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Inspiration und Kochen

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Vor allem ein Romanautor wird häufig mit der Frage konfrontiert, wie ihm das alles nur einfiele, woher die ganzen Inspirationen kämen und was er unternähme, wenn er nicht mehr weiterwisse. Diese Fragen sind gar nicht so leicht zu beantworten. Denn die oft zitierte Muse kommt so gut wie nie vorbei, sie treibt sich gerade dann, wenn man sie am dringendsten braucht, bei Autorenkollegen herum und ist dort am Küssen. Genauso unzuverlässig ist der Geistesblitz, die spontane Eingebung oder der überraschende Kreativschub. Solche Kicks überfallen einen schon ab und zu einmal, beim Reparieren des Rasenmähers zum Beispiel, aber dann kann man überhaupt nichts damit anfangen. Wenn ich hingegen über einem Text sitze, dann hakt es manchmal: Sie befanden sich in einer ungesicherten Felsnische in zweitausend Metern Höhe. »Wir kommen hier nicht mehr lebend raus!«, keuchte Polizeihauptmeister Ostler, worauf Kommissar Jennerwein sagte … Nein, sagte ist nicht gut. Da muss ein besseres Wort her. Was kann man statt sagen sagen? Vielleicht entgegnete oder erwiderte? Zu förmlich. Zurückgab?

Zu amtlich. Zurückkeuchte? Zu übertrieben. Hier wäre also ein Geistesblitz nötig. Und wie geht es überhaupt weiter in der ungesicherten Felsnische in zweitausend Metern Höhe? Keine Idee, kein Plan, der Kopf wie leergefegt.

Thomas Mann soll in solch einem Fall spazierengegangen und mit einem Füllhorn von Ideen zurückgekommen sein. Ludwig van Beethoven wiederum hat angeblich ein paar Gläschen Wein gezwitschert, bevor er sich wieder tatendurstig ans Klavier begeben hat. Andere sollen mit gutem Erfolg zum Fenster getreten sein, um den Frauen nachzugaffen. Während sich schließlich Dostojewski, Turgenjew und Tolstoj inspirationshalber ins nächstgelegene Spielkasino gestürzt haben dürften. Aber Spazierengehen habe ich schon als Kind gehasst, der Rotwein fällt bei mir ebenfalls flach, ich könnte danach keine einzige Zeile mehr zu Papier bringen. Bei der Frauen-Nachgaff-Lösung wiederum ist es so, dass ich etwas außerhalb des Ortes wohne, bis da mal eine Frau zum Nachgaffen vorbeikommt, ist der Abgabetermin vorüber! Und die Spielbank kann ich auch vergessen, weil ich außer choj! kein Russisch kann. Also was tun?

Da ist mir mein Lieblingsopernkomponist eingefallen. Gioacchino Rossini. Der soll sich in solch einem Fall die Küchenschürze umgebunden und gekocht haben. Anscheinend mit Erfolg, denn sowohl seine Superoper »Der Barbier von Sevilla« wie auch seine berühmten »Tournedos Rossini« sind weltberühmt geworden. Also auf gehts!, habe ich mir gedacht, bin gleich vom Schreibtisch aufgesprungen, habe Zwiebeln geschnitten und Kartoffeln geschält. Und es hat funktioniert! Der beißende Zwiebelgeruch hat den Kreativteil meines Gehirns gekitzelt. Tausende Synonyme für sagte sind mir eingefallen: betonte Jennerwein, ergriff Jennerwein das Wort, wandte Jennerwein ein, konterte Jennerwein, replizierte …

Seither pendle ich immer zwischen den beiden Welten, dem Computer und dem Herd, hin und her, am Herd kommt mir eine Idee für den Roman, am Schreibtisch fallen mir Gewürze ein, die beim Süppchen noch fehlen. Bei einem solchen sich aufschaukelnden Hin und Her(d) eignen sich besonders die Speisen, bei denen man immer wieder schnipseln und rühren und abschmecken, aber nicht dauernd danebenstehen muss. Also Eintöpfe, Suppen, Braten, Niedergargerichte. Das sind deshalb auch meine Lieblingsspeisen. Schauen Sie, wie die Ideen fließen: brachte zum Ausdruck, räsonierte, pardauzte (gut, habe ich jetzt erfunden, passt auch nicht so ganz, ist mir aber eingefallen), übermittelte, schrie, flüsterte, röchelte, stöhnte, kreischte, quietschte, schluchzte, konzedierte, tat kund, beteuerte, legte bloß, führte ins Feld, legte offen …

Aber jetzt bräuchte ich noch eine Idee, wie ich aus den tausend Synonymen für sagte das richtige, treffende herausschäle. Schnell eile ich wieder zum Herd. Etwas Safran. Eine Prise frisch gemahlenen Pfeffer. Ein Hauch Knoblauch. Eine Ahnung Liebstöckel. Und schon hatte ichs. Es wird, davon bin ich überzeugt, die zentrale Stelle meines neuen Romans: Sie befanden sich in einer ungesicherten Felsnische in zweitausend Metern Höhe. »Wir kommen hier nicht mehr lebend raus!«, keuchte Polizeihauptmeister Ostler. Kommissar Jennerwein schwieg.



Wer kocht, hat keine Zeit zu morden.

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