle und Erwiderungen nur als Antworten auf seine Fragen zu betrachten, verärgerte sie in hohem Maße.

Marian vergalt es ihm auf ihre Art. »Warum gerade Ihr, Mylord? Sicher hätte es jemand anders gegeben. Jemand von niedrigerem Rang –«

Er hörte den leisen Spott in ihrem Ton. Einen Augenblick lang leuchteten seine Augen, aber mehr aus Ärger denn aus Belustigung. »Mein Rang hatte nichts damit zu tun«, antwortete er ihr barsch. »Wenn ein Mann auf dem Schlachtfeld das Leben eines anderen rettet, zählen solche Dinge nicht mehr.«

Skeptisch wandte sie ein: »Löwenherz ernannte Euch zum Ritter.«

»Ich sagte, es zählt nicht.« Er biß die Zähne aufeinander und spannte die Kiefermuskeln an. Röte überzog sein Gesicht. Er war so hellhäutig, daß es leicht erkennbar war – und dann sah sie die Narbe.

Sie war dünn, schartig und verlief entlang der Linie seines Kieferknochens vom rechten Ohrläppchen hinunter bis zum Kinn, wo sie in einem kleinen Aufwärtsbogen so abrupt endete, wie sie begonnen hatte. Sie war fast nicht sichtbar: eine Naht aus ungleichmäßigen Stichen. Jemand hatte ihn übel erwischt. Jemand hatte ihn genäht. Es war keine frische Narbe, aber auch keine, an die sie sich erinnern konnte. Er war zwei Jahre fort... der Krieg verändert uns alle. »Es zählt nicht«, sagte sie, während sie ihre Augen von der Narbe losriß.

Seine Röte ließ nach. Die Narbe war nicht mehr zu sehen, außer sie suchte bewußt nach ihr. »Vergebt mir«, sagte er rauh. »Ich war zu lange nicht mehr mit Frauen von Schicklichkeit und Anstand zusammen ... ich habe alle Schmeicheleien vergessen.« Wieder spannte er die Kinnmuskeln an.

Es war ihm schwergefallen, das zu sagen. Marian lächelte schwach. »Sie werden Euch wieder einfallen. Was nun den Brief anbetrifft ...«

»Ich schrieb ihn, weil er mich darum bat ... und weil ich es Euch auch von mir aus berichten wollte. Ich fand es nur gerecht, daß ich mich persönlich für den Mann einsetze, der mein Leben gerettet hat.« Er machte eine linkische Geste der Hilflosigkeit. »Das war alles, was ich für ihn tun konnte.«

Die Wunde wurde wieder aufgerissen. »Mir wurde erzählt, er starb in der Schlacht.«

»Er starb zu Richards Füßen.«

Richard. Nicht der König. Nicht Löwenherz. Nicht einmal »Mylord«. »Er starb zu Richards Füßen, weil ich nicht auf meinem Platz war.«

Ausdruckslos starrte sie ihn an. »Ich verstehe nicht.«

Sein Blick geriet nicht ins Wanken, noch wich seine Bitterkeit. Doch die galt nicht ihr. »Ihr versteht es sehr gut; ich kann es an Euren Augen sehen.«

Marian schluckte und ermahnte sich zur Bedachtsamkeit. »Wollt Ihr mir mit anderen Worten sagen, er starb wegen Euch?«

»Nein.« Seine hellen Augen wurden seltsam schwarz. »Nicht wegen mir, sondern aufgrund dessen, was mir zustieß.« Sein Ton wurde äußerst scharf. »Er starb, weil er meinen Platz an Richards Seite einnahm.«

»Euren Platz«, sagte sie. Und dann konnte sie nicht umhin, ruhig und direkt anzufügen: »Warum wart Ihr denn nicht dort?«

Seine Selbstverachtung war unverkennbar. »Weil ein sarazenischer Kriegsherr mich bereits gefangengenommen hatte.«

Sie konnte es deutlich vor sich sehen. »Und deshalb nahm mein Vater Euren Platz ein. Um seinen König zu beschützen. Damit Löwenherz unversehrt bliebe.« Trauer huschte kurz über ihr Gesicht; sie unterdrückte sie mit Mühe, weil sie instinktiv wußte, daß dieser Mann Hilflosigkeit, oder was er als Schwäche der Frauen auslegte, verachten würde. »Und tat er es nicht, Mylord? Schützte er den König nicht? Löwenherz lebt noch.«

»Im Gefängnis«, sagte er finster. »In Heinrichs deutscher Festung.«

Wut loderte in ihr auf. »Zumindest lebt er! Mein Vater ist seit einem Jahr tot!«

Ein Muskel zuckte an seinem Kinn. Er gab ihr keine Antwort.

Marian holte tief Luft. Sie wollte, daß ihre Stimme ihr wieder gehorchte. Sie hatte nicht damit gerechnet, daß sie Wut verspüren würde, eine ruhige, aber mächtige Wut: Vor ihr stand schließlich der Sohn des Earls. Ohne Zweifel hatte auch er, die gebührende Ehrerbietung gewohnt, etwas anderes erwartet. Jetzt hatte sie jedoch bereits angefangen. »Wenn er zu Richards Füßen starb, während Ihr schon gefangen wart, wie erfuhrt Ihr dann davon, so daß Ihr mir schreiben konntet?«

»Er hatte mich an jenem Morgen darum gebeten. Wir saßen beim Wein zusammen.« Seine Narbe wurde kurz sichtbar. »Ob er es ahnte, kann ich nicht sagen. Manche glauben, daß einige Männer die Stunde ihres Todes spüren ... Er bat mich auf meine Ehre, Euch zu schreiben, wenn er zu Tode käme.«

Der alte Schmerz wurde wieder frisch, stechend in seiner Heftigkeit. Sie konnte nicht anders, als zu murmeln: »Das ist noch schlimmer als alles andere.«

»Nein«, antwortete er knapp. »Ich sah ihn sterben. Er starb an meinem Platz ... während Saladin mich zwang, dabei zuzusehen.«

»Saladin.« Sie starrte ihn an. »Der Sarazene selbst?«

»Salah al-Din. Salah al-Din Yusuf ibn Ayyub.« Der Name wirkte auf einmal fremd auf sie, noch fremder als sonst, durch die andersartige Aussprache; ihr wurde bewußt, daß für ihn die ausländische Aussprache richtig und korrekt sein mußte und nur allzu vertraut.

Salah al-Din. Saladin selbst, Löwenherz’ Feind.

Wieder zuckte sein Kiefermuskel, als würde Locksley selbst den Unterschied wahrnehmen, der in einem Zimmer widerhallte, das vom Heiligen Land sehr weit entfernt war. Er fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. »Ohne Helm bin ich nicht leicht zu verfehlen. Richard behielt mich immer an seiner Seite –« Er unterbrach sich, dann fuhr er fort: »Die Sarazenen fanden sehr schnell heraus, daß sie nur nach mir Ausschau halten mußten, wenn sie Richard suchten. Richard war die Zielscheibe. Richard war das Ziel. Als wir das erfuhren, protestierte ich« – wieder leuchtete seine Narbe auf –, »aber Richard wollte nichts davon hören. Ich war sein Banner...« Locksleys Tonfall wurde unheilverkündend. »Sie ergriffen mich, dann töteten sie Euren Vater, als er versuchte, in die Bresche zu springen.«

Sie holte, um Stärke und Selbstbeherrschung ringend, Atem. »So«, sagte sie dann ruhig. »Eure Aufgabe ist damit getan. Euer Brief verirrte sich, aber der Überbringer nicht.«

Seine Narbe leuchtete noch heller. »Der Überbringer verirrte sich sehr«, sagte er, »und kann den Weg zurück nicht finden.«

Es überraschte sie, daß er sich ihr gegenüber so offen zeigte. »Mylord –«

»Es gibt da noch etwas«, sagte er. Er sah an ihr vorbei zur Tür, dann kehrte der Blick zu ihr zurück. »Euer Vater wünschte, daß Ihr den Sheriff von Nottingham heiratet.«

Herrin der Wälder

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