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Steuerberater

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Die Berufsberaterin hatte kurzen Prozess mit mir gemacht, nachdem sie meine Noten betrachtet hatte. In Rechnen ne zwei, da hab ich ein Angebot vom Steuerberater. Also klingele ich am Haus, wo gegenüber Karin wohnt.

Mertens, Georg, Steuerberater, steht an der Klingel, Tür wird geöffnet, Qualm pafft mir entgegen. So, du willst also in die Lehre. Komm rein, er gibt mir die Hand. Die Stimme ist angenehm, aber er stinkt.

Setz dich. Eine Frau bringt mir Limonade.

Haste dein Zeugnis dabei?

Ich reiche ihm mein Zeugnis.

Ist das neue noch nicht fertig?

Nein, erst Ende des Monats.

Ist das auch so gut?

Ich denke schon, vielleicht besser.

Aber in Rechnen ein Gut, das bleibt?

Ja.

Und in evangelischer Religion eine Eins, auch?

Ja.

Stört dich das, dass wir katholisch sind?

Nein, meine Verwandten, bis auf meine Oma und meinen Vater und meine Tante hier in Brühl, sind alle katholisch, in Bonn bei meinen Verwandten geh ich manchmal auch in die katholische Kirche.

Die Frau kommt rein. Wir haben drei Kinder. Verstehst du dich mit kleinen Kindern?

Ich habe auch einen kleinen Bruder.

Es kann nämlich sein, dass du manchmal auf die Kleinen aufpassen musst, wenn ich mit meinem Mann zu den Kunden muss. Ist dir das recht?

Ich habe für die Kinder in unserem Haus Kasperle gespielt. Das macht mir nichts aus.

Herr und Frau Mertens sagen, einen Augenblick, bitte, und gehen raus.

Er kommt zurück und lächelt. Am 1. April kannste bei uns anfangen, bis dann, Tschüss.

Und er begleitet mich aus dem Haus, auch die Frau gibt mir die Hand.

Und am Abend gebe ich meinem Vater den Ausbildungsvertrag, den er unterschreiben muss. Und da noch Platz ist, setzt auch meine Mutter ihre Unterschrift darunter, obwohl das nicht nötig ist. Ich hab sie geboren, das ist doch auch was, oder?

Vati holt eine Flasche Bommerlunder aus dem Schrank und er gibt mir auch ein kleines Gläschen: Auf dich, prostet er, jetzt biste erwachsen! Und Hausarrest jibt ät nit meh, du musst jo arbeiten jonn!

Ich schüttele mich, das Zeug schmeckt schrecklich. Danziger Goldwasser ist viel leckerer, das nasche ich manchmal, aber ich sage einfach nur: danke.

Ich hab, als ich in Bonn war, im Kinderheim alle meine Spielsachen abgegeben. Ich bin ja jetzt erwachsen. In Brühl ist ein Waisenhaus geplant, aber noch nicht fertig.

Die Märchenbücher und die zwei Puppen und die Spiele, auch Trotzkopf, Nesthäkchen und Heidi, nur den Rattenfänger nicht, weil es mein erstes Buch war, und Rübezahl, mein zweites Buch, nicht. Das ist aber sowieso in Bonn bei den Großeltern. Keiner ist so arm auf der Welt wie die Waisenkinder, hatte Mutti gesagt.

Aber mein Bücherregal sieht jetzt geschrumpft aus. Ich hab ein Spitzentaschentuch drüber gelegt und einen Kerzenständer aus Silber, den ich auch zur Konfirmation geschenkt bekommen habe.

Ich habe dem Oskar von der Kinderseite des Kölner Stadt-Anzeigers mein Märchen Die goldene Forelle geschickt. Er hat es heute, am Samstag, veröffentlicht. Tatsächlich unter meinem Künstlernamen: Betty Pütz.

Auch in der Kirchenzeitung steht was von unserer Konfirmandin Berta Pütz Zum Geleit.

Ich bin richtig stolz auf mich. Vati hat gesagt: Kinderkram. Und Mutti, na ja, du mit deinen Märchen. Du bist jetzt erwachsen, Kind!

Heute, Samstag: das Zeugnis erhalten und Schulfeier. Alles gut, hab mich verbessert bis auf Rechtschreiben, befriedigend. Dabei habe ich so viel gelernt im letzten halben Jahr, ich hatte ja Stubenarrest, die Kommaregeln, daß mit »Eszet«, Groß- und Kleinschreibung, weil ich ja jetzt auch Englisch lerne mit den Schallplatten, da ist auch ein Grammatikbuch dabei, da wird mir vieles klarer.

Ein schöner Spruch steht vorne drauf auf dem Zeugnis, mit dem Wappen von Brühl, ganz feierlich:

Wer ist Lehrling? – Jedermann.

Wer ist Geselle? – Wer was kann.

Wer ist Meister? Der was ersann.

J.W. v. Goethe.

Seinen Erlkönig haben wir auswendig lernen müssen und von seinem Freund, dem Schiller, die Glocke. Und noch viele andere Gedichte und Balladen, aber im Theater waren wir nie und es hieß, für den Werther wären wir zu jung. Den werde ich mir aber kaufen, wenn ich erst mal Geld verdiene, das soll so eine schöne Liebe sein.

Zu jung. Immer ist man zu jung! Und die Alten sind zu alt! Und was ist dazwischen?

Zum Schulabschiedsfest haben einige eine Bierzeitung gemacht, über mich steht da drin:

Wer kennt nicht unsre Berta Pütz,

die hatt’ zu Haus ne fette Wutz.

Man nennt sie Miss Luftballon mit Ohren

und als schöne Helena ist sie auch auserkoren.

So ein Blödsinn. Am Nachmittag kommt Sonja vorbei.

Haste ja dein Fett abgekriegt, giftet sie.

Und bei dir steht, die Sonja hat nen Roller und dazu nen mächt’gen Koller, ist das besser, gifte ich zurück.

Ich habe mein schönes Kleid an. Es ist hellblausilberdurchwirkt, und ich kann es auch als Cocktailkleid anziehen. Das ist sehr schick und so was steht jetzt in allen Frauenzeitschriften.

Bis letztes Jahr, als meine Mutter noch nicht in der Fabrik gearbeitet hat, hat sie sich mit Sockengretchen Burda-Schnitte besorgt, und dann haben sie auf dem Tisch das Schnittmuster ausgeritzt mit einem Rädchen, auf den Stoff gelegt und ritschratsch, sich ein Kleid genäht. Gretchen hat einen anderen Stoff genommen, aber das Modell war das gleiche. Und bei den Schnitten war auch ein Cocktailkleid, und das hat Gretchen mir genäht und zur Konfirmation geschenkt. Obwohl sie ja katholisch ist. Die Firmungskleider für ihre Töchter Hedi und Biggi hat sie auch genäht, da war ich dabei.

Sonja ist eifersüchtig auf mein Kleid. Du siehst jetzt aus wie deine eigene Oma, hat sie gesagt und sie kneift mir in den Hintern.

Lass das, Sonja, habe ich gefleht.

Ich glaube, ich werde Sonja nicht mehr wiedersehen. Sie hat ab 1. April eine Lehrstelle als Verkäuferin in Wesseling.

Das letzte Wochenende als Schulmädchen, danach soll ich ein Backfisch sein, hat Tante Lena aus Endenich gesagt. So ein blödes Wort für ein junges Mädchen. Ich bin endlich wieder mal Fahrrad gefahren mit dem Kleid und Petticoat, das ich letztes Jahr auf der Kirmes trug, als ich mit Günter Rock’n Roll getanzt hab. Das flog im Wind. Hurra, ich bin erwachsen!

Der Duft der Bücher

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