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Eine Jazzsession

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Ich fahre schon Freitagabend nach Bonn und esse mit den Großeltern zu Abend.

Der Zimmerherr, der in dem Kinderzimmer gewohnt hat, wo früher Nina wohnte, wenn sie den Zuständen in Pützchen entfliehen wollte, als der neue Mann ihrer Mutter auch ihr nachstellte, ist jetzt weg und das Zimmer ist frei.

Nina bekommt ein Kind und ist in der Erziehungsanstalt eingelocht wie Marianne aus dem Fischmarkt, weil sie mit einem Jungen im Park erwischt worden war. Der Junge von Marianne durfte zu Hause bleiben, das ist doch ungerecht, immer nur die Mädchen, die bestraft werden.

Aber das war alles letztes Jahr und es scheint mir eine Ewigkeit her zu sein. Jetzt hat es nichts mehr mit meinem Leben zu tun. Jetzt werde ich in Köln in einem Jazzkeller sein, oh, wie ich mich freue.

Opa gebe ich ein Küsschen, und er sagt, pass schön uf, wenn du bei deinem Freund schläfst.

Aber nein, Opapa, bei einer Freundin von der Berufsschule, bei der wir ihren Geburtstag feiern. Und dann fährt keine Bahn mehr nach Duisdorf, verstehste Opapa. Dass sie in Köln wohnt, verschweige ich.

Theresa wohnt in Marienburg, einer ganz feinen Wohngegend in Köln.

Benno macht die Tür auf, ich kriege ganz weiche Knie, als er mir die Hand gibt.

Ich muss gleich abhauen, sagt er. Theresa, ruft er nach oben. Betty ist da.

Er flitzt nach hinten, seine Jeans sehen super aus. Ich stehe an der Treppe, und schaue ihm nach, als Theresa herunterkommt. Du hast es gut. Ich hab leider nur einen kleinen petzigen Bruder. Wir umarmen uns.

Leider ist Benno die meiste Zeit weg. Er lebt ja in den USA und hat da auch eine Frau. Das Wort Frau sticht. Ich habe auch zu dumme Gedanken, als wenn ich jemals so einen tollen Mann bekommen würde.

Benno ruft von oben: Kommt mal gucken. Wir gehen die Treppe rauf, aus seinem Zimmer donnert Musik, so laut hat er die Bässe eingestellt. Das ist Power, oder?

An der Wand lächelt uns James Dean entgegen.

Oh, wie toll, sage ich, und schäme mich, weil mir kein besseres Wort einfällt. James Dean, in welchem Film, das Foto kenn ich nicht. Ich spüre, dass ich nur Blödsinn sage.

Das hab ich mir gedacht, Benno lacht schallend, ihr Europäer. Das ist Chet Baker, er war 1955 auf seiner Europareise auch hier in Köln, da hab ich ihn kennengelernt.

Ich spiele heute Abend ein paar Stücke von ihm.

Was spielt er denn? Nun bin ich ganz entblößt mit meinem Unwissen.

Trompete. Benno holt seine aus dem Kasten. So eine ähnliche. Und er tutet ein paar Töne. Ich schäme mich so, weil ich noch nie eine Trompete so nahe gesehen habe und gar nicht weiß, wie das alles heißt, was da dran ist. Durch Brühl ist doch nur der Spielmannszug gezogen und Weihnachten waren manchmal auch ein paar Trompeten in der Kirche, die waren aber oben auf der Empore.

Nun sitze ich hier ganz nah vor einem Instrument und weiß nur zu sagen: schön.

Und was ist schön dran, fragt Benno. Ich werde rot. Na ja, nun ja, ich meine, sie hat so einen Schwung, das sieht schön aus.

O.K., grummelt er, lass ich durchgehen.

Das merke ich schon, mit Benno kann ich nicht so reden wie mit den anderen, die ich bisher kennengelernt habe, wie ich ja auch mit Herrn Beyer anders rede. Das sind alles ganz andere Menschen, mit denen muss man sich anders unterhalten.

Ich muss noch viel lernen, das ist mir klar. Und eigentlich kann ich nur Herrn Beyer fragen, jetzt, wo Onkel Franz, der Ingenieur, verheiratet ist und eine kleine Tochter hat, und keine Zeit mehr, seine Schwesterfamilie zu besuchen.

Aber letztes Jahr Weihnachten hat Mutti mir Geld gegeben, damit ich mir endlich ein Lexikon kaufen konnte. Herr Beyer hat sich gefreut, mir ein gescheites Buch verkaufen zu können. Und da das Geld nicht reichte, hat er mir 8 Mark geschenkt. Noch nachträglich zu deinem Geburtstag, hat er gesagt.

Da werde ich mal nachsehen, was über die Trompete der Jazzer steht.

Ein Trompetenstoß holt mich aus meinen Gedanken.

So, ich muss jetzt gehen. Benno packt seine Trompete in den Kasten, schließt ihn und klemmt ihn unter den Arm. Bis später, Mädsche, er küsst seine Schwester auf die Wange und mir streicht er übers Haar.

Theresa macht uns das Abendbrot. Schade, dass er schon weg ist, er hätte sich auch stärken müssen, sagt sie.

Ich fühle mich sehr wohl bei so viel geschwisterlicher Zuneigung und gehe zur Toilette, um meine Tränen zu unterdrücken. Traurig, dass das bei mir zu Hause so gar nicht harmonisch ist.

Meine Mutter ist wieder mal außer sich. Komm ich von der Arbeit heim, steht sie hinter der Tür und schreit.

Was treibst du dich in Köln herum und schläfst dort. Und uns erzählste, dass du bei den Bonnern bist, du verlogenes Luder. Wenn das der Vati rauskriegt.

Sie versucht, mir ein Briefkuvert um die Ohren zu hauen. Hier sieh, für dich, diese Schweinerei.

Du hast meinen Brief geöffnet, schreie ich zurück, und jaule wie ein Hund. Keinem kann man vertrauen auf dieser Welt, keinem. Ich reiße die Tür auf, sie schmeißt mir den Brief hinterher. Hier, deine Schweinerei. Ich hebe den Brief auf und werfe mich auf mein Bett. Er ist von Benno, aber da kann nur Theresa hinterstecken, denn den gleichen Brief hat sie schon mal vor einem Jahr geschickt und meine blöde Mutter merkt das nicht.

Sie schreibt: Liebe Betty, dass ich Dich liebe, hast du sicher, als du neulich bei uns geschlafen hast, gemerkt. Wie sehr ich dich liebe, begehre, deinen Körper in Gedanken an mich ziehe und mit 1000 Küssen bedecke, hast du sicher gespürt, wenn du nicht einschlafen kannst und meine Hand deine Schenkel streift, leise und zart deine Schamhaare entkringelt.

Mir wird ganz heiß. Und ich stelle mir Benno vor, und umarme mich und streichele mich – vor Sehnsucht nach ihm.

Ich lege den Brief auf das Tischchen. Ich verstehe Theresa nicht. Wir haben doch gar nicht über so etwas geredet. Wir waren so beseelt von der Musik ihres Bruders und seiner Band, dass wir zu Hause gleich ins Bett und eingeschlafen sind.

Ich stehe auf, ziehe mich an und öffne die Tür. Mutti steht im Flur. Willst du nichts essen? Wo gehst du hin?

Mir ist der Appetit vergangen. Ich renne die Treppe runter und renne bis zum Telefonhäuschen. Die Mutter von Theresa ist dran, bitte, kann ich Theresa sprechen? Sie kommt, was gibt’s?, fragt sie. Der Brief, sag ich, meine Mutter ist wütend, das kannst du dir doch denken.

Theresa lacht ihr klirrendes Lachen. Der ist doch abgeschrieben. Aber es wär doch schön, wenn Benno ihn geschrieben hätte, oder? Er ist wieder abgereist und lässt grüßen.

Ach, Theresa, Brühl ist nicht Köln.

Ich komme am Sonntag mal wieder vorbei, sagste das deiner Mutter, ja?

Und wieder ist meine Mutter begeistert von Theresa, und verzeiht ihr.

Na ja, es tut mir leid. Aber ich mach mir halt Sorgen, was du in Köln so treibst. Wenn Vati so was in die Hände kriegt, schickt er dich ins Erziehungsheim. Das ist sein Briefkasten, das weißt du.

Ja, ja, ich weiß, antworte ich, da steht Fritz Pütz drauf und alles, was da drinnen ist, gehört ihm und das darf er öffnen, oder du.

Als ich dann im Bett liege, träume ich mich nach Amerika zu Benno. Seine Frau muss ich irgendwie umbringen, vielleicht hilft mir Edgar Wallace weiter, denn ich lese gerade den Krimi Der Frosch mit der Maske, den mir meine Kollegin Eva gegeben hat und ein paar andere Bücher vom Bertelsmann Buchclub. Sie räumt nämlich ihr Zimmer auf, weil sie bald heiratet, und du bist eingeladen, hat sie gesagt. Sie hat in der Nähe vom Tonweiher gebaut, wo ich letztes Jahr noch mit Karin und den Jungens geschwommen bin und wir im Kofferradio Elvis gehört haben.

Wie mag es Karin in Paris gehen? Sie wollte mir eigentlich schreiben.

Der Duft der Bücher

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