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Bleistiftzahlen

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Ich hab mit meinem Chef einen Spaß gehabt, er ist wirklich süß. Ich fragte ihn nach dem §1 der R A O.

Oh, sagte er verdutzt, wenn de so anfängst. Meine Lehre war nach dem Krieg, und das ist jetzt 10 Jahre her. Ich frag dich auch was, §1 GG, und das ist jetzt, jeden Tag.

Ha, lache ich, GG ist Grundgesetz und §1 sagt, dass Mann und Frau gleichberechtigt sind.

Da kriegt er einen Lachanfall. Das möchteste gerne, ist aber nicht, das weißte ja, dass zum Beispiel dein Vater den Lehrlingsvertrag unterschreiben musste und nicht deine Mutter, trotzdem hat deine Mutter sich drunter gedrängt, obwohl da steht »Erziehungsberechtigter«, das ist sie aber nicht. Das scheinste geerbt zu haben. Wie heißt denn nun der §1?

Ich denke, die Würde des Menschen ist, sie ist für alle da, oder?

Na, gut, so ähnlich, ich freue mich aber, dass du in der Schule gut aufpasst. Und daste auch Steuerrecht und so was machst, sehr gut. Machste die Arbeit gerne?

Ja, in der Schule gefällt es mir.

Und hier?

Hier auch.

Wenn deine Probezeit vorbei ist, hab ich vor, dich zu übernehmen. Ist dir das recht?

Ich nicke.

Bisher bin ich zufrieden mit dir. Dat dat so bleibt! Wir machen ja bald Betriebsferien, du musst ja hierbleiben, hat deine Mutter meiner Frau erzählt, weil du auf den Jung aufpassen sollst, deine Eltern fahren mit den Schmitz, mit dem bin ich zur Schull jegangen, zelten.

Ich gucke ihn verdutzt an, weil er mehr weiß als ich.

Und ich dachte, wenn du sowieso hier bist, dann kannste auch unseren Jackie zu dir nehmen, dann haste einen Aufpasser, wenn die Eltern weg sind.

Nun war ich noch mehr verdutzt. Jackie, der struppelige Hund und ich haben sofort Freundschaft geschlossen. Dass ich aber in den Ferien auf Bruder und Hund aufpassen soll, ist mir völlig neu. Ich wollte doch gerne im Tonweiher schwimmen gehen mit Karin und vielleicht auch mit den Jungs.

Abends erzähle ich meiner Mutter davon.

Nun ja, das war bis jetzt nicht so klar, aber wir werden fahren, wo wir letztes Jahr waren. Ich lass dir genug Geld da und der Kühlschrank wird voll sein. Ihr werdet schon nicht verhungern. Wir bleiben ja nur zehn Tage, mehr können die Schmitz nicht, die sind ja selbstständig.

Am nächsten Morgen geh ich in den Keller, unsere Papierkörbe leeren, was ja wie Staubwischen zu meinen Aufgaben als Lehrling gehört. Die Kellertür geht, ich höre Schritte. Klatsch, Klatsch, meine Wange schwillt an wie nach dem Klatsch Klatsch von meinem Vater.

Ich starre meinen Chef an und frage: warum?

Oben auf deinem Schreibtisch liegt das Corpus Delicti.

Ich renne hoch. Eva kommt gerade. Was ist denn los?

Er hat mich geschlagen.

Der Chef?

Ich nicke, da steht er schon in der Tür. Was ist denn das für ein Geschmiere hier?

Ich schaue auf das Journal. Ja, ich habe mich gestern mehrmals verschrieben und musste die Zahlen durchstreichen.

Du weißt, dass man Dokumente nicht verändern darf und ein Journal ist ein Dokument.

Ich hab gestern, ich war gestern …

Dinge Vatter soll kommen, noch ist Probezeit, so wat bleibt bei mir nicht in der Lehre.

Ich komme später nach Hause als sonst, weil ich Angst habe.

Als mein Vater kommt, sage ich, du sollst zum Chef kommen, ich hab mich verschrieben und er hat mich geschlagen.

Da platzt es aus meinem Vater raus. Der schlägt dich? Ist der denn doll?

Wenn einer schlägt, bin ich es. Ich hab die Erziehungsgewalt, nit der. Der kann wat hören.

Ich gehe erleichtert schlafen. Mein Vater hält zu mir. Das habe ich mir im schönsten Traum nicht vorgestellt.

Am nächsten Tag komm ich zittrig zur Arbeit. Mein Vater kommt heute Nachmittag, sage ich, dann schreibe ich weiter Bleistiftzahlen in Tinte, ganz vorsichtig. Es stinkt mir schon lange, so was Langweiliges. Ich komme oft in eigene Gedanken dabei, erfinde Geschichten, und merke dann, wie ich unvorsichtig werde.

Um 17.00 Uhr will ich die Bürotür schließen, da kommt der Chef. Kannste deinem Vater verdanken, dass de bleiben darfst. Und ich sehe es ja ein, dass Bleistiftzahlen in Tinte schreiben drei Monate lang zu langweilig ist für so ein intelligentes Mädchen wie dich. Nach den Ferien kriegste ne interessantere Arbeit, jetzt wo du schon den §1 RAO kennst und der heißt?

Und ich rassele runter: Steuern sind im Sinne der Reichsabgabenordnung einmalige oder laufende Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem rechtlich-öffentlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einkünften allen auferlegt werden.

Der Duft der Bücher

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