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18. Kapitel

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DeLacey hatte sich schließlich vom Stand abgewandt und bemerkt, daß Marian verschwunden war. Zuerst dachte er nicht weiter darüber nach, er nahm an, sie warte irgendwo in der Nähe auf ihn, vielleicht bei einer benachbarten Bude, aber eine flüchtige Suche erbrachte nichts.

Es ist doch schwer, sie zu übersehen – ah, da ist sie ja. Ein leuchtender Farbfleck verriet ihren Standpunkt nur wenige Schritte von ihm entfernt, auf der anderen Seite der Straße. Sie sprach mit jemandem. Mit wem spricht –? Locksley! Er wußte nicht genau, warum, aber die Entdeckung beunruhigte ihn. Und daß er nicht wußte, warum, beunruhigte ihn noch mehr.

Zum ersten Mal hatte er sie ganz für sich gehabt, getrennt von Kindheit, Vater und Amme. Und er brauchte sie für sich allein, so wie er noch nie zuvor eine Frau gebraucht oder begehrt hatte.

»Locksley«, murmelte er angespannt. Locksley war Huntingtons Sohn. Eines Tages, wenn der Earl sterben würde, würde er alles erben. Titel, Reichtum und Macht. Aber Locksley war kein Gegner. Oder vielleicht doch?

Sehr geschickt, dachte Locksley. Ohne übermäßigen Kraftaufwand nahm deLacey Marian am Arm, zog ihre Hand unter dem Mantel hervor und hakte sie bei sich unter.

»Hier seid Ihr«, sagte er. »Ich dachte schon, ich hätte Euch verloren.« Dann, bevor sie etwas sagen konnte, bedachte er Locksley mit einem warmen Lächeln. »Robert! Hätte ich gewußt, daß Ihr zum Jahrmarkt kommen wollt, hätte ich Euch dazu eingeladen, uns Gesellschaft zu leisten.«

»Tatsächlich.« Mehr konnte Locksley nicht erwidern, er war von Marians Gesichtsausdruck abgelenkt. Er bemerkte den Anflug von Ärger, die Anspannung ihres Kiefers, das Funkeln in ihren Augen. Eine bestimmte Spannung in ihrem Unterarm verriet ihm, daß sie ihre Hand wegziehen wollte.

»Dann begleitet uns doch jetzt«, sagte Marian mit einem seltsam herrischen Unterton der Verzweiflung.

Darin hörte er überraschenderweise das Echo ihres Vaters, als dieser Locksley darum gebeten hatte, eine Botschaft für ihn zu übermitteln, wenn er an jenem Tag zu Tode kommen sollte. Sagt ihr, hatte er gesagt, sagt ihr, er wird sich um ihr persönliches Wohlergehen kümmern und um Ravenskeep. Sagt ihr auch, daft ich sie vermisse. Und bitte sagt ihr, ich bitte Euch sehr, wie sehr ich sie liebe.

Das letztere hatte er ihr verschwiegen. Wie auch das davor. Er hatte ihr nur ausgerichtet, daß sie den Sheriff heiraten sollte, der nun vor Locksley stand und sich verbat, daß dieser Anspruch auf etwas erhob, was deLacey für sich vorgesehen hatte.

Sagt ihr das, hatte FitzWalter gesagt.

Aber als Locksley die Tochter des verstorbenen Ritters anblickte, brachte er es nicht über sich.

Bestürzt sah Marian, wie Robert von Locksley – Robin sollte sie ihn nennen – auf seinem Absatz kehrtmachte und in der Menge verschwand. Er hatte etwas gemurmelt, was sie aber nicht verstanden hatte, und war dann einfach fort, als ertrüge er ihre Gesellschaft nicht. Denkt er, ich schwindele? Glaubt er etwa, ich will diesen Mann?

»Marian.« DeLacey hielt mit seiner Hand die ihrige fest. »Marian – kommt. Vergeßt sein unhöfliches Betragen.«

Er ist froh, daß Robert weg ist. Ärger nahm von ihrer Zunge Besitz. »Dann laßt mich selbst entscheiden, welchen Dingen ich mich zuwenden möchte.« Mit Mühe entzog sie ihm ihre Hand. Sag es ihm! Sag es ihm doch einfach! »Mylord, ich glaube, es gibt da etwas, was Ihr wissen solltet.«

Er zog eine Augenbraue nach oben. »Tatsächlich?«

Ihr Mut sank unter seinem ruhigen Blick. Wie sage ich es, nun, da ich bereits angefangen habe? Marian benetzte ihre trockenen Lippen. Ihr war klar, daß sie einer Unnachgiebigkeit bedurfte, die seiner ebenbürtig war. Er war, wie sie gesagt hatte, ein mächtiger Mann. »Ich mag keine Überheblichkeiten«, war das Beste, was sie hervorbringen konnte. Kein Rückgrat. Ich habe überhaupt kein Rückgrat.

»So wie ich.« Er lächelte schief. »Ich gebe es zu: Ich bin eifersüchtig.«

So rasch war das Thema gewechselt. Oder war es noch dasselbe Thema, nur von der anderen Seite her angegangen? »Eifersüchtig auf Robert?« Robin war nur ihr zugedacht; das würde sie nicht mit ihm teilen.

»Auf Robert von Locksley, den Sohn des Earls von Huntington.« DeLacey machte eine selbstverurteilende Geste. »Aber wer bin ich denn schließlich als nur ein Mann, der in den Diensten eines anderen steht? Er dagegen ist ein Pair.«

»Und dennoch saht Ihr ihn für Eleanor vor.« Das war eine verzweifelte List, derer sie sich bediente, um noch eine weitere Person mit ins Spiel zu bringen.

»Aber Eleanor ist entehrt.« Seine Augen blickten seltsam gierig. »Marian –«

»Nein.« Sie sagte es mit jedem Gramm Willen, den sie aufbringen konnte. »Ich glaube –« Sie vergaß jedoch, was sie sagen wollte, als sie den Jungen neben dem Sheriff erblickte, einen mageren, schmächtigen Jungen, der mit geschickten Händen an deLaceys Beutel fingerte. »Much!« schrie sie überrascht. Und dann, als der Sheriff seine kräftige Hand um das knochige Handgelenk des Jungen schloß, rief sie: »Tut ihm nicht weh!«

Nun hatte er Geld. Schnurstracks ging Locksley zu einem Weinhändler und erstand einen Becher, den er sogleich austrank. Und noch einen. Der Wein war schwer und mächtig.

Noch einen? Nein, er war kein Trunkenbold. Er verachtete sich bereits für die Schwäche und die Feigheit, die ihn überhaupt dazu getrieben hatte.

Marian FitzWalter.

Abrupt wandte er sich vom Stand weg und marschierte in eines der engen, gebogenen Gäßchen, die von dicht aneinander stehenden Behausungen gesäumt waren. Dort blieb er ebenso abrupt wieder stehen, umarmte sich selbst und lehnte sich an eine Mauer.

Als er mit der Aufgabe betraut worden war, hatte er ihre Ausführung für unnötig gehalten. Sie alle hatten das, Richards Männer; inmitten des Kreuzzugfiebers hatte sich niemand eine Niederlage vorstellen können. Als Hugh FitzWalter ihn gebeten hatte, mit seiner Tochter zu sprechen, hatte Robert von Locksley den Dienst beiläufig angenommen. Innerlich hatte ihn das Ansuchen sogar verärgert, nicht wegen seines Inhalts, sondern weil FitzWalter von einem Ende gesprochen hatte.

FitzWalter erwähnte nie, daß seine Tochter schön ist; das war belanglos. Was tat es schon zur Sache? Eine Frau war eine Frau, eine Tochter eine Tochter. Seit beinahe zwei Jahren hatte er nicht mehr mit einer Frau geschlafen.

Ein Schauder durchfuhr Locksley. Er nahm nichts wahr außer dem Gesicht des Mannes, der seine Zukunft vorhersagte, während er zugleich für sein einziges Kind eine erschuf. Sagt ihr, sie soll den Sheriff von Nottingham heiraten. Das hatte er ihr ausgerichtet. Den Rest nicht. Ich übermittelte ihr die Botschaft falsch herum. Nun ist sie gefangen... welche trauernde Tochter wird den Wünschen ihres Vaters zuwiderhandeln?

Sie hatte ihre Absicht klargemacht: den Mann nicht zu heiraten. Aber er hatte ihren Blick gesehen. Er hatte ihre Stimme gehört. Er begriff, wie sie, die Tatsachen.

Wie auch ihr Vater am Tage seines Todes.

Es war nur ein Junge. Flink, schmächtig und beweglich. Und sehr fingerfertig. Er war, wie alle Taschendiebe und Diebe, die die Börse durchschnitten, sehr geschickt. Doch diesmal hatte deLacey ihn auf frischer Tat ertappt. Er sah den schmerzverzerrten Mund des Jungen, die schockiert aufgerissenen braunen Augen, das blasse Gesicht, das offenes Erstaunen verriet.

DeLacey packte die andere Hand des Jungen, entriß ihm das Messer und zerrte ihn dann an seinem Arm derartig hoch, daß der Junge sich auf seine Zehenspitzen stellen mußte. »Schneidest Geldbeutel ab, ja?«

»Tut ihm nicht weh!« rief Marian. »Mylord – Ihr werdet ihm noch den Arm brechen!«

»Mehr als das«, versprach er, während er den Jungen anblickte. »Bei Gott, du kleiner Wurm, hast du geglaubt, man würde dich nie erwischen?«

Der Junge hing zitternd da. Die geflickte, weite Tunika war heruntergerutscht und entblößte die Schulter.

»Antworte mir gefälligst!« Der Sheriff drückte das magere Handgelenk.

»Mylord!« Marian schloß ihre Hände um seinen Arm. »Mylord, ich bitte Euch –«

Sie hatte ein weiches Herz, er hatte auch nichts anderes erwartet. Aber in diesem Moment reizte es ihn. »Bei Gott, Marian – soll ich das etwa übergehen? Seine Hand war an meiner Geldbörse! Ich bin der Lord High Sheriff. Brauche ich mehr Beweise? Brauche ich weitere Zeugen?«

Marians Gesicht war beinahe genauso bleich wie das des Jungen. »Ihr tut ihm weh«, sagte sie.

Mit einiger Anstrengung ermahnte sich deLacey zu Höflichkeit. »Vielleicht wäre es das beste, Ihr würdet in die Burg zurückkehren. Dies ist eine unangenehme Aufgabe.«

Das alarmierte sie. »Warum? Was habt Ihr vor?«

Er verlor die Geduld. »Was ich vorhabe? Wieso, ihn so behandeln, wie er es verdient! Jungen, die ihre Hände dort haben, wohin sie nicht gehören, verlieren diese Hände.«

»Nein!« schrie sie. »Mylord, ich bitte Euch – tut das nicht! Er ist doch noch ein Junge –«

»Er ist ein Dieb, nicht mehr. Und so wird er auch behandelt.« Ihr Protest erregte Aufmerksamkeit. Einige Passanten blieben stehen und versammelten sich raunend in der Nähe. Einer sagte, die Wache sei auf dem Weg, und ersparte ihm dadurch die Mühe, nach Hilfe zu rufen. »Marian –« Er bemühte sich um einen ruhigeren Tonfall. »Geht zurück zur Burg, ich bitte Euch.«

»Nein.« Ihre Hand legte sich auf die nackte Schulter. »Ich kenne diesen Jungen, Sheriff Das ist Much, der Sohn des Müllers. Solange ich mich entsinnen kann, haben wir von Wat Mehl gekauft – und, wie ich zu behaupten wage, auch Ihr!«

»Das macht keinen Unterschied.« Er warf einen flüchtigen Blick auf die sich sammelnde Menge. »Bei Gott, Marian, achtet darauf, was Ihr sagt. Wollt Ihr meine Autorität vor ganz Nottingham in Frage stellen?«

Er sah, wie sehr sie das traf. Sie hatte ebenfalls bemerkt, wie die Menge jeden Moment größer wurde. Auch sie sah die gierigen Augen und die sich bewegenden Münder. Nun wird sie das Ausmaß dessen, was sie tut, begreifen.

Ihre blauen Augen waren sehr hell, als sie ihn wieder anblickte. »Nein«, sagte sie ruhig. »Ich kann das nicht zulassen.«

Die Wache traf ein. Sofort übergab er ihnen den Jungen; er war froh, sich des körperlichen Kontaktes entledigen zu können. Nichts wollte er lieber, als ihm an Ort und Stelle eigenhändig die Hand abzunehmen, doch das vor Marian zu tun, die ihren Standpunkt vor der wachsenden Menge deutlich gemacht hatte, hätte vermutlich jede Achtung, die sie für ihn empfinden mochte, für immer zerstört. Und diese Achtung wollte er. Gewalt war nicht nach seinem Geschmack. Wenn Marian irgendwann in sein Bett kommen sollte, würde sie natürlich mädchenhafte Zurückhaltung zeigen und ein natürliches Zaudern, wie es sich für ihren Rang schickte, aber er verspürte keine Neigung, sich mit einer wütenden oder gleichgültigen Bettgefährtin zu befassen. Er hatte sich an zwei kalte Frauen verschwendet; das würde er nicht noch mal tun.

Aber der Preis... Was war der Preis dafür? Daß er das Gesicht vor so vielen Leuten verlor? Eleanors Ausschweifung mit dem Minnesänger hatte ihn bereits zuviel gekostet. Er konnte es sich nicht leisten, nachsichtig gegenüber dem Jungen zu sein, oder sie würden es ihm als Schwäche auslegen.

Er blickte den Jungen durchdringend an. Schwäche zu zeigen war gefährlich. Schwäche zu zeigen würde ihn ruinieren.

Much starrte Marian an. Sie war es. Sie war doch nicht weggegangen.

Dieselben blauen Augen. Dieselbe heisere Stimme. Dieselbe schlanke Gestalt, die in einen Wollmantel gehüllt war.

Aber etwas war doch nicht genauso: Irgend etwas ängstigte sie. Irgend etwas erschreckte sie.

In seinem verwirrten Hirn erkannte Much Angst.

»Es ist Much«, sagte Marian. »Der Sohn von Wat, dem Müller. Ihr kennt ihn, Mylord ... Ihr wißt, wie man ihn nennt.«

Tölpel und Dummkopf. Much hatte die Worte gehört.

Der Mund des Sheriffs wurde straff. »Und nun auch Dieb.«

Marian? fragte Much. Aber Marian hörte ihn nicht. Keiner hörte

ihn jemals.

An einem der Stände kaufte sich Locksley eine Fleischpastete und verzehrte sie an Ort und Stelle, dann schlenderte er ziellos mit dem Strom der Menge zurück zum Marktplatz. Er dachte vage daran, nach Hause zu gehen, aber er hatte nicht genügend Willenskraft, um aufzubrechen. Es war leichter, sich von den anderen treiben zu lassen. Gewohnheit, wenn nichts anderes; zu lange hatten die Sarazenen über sein Leben bestimmt.

Geistesabwesend bemerkte er, wie jemand hinter ihm den Lärm übertönte – »Macht Platz für die Wache« –, aber die Ermahnung interessierte ihn nicht. Erst als eine Speerspitze ihn an der Schulter traf und ihn unsanft zur Seite stieß, begriff er, daß tatsächlich gerade die Wache passierte, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, wer ihnen im Weg stand. In der Menschenmenge murmelte jemand etwas über die willkürliche normannische Justiz.

Ein anderer half ihm wieder auf die Füße, klopfte ihm den Rücken ab und zischte etwas Unwiederholbares über die normannischen Tyrannen. Er beobachtete, wie die Speerträger verschwanden, normannische Soldaten mit breiten Rücken und den blauen Uniformen des Sheriffs, und zum ersten Mal fragte er sich, was aus England geworden war, während er im Heiligen Land gekämpft hatte. Zwei Jahre ohne König konnten viele Änderungen mit sich bringen. Er hatte damals ein anderes Reich verlassen.

Oder war er als ein anderer Mann zurückgekehrt? Auch das war ein neuer Gedanke: daß er, und nicht England, sich so auffällig verändert hatte.

Richard war nicht in England. Und würde möglicherweise auch nicht nach England kommen, wenn sein Lösegeld nicht in voller Höhe bezahlt wurde.

Locksley umklammerte hilflos seinen Geldbeutel, den er beim Bogenschießen gewonnen haue. Es war nur noch wenig Geld übrig. Aber das war, wie er wußte, unwesentlich. Selbst eine Börse voller Silbermarkstücke wäre nicht viel gegenüber den Hunderttausenden, die erforderlich waren.

Und die Menschen, die Richard am meisten brauchten, konnten es sich nur mit Mühe leisten, auch nur einen Silberpenny zu zahlen.

»Es ist Much«, murmelte jemand. Und ein anderer sagte murrend: »–Junge ist dumm, kann der Sheriff das nicht sehen?« Und: »Nur ein Junge«, sagte ein dritter.

Die meisten waren sich einig: »Besser die Börse des Sheriffs als die leere Börse eines Bauern.«

Marian hörte sie alle. Sie wußte, daß auch der Sheriff sie hörte. Die Menge wurde immer lauter. Die Stimmung war drohend, die Spannung wuchs. Marian sah ein, daß sie den Sheriff mit ihrer unversöhnlichen Haltung in eine äußerst prekäre Lage gebracht hatte.

»Sheriff.« Eine tiefe, rauhe Stimme. »Sheriff, laßt ihn laufen. Er ist nur ein Junge. Ihr habt ihn genug erschreckt – beinahe seinen Arm gebrochen, glaube ich –, laßt ihn nun in Ruhe. Laßt ihn über sein Glück nachdenken. Ich wette, das is’ das letzte Mal, daß er sich an einer Börse vergreift.«

Marian drehte sich um, wie alle anderen auch. Durch die Menge bahnte sich der größte Mann, den sie je gesehen hatte, den Weg.

Er hatte rote Haare, und seine entblößte Brust war schweißnaß. Selbst seine Gesichtszüge waren, gemäß seiner Statur, überdimensional groß. Er hatte helle, hervorstehende blaue Augen, eine krumme, imposante Nase, und einen breiten Schlitz als Mund, der teilweise hinter einem rötlichen Bart verborgen war. Die weite Wollhose, die er trug, war an den Hüften verknotet und bis fast zu den Knien hoch kreuzweise geschnürt. Genug Stoff, dachte Marian, um zwei Frauen ihrer Größe zu kleiden.

»Um was wettest du?« William deLacey war sichtlich geringschätzig und ebenso ungeduldig. »Willst du deine Hand als Einsatz setzen?«

Der sommersprossige Riese grinste. »Ich bezweifle, daß Eure Schwerter scharf genug sind, um sie mir abzuhacken!« Das Handgelenk, das er in die Luft hielt, war von dicken Muskelsträngen umhüllt.

»Eine Axt«, sagte der Sheriff. »Mit einer Axt würde ich das sehr wohl schaffen.«

Der Riese schüttelte seinen Kopf. »Ich bestehe aus Eisen, Mylord – die Axt würde nur stumpf werden!«

Das brachte die Menge zum Lachen. Marian, die zu dem riesigen Mann aufblickte, fühlte, wie die Spannung nachließ. Der Riese hatte die bedrohliche Stimmung in eine neugierige Haltung umgewandelt; alle warteten gespannt, was wohl der nächste Moment bringen würde.

»Wer bist du?« wollte deLacey wissen.

»John Naylor, Mylord. Aus Hathersage. Schäfer von Beruf. Ringkämpfer auf Jahrmärkten.«

Marian starrte ihn an. Er ist bestimmt der größte Mann von ganz England.

»Ringkämpfer«, murmelte der Sheriff, als wäre die Beschäftigung die niedrigste der Welt.

»Genannt Little John, Mylord.« Der Riese grinste, er war unbeeindruckt von der Verachtung, die ihm entgegengebracht wurde. »Soll ’n Witz sein, wie man mir sagte.«

Das belustigte deLacey. »So?« entgegnete er. »Ob groß oder klein, das macht für mich keinen Unterschied. Der Junge ist ein Dieb –«

»Er ist nur ein Junge –«, wiederholte der Riese schwerfällig. »Sperrt ihn ein oder zwei Nächte ein, damit er über alles nachdenken kann, aber schlagt ihm nicht die Hand ab, Mylord. Vielleicht wird es irgendwann notwendig sein, wenn er hieraus nichts lernt, aber er soll sie erst als Mann verlieren, wenn er alles besser versteht.«

DeLaceys Tonfall war kühl. »Und wirst du für ihn einstehen?«

Der gutmütige Spott in der Miene des Riesen schwand. »Jawohl«, gab er zurück. »Ich werde für ihn einstehen, aber nicht so, wie Ihr Euch das vorstellt. Meine Hand gehört mir – außer ein Mann gewinnt sie.« John Naylor grinste. »Sucht Euch einen Mann aus, Mylord. Irgendeinen Mann; ist mir völlig egal, wen. Ich gebe Euch sogar drei Männer ... wenn einer von ihnen mich besiegt, ist die Hand Euer, und Ihr könnt sie abhacken.«

»Warum?« fragte deLacey. »Was bedeutet dir der Junge?«

Der Riese schüttelte den Kopf. »Nichts, Mylord ... er ist für mich nur ein Lamm in den Fängen eines Wolfes!«

Marian blickte erst auf seine Hände und dann in sein Gesicht. Seine Selbstsicherheit imponierte ihr. »Geht darauf ein«, murmelte sie leise. »Mylord, nehmt seine Wette an.«

Marian begegnete seinem scharfen Blick. Nun ist meine Gelegenheit gekommen. Diesmal kann ich ihn nicht gewinnen lassen. Mit fester Stimme sagte sie: »Much hat keine Chance. Er ist ein Lamm, Mylord – und Ihr, wie ich zu behaupten wage, der Wolf.«

Sie sah es in seinen Augen: Er hatte begriffen. Es bedeutete ihm etwas, merkte sie, was sie über seine Handlungen dachte.

Langsam breitete sich die Erkenntnis in ihrem Kopf aus. Endlich habe ich doch etwas gegen ihn in der Hand.

Herrin der Wälder

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