Читать книгу Der tolle Halberstädter. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges - Jörg Olbrich - Страница 11
ОглавлениеPrag, 19. Juli 1621
Als er die Tränen in den Augen von Maria Magdalena von Buquoy sah, schaute Hermann in eine andere Richtung und ließ die Witwe den Brief in Ruhe zu Ende lesen. Er hatte schnell wieder gehen wollen, nachdem er ihr das Schreiben überreicht hatte, sich aber von ihr zum Bleiben überreden lassen. Dies bereute er jetzt.
Nachdem Hermann die ehemaligen Söldner getötet hatte, war er schnell und ohne weitere Zwischenfälle vorangekommen und hatte Prag in wenigen Tagen erreicht. Auch hier wollte er sich nicht länger aufhalten, als unbedingt nötig und so schnell wie möglich zu General von Tilly gelangen.
»Habt Ihr meinen Gemahl gekannt?«, fragte die Gräfin mit belegter Stimme.
»Ja. Ich war fast zwei Jahre in seinem Heer.«
»Ich habe ihn angefleht, mit mir hier in Prag zu bleiben. Er versprach mir, nur noch diesen einen Feldzug nach Ungarn zu führen. Mit den Gütern, die er dafür erhielt, wollte er uns ein reiches Leben ermöglichen. Jetzt ist er tot.«
Hermann fühlte sich mehr als unwohl in seiner Haut. Er wusste nicht, was er der Gräfin auf ihre Worte antworten sollte. Als sie aufstand, erkannte er die Wölbung ihres Bauches unter dem Kleid. Der Feldwebel spürte einen Kloß im Hals. Maria Magdalena war eine sehr schöne und jetzt auch sehr reiche Frau. Ihr Kind würde sie aber alleine aufziehen müssen.
»Euer Verlust tut mir außerordentlich leid«, sagte Hermann und erkannte im gleichen Moment, wie leer seine Worte klangen. Er war jetzt nicht der, den die Gräfin brauchte, um Trost zu finden. »Wenn Ihr erlaubt, werde ich mich jetzt zurückziehen«, sagte er daher.
»Werdet Ihr zurück nach Ungarn gehen?«
»Nein. Mein Weg führt mich in die Oberpfalz.«
»Auch dort herrscht Krieg.«
»Ja.«
»Ich gebe Euch einen guten Rat«, sagte die Gräfin bitter. »Verlasst das Heer und sucht Euer Glück an einer anderen Stelle. Ihr seht ja, was der Krieg meinem Gemahl eingebracht hat.«
»Das kann ich nicht tun.«
»Warum könnt Ihr das nicht? Was glaubt Ihr, wird es in der Oberpfalz für Euch geben?«
»Ich weiß es nicht.«
»Aber ich. Hunger, Tod und Seuchen. Ihr werft Euer Leben weg!«
Hermann verabschiedete sich von Maria Magdalena von Buquoy und war froh, als er die frische Luft im Freien einatmen konnte. Er wollte jetzt den zweiten Brief loswerden und Prag noch am gleichen Tag verlassen.
***
»Ich habe Euch zu mir gebeten, weil ich eine traurige, aber sehr wichtige Nachricht für Euch habe«, sagte Karl Fürst von und zu Liechtenstein und schaute nachdenklich auf ein Schreiben, das vor ihm auf dem Tisch lag.
»Geht es um Wallenstein?« Philipp Fabricius, der ehemalige Sekretär der Statthalter in der Prager Burg, saß mit gemischten Gefühlen im Audienzzimmer und hoffte, seine alte Wirkungsstätte schnell wieder verlassen zu können. Die Erinnerung an den Beginn des protestantischen Aufstandes, bei dem er vor drei Jahren gemeinsam mit zwei Statthaltern aus dem Fenster geworfen worden war, wogen noch zu schwer. Philipp hatte eine schreckliche Zeit hinter sich und hoffte, diese nun schnell vergessen zu können.
»Graf von Buquoy ist in Ungarn gefallen«, sagte von Liechtenstein.
Philipp sah den Delegierten des Kaisers, der derzeit die Amtsgeschäfte in Böhmen führte, überrascht an. Er selbst hatte den Spanier nicht gekannt und hatte befürchtet, seinem neuen Herren Albrecht von Wallenstein könnte etwas zugestoßen sein. »Warum erzählt Ihr mir vom Tod des Grafen?«, fragte Philipp und bemühte sich dabei, sich seine Erleichterung darüber, dass es nicht von Wallenstein getroffen hatte, nicht anmerken zu lassen. »Ich hatte nie etwas mit Buquoy zu tun.«
»Das weiß ich«, entgegnete von Liechtenstein unwirsch. »Wie viel wisst Ihr von den Plänen Wallensteins?«
»Er befindet sich mit einem Regiment in Mähren, um den Markgrafen Jägerndorf an einer Vereinigung mit Bethlen Gábor zu hindern.« Noch immer verstand Philipp nicht so recht, was ihm von Liechtenstein mitteilen wollte.
»Wann erwartet Ihr Euren Herren zurück?«
»Er sagte mir, dass er spätestens im Spätsommer nach Prag zurückkommen wolle, und hat mich beauftragt, während seiner Abwesenheit die Verwaltung seiner Güter zu sichern.«
»Seid Ihr dieser Aufgabe auch für einen längeren Zeitraum gewachsen?«
»Wie meint Ihr das?« Philipp spürte, wie leichter Ärger in ihm aufstieg. Er kannte von Liechtenstein schon seit vielen Jahren und hatte ihn immer für einen Ehrenmann gehalten. Jetzt hatte er die Befürchtung, dass der Fürst die Abwesenheit von Wallensteins nutzen wollte, um sich über ihn an dessen Gütern zu bereichern. »Ich genieße das volle Vertrauen meines Herren«, sagte er energisch. »Es besteht kein Anlass, dass Ihr Euch mit seinen Belangen auseinandersetzt.«
»Darum geht es nicht«, sagte Liechtenstein und hob beschwichtigend die Hände.
»Worum dann?«
»Mit dem Tod Buquoys wird Albrecht von Wallenstein zum obersten Befehlshaber in Mähren. Er muss verhindern, dass Bethlen Gábor erneut gegen Wien zieht und dafür sorgen, dass die Ungarn nicht weiter vorrücken. Aus diesem Grund wird Wallenstein wohl länger fortbleiben, als er es ursprünglich beabsichtigte. Ich will lediglich sicherstellen, dass in Prag in der Zwischenzeit alles zu seiner Zufriedenheit geregelt ist.«
»In diesem Punkt braucht Ihr Euch nicht zu sorgen«, sagte Philipp jetzt wieder mit deutlich freundlicher Stimme. »Hier wird alles so geschehen, wie es mir Albrecht von Wallenstein aufgetragen hat.«
»Ich danke Euch. Mit der Verwaltung Böhmens habe ich alle Hände voll zu tun und bin froh, Wallensteins Angelegenheiten in guten Händen zu wissen.«
Philipp sah dem Fürsten die Erleichterung an und er glaubte, dass von Liechtenstein aufrichtig zu ihm war. Er wusste, dass sein Herr und der Verwalter Böhmens zahlreiche gemeinsame Interessen hatten. Dennoch war er überrascht, wie besorgt der Fürst um den Besitz von Wallensteins war. Das Bündnis zwischen den beiden musste noch enger sein, als Philipp bisher geahnt hatte. Er nahm sich vor, in Zukunft noch besser darauf zu achten, mit wem sein Herr in geschäftlichen Beziehungen stand. Auch für ihn selbst konnte es irgendwann wichtig sein, genau zu beobachten, was von Wallenstein außerhalb Prags unternahm.
»Sollte es doch Probleme mit der Verwaltung der Güter geben, lasst es mich wissen«, sagte von Liechtenstein und erhob sich.
Für Philipp war dies das Zeichen dafür, dass das Gespräch beendet war. Er beeilte sich, die Prager Burg zu verlassen und atmete erleichtert auf, als er wieder im Freien stand. Auf dem Weg zurück zu seiner Gemahlin, die in von Wallensteins Anwesen auf ihn wartete, dachte er über seine Zukunft nach. Er hatte bewusst darauf verzichtet, seine alte Stelle in der Prager Burg wieder aufzunehmen und sich von seiner neuen Anstellung erhofft, nie wieder etwas mit dem Krieg zwischen den Protestanten und dem Kaiser zu tun zu bekommen. Spätestens jetzt wurde ihm klar, dass er seinem Schicksal nicht entfliehen konnte.
***
»Du siehst erschöpft aus, mein Kind«, begrüßte Polyxena von Lobkowitz Magdalena und nahm die junge Frau in die Arme.
»Es geht mir gut. Ihr müsst Euch nicht um mich sorgen.«
»Das sagst du immer«, entgegnete die Gräfin und lächelte ihre Besucher freundlich an. »Kommt erst einmal herein. Diepold wird auch jeden Moment hier sein. Er wollte nur noch sein Pferd zu den Knechten bringen.«
Philipp und Magdalena ließen sich nicht zweimal bitten und nahmen die Einladung der Gräfin freudig an. Seitdem sie auf von Wallensteins Anwesen wohnten, besuchten die beiden das Ehepaar von Lobkowitz mindestens einmal in der Woche. So konnten sie sich über die neuesten Entwicklungen in der Stadt austauschen, die gerade für die Bürger von Prag nicht sehr glücklich verliefen.
Die Armut schien von Tag zu Tag größer zu werden. Dennoch kamen immer mehr Menschen in die Stadt. Viele hatten kein Dach über dem Kopf und lebten auf der Straße. Noch war es Sommer und selbst in den Nächten noch angenehm warm. Es würde aber nur noch wenige Wochen dauern, bis die ersten Toten auf den Straßen Prags zu beklagen waren.
»Ich hörte, du warst heute bei Liechtenstein«, sagte Polyxena, nachdem sie alle im Saal Platz genommen hatten, und auch Diepold zu ihnen gestoßen war.
»Er hat mir gesagt, dass Graf von Buquoy auf dem Schlachtfeld gefallen ist.«
»Davon haben wir bereits gehört«, sagte Polyxena, die sich offensichtlich eine ausführlichere Antwort erhofft hatte.
Philipp wunderte sich nicht, dass die von Lobkowitzes bereits über den Tod des Spaniers informiert waren. Es gab zahlreiche Quellen, von denen die Adeligen alles erfuhren, was in der Stadt und anderswo vor sich ging. Er wollte allerdings nicht alles preisgeben, was er mit von Liechtenstein besprochen hatte. So dankbar er Polyxena und Diepold auch für alles war, was sie für ihn und vor allem für Magdalena getan hatten, Philipp fühlte sich jetzt vor allem seinem neuen Herren verpflichtet und wollte nicht über dessen Angelegenheiten sprechen.
Zu Philipps Erleichterung hakte die Gräfin nicht weiter nach und erkundigte sich stattdessen nach dem Befinden seiner Gemahlin. Nachdem sie vor zwei Jahren ihr erstes Kind verloren hatte, als Philipp von der Stadtwache verhaftet worden war, sorgten sich Polyxena und Diepold fast genauso sehr um Magdalena wie Philipp selbst. Sie erwarteten die Niederkunft für den Herbst, und Philipp betete jeden Tag dafür, dass dieses Mal alles gut verlief.
»Es war richtig, dass du die Anstellung bei Wallenstein übernommen hast«, wandte sich Polyxena schließlich wieder an Philipp. »So hältst du dich von jedem Ärger fern und kannst dich besser um dein Weib kümmern.«
»Albrecht von Wallenstein hat mir einiges aufgetragen und es bereitet mir viel Arbeit, seine Wünsche zu erfüllen«, sagte Philipp. »Dennoch bin ich sehr zufrieden. Es fehlt uns an nichts und wir leben in Sicherheit. Ich mag nicht daran denken, was uns in der Stadt alles geschehen könnte, wenn wir in einer der völlig überfüllten Straßen leben würden.«
»Es ist eine Schande, wie sich alles in der Stadt entwickelt hat«, pflichtete Polyxena Philipp bei und schüttelte energisch den Kopf. »Es wird Zeit, dass von Liechtenstein den Pöbel einsperren, oder aus der Stadt jagen lässt.«
»Wo sollen die Menschen denn hin?«, fragte Philipp und sah die Gräfin herausfordernd an. Ihm taten die Bauern leid, die ihre Höfe verloren hatten und jetzt in Prag jeden Tag ums Überleben kämpfen mussten.
»Ich weiß, dass du ein Herz für das arme Volk hast«, lenkte Polyxena ein. »Dennoch muss sich schnell etwas in der Stadt tun. Der Krieg ist noch nicht vorbei. Es gibt genug Männer in der Stadt, die sich als Söldner ihren Lebensunterhalt verdienen könnten.«
»Das ist nicht so leicht, wie Ihr denkt«, widersprach Philipp. »Ich war beim Heer und habe gesehen, unter welch schrecklichen Bedingungen die Soldaten ihr Dasein fristen. Sie haben nicht genug zu essen und viele tragen nur noch zerrissene Kleidung am Leib. Oft erhalten sie keinen Sold und müssen sich durch Plünderungen am Leben erhalten.«
»Wir kennen die Probleme«, sagte Diepold und legte seine Hand auf Philipps Schulter. »Der Kaiser hat nicht genug Geld, um die Söldner angemessen bezahlen zu lassen.«
»Und bis sich Prag vollständig von der Belagerung und deren Folgen erholt hat, wird es wohl auch noch Jahre dauern«, sagte Philipp traurig.
»Das ist alles die Schuld der aufständischen Protestanten!«, sagte Polyxena verärgert.
»Sie haben ihr Handeln mit dem Leben bezahlt«, hielt Philipp dagegen.
»Und das ist auch recht so«, sagte Polyxena mit erhobener Stimme. Ihre leicht geröteten Wangen zeigten, wie sehr sie sich noch jetzt über die protestantischen Stände ärgerte. »Denk nur daran, was sie dir und deinem Weib angetan haben. Du solltest dich nicht auf ihre Seite stellen.«
»Das tue ich ja nicht«, erklärte Philipp ruhig. Es lag nicht in seiner Absicht, die Gräfin und ihren Gemahl weiter zu reizen. Ihre Auffassung teilen konnte er dennoch nicht. Die einfachen Menschen waren nicht die Schuldigen an diesem Krieg, hatten aber am meisten darunter zu leiden.
»Kaiser Ferdinand hat fast den kompletten protestantischen Adel enteignet und entweder hinrichten, oder einsperren lassen«, erklärte Philipp. »Für die konfiszierten Güter hat er lediglich einen kleinen Teil des tatsächlichen Wertes erhalten. Er stünde wesentlich besser, wenn er den Adeligen einen kleinen Teil ihrer Güter gelassen und sie mit Abgaben belegt hätte. Die Männer hätten alles dafür getan, die Forderungen des Kaisers zu erfüllen.«
»Da magst du recht haben«, sagte Diepold und kam damit seiner Gemahlin zuvor, die gerade zu einer heftigen Antwort ansetzen wollte. »Ferdinand musste aber auch an die Adeligen denken, die ihm treu zur Seite gestanden hatten und sie für ihre Verluste entschädigen. Vergiss nicht, wie sehr auch dein Herr von der Großzügigkeit des Kaisers profitiert hat.«
»Wollen wir hoffen, dass der Krieg nun ein schnelles Ende findet«, wechselte Philipp das Thema, bevor das Gespräch mit den von Lobkowitzes in einen größeren Streit ausarten konnte. Er wusste, dass die beiden ebenfalls zu den größten Gewinnern des Krieges gehörten, und hatte nie die Absicht, ihnen das zum Vorwurf zu machen. Er war lediglich der Meinung, dass die protestantischen Stände zu hart bestraft worden waren.
»Wichtig ist, dass Bethlen Gábor nicht weiter nach Wien vorrücken kann«, sagte Diepold.
Philipp schaute den Grafen dankbar an. Diepold war wesentlich besonnener als seine Gemahlin, die vermutlich kurz davor stand etwas zu sagen, was sie vielleicht später bereuen konnte. Das Gespräch drehte sich jetzt noch etwa eine halbe Stunde um den Krieg in Ungarn und den Kampf der katholischen Liga gegen Graf von Mansfeld. Danach verabschiedeten sich Philipp und Magdalena und verließen das Anwesen.
»Du darfst Polyxena nicht so sehr reizen«, sagte Magdalena auf dem Weg zu ihrem eigenen Haus, das auf dem Gelände von Albrecht von Wallenstein stand.
»Es tut mir leid«, sagte Philipp und nahm sein Weib in den Arm. »Es fällt mir einfach schwer, unsere Stadt jeden Tag mehr zerfallen zu sehen. Ich habe die meisten Männer gekannt, die vor zwei Monaten vor dem Rathaus hingerichtet worden sind. Nur die wenigsten unter ihnen haben den Tod verdient.«