Читать книгу Herrin der Wälder - Jennifer Roberson - Страница 11

6. Kapitel

Оглавление

Im Zimmer war es kühl, still und dunkel. Sie war allein. Entlang jeder Wandseite stießen deckenumwickelte Strohlager mit der Kopfseite an den Stein; selbst für die geräumige Burg des Earls waren es zu viele Gäste, um alle in richtigen Betten unterzubringen. Doch das war bei Adligen nicht unüblich. Ravenskeep, das nur ein einfaches Ritteranwesen war, hätte nicht einmal die Hälfte der Menschen aufnehmen können, die sich unter dem Dach des Earls tummelten.

Marian streckte sich schlaff auf einer verfilzten Wolldecke aus und starrte auf die dicken Dachsparren, die hoch über ihrem Kopf im Schatten lagen. Mit vorgeblicher Muße flocht sie eine dicke Locke schwarzen Haars, löste sie und flocht sie von neuem.

Ihr wurde heiß, wenn sie an Johns Verhalten dachte, und noch heißer, wenn sie sich an die Zeugen des Vorfalls erinnerte. Es war schon schlimm genug, dachte sie, daß der Sheriff zugegen gewesen war, als sie so übel, so aufreizend behandelt worden war; noch schlimmer jedoch in Anbetracht dessen, daß sie sehr wohl wußte, daß er sie heiraten wollte und daß ihr Vater das gewünscht hatte.

Marian biß die Zähne zusammen, schleuderte den Zopf beiseite und preßte ihre Hände gegen die Schläfen. Finster blickte sie zu den Sparren hoch. »Wie konnte er das nur tun?« fragte sie laut. »Wie konnte er nur so etwas in seiner Abwesenheit entscheiden und es mir dann durch Huntingtons Sohn mitteilen?«

Dieser Umstand ärgerte sie fast ebensosehr. Sie stammte aus einer Familie, die sich nach außen hin abschottete und ihre Angelegenheiten gern für sich behielt. Daß ihr Vater es als angemessen erachtet hatte, ihr bezüglich einer solch persönlichen Angelegenheit eine Mitteilung zu überbringen, ohne sie vorher zu Rate gezogen zu haben, war verwirrend.

Marian ließ die Arme sinken. »Warum mußte er das tun?«

Weil ihm keine andere Wahl geblieben war.

Selbst hinter ihren fest geschlossenen Lidern war ihr das klar. Die Dunkelheit konnte nichts von der harten Wahrheit verdecken. Sie war nach englischem Gesetz die alleinige Besitzerin von Ravenskeep, und doch bot dieses Gesetz Frauen nur wenig Schutz, nur so lange, bis sie heiratete. Ab dem Zeitpunkt würde ihr Besitz an ihren Ehemann übergehen. Wenn sie jedoch nicht heiraten würde und die zahlreichen und beharrlichen Freier abwiese, würde sie zur Zielscheibe der Kirche werden, die der Krone vorschlagen würde, Marian solle Christus heiraten, damit die Kirche von ihrem Besitz profitiere.

Nun, da ihr Vater tot war und ihre offizielle Trauerzeit beendet, durfte man um sie werben. Und man würde ihr den Hof machen. Ravenskeep gehörte ihr, bis sie heiratete. Vielleicht würde ihr bereits innerhalb der nächsten Woche ein Mann seine Aufwartung machen. Wenn nicht sogar früher.

Ein Geräusch ertönte: eine Tür, die ungeduldig entriegelt und aufgestoßen wurde. »Schon so schnell?« murmelte Marian und setzte sich auf, um die Tür im Blick zu haben.

Der Earl wandte sich an Prinz John. »Mylord, ich muß mich für das Benehmen meines Sohnes entschuldigen –«

John unterbrach ihn mit einer gebieterischen Geste. »Kümmert Euch nicht um ihn. Wer war das Mädchen

»Ihr Vater war Sir Hugh FitzWalter. Er starb im Kreuzzug.«

John beugte sich leicht vor. »Sie ist nicht verheiratet?«

»Nein, Mylord.«

Seine Brauen hoben sich fragend nach oben. »Wer ist dann ihr Beschützer?«

Der Earl sagte ruhig: »Euer Bruder, der König, Mylord.«

Für einen kurzen Augenblick war Johns Gesichtsausdruck leer. Dann furchte er wieder die Stirn. »Nein, nein, Dummkopf – ich meine, wessen Geliebte sie ist. Eure?«

Das war empörend. Die Gesichtszüge des Earls verhärteten sich. »Nein, Mylord.«

John lachte. »Ihr seid also wirklich ein Dummkopf.« Er griff nach seiner Amtskette. »Ist sie dann niemandes Geliebte?«

Der Earl meinte ernst: »Sie ist ein Mündel der Krone, Mylord. Ich glaube, von solchen Frauen wird Keuschheit erwartet.«

»Zumindest, bis die Krone beschließt, sie von dieser Keuschheit zu entbinden.« John blickte sinnierend vor sich hin. »Gott weiß, Richard wird das nie tun ...«

Marians Anspannung ließ nach, als sich die Tür ganz öffnete. Es war eine Frau.

Sie blieb wie erstarrt in der Tür stehen. »Wer ist da?« Ihre Stimme klang schrill und beunruhigt. Wegen des Dämmerlichts hatte sie die Augen zusammengekniffen. »Ist da jemand?«

Marian rückte näher ins schwache Licht. »Marian von Ravenskeep.«

»Marian von –? Oh.« Im Ton der Frau schwang Erleichterung mit, aber auch erneute Ungeduld und gleichgültige Kenntnisnahme. Sie trat ins Zimmer und schloß die Tür.

»Eleanor?« Marian merkte auf, als die Frau hin und her schwankte. »Geht es Euch gut?«

Auf Eleanor deLaceys häßlichem Gesicht machte sich überschäumende, lebhafte Freude breit. Sie legte beide Hände über Kreuz auf ihren Busen, als ob sie sein atemloses Wogen beruhigen oder im ungetrübten Gefühl der Leidenschaft schwelgen wolle.

»Besser«, flüsterte sie heiser. »Besser als gut ...« Träumerisch bewegte sie sich in die ausgefransten Ränder des schwachen Lichtscheins. »Ihr habt ihn doch gesehen. Oder nicht? Habt Ihr ihn etwa nicht gesehen?«

Marian nickte und dachte an die Heiratspläne des Sheriffs für seine Tochter.

Eleanor seufzte laut und mit gesenkten Lidern. »Ist er nicht großartig

Marian lächelte schief. War es nicht besser, wenn Eleanor ihren Ehemann in spe bewunderte, als wenn sie ihn verabscheute? »Er ist... großartig«, sagte sie verkrampft und leicht gereizt.

»Und diese Musik...« Eleanor stolperte über die Kante eines Strohlagers, erlangte das Gleichgewicht wieder und ließ sich doch auf das Bett fallen. »Ich finde, er ist der talentierteste Spielmann, den ich jemals gehört habe.«

»Der Minnesänger –« Als Marian das plötzliche Blitzen in Eleanors Augen sah, änderte sie ihre Antwort schnell. »Natürlich! Er ist großartig, ganz wie Ihr sagt ...«

Sofort entspannte sich Eleanor wieder und schaute sie von der Seite her an. »Wahrscheinlich«, stimmte sie zu.

»Großartig«, murmelte Eleanor. »Und wenn er für uns ein Zimmer finden kann ...« Sie riß die schwarzen Augen auf, als sie sich wieder daran erinnerte, wo sie sich befand. »Wer seid Ihr?«

»Marian«, antwortete sie geduldig; sie roch die Weinfahne der Frau. »Von Ravenskeep. Sir Hughs Tochter.«

»Oh. Der tote.« Eleanor reckte kurz ihren Hals, dann stieß sie einen Seufzer aus und betrachtete Marian wieder. »Wir sollten in dieser Angelegenheit Freundinnen sein. Ich habe ihn mir erwählt, nicht mein Vater für mich. Ihr versteht.« Sie blickte Marian eindringlich an. »Euer Vater ist tot. Das bedeutet, daß Ihr frei seid – aber wie würdet Ihr Euch fühlen, wenn Euer Vater über Euch verfügen würde?«

Marian verzog den Mund.

»Wie würde Euch das gefallen?« wiederholte Eleanor. »Männer beschlafen welche Frau sie auch immer wollen. Aber Frauen? Es wird von uns erwartet, daß wir es nicht mögen. Wir sollen tugendhaft sein und fügsam und unsere Beine nur für den einen Ehemann spreizen – oder zwei oder drei oder vier Ehemänner. Es sei unsere Pflicht, sagt man uns – und keiner verschwendet auch nur einen Gedanken an uns.« Sie machte eine Grimasse. »Für uns gibt es nur die Ehe. Und nicht mal den Mann können wir uns aussuchen!«

Marian starrte sie an. »Nein«, sagte sie schließlich. »Wir dürfen ihn uns nicht aussuchen.«

»Aber ich werde diesen Minnesänger bekommen – das werde ich! –, und es gibt nichts, womit mich der Lord High Sheriff von Nottingham davon abhalten kann.« Sie blickte Marian scharf an. »Außer, Ihr erzählt ihm davon.«

»Nein.«

Eleanor fixierte sie. »Versprecht mir das. Von Frau zu Frau.«

Marian entging nicht, wie betrunken Eleanor war. Doch sie fühlte eine unerwartete Übereinstimmung mit ihr, ein Verlangen nach Freiheit. »Ich verspreche Euch, von Frau zu Frau, daß ich hiervon nicht zu Eurem Vater reden werde.«

Eleanor sog ihre Worte begierig auf und wägte sie, wie ein Reh jederzeit zum Sprung bereit, ab. Dann streichelte sie mit einer Hand ihre Brüste, die andere steckte sie sich zwischen die Beine in die Mulde ihres Rockes. »Seid Ihr schon beschlafen worden?«

Gegen ihren Willen fühlte Marian, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg. Das war Antwort genug.

»Nein.«

Eleanor lächelte, aber es lag kein Humor in ihrem Lächeln. »Dann könnt Ihr nichts darüber wissen. Die Männer säen die Saat ... und es ist dann an der Frau, neun Monate später zu ernten. Aber es sie genießen lassen? Sie würden uns als Huren bezeichnen, uns alle. Sie würden mit Steinen nach uns werfen und uns aus unseren Häusern vertreiben.«

Eleanor biß sich auf die Lippe. »Ist es denn etwas so Schlimmes?« flüsterte sie. »Etwas so Schlimmes, einen Mann zu begehren? Einfach einen Mann zu begehren

Es wurde unüberhörbar still. Nach einer Weile schluckte Marian krampfhaft. »Ich glaube ...« Die Stimme versagte ihr. Sie wußte nicht, wie es war, bei einem Mann zu liegen, nichts von Begehren, außer einigen vagen unerklärlichen Sehnsüchten, die gelegentlich ihren Schlaf störten. »Ich glaube, es ist nicht das ... Begehren. Ich glaube, es ist der Akt selbst, ohne das Ehegelübde.«

Eleanor lachte. »Nein. Selbst mit dem Ehegelübde dürfen wir nicht begehren.« Sie war nur ein paar Jahre älter als Marian, aber ihrem Tonfall nach wirkte sie sehr alt. »Ihr wißt davon nichts. Und sie werden Euch auch nichts davon erfahren lassen, wenn es nach ihnen geht. Sie werden Euch an einen alten Mann verheiraten, und Ihr werdet Euch Euer Leben lang in seinem Bett fragen, ob es das gewesen ist. Und Euch für Eure Verwunderung schämen.«

Marian sagte nichts. Ihr fiel nichts ein, was sie hätte sagen können.

Eleanor seufzte. »Versichert mir noch einmal, daß Ihr meinem Vater nichts verraten werdet. Er würde es nicht verstehen.«

»Er ist Euer Vater –«

Eleanor entblößte kurz ihre Zähne. »Er ist hart.«

Und die Tochter härter gar. Marian lächelte nicht. »Ein Mann muß sein, wie er ist.«

»Nein«, erklärte sie kurz und bündig. »Ein Mann muß sein, wie er sein möchte, egal, wie er wirklich ist. Wenn er sich so verhält, wie er wirklich ist, wird er nie aufsteigen.«

Marian antwortete nicht. Sie schaute zu, wie sich Eleanor erhob, mit Mühe aufrecht hielt und zu dem Strohlager neben der Tür ging, um auf den richtigen Zeitpunkt zu warten, an dem sie zu dem Mann gehen konnte, den sie so sehr begehrte.

Langsam legte sich Marian wieder hin. Sie nahm das kleine Silberkruzifix, das sie an einer Kette um den Hals trug, in beide Hände. Leise wisperte sie: »Ich bin nicht so mutig.« Und dann fügte sie resoluter, jedoch mit einem verzweifelten Unterton hinzu: »Ich bin nicht so stark

Herrin der Wälder

Подняться наверх