Читать книгу Wer kocht, hat keine Zeit zu morden. - Jörg Maurer - Страница 8
Die Bösen schlemmen – die Guten schlingen
ОглавлениеIn den letzten Jahren ist es in Mode gekommen, dass die Rezepte in einem Kochbuch nicht mit »250 g Weizenmehl, 2 Eier, 100 ml trockener Weißwein usw.« anfangen, sondern mit einer knorzigen Schilderung, wie der Kochbuchautor zu dem Rezept gekommen ist. Also so etwas wie: »Flirrende Hitze, die Luft dampfte, wir stiegen mit den Kindern Phoebe und Aglaia aus dem unerträglich heißen Wohnwagen und liefen hinunter zum Flussufer, hungrig wie die Wölfe, durstig wie die Wasserbüffel. Plötzlich trieb ein verwittertes Holzboot vorbei, und nachdem der Fischer sein Netz ausgeworfen hatte, zog er einen herrlich glänzenden, goldgelb schimmernden Zwiebelkuchen aus einem Korb und biss herzhaft hinein …«
Der Vorteil ist der, dass man diese Geschichte, wenn die Gäste am Tisch sitzen, als die eigene ausgeben kann: Wo wir das Rezept herhaben? Ach, Tante Gusti, das war reiner Zufall. Du musst dir vorstellen: kurz nach Straßburg, flirrende Hitze, die Luft dampfte, wir waren hungrig wie die Wölfe … Der Nachteil ist der, dass man, wenn man schnell mal einen Zwiebelkuchen zubereiten will, den man zum sonntäglichen »Tatort« essen will, sich erst durch die halbe Schöpfungsgeschichte lesen muss.
Zu den Rezepten in diesem Buch gibt es natürlich auch solche Histörchen, oft auch persönliche. Wenn ich zum Beispiel einen neuen Roman fertig geschrieben habe, wenn der letzte Satz endlich auf dem Papier steht, dann ist es Tradition im Hause Maurer, dass es selbst gewildertes Wildschweinragout gibt. Erst dann ist der Roman so richtig fertig. Wenn das Buch schließlich gedruckt und das neue Jennerwein-Abenteuer auf dem Markt erschienen ist, dann muss es zur Feier des Tages unbedingt »Risotto nero nach Art der Schweizer Mafia« geben, anders geht es gar nicht.
Wobei hier auffällt, dass gerade die Bösewichter zur Feinschmeckerei und ausführlichen Gourmetküche neigen, während die unermüdlichen Kommissare und Privatdetektive bei ihren mühseligen Observationen meist Bagels und Whoppchickenburger verdrücken und dazu hochzuckerhaltige Gebräue schlabbern. Draußen gibt es Fastfood, drinnen in der warmen Stube löffeln die Schurken beim Planen von Entführungen und Banküberfällen Kaviar, Trüffelbutter und Hummer-Soufflé. Alles selbst zubereitet natürlich. Denn beim Kochen kann man schon mal auf kriminelle Ideen kommen, sind doch die meisten Küchen wahre Waffenkammern: gefährlich brodelnde Töpfe mit kochend heißen Flüssigkeiten, blitzende Messer und Hackebeile, schwere gusseiserne Pfannen, heiser röchelnde Fritteusen, aus denen jederzeit explosives Fett spritzen kann – es ist ein Wunder, dass immer noch mehr gegessen als gemordet wird. Auch im Hause Maurer.
Also, das Kochbuch beginnt jetzt mit einem leckeren Zwiebelkuchen, und das Rezept hat eine witzige Hintergrundgeschichte: Ich saß im Zug nach Straßburg, ich fuhr zu einer Lesung, draußen flog das Elsass vorbei. Es brodelte vor Hitze, ich hatte Hunger wie ein Wolf, im Gang hatte mich ein Mann angerempelt. Später stellte ich fest, dass meine Geldbörse fehlte. Das war nicht schön, aber er hatte stattdessen einen Zettel in meiner Tasche hinterlassen, mit dem Rezept eines Gerichts, das er »Zwiebelkuchen nach Art der Elsässer Taschendiebe« nannte …