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11. Kapitel

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Während sich Marian wie die anderen durchs dichte Unterholz kämpfte, dachte sie an Eleanors entschlossenen und überstürzten Aufbruch – vermutlich ist sie inzwischen bereits auf halbem Weg zur Burg. Sie fragte sich, ob sie es ihr nicht gleichtun sollte.

Doch das hätte Eleanor in bezug auf Marians Rückgrat nur recht gegeben. Sie fuhr zusammen, als sich ein belaubter Ast, den sie mit ihrer Hand von sich weggehalten hatte, löste und ihr ins Gesicht schlug. »Ich werde ihn erst aufsuchen – meine Fragen stellen – und dann gehen.«

In der Ferne bellten die Hunde; durch das Dickicht hörte man sie gedämpft. Zu allen Seiten hörte Marian knackendes Gestrüpp. Der nächste Reiter mochte nur zehn Schritte entfernt sein; das Unterholz war so dicht, daß es jeden in einen eigenen und abgeschiedenen grünen Mantel hüllte.

Ein nahes Krachen ließ das Pferd unvermittelt einen seitlichen Satz gegen einen Baum machen. Marian stieß mit dem Knie an den Baumstamm. Sie verzog das Gesicht und lenkte das Pferd vom Baum weg, während sie sich mit einer Hand vom Baum abstemmte, um den Druck auf ihr Knie zu vermindern.

»Lady Marian!«

Beschäftigt sah sie kaum auf. Es war Sir Guy von Gisbourne. Als sie endlich das Pferd davon überzeugt hatte, vom Baum wegzugehen, beugte sie sich vor und rieb ihr Knie. Lauter blaue Flecke, dachte sie, aber wenigstens heil.

»Lady Marian, ich dachte –« Er brach ab. »Seid Ihr in Ordnung? Seid Ihr verletzt?« Besorgt gab er seinem Pferd die Sporen. »Gibt es etwas, was ich tun –?«

Marian winkte ab. »Anhalten! Einfach nur – anhalten!« Als er sein Pferd mit weißem Gesicht zügelte, lachte sie. »Nein – es ist schon in Ordnung... es tut mir leid. Euer Pferd hat meines erschreckt, weiter nichts ... Bleibt, wo Ihr seid, und es wird sich wieder beruhigen. Was mich angeht ...« Sie zuckte mit den Schultern und lachte ein wenig verlegen. »Meine Reitkunst bedarf noch ein wenig der Verbesserung.«

Er hob dennoch von neuem an: eine Litanei. »Lady, wenn es irgend etwas gibt, was ich tun kann –«

»Nein.« Es kam barscher, als sie beabsichtigt hatte; er war unangenehm hartnäckig. »Mir geht es gut.«

Von weit her, aus den Tiefen des Waldes, ertönte der helle Klang des Jagdhorns. Das Kläffen und Bellen schwoll an.

Auf Gisbournes dunkelhäutigem Gesicht spiegelten sich Zweifel. »Lady –«

Sie unterbrach ihn. »Da! Das Jagdhorn – hört Ihr es? Vielleicht haben sie den Keiler eingekreist.« Marian machte eine Handbewegung. »Wegen mir braucht Ihr nicht hierzubleiben, Sir Guy. Ihr macht Euch besser auf zum Keiler.«

Er richtete sich in seinem Sattel auf. »Prinz John versprach mir den ersten Stoß«, verkündete er. »Aber wenn Ihr – wenn es irgend etwas gibt – was ich tun kann –«

Sie erkannte seine Erklärung als das, was sie war: als einen Versuch, eine gewisse Bedeutung für sich geltend zu machen. Falls er tatsächlich ein derart untauglicher Ritter war, wie Eleanor angedeutet hatte, war eine solche Gnade eine echte Ehre. »Geht«, sagte sie ruhig und lächelte ihn aufmunternd an. »Ich möchte Euch nicht davon abhalten.«

Unentschlossenheit verzerrte sein Gesicht. »Aber ich –«

Das Hundegebell wurde eindringlicher. Die gedämpften Rufe drangen deutlich durch die Bäume hindurch. »Sie brauchen Euch«, sagte Marian. »Ihr solltet sie nicht warten lassen.«

Mit gerötetem Gesicht sagte er: »Es gibt da etwas, was ich Euch sagen muß – etwas, was Ihr erfahren müßt –«

»Sir Guy, bitte ... wir können uns ein andermal unterhalten.«

»Dann habe ich nicht mehr den Mut dazu«, rief er. »Versteht Ihr denn nicht? Aber hier – jetzt –«

»Sir Guy –« Ihre Widerrede wurde jedoch unterbrochen, denn plötzlich brach der Keiler mit Schaum vorm Mund aus dem Gebüsch.

Marian hatte nur noch Zeit, die kleinen, grausigen Augen zu sehen; die blutbefleckten, furchterregenden Hauer; den borstigen, massigen Körper. Und dann brachen auch schon angeleinte Hunde durchs Gebüsch, die fluchende Führer am anderen Ende des Lederbandes hinter sich herzogen, und weitere Jäger zu Pferd, die ihre Spieße in die Luft erhoben hatten. Marian roch den Gestank von Angst und Wut und Wildnis, der vom Keiler ausging und sicher auch von den Hunden. Aber auch von den Männern, dachte sie, die sich zum Töten versammelten.

Sie sind genauso gierig wie der Keiler... Doch der Gedanke erstarb, noch bevor sie ihn zu Ende gedacht hatte; er verlor sich im Grunzen des Wildschweins und dem schrillen Gekläff der aufgehetzten Hunde.

»Der erste Stoß«, sagte jemand, und sie sah, wie Gisbourne jäh erbleichte.

»Ich – ich habe keinen Spieß –«, platzte er heraus und griff hilflos an seinen Sattel. »Ich vergaß –«

Gelächter und gemurmelte Bemerkungen folgten. Marian wurde plötzlich zornig. Welches Recht haben sie... Aber da stampfte ihre Stute ängstlich schnaubend auf, und der lechzende, grunzende Keiler machte plötzlich einen Schritt auf Marian zu.

»Der erste Stoß«, beharrte jemand mit einer Stimme voller Hohn.

Bleich zog Gisbourne sein Schwert aus der Scheide und schwang sich aus dem Sattel.

»Nein –«, schrie Marian zugleich mit einigen anderen, doch da stürzte sich der Keiler bereits auf Gisbourne.

Die Stute scheute und warf Marian fast aus dem Sattel. Sie kämpfte um Halt und zog sich mit der einen Hand hoch, während sie gleichzeitig an den Zügeln zerrte, um die Stute wieder in ihre Gewalt zu bringen. Sie hörte das rasende Bellen der Hunde, das Fluchen ihrer Führer, die Rufe der versammelten Jagdgesellschaft und das stoßweise Atmen ihrer Stute. Marian zog die Zügel an, riß die Stute zurück und trieb sie dann wieder nach vorne. Da ist Gisbourne –

Ein Pferd brach neben ihr durchs Unterholz. Zuerst glaubte Marian, das Pferd sei unberitten, möglicherweise Gisbournes Tier, das vor dem Wildschwein floh – doch dann sah sie den Reiter. Er war in den Farben des Waldes gekleidet und hob sich nicht gegen das Smaragd-, Oliv- und Jadegrün ab. Nur der dichte weiße Haarschopf verriet ihr, wer er war.

»Haltet Euch abseits!« rief er ihr zu und kreuzte ihren Weg. Doch dann hatte sich der blutende Keiler von Ästen und Reben befreit und hielt geradewegs auf beide zu.

Locksley ritt vor ihr. Marian, die ihr Pferd panisch zügelte, sah die blutbesudelten Hauer aufblitzen; hörte Locksleys Reittier aufbrüllen; sah, wie die Vorderbeine abknickten und einsanken, als der Keiler mit seinen Hauern beide Beine durchsäbelte. Blut spritzte auf Fleisch und Laubwerk.

Alles ereignete sich wie in Bruchteilen, als hätte man eine zerfetzte Steppdecke in zufälliger Ordnung wieder zusammengenäht:

Locksley, ohne sein schwerverletztes Pferd

– nur ein Messer in seiner Hand

– weißhaarig, bleich

– er rief etwas Unverständliches in einer Sprache, die sie nicht kannte –

Und dann kamen weitere Männer durchs Gebüsch: der Earl, der Sheriff und andere. Gisbourne war jedoch nicht bei ihnen. Gisbourne–? Das Pferd schlug mit seinen zersplitterten Vorderbeinen aus und versprühte Blut in die Luft. O Gott – nicht Locksley –

Mit geronnenem Blut verklebte Hauer hieben um sich und versuchten, verletzliches Fleisch zu zerfetzen.

– und Robert von Locksley stieß seine Hand nach unten: ein einzelner mit einer Stahlschneide versehener Spieß schnitt durch Fell, Fett und Muskelfleisch und durchtrennte die Kehle –

Sein weißes Haar färbte sich rot mit Blut. Sein Gesicht war nur noch eine rötliche Maske. »Ya Allah!« rief er heiser. »La ilaha il’ Mohammed rasul Allah!«

Und dann ließ er den Keiler schlaff dahinsinken, auf den blutbesudelten Boden zusammenbrechen.

Ein Schrei erfüllte Gisbournes Kehle, doch es kam nur ein Wimmern heraus. Er zitterte an Armen und Händen. Das Zittern drang bis zu seinen Knochen. Aber er kam nicht dagegen an. Er konnte die Furcht nicht ignorieren. Ich kann nicht zulassen, daß er ihr etwas antut

Ein kleines, dünnes Schwert gegen einen tollgewordenen bösartigen Keiler. Jeder in England wußte, wie gefährlich diese Tiere waren, selbst ein Mann, der sich nie jemals seine Mahlzeit selbst erlegt hatte.

Die kräftige Bestie kam näher und schlug ihm das zitternde Schwert aus der Hand, dann bohrte sie einen Hauer in Hose und Oberschenkel und zerfetzte beides mit einem geübten Hieb. Gisbourne roch den Gestank, fühlte das gedrungene Gewicht, sah die kleinen Augen, die nicht zwinkerten, aber unerklärlicherweise spürte er, als er zu Boden ging, keinen Schmerz.

Ich bin tot, dachte er. Und dann: Oder doch nicht –?

Der Keiler riß ihn um wie einen jungen Baum. Er hielt seinen massiven, hauerbewehrten Kopf gesenkt und spießte das verwundbare Fleisch und den Stoff auf, dann brach er über Gisbournes Schulter hinweg, um durch Laub und Farnkraut zu fliehen.

– Nicht tot –?

Hinter sich hörte Gisbourne ein Krachen, das Geheul eines verletzten Pferdes, einen Siegesruf, der durch eine unbekannte Sprache merkwürdig entstellt klang. Er versuchte angestrengt, sich aufzusetzen.

Und dann waren sie bei ihm, alle miteinander. Hände faßten seine Schultern, seinen Bauch und seine Hüften, um ihn zurück auf den Boden zu drücken. Unvermittelt war ihm kalt, und er fröstelte; starrte aus großen Augen und mit offenem Mund die Männer an, die über ihm zusammenkamen und ihm sagten, er solle still liegenbleiben.

Er schrie nicht, aber er hätte es am liebsten getan. Er wollte sie anschreien, aus Angst und aus Panik. »Nicht tot?« flüsterte er. Und dann hörte er in seinem Kopf: Noch nicht?

»Sir Guy?« Marian FitzWalter war gekommen, um zu sehen, wie es ihm ging.

»Jesus -« krächzte er. »Lady – nein –« Doch sie war bereits bei ihm, zwischen zwei Männer eingeklemmt, ganz blauäugig, schwarzhaarig und blaß, und in ihrem Schock, als sie seine Wunde betrachtete, vollkommen reglos.

»Ausbrennen«, sagte einer.

»Man wird es ihm abnehmen müssen.« Jemand anders.

»Nein!« schrie er. »Nein –«

Raunend geriet die Menge um ihn herum in Bewegung, dann sagte jemand etwas gebieterisch, und jeder, außer einem Mann, der an seiner Seite kniete, und der Frau, die ihren blutbespritzten Umhang umklammert hielt, wich zurück und machte dem Neuankömmling Platz.

Prinz John schritt zu Gisbourne und sah auf ihn hinunter. In der einen Hand hielt er einen Becher. Der Wein im Becher war so rot wie das Blut, das aus Gisbournes Bein rann.

Johns dunkle Augen schauten merkwürdig begierig und seltsam amüsiert. »Ich versprach Euch den ersten Stoß«, sagte er gedehnt, »aber es scheint, der Keiler war schneller.«

Gisbourne wollte lachen, so, wie es ein paar andere taten; das war auch, worauf John abgezielt hatte. Das einzige, was Gisbourne jedoch zustande brachte, war zu wimmern, als sie begannen, sein Bein zu verbinden.

»Einen Wagen«, sagte einer.

Und ein anderer bemerkte, weniger wohlmeinend: »Er ist tot, ehe wir zurück sind.«

Nein, dachte Gisbourne, als sich schließlich der Schmerz einstellte. Das letzte, was er sah, waren Marians Augen, die starr in sein Gesicht blickten, erbarmungslos in ihrem Mitleid.

Der Earl stieß die Ranken zur Seite und schlug das Farnkraut zurück, als er sich von Gisbourne und den Männern um ihn herum entfernte. Nur schwach war ihm der Schmerz des Mannes bewußt und die Tatsache, daß der Kämmerer des Sheriffs noch immer sterben konnte, falls er nicht bereits schon tot war. Für den Earl war Gisbourne irgendein Verunglückter, dessen Schicksal ihn nicht interessierte. Wessen Schicksal ihn dagegen interessierte, war das seines Sohnes.

Er verfluchte sein Alter und seine Hilflosigkeit und versprach Gott, ihm ein Kreuz zu errichten, falls sein Sohn noch am Leben sei. »Ein Sohn«, sagte er heiser. »Nimm ihn mir nicht weg... ich verlange doch so wenig –«

Er befreite sich von Kletterpflanzen und dichtgewachsenem Gestrüpp und kam dadurch so außer Gleichgewicht, daß er auf einen Baum zuritt. Als er sich keuchend am Baum festhielt, fiel sein Blick auf seinen einzigen Sohn, der sich gerade, von Kopf bis Fuß von Blut durchtränkt, über den Keiler beugte.

»Robert –« Es kam nicht viel aus seiner Kehle heraus. Er hauchte es nur, erleichtert und fragend. Doch dann setzte er schockiert hinzu: »Robert –?«

Locksley trennte, nur mit einem Messer in der Hand, systematisch den Kopf des Wildschweins vom Rumpf. Von der klaffenden Wunde im Nacken aus schnitt und hackte und sägte er um den Hals herum, wobei er leise vor sich hin murmelte und weder seinem Vater Beachtung schenkte noch dem verendenden Pferd hinter ihm oder sonst irgend etwas anderem. Einmal rieb er sich die Augen, wodurch er sich Blut ins Gesicht schmierte. Und dann schnitt er alle Beine ab.

»Robert?« flüsterte der Earl.

Endlich sah Locksley auf. Er hatte sich über den zerstückelten Kadaver gebeugt und hielt ein Hinterbein fest in der Hand. Seine Augen, erkannte Huntington, waren schwarz anstatt braun.

Die Stimme des Earls zitterte. »Ist das – denn nötig?«

Sein Sohn starrte zurück, reglos. Doch dann kam Bewegung in ihn, ganz langsam, und er betrachtete die Keule in seiner Hand.

Er wollte etwas sagen. Seine heiseren Worte waren unverständlich. Er brach ab. Runzelte die Stirn. Versuchte es von neuem. Dieses Mal auf englisch, so daß der Earl es verstehen konnte. »Das macht man so«, sagte er rauh, »im Krieg.«

»Aber –« Der Earl fuhr sich mit der zitternden Hand übers Gesicht. »Robert – du bist zu Hause. In England. Das hier ist England. Es gibt hier keinen Krieg. Was du getötet hast, ist ein Keiler.«

Ein Schauder durchfuhr Locksleys gebeugten Körper. »Das ist es nicht.«

»Doch.« Der Earl atmete tief ein und ordnete den Faltenwurf seines schmutzigen Umhangs, weil das etwas war, was er begreifen konnte. »Robert – es war ein Wildschwein.«

»War es nicht«, wiederholte Locksley stur. »Sie sagten, es wäre eins, aber das stimmte nicht.«

Jetzt ist keine Zeit für so etwas. »Robert – komm da weg. Sofort. Tu, was ich dir sage. Ich werde jemanden herschicken, der sich um das Pferd kümmert.«

»Ya Allah«, murmelte Locksley. Und dann, mit einer Spur von Verzweiflung: »Nein – ich meine Gott

»Tu, was ich dir sage«, sagte der Earl bestimmt.

Locksley erhob sich steif. Seine Tunika und seine Hose waren von einem dreckigen Rotbraun überzogen.

Der Earl musterte ihn. »Robert ...« Er mußte an die anderen denken. »Das hast du gut gemacht, Robert. Die anderen werden dich als Helden preisen.«

»Nein«, krächzte Locksley. »Was stattfand, war – ein Abschlachten.«

Huntington ließ ein rauhes Lachen ertönen. »Das macht man nun einmal mit Keilern!«

Sein Sohn starrte auf den Kadaver hinunter. »Aber nicht mit Menschen.«

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