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Nach den Ferien

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Das Elend ist schlimmer als vorher. Als ich meiner Mutter erzähle, dass ich von Brühl nach Köln in die Lehre will, kriegt sie einen Tobsuchtsanfall und scheuert mir eine.

Wenn du das dem Vati antust, dann schmeißt er dich raus, du kommst in die Erziehungsanstalt wie die Nina und die Marianne. Nina hat mit 15 ein Kind gekriegt und Marianne hat sich mit Jungs im Park rumgetrieben. Man hat sie erwischt, wie sie … Eine Schweinerei, wurde getuschelt.

Erziehungsanstalt ist das Schlimmste, das einem Jugendlichen passieren kann, wo man jeden Tag geschlagen wird, nichts zu essen kriegt und man den ganzen Tag ganz schlimme Arbeit machen muss, wie Kloos scheuern in Krankenhäusern und Ähnliches. Sie sind bei den Nonnen, die am Rhein auch ein Krankenhaus haben, man höre nur Schreckliches, sagte Frau Lenz aus dem Haus, eine Verwandte, als ich sie mal fragte, wie es Marianne geht.

Als ich anderntags nach Hause komme, ist mein kleines Bücherregal heruntergerissen und die Bücher auf meinem Bett zerfleddert. Als ich die Küchentür aufreiße und schreie, was das soll, steht mein Vater hinter der Tür, wie so oft, und knallt mir eine.

Han isch nit bei dem Mertens für dich ein Wort eingelegt, dat de blieve kannst und jetzt so wat, du Luder. So än Schand, jetzt wegzijonn. Du küst in de Fabrik, do lernst de, wat Arbeiten ist!

Er hat Spucke im Mund, so aufgeregt ist er.

Ich gehe in mein Zimmer und heule. Dann nehme ich meine Bücher und glätte die Seiten und tu sie in den Karton unter meinem Bett. Arme Anne, armer Heinrich, armer Franz, ach ihr Armen, jetzt müsst ihr im Dunklen schlafen.

Nach der Schule in Köln fahre ich zu Herrn Beyer in die Buchhandlung und gebe ihm den Vertrag zurück. Ohne Worte, schaue ihn nur an.

Aha, es hat Ärger gegeben?

Ja, ich muss beim Steuerberater bleiben.

Na, gut, dann mach die Lehre dort zu Ende, danach sehen wir weiter. Du kannst aber jederzeit zu mir kommen und Bücher ausleihen, wenn du willst.

Nein, ich kann die Bücher nicht mit nach Hause nehmen, mein Vater macht sie … Ich stocke, Tränen kommen, ich kann sie nicht zurückhalten, mein Vater …

Na gut, dann sitzte hier und liest hier. Er zeigt in die Ecke, da in dem Sessel biste immer willkommen. Verstehste?

Er drückt mir die Hand. Ich bin so dankbar, endlich ein Erwachsener, der nicht herumschreit.

Das Probehalbjahr ist rum, ich kann jetzt nicht mehr weg, noch zweieinhalb Jahre muss ich aushalten, mich mit Zahlen rumschlagen, mit dem Steuerrecht, mit den schmutzigen Abschreibungen der Reichen unserer Stadt, die über den Marktplatz laufen, als seien sie die Könige. Nach einem halben Jahr habe ich schon einiges mitbekommen. Ich musste nämlich den Schweigeeid leisten, dat de von heh nix nach draußen verzällst, hat Herr Mertens gesagt, als er mir den endgültigen Vertrag in die Hand drückte, den ich meinem Vater abends zeigte.

Na siehste, ät jeht doch! meinte er stolz. Dun den Vertrag in de Mapp mit de Zeugnisse, so wat hät man für dat Leben!

Im Laufe des Oktobers kriege ich endlich eine Schreibmaschine und einen kleinen Tisch, damit ich darauf schreiben kann und für den Winter eine Heizspirale, damit ich auch im Winter üben kann, denn in der Küche geht das ja nicht. Da wird ja alles gemacht und vor allem, wenn Vati nach Hause kommt, muss erst mal Ruhe sein, weil er sich aufs Sofa legt. So was wie ein Wohnzimmer, wie bei Karin, haben wir nicht. Nur die Küche für alles, auch fürs Waschen morgens und abends. Ich muss aber aufpassen, dass mein Vater nicht in der Nähe ist. Dann kommt meine Mutter mit einem Badetuch angerannt.

Nach einiger Zeit gehe ich wieder mal bei Herrn Beyer vorbei und erzähle ihm von meiner Schreibmaschine und dass ich jetzt übe, und dass es eine Schreibmaschine sei mit einer Ledertasche, damit ich sie mitnehmen kann.

Wohin willst du sie denn mitnehmen?

Ja, wenn ich mal von zu Hause wegziehe. Vielleicht verreise ich auch mal, dann kann ich sie immer dabei haben.

Ach, du willst wie Hemingway werden, in die weite Welt damit? Eine Reiseschreibmaschine also? Und Whisky willste auch trinken?

Ich schüttele heftig den Kopf und er erzählt von Hemingway und seinem aufregenden Leben als Reiseschriftsteller.

Ja, das möchte ich auch werden, rufe ich begeistert.

Er nimmt aus dem Regal ein Buch. Schon ein bisschen abgegriffen, sagt er, daran siehst du, dass der Vorbesitzer es geliebt hat.

Oh, danke, sage ich.

Auch wenn es Der alte Mann heißt, es spielt auch ein netter Junge mit, der den alten Mann versorgt.

In drei Nächten habe ich den Alten Mann und das Meer verschlungen. Unter der Bettdecke mit dem Licht der Taschenlampe, immer in der Angst, mein Bruder würde wach und mich verpetzen.

In der nächsten Woche fahre ich wieder bei Herrn Beyer vorbei und will ihm das Buch wiedergeben. Er winkt ab.

Nein, nein, sage ich, ich habe doch kein Bücherregal. Mein Vater will keine Bücher sehen, ich muss sie unter dem Bett verstecken.

Er streicht über mein Haar. Armes Mädsche, sagt er.

Das Buch hat schon alt geduftet, sage ich, aber es ist ja noch nicht so alt.

Aber antiquarisch, erwidert Herr Beyer, auch Bücher ohne Lederrücken kommen in die Jahre und ziehen Staub an. Und wer weiß, wo es überall war. Er lächelt.

Und? Vom Inhalt?

Spannend, ich habe gehofft, der alte Mann schafft es.

Er hat es doch geschafft, er hat nicht aufgegeben, das ist das Wichtigste im Leben. Auch wenn zum Schluss der Fisch von den Haien aufgefressen wird: er hat nicht aufgegeben.

Ich habe lange darüber nachdenken müssen, auf dem Weg nach Hause mit der Bahn, die immer am späten Nachmittag sehr voll ist. Aber es ist mir im Kopf geblieben, trotz des Gedränges.

Er hat es geschafft, er hat nicht aufgegeben.

Nein, ich gebe auch nicht auf.

Der Duft der Bücher

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