Читать книгу Der tolle Halberstädter. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges - Jörg Olbrich - Страница 7
ОглавлениеDen Haag, 13. April 1621
»Seid Ihr Eurer Cousine schon einmal begegnet?«, fragte Landgraf Moritz von Oranien-Nassau.
»Nein.«
»Ihre Schönheit und ihre Anmut sollen atemberaubend sein.«
»Ich weiß nur, dass sie eine Königin ohne Reich ist.« Herzog Christian von Braunschweig ritt gelangweilt neben dem Landgrafen her, der eine Vertretung der niederländischen Generalstände aus Den Haag anführte, um den böhmischen König Friedrich V. und seine Gemahlin Elisabeth Stuart zu begrüßen. Zunächst hatte der Herzog nicht mitreiten wollen, sich dann allerdings von Moritz dazu überreden lassen. Trotz seines noch jungen Alters hatte der Halberstädter klare Vorstellungen von seiner Zukunft, in der er sich als mächtiger Feldherr sah. Friedrich aus der Pfalz sah er als Feigling an, der vor seinen Feinden davonlief.
»Ihr werdet anders über sie denken, wenn Ihr sie erst kennengelernt habt.« Der Landgraf hob eine Augenbraue und betrachtete Christian abschätzend.
»Ich bin der Meinung, dass Friedrich in der Pfalz um seine Kurwürde kämpfen sollte, wenn er diese nicht auch noch verlieren will.« Der Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel spuckte verächtlich auf den Boden. Die aufrechte Haltung und die leicht hochgezogenen Augenbrauen zeigten die Überheblichkeit, die der junge Halberstädter seinen Mitmenschen gegenüber an den Tag legte.
»Es ist nicht seine Schuld, dass er aus Böhmen fliehen musste. Und erst recht nicht die Eurer Cousine.«
Christian antwortete nicht. Er wusste, dass Moritz den Kampf um die Pfalz nur ungern abgebrochen hatte und am liebsten dorthin zurückgekehrt wäre. In diesem Punkt war der Herzog von Braunschweig mit dem Landgrafen einer Meinung. Als Rittmeister hatte er ein Heer von fast vierhundert Reitern angeführt. Sie hatten mehrere Kämpfe gegen die Spanier ausgefochten und deren Oberst Spinola dabei in arge Bedrängnis gebracht. In der Nähe von Worms hätten sie beinahe einen entscheidenden Sieg errungen.
Nachdem die evangelische Union sich aber aus den Kämpfen in Hessen und der Rheinpfalz herausgehalten hatte und inzwischen kurz vor der Auflösung stand, hatte Moritz von Oranien-Nassau den Rückzug befohlen, um sein Heer nicht völlig aufzureiben. Hinzu kam, dass der zwölfjährige Friedensvertrag zwischen Spanien und den Niederlanden bald auslief, und die Truppen somit zur Verteidigung des eigenen Landes benötigt wurden.
Sehr zum Unwillen seiner Mutter war Christian daraufhin nicht nach Halberstadt zurückgekehrt. Diese wünschte sich, er würde genau wie sein Bruder Friedrich Ulrich in der Heimat bleiben, wo Christian bereits im Alter von siebzehn Jahren das Amt des Bischofs übernommen hatte. In der kurzen Zeit in dem Amt hatte er die Kirche und deren Oberhäupter hassen gelernt und sich dem Krieg zugewandt. Jetzt saß er bereits seit mehreren Wochen in Den Haag und wartete darauf, dass man ihm endlich eine ehrenvolle Aufgabe übertrug.
Inzwischen hatten Moritz und seine Begleiter den Ort erreicht, an dem sie das vertriebene Königspaar in Empfang nehmen wollten.
»Wie lange werden uns Friedrich und sein Gefolge noch hier warten lassen?«, fragte Christian.
»Es kann nicht mehr lange dauern«, entgegnete Moritz ungehalten. Obwohl sich die beiden schon seit einigen Jahren kannten und inzwischen gut befreundet waren, reagierte der Landgraf noch immer verärgert auf die Aufmüpfigkeit des jungen Herzogs. Wenige Minuten später kündigte eine Staubwolke am Horizont die Ankunft der Königsfamilie an.
Christian wollte das Moritz gegenüber nicht zugeben, war allerdings doch gespannt darauf, seine Cousine und ihren Gemahl kennenzulernen. Sie waren etwa in seinem Alter und hatten in Böhmen eine schreckliche Zeit erlebt.
Die Kutsche des Königspaars hielt an, und Christian schaute belustigt zu, wie der Landgraf von seinem Pferd stieg und seinen Gästen die Tür aufhielt. Der Herzog hatte Moritz kämpfen gesehen und wusste, wie gnadenlos er gegen seine Feinde vorging. Das Gehabe, welches er jetzt an den Tag legte, kannte Christian nicht von ihm.
Als Erster stieg Friedrich aus. Der Kurfürst der Pfalz wirkte gebrochen und müde. Die Strapazen der monatelangen Flucht waren nicht spurlos an ihm vorübergegangen und nur die standesgemäße Kleidung sprach noch von seiner adeligen Herkunft. Ganz anders Elisabeth Stuart. Als sie die Kutsche verließ, hatte Christian nur noch Augen für seine Cousine. Ihre Schönheit, die noch atemberaubender war, als es die schillerndsten Erzählungen hatten erwarten lassen, schien ungebrochen. Sie strahlte Würde und Erhabenheit aus. Dazu einen Glanz, wie ihn der junge Herzog bei noch keinem Weib gesehen hatte. Nichts an ihrem Äußeren wies auf die Strapazen hin, die sie in der langen Zeit nach dem Fall Prags hatte erleiden müssen. Ihre seidigen Haare schienen zu leuchten, ihre hellen Augen strahlten.
Elisabeth half ihren vier Kindern aus der Kutsche und wandte sich erst dann den Gesandten der Stadt Den Haag zu. Christian verliebte sich augenblicklich in das Lächeln, das ihm seine Cousine zuwarf, und merkte erst jetzt, dass er sie die ganze Zeit über mit offenem Mund angestarrt hatte. Verlegen zupfte er an seiner ausladenden Halskrause. Er wusste, dass er sie niemals besitzen konnte. Aber in diesem Moment entschloss er sich, seiner Königin zu dienen.
***
An den nächsten drei Abenden gab es prächtige Empfänge im Schloss von Den Haag. Der niederländische Adel versammelte sich, um das Königspaar aus der Pfalz kennenzulernen. Landgraf Moritz von Oranien-Nassau bat den Herzog aus Braunschweig, an diesen Empfängen teilzunehmen, was dieser nur zu gerne tat, war er doch so in der Nähe seiner geliebten Cousine.
Jedes Wort, das Elisabeth an den Herzog von Braunschweig richtete, verursachte ein Brennen in seinem Bauch, das sich bis zum Hals hochzog und ihm das Sprechen fast unmöglich machte. Die englische Königstochter schien sich schnell an das Leben im niederländischen Exil zu gewöhnen. Dass sie nur englisch sprach, machte Elisabeth für Christian noch geheimnisvoller und erhabener.
Die Generalstände hatten dem Königspaar ein Haus in der Nähe des landgräflichen Schlosses zugewiesen. Dieses wurde jetzt unter Anleitung des pfälzischen Oberhofmeisters Albrecht von Solms eingerichtet, damit es den Bedürfnissen von Elisabeth und Friedrich entsprach.
Am dritten Abend wurde es Christian zu viel. Er saß zu weit von seiner Cousine entfernt, um ein Gespräch mit ihr führen zu können. Die anderen Gäste interessierten ihn nicht. Der Herzog nahm seinen Weinkelch und trat auf die Terrasse des Schlosses. Dort traf er auf Friedrich V., der gedankenverloren an einer Säule stand.
»Was bereitet Euch Kummer?«, sprach Christian den Gemahl seiner Cousine an. Er beneidete ihn darum, dass er jeden Tag mit Elisabeth zusammen sein durfte, schob diesen Gedanken allerdings zur Seite. Wenn er sich mit dem böhmischen König, als den Friedrich sich selbst immer noch sah und auch kein Geheimnis aus dieser Auffassung machte, gut hielt, kam er auch näher an Elisabeth heran.
»Ich bin ein König ohne Reich und auf die Almosen meiner Verwandten angewiesen.«
»Noch seid Ihr der Kurfürst der Pfalz.« Christian war von der Offenheit des Königs überrascht und entschloss sich, die Gelegenheit zu nutzen, um mehr über die Lage Friedrichs zu erfahren.
»Auch diese Würde wird nicht mehr lange mein sein. Herzog Maximilian setzt alles daran, die Pfalz zu unterwerfen. Er wird nicht eher ruhen, bis er selbst vom Kaiser zum Kurfürsten ernannt wird.«
»Ihr dürft das nicht zulassen und müsst die katholische Liga aus der Pfalz vertreiben. Stellt ein Heer auf und schickt es gegen Maximilian und Tilly! Ich werde Euch als Offizier dienen und dabei helfen, den Feind zu bezwingen.«
»Es gibt bereits ein Heer, das sich der katholischen Liga in der Pfalz entgegenstellt.«
»Ihr meint Graf Ernst von Mansfeld.«
»Er wird in meinem Sinne handeln.«
»Wird er das wirklich?«, gab Christian zweifelnd zurück. »Wenn die Truppen kein Geld bekommen, wird auch Mansfeld überlegen müssen, ob er sich es leisten kann, weiterhin für Eure Sache zu kämpfen.«
»Noch habe ich Verbündete in England und den Niederlanden, die mich auch finanziell unterstützen«, antwortete Friedrich trotzig.
»Wenn Mansfeld zu Herzog Maximilian oder den Spaniern überläuft, haben wir ein weiteres Heer, das gegen uns steht.«
»Genau deshalb darf dies nicht geschehen. Böhmen habe ich verloren, um die Pfalz will ich kämpfen. Elisabeth hat es nicht verdient, ihr Leben im Exil zu verbringen.«
In diesem Punkt gab Christian dem Kurfürsten recht, traute ihm aber nicht zu, aus eigener Kraft gegen Maximilian oder Ferdinand vorzugehen.
»Wäre es nicht möglich, den Krieg jetzt zu beenden?«, fragte Christian, der wusste, dass der Kaiser ein dahingehendes Angebot gemacht hatte.
»Der spanische Hof will, dass ich zu Gunsten meines ältesten Sohnes als Kurfürst der Pfalz abdanke.«
»Wäre das eine Option?«
»Nein. Heinrich Friedrich müsste nach Wien gehen und würde dort in der Familie des Kaisers aufwachsen. Ferdinand hätte dann genauso das Sagen über die Kurpfalz, wie wenn er sie erobern würde.« Trotz Friedrichs offensichtlichem Kummer bemühte er sich sehr um einen sachlichen Tonfall.
»Was sagt Eure Gemahlin dazu?«
»Elisabeth würde nie zustimmen, dass unser Sohn uns verlässt, auch wenn ihr Vater genau dies von ihr verlangt. Heinrich ist gerade erst sieben geworden.«
Friedrich nahm einen Schluck Wein und sah Christian niedergeschlagen an. »Alles, was ich mir wünsche, ist ein friedliches Leben mit meiner Gemahlin und den Kindern. Ich hätte Heidelberg niemals verlassen dürfen.«
»Ihr dürft die Hoffnung nicht aufgeben. Noch ist die Pfalz nicht verloren.« Kurz darauf nickte Christian dem Kurfürsten zum Abschied zu und begab sich dann auf den Weg in seine Gemächer. Er war fest entschlossen, etwas zu unternehmen. Nicht für den schwächlichen Friedrich, der in Christians Augen in Prag nicht mehr als ein Handlanger der protestantischen Stände gewesen war, aber für Elisabeth.
***
Mit jedem weiteren Tag in Den Haag wurde Christian des Hoflebens überdrüssiger. Es gab nichts zu tun, und auch die Reiter seiner Leibgarde zeigten, wie sehr sie sich langweilten. Elisabeth, die ihm den einen oder anderen Moment hätte versüßen können, sah er nur selten. Die böhmische Königin lebte zurückgezogen in ihrem Hof und widmete ihre ganze Leidenschaft der Einrichtung ihres Hauses und der Erziehung der Kinder. Wie Christian von Friedrich erfahren hatte, war sie wieder guter Hoffnung, auch wenn es ihr noch nicht anzusehen war.
An einem warmen Frühlingstag entschloss sich Elisabeth, mit zwei ihrer Hofdamen auszureiten und sich die Nordseeküste anzusehen, die nicht weit von Den Haag entfernt war. Friedrich musste Christian nicht lange bitten, die Damen gemeinsam mit ihm selbst zu begleiten. Für das Lächeln, das der Herzog an diesem Tag von seiner Königin geschenkt bekam, wäre er bereit gewesen zu töten.
Um seine Königin jederzeit im Blick zu haben, ritt Christian ein Stück hinter Elisabeth und ihren Begleiterinnen. Er sah, wie sie, ohne es zu bemerken, einen Handschuh verlor, ritt zu der Stelle und hob das samtweiche Stück auf. Erst jetzt bemerkte Elisabeth ihren Verlust und forderte ihren Vetter auf, ihr den Handschuh zu reichen.
Christian dachte gar nicht daran, stieg zurück auf sein Pferd und lächelte Elisabeth zu. »Mylady, ich behalte diesen Handschuh bei mir. In der Pfalz werde ich ihn Euch zurückgeben.« Der Herzog von Braunschweig war fest entschlossen, dieses Versprechen auch einzulösen und drückte das kostbare Stück an sich wie einen Schatz.