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2. Strafloser Schwangerschaftsabbruch (Art. 119 schwStGB)

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Auch das schweizerische Strafrecht kennt sowohl eine Fristen- als auch eine Indikationenregelung.[398] Die Fristenregelung gemäss Art. 119 Abs. 2 schwStGB sieht die Straflosigkeit eines Schwangerschaftsabbruchs vor, wenn insgesamt fünf Voraussetzungen erfüllt sind.[399] Zunächst hat der Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten zwölf Wochen seit Beginn der letzten Periode zu erfolgen, wobei dem Abbruch ein schriftliches Verlangen der schwangeren Frau vorausgehen muss und sie – anders als in Deutschland – zusätzlich geltend zu machen hat, dass sie sich in einer Notlage befindet.[400] Ein schriftliches Verlangen kann aufgrund der höchstpersönlichen Natur eines Eingriffs in die körperliche Integrität – anders als nach teilweise vertretener Auffassung in der deutschen Lehre und Rechtsprechung – zweifelsohne auch von einer minderjährigen Schwangeren geltend gemacht werden, sofern sie urteilsfähig ist.[401] Die Notlage muss dabei nicht aus objektiver Sicht nachvollziehbar sein, es kommt lediglich auf die subjektive Wahrnehmung der Schwangeren selbst an, weshalb auch ein Verstoß gegen das Erfordernis der Geltendmachung einer Notlage keine Sanktionierung nach sich zieht.[402] Darüber hinaus darf der Abbruch nur nach einem eingehenden, persönlichen Beratungsgespräch durch einen zugelassenen Arzt vorgenommen werden.[403] Die Voraussetzungen, die an ein solches Beratungsgespräch geknüpft werden, sind in Art. 120 Abs. 1 lit. b schwStGB gesetzlich normiert. Gefordert wird demnach, dass die Schwangere durch den abbrechenden Arzt im Vorfeld über die gesundheitlichen Risiken des Eingriffs informiert und ihr gegen Unterschrift ein Leitfaden ausgehändigt wird.[404]

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Nach Ablauf der zwölfwöchigen Frist im Sinne der Fristenregelung (Art. 119 Abs. 2 schwStGB) kann ein strafloser Schwangerschaftsabbruch nur unter den Voraussetzungen einer Indikation gemäss Art. 119 Abs. 1 schwStGB vorgenommen werden. Die infrage kommenden Indikationen werden dabei anders als im deutschen Strafgesetzbuch allesamt in einem Artikel (Art. 119 Abs. 1 schwStGB) und weitaus weniger differenziert geregelt.[405] Als Indikationen kommen gemäss Gesetzeswortlaut die Gefahr einer schwerwiegenden körperlichen Schädigung (medizinische Indikation) oder eine schwere seelische Notlage der Schwangeren (sozial-medizinische Indikation) infrage.[406] Unter der sozial-medizinischen Indikation werden unter anderem auch die embryopathische, kriminologische und psychiatrische Indikation subsumiert.[407] Die Gefahr für die Schwangere muss laut Gesetzeswortlaut „umso grösser sein, je fortgeschrittener die Schwangerschaft ist“.[408] Darüber hinaus muss der Schwangerschaftsabbruch nach ärztlichem Urteil notwendig sein, um die (sozial-) medizinische Gefahrensituation der Schwangeren abwenden zu können.[409] Obwohl dem Gesetzeswortlaut in Art. 119 Abs. 1 schwStGB – im Vergleich zu § 218a StGB – selbst keine Anforderungen an die den Schwangerschaftsabbruch durchführende Person entnommen werden können, kann unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 119 Abs. 2 schwStGB (Fristenregelung) auch für die Indikationsregelung nichts anderes gelten, als dass nur ein zur Berufsausübung zugelassener Arzt den Abbruch der Schwangerschaft vornehmen darf.[410] Allerdings bleibt anzumerken, dass zwischen dem abbrechenden und dem indikationsfeststellenden Arzt keine Personenidentität vorliegen muss, demgegenüber ist gemäss § 218b Abs. 1 StGB eine Personenidentität des Arztes strengstens untersagt.[411] Schließlich muss die Schwangere – auch wenn nicht explizit in Art. 119 Abs. 1 schwStGB genannt – bei einer rechtfertigenden Indikation in den Abbruch einwilligen, wobei betreffend die Einwilligung minderjähriger oder urteilsunfähiger Schwangeren wiederum die Regelung in Art. 119 Abs. 3 schwStGB gilt, weshalb diesbezüglich auf die vorangehenden Ausführungen verwiesen werden kann.[412]

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Anders als im deutschen Strafgesetzbuch wird in Art. 119 Abs. 4 schwStGB festgehalten, dass die Kantone Praxen und Spitäler zu bezeichnen haben, welche den Voraussetzungen einer fachgerechten Durchführung des Abbruchs und einer eingehenden Beratung rechtsgenügend nachkommen. Darüber hinaus hat gemäss Art. 119 Abs. 5 schwStGB der abbrechende Arzt den Schwangerschaftsabbruch unter Wahrung der Anonymität der Schwangeren und seines Arztgeheimnisses zu statistischen Zwecken der zuständigen Gesundheitsbehörde zu melden.

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