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Der andere Weg

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Ich habe in dem dreibändigen Lexikon, das mir meine Mutter letztes Jahr geschenkt hatte, viele Fremdwörter einfach auswendig gelernt und auch einige lateinische Sinnsätze. Ich habe niemanden, mit dem ich darüber reden kann, außer Herrn Beyer. Auch Theresa interessieren so schwierige Themen nicht, von denen Camus schreibt:

So führt denn der absolute Nihilismus, der den Selbstmord zu legitimieren bereit ist, noch leichter zum Mord aus Überlegung.

Mord aus Überlegung, ich dachte an die Frau von Benno, nur so, aber im Grunde doch in böser Absicht.

Ich bin seit einiger Zeit Freitagabends in der Gemeinde und bereite mich darauf vor, Kindergottesdiensthelferin zu werden. Lasset die Kindlein zu mir kommen, denn ihrer ist das Himmelreich. Das begleitet mich schon seit meiner Kindheit und hat mich die Attacken meines Vaters überleben lassen, weil ich ja wusste, auch er war mal ein Kind Gottes. Später hat er mir ja auch sein Neues Testament zur Konfirmation geschenkt. Das wiederum hatte ihm in der schwierigen Zeit der Nazis 1934 der Pfarrer Großer, der im Widerstand war, geschenkt.

Das hat mich vieles ertragen lassen, was so an Menschenhass aus meinem Vater spukte. Ich verstehe es nicht, ich denke, er hat im Krieg Schreckliches erlebt, dass er so geworden ist. Mutti hat immer erzählt, er sei in Trautenau, wo wir damals lebten, ein ganz lieber Ehemann gewesen. Wenn er vom Flugplatz am Wochenende zu Besuch kam, ein liebevoller Vater, mir, dem Mädchen, gegenüber. Und es gibt Fotos, wo er mich auf dem Arm trägt und glücklich aussieht.

Diese Widersprüche im Menschen beschäftigen mich. Ich lese immer noch im Testament und suche bei Jesus Antworten.

Ich erzähle Herrn Beyer davon, dass ich im Zwiespalt bin, ob ich diesen neuen Weg des Nihilismus von Camus gehen soll oder den von Jesus, der das Gute im Menschen sieht. Oh nein, widerspricht Herr Beyer, denk an die Pharisäer, die hat er gefressen, diese falschen Schleimscheißer, die vorgeben gut zu sein, aber es nur aus Berechnung tun.

Bei der Vorbereitung für den Kindesgottesdienst ist auch der Junge, der mir den Kafka aufgehoben hatte und der auf dem Schulhof auf dem Mäuerchen saß und las.

Hast du den Kafka ausgelesen, fragt er mich, als er sich neben mich setzt.

Ich musste erst überlegen, denn er ist hübscher geworden. Er trägt eine moderne Brille.

Wir gehen gemeinsam raus.

Darf ich dich begleiten, fragt er.

Ich nicke.

Ich bin Hagen Westermann, ich bin mitten im Abitur, habe eigentlich keine Zeit, hier mitzumachen, aber meine Mutter möchte gerne, dass ich Theologie studiere und ich soll doch schon mal gucken, ob mir das gefallen würde.

Und Dein Vater? frage ich.

Der hat ja schon einen Nachfolger, meinen großen Bruder, der studiert in Köln Betriebswirtschaft und wird ihm wohl folgen.

Wohin?

In seinen Betrieb, und dann übernehmen. Ich habe da Glück, ich habe Wahlfreiheit.

Worin?

Nun, Theologe zu werden oder Politiker, beides braucht seine Mission und Vision.

Ich lese gerade Der Mensch in der Revolte, sage ich, um zu punkten.

Über vieles werde ich lange nachdenken müssen, vielleicht auch nie verstehen, aber was ich verstehe ist, dass man nicht alles verstehen muss.

Meinst du?

Ja, ich glaube die Theologen wollen alles erklären und die Politiker auch, und Camus stellt das infrage.

Und was willst du werden, wenn du die Schule beendest hast? Er bleibt vor mir stehen.

Ich mache demnächst meine Prüfung als Steuerfachgehilfin, ich gehe auf keine Schule.

Das glaubt ja keiner, du machst kein Abi und liest Kafka und Camus?

Ja, ich habe auch Grimms Märchen gelesen oder Heidi oder Trotzkopf. Alles zu seiner Zeit.

Wann willst du denn Kindergottesdiensthelferin werden?

Wenn ich in Kürze ausgelernt habe. Ich bin siebzehn. Mit siebzehn fängt das Leben an. Singt das nicht Peter Kraus?

Peter, wer? Sein Schielen wird wieder stärker.

Na ja, der deutsche Elvis Presley, hörst du nicht im WDR Mister Pumpernickel?

Ne, wir hören Mozart.

Oh ja, einen Mozart habe ich auch, fällt mir ein, aber neuerdings höre ich Chet Baker und Jazz in Köln, um auch angeben zu können.

Na ja, meine Eltern haben eine schöne Musikanlage, da hört sich der Beethoven an, als wäre er in der Wohnung, aber manchmal fahren wir auch nach Köln ins Konzert.

Ich wohne in der Tiergartenstraße, sage ich, damit wir nicht länger aneinander vorbeireden müssen. Adschö.

Er steht da, wie ein Abiturient da steht, wenn er nicht weiter weiß.

Ich winke und gehe.

Der Duft der Bücher

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