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4.Eintritt einer konkreten Gefahr

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249Weitere tatbestandliche Voraussetzung für § 221 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 ist, dass der Täter die hilflose Person durch die Tathandlung einer konkreten Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung aussetzt.

250a) Eine konkrete Gefahr ist gegeben, wenn die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus zu einer kritischen Situation für das geschützte Rechtsgut führt. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung muss – was aufgrund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person so stark beeinträchtigt werden, dass es nur noch vom Zufall abhängt, ob das Rechtsgut verletzt wird oder nicht699.

Klausurhinweis: Der Begriff der konkreten Gefahr wird in vielen zentralen Tatbeständen – §§ 113 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2, 218 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2, 225 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2, 239 Abs. 3 Nr. 2, 250 Abs. 1 Nr. 1c, Abs. 2 Nr. 3b, 306a Abs. 2, 306b Abs. 2 Nr. 1, 315 Abs. 1, 315a Abs. 1, 315b Abs. 1, 315c Abs. 1, 315d Abs. 2 – verwendet. Die genannte Definition gilt dort entsprechend („Baukastenprinzip“).

251b) Problematisch ist, was unter dem Begriff der schweren Gesundheitsschädigung zu verstehen ist. Unbestritten ist zunächst, dass höhere Anforderungen als bei einer (einfachen) Gesundheitsschädigung i. S. d. § 223 Abs. 1 Var. 2 zu stellen sind. In jedem Falle kann man darunter solche gesundheitlichen Folgen subsumieren, die entweder in § 226 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 ausdrücklich genannt sind700 oder jedenfalls mit den dort genannten Gesundheitsschäden einen vergleichbaren Schweregehalt aufweisen701. Aber auch die konkrete Gefahr einer Gesundheitsschädigung, die unterhalb der Schwelle des § 226 liegt, wird richtigerweise erfasst. Eine schwere Gesundheitsschädigung liegt daher auch dann vor, wenn das Opfer in eine ernste, langwierige Krankheit verfällt, eine dauernde oder langwierige schwerwiegende Beeinträchtigung der Gesundheit702, der Arbeitskraft oder anderer körperlicher Fähigkeiten oder eine nachhaltige Beeinträchtigung der physischen oder psychischen Stabilität703 gegeben ist. Dies kann der Fall sein, wenn intensivmedizinische Maßnahmen oder umfangreiche und langwierige Rehabilitationsmaßnahmen zur Wiederherstellung der Gesundheit bzw. zur sonstigen Beseitigung der Tatfolgen erforderlich sind704. Dabei ist auch die individuelle gesundheitliche Konstitution des Opfers zu berücksichtigen705. Dasselbe gilt für die persönlichen Verhältnisse des Opfers, die – wie etwa der Beruf – für das Vorliegen einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Arbeitskraft maßgeblich sein können706.

252c) Erforderlich ist ferner ein spezifischer Gefahrzusammenhang zwischen Tathandlung und Gefahrerfolg, d. h. der Eintritt der konkreten Gefahr muss gerade auf der der Tathandlung eigentümlichen Gefährlichkeit beruhen.

Bsp.:707 T nimmt dem betrunkenen O in einer eiskalten Winternacht seine Daunenjacke weg und setzt diesen am Straßenrand ab. Nur durch Zufall wird O von einem Passanten aufgefunden und vor dem Kältetod gerettet. – T macht sich nach § 221 Abs. 1 Nr. 1 strafbar, da die Gefahr des Kältetodes die typische Gefahr der Tathandlung ist. Anders wäre der Fall zu beurteilen, wenn die Todesgefahr darauf beruht, dass O von Räuber R überfallen wird und durch Messerstiche schwer verletzt wird. Denn hier hat sich nicht die typische Gefahr der Aussetzung, sondern die allgemeine Gefahr, Opfer eines Raubüberfalls zu werden, verwirklicht.

253d) Wichtig ist im Übrigen, dass man zwischen der hilflosen Lage einerseits und der konkreten Gefahr andererseits unterscheidet708. Dies hat vor allem Bedeutung für Fälle der Nr. 2. Besteht aufgrund der hilflosen Lage, in der der Täter das Opfer im Stich lässt, bereits eine konkrete Gefahr, so kann Nr. 2 nur noch dann erfüllt sein, wenn entweder diese konkrete Gefahr gesteigert wird709 oder durch das Im-Stich-Lassen eine andere konkrete Gefahr eintritt710. Denn Voraussetzung für die Anwendung des Tatbestandes ist, dass sich die konkrete Gefahr gerade aus der hilflosen Lage entwickelt711.

Bsp.: Der kranke O befindet sich in der Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung. Krankenschwester T lässt ihn im Stich, wodurch sich der Zustand deutlich verschlechtert und er in die Gefahr des Todes gerät. Da sich die bereits bestehende Gefahr durch das Im-Stich-Lassen weiter steigert, ist der Tatbestand des § 221 Abs. 1 Nr. 2 verwirklicht.

254Im Einzelfall kann die Differenzierung zwischen hilfloser Lage und konkreter Gefahr aber auch im Rahmen der Nr. 1 Bedeutung erlangen. Verursacht der Täter durch eine Handlung sogleich einen konkreten Gefahrerfolg i. S. d. § 221 Abs. 1 und entsteht die hilflose Lage des Opfers erst dadurch, so ist der Tatbestand zu verneinen; die Versetzungshandlung darf also nicht zugleich die Gefahrenquelle darstellen712. Denn anderenfalls würde allein die Verursachung einer konkreten Gefahr zur Strafbarkeit führen713. Dies würde aber der Systematik des StGB widersprechen, wonach die bloße Verursachung einer konkreten Lebens- oder Leibesgefahr noch kein strafrechtlich relevantes Verhalten ist714.

Bsp.:715 T schlägt dem O mit einer Flasche Wodka auf den Kopf, so dass dieser mit lebensgefährlichen Verletzungen zusammenbricht. O wird nur dadurch gerettet, dass zufällig wenige Sekunden später ein Rettungswagen vorbeifährt. – T macht sich hier nicht nach § 221 Abs. 1 Nr. 1 strafbar, weil sich die konkrete Gefahr nicht durch eine hilflose Lage entwickelt hat; vielmehr entsteht die hilflose Lage gerade erst durch die Herbeiführung der konkreten Gefahr. Anders wäre aber zu entscheiden, wenn O nach einem Schlag längere Zeit verletzt liegen bleibt und deshalb eine konkrete Gefahr hervorgerufen oder gesteigert wird.

255e) Tritt eine konkrete Gefahr nicht ein, weil das Opfer anderweitig gerettet wird, dann bleibt der Täter nach Absatz 1 straffrei, weil es sich bei der Aussetzung um ein Vergehen handelt und die Strafbarkeit des Versuchs nicht ausdrücklich angeordnet ist.

Bsp.: T fährt aufgrund einer Sorgfaltspflichtverletzung Fußgänger F mit seinem PKW an. Obwohl T erkennt, dass F möglicherweise zu Tode kommen wird, entfernt er sich vom Unfallort. Ohne dass es zu einer konkreten Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung kommt, wird F durch einen zufällig vorbeikommenden Rettungswagen gerettet. – T hat sich mangels Eintritts einer konkreten Gefahr nicht gem. § 221 Abs. 1 Nr. 2 strafbar gemacht, obwohl er den F in hilfloser Lage im Stich ließ und er aufgrund der Verursachung des Unfalls eine Garantenstellung aus Ingerenz besaß. In Betracht kommt aber eine Strafbarkeit nach §§ 212, 211 (Verdeckungsabsicht), 22, 23, 13 in Tateinheit (§ 52 Abs. 1 Var. 1) mit § 142 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2; § 323c tritt hinter dem versuchten Mord durch Unterlassen im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurück. Auf Grund des Unfalls hat T ferner § 229 verwirklicht, der aber als mitbestrafte Vortat zurücktritt, weil die Sorgfaltspflichtverletzung, die das Fahrlässigkeitsdelikt begründet, zugleich Grundlage der Garantenstellung ist.

Strafrecht - Besonderer Teil I

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