Читать книгу Der Duft der Bücher - Jenny Schon - Страница 15
Mädchen mit Jeans gehören in den Sandkasten
ОглавлениеIch hab jetzt schon zweimal Lehrlingsgeld bekommen, davon darf ich 20 Mark behalten, jetzt hab ich schon 40 Mark. Das Fahrgeld und Essensgeld für Köln gibt mir Mutti extra, das ist ganz lieb von ihr. Sie ist mächtig stolz, dass ich in Köln zur Schule gehe. Ich sei richtig erwachsen geworden, meint sie. Auch mein Vater lässt mich in Ruhe. Ich komme ja später nach Hause als meine Eltern, nämlich erst nach 5 Uhr, bei schönem Wetter fahr ich dann Fahrrad, aber oft lese ich auch, denn ich muss ja für die Berufsschule lernen.
Steuerrecht, zum Beispiel:
Die Reichsabgabenordnung (RAO) wurde am 13. Dezember 1919 beschlossen. § 1 der Reichsabgabenordnung:
Steuern sind im Sinne der Reichsabgabenordnung einmalige oder laufende Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem rechtlich-öffentlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einkünften allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft.
Das hab ich Mutti vorgelesen, stell dir mal vor, was ich lernen muss. Hör auf, sagte sie, ich krieg ja Ohrenschmerzen. Wenngleich, meinte sie dann, als sie in Trautenau bei der Post gearbeitet habe, da habe es auch so eine Verwaltungssprache gegeben, aber lang ist’s her. Wohl wahr, schon Ewigkeiten haben Mutti oder die in Bonn nicht mehr von damals in Trautenau geredet.
Ich brauche unbedingt ein Fremdwörterbuch, Mutti, diese vielen Fremdwörter, die ich lernen muss.
Ja, kauf dir eins in Köln, ich geb dir was dazu. Dann muss ich mich bei der Volkshochschule anmelden wegen einem Stenokurs und einem Schreibmaschinenkurs. Auch das wird bei der Prüfung geprüft, aber man muss es selber organisieren und bezahlen, hat die Berufsschullehrerin angekündigt. Sie hat schon mal das Heft genannt, das wir kaufen und danach üben sollen.
Mutti hat mir versprochen, im Herbst eine Schreibmaschine zu kaufen, dafür spart sie mein Lehrlingsgeld, das ich ihr jeden Monat gebe, nämlich 30 Mark von den 50 Mark, die ich monatlich verdiene.
Vati hatte gesagt, solang dat de Föß unger minge Tisch stellt und verdient, muss ät wat afgäbbe, da kenn ich nix!
Ich hab doch tatsächlich bei C&A in Köln eine Blue Jeans gekauft, eine blaue Hose, wie sie die Halbstarken tragen. Mutti hat geschimpft, aber ich habe gesagt, das ist doch besser auf dem Fahrrad, wenn ich die lange Strecke nach Köln fahre.
Was sie nicht weiß, dass ich mich bei Karin, als die Eltern weg waren, in die Badewanne gelegt habe, in heißes Wasser, damit die Hose einläuft, denn so sieht sie ja wie eine Klempnerhose aus.
Mutti gibt mir das Fahrgeld, falls ich unterwegs einen Platten habe oder ein Gewitter kommt. Pass schön auf, Kind, sagt sie, als ich in Allerherrgottsfrühe losradle.
Es ist ein so schöner Sonnentag. Ich hab auch schon eine Schülerin kennen gelernt, die ich gerne zur Freundin hätte. Theresa ist zwei Jahre älter, weil sie die Mittlere Reife hat. Ihr Vater ist Ingenieur bei der Alwegbahn. Wir wollten am Nachmittag an den Rhein gehen.
Eine Viertelstunde vor Schulbeginn bin ich da. Ich gehe auf die Toilette und mache mich frisch, weil ich ein wenig ins Schwitzen gekommen bin. Ich binde mein Nicky-Seidentüchlein um und streiche die Blue Jeans glatt, dann gehe ich in die Klasse und will mich an den Tisch setzen. Frau Dreyer, eine Diplom-Betriebswirtin, kommt rein. Sie unterrichtet Buchführung und Bilanz. Sie stellt ihre Tasche auf das Pult und donnert los.
Also, ich dachte, wir sind hier auf einer Schule, auf der reife Menschen sind, zumindest mit der Mittleren. Dass es hier auch welche gibt, die in der Spielhose aus dem Sandkasten kommen, wusste ich bisher nicht, und ist auch nach der Hausordnung nicht erlaubt. Also, weibliche Hosenträger: raus!
Das galt mir, ich war die einzige Hosenträgerin. Ich flüstere Theresa zu, bis später, nehme meine Aktentasche und gehe.
Ich radele in das Milchcafé in der Nähe vom Rhein, zum Glück habe ich das Geld von Mutti. Ich habe keinem Menschen was getan, und fliege aus der Schule. Dabei ist so eine Hose sittsam, sie zeigt keine nackten Beine!