Читать книгу Der Duft der Bücher - Jenny Schon - Страница 13
Aller Anfang ist schwer
ОглавлениеMontag, 1.4. 1957, 8.30 Uhr
Ich klingele bei Mertens. Es dauert. Jemand kommt die Treppe runter. Eine junge Frau öffnet.
Guten Tag, ich bin der neue Lehrling.
Guten Morgen, komm hoch, der Chef telefoniert. Ich bin Fräulein Meier.
Ich stehe im 2. Stock im Flur und warte, bis der Chef zu Ende telefoniert hat.
So, du kommst also auch schon.
Guten Morgen, wieso, ich bin doch noch vor 9 Uhr hier.
Wie kommste denn da drauf?
Na, alle die im Büro arbeiten, fangen doch um 9 Uhr an.
Mir nit! Wann fangen wir an, Eva?
Fräulein Meier antwortet: Um 7.30 Uhr.
Und warum, fragt der Chef.
Weil wir Samstag frei haben, antwortet sie.
Dat kannste dir also ausrechnen, bei einer 45 Stunden-Woche, wie viel Stunden man am Tag arbeiten muss, wenn man nur 5 Tage arbeitet. Du bist doch gut im Rechnen, also rechne.
Neun Stunden, sage ich.
Und das ist von?
Von acht bis fünf, oder von neun bis sechs.
Ja, rechnen kannste! Aber da wir eine Pause machen müssen, hat die Gewerkschaft vorgeschrieben, fangen wir um 7.30 Uhr an, verstanden?
Du bist um 7.15 Uhr da, weil du den Ofen anmachen musst, bevor die Angestellten kommen. Unten im Keller sind die Klütten. Und wenn nicht geheizt wird, dann musste immerhin den Kaffee machen, den spendiert das Haus, so großzügig sind wir, nicht Eva? Und jeden Morgen staubwischen auf den Schreibtischen, und den Papierkorb runterbringen in den Keller musste auch. Hast du auch gemacht, Eva, nicht, und? Biste dran gestorben?
Nein.
Fräulein Meier war bis gestern Lehrling. Sie hat die Prüfung in Köln mit gut abgelegt, also halt dich an sie. Übrigens, eine Viertelstunde schenk ich dir, weil du die fürs Frühstück kriegst und mittags eine ¾ Stunde Mittagspause, wo du nach Hause gehen kannst, damit du an die frische Luft kommst. Aber Fahrradgefahren wird nit, Leute aus dem Büro fahren nit mit dem Fahrrad zum Dienst, verstehste? Dat dun nur Arbeita.
Hast du den Vertrag? Und das neue Zeugnis?
Ich gebe ihm beides.
Nun, das Zeugnis sieht ja noch besser aus als das letzte, alles Zweien, nur nicht in Rechtschreiben. Und Englisch haste nicht?
Ich hab privat einen Schallplattenkurs in Englisch, ich möchte auf jeden Fall Englisch lernen, das braucht man heute.
Ach, wie altklug dat is, nit Eva?
Sie nickt.
Eva zeig ihr, wie et die nächsten Monate die Zahlen, die in Bleistift sind, in Tinte schreiben soll, aber in Schönschrift.
Und noch wat, damit du meine Großzügigkeit siehst, das machen andere Steuerberater in Bröl nit! Du fährst einmal die Woche nach Köln in die Steuerfachschull, ich will, dat minge Lehrlinge ordentlich ausgebildet werden. Den Tag schenk ich dir, da brauchste nachmittags nicht hier zu arbeiten, kannste dich in Köln rumtreiben! Frag dat Eva nach der Adress, angemeldet biste schon.
Innerlich hüpfe ich vor Freude, einmal in der Woche nach Köln, ganz offiziell, da wird mein Vater sich aber wundern!
Ostern 1957
Wir sind nach Bonn gefahren, mit Opa und Onkel Franz war ich in der katholischen Kirche wie früher auch schon mal, wenn dort Feste sind.
Die sind ja viel feierlicher.
Onkel Franz hat mir tatsächlich die Leiden des jungen Werthers geschenkt, weil ich ihm bei der Konfirmation den schönen Spruch von Goethe gezeigt hatte.
Und jetzt kommt es, nachmittags bei Kaffee und Kuchen, alle sitzen am Tisch, Silentium, ruft er, Ruhe, wichtige Mitteilung: Der Ingenieur Franz Schwendner gedenkt zu heiraten, und zwar schon zu Pfingsten!
Da war ich ja platt.
Er will eine früh verwitwete Geschäftsfrau aus Siegburg heiraten, Pfingsten soll die kirchliche Hochzeit sein und er wird auch nach Siegburg ziehen und den Betrieb übernehmen, irgendwas mit speziellen Apparaten.
Da ist er fein raus. Er ist Ingenieur, hat ein eigenes Büro mit einem noch größeren Schreibtisch, als er eh schon hat, ein großes Auto und die Frau wird eine Firma, ein Haus und ein großes Grundstück mit in die Ehe bringen!
Eigentlich wollte er sie schon zu meiner Konfirmation mitbringen, hat er mir erzählt, aber ihr geht es schon eine Weile nicht gut. Sie lädt dich aber zur Hochzeit ein, das soll ich dir sagen.
Und meine Mutti meint, das ist am Anfang immer so, dass sei bei ihr auch so gewesen, und sie lächelt so komisch, wie ich es nicht mag, wie sie lächeln, ja fast grinsen, wenn sie zusammen waren, die Frauen bei uns, beim Schneidern und über andere Frauen erzählt haben und ich immer weggehört habe, weil so was für Schulmädchen ja nichts ist.
Jetzt bin ich aber kein Schulmädchen mehr, aber ich will auch gar nicht wissen, was bei Frauen am Anfang immer so ist.