Читать книгу Der tolle Halberstädter. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges - Jörg Olbrich - Страница 15

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Prag, 04. Oktober 1621

»Es ist ein Junge. Du kannst jetzt zu Magdalena und dem Kind.«

Philipp starrte Polyxena für eine Sekunde fassungslos an. Dann sprang er auf und stürmte an der Gräfin vorbei ins Zimmer, in dem er beinahe die Amme umrannte, die lachend zur Seite sprang. Zunächst traf ihm beim Anblick des blassen Gesichts seiner Gemahlin und ihrer schweißnassen Haare, die an der Kopfhaut klebten, der Schock. Dann sah er das Lächeln, mit dem Magdalena den Jungen anschaute und er wusste, dass alles in Ordnung war.

Die Sorgen, die den jungen Gutsverwalter in den letzten Wochen geplagt hatten, waren wie weggefegt; das qualvolle Warten der letzten Stunden vergessen. Jetzt hatte Philipp nur noch Augen für seine geliebte Magdalena und das winzige Menschlein in ihren Armen. Er merkte nicht, wie Polyxena der Amme ein Zeichen gab und gemeinsam mit ihr das Zimmer verließ. »Geht es dir gut?«, stammelte er besorgt und blieb vor dem Bett stehen, als traue er sich nicht näher an die beiden heran.

»Du kannst ruhig zu mir kommen«, antwortete Magdalena und lächelte ihren Gemahl an. »Es ging mir noch nie besser. Ich bin nur ein bisschen erschöpft.«

Mit einem noch nie erlebten Glücksgefühl, das von seinem Bauch aus bis in den Kopf anstieg, ging Philipp auf seine Gemahlin zu, beugte sich zu ihr herunter und küsste sie zärtlich auf die Stirn. Dann schaute er zu seinem Sohn. »Er ist wunderschön. Wie seine Mutter.«

Magdalena lachte auf und gab ihrem Gemahl einen sanften Stoß. »Ich würde ihn gerne nach meinem Vater benennen, wenn du nichts dagegen hast«, sagte sie schließlich.

»Gut. Dann soll unser Sohn Jakub heißen.« Bisher hatte sich Philipp noch keine Gedanken darüber gemacht, welchen Namen ihr Kind bekommen sollte. Jetzt wurde ihm klar, dass sich Magdalena mit dieser Frage schon deutlich länger beschäftigt hatte. Bei einem Mädchen hätte sie sicher den Namen ihrer Mutter vorgeschlagen. Nachdem ihre Eltern vor drei Jahren gestorben waren, konnte Philipp diesen Wunsch mehr als verstehen.

In den nächsten Minuten genoss das junge Paar sein Glück und wurde erst wieder auf die Umgebung aufmerksam, als es an der Tür klopfte. Die Amme kehrte zurück in den Raum, damit sie sich um das Kind kümmern konnte, und auch Polyxena und Diepold kamen herein. Philipp war froh über die Anwesenheit der beiden. Während es sich Polyxena nicht hatte nehmen lassen, die Niederkunft persönlich zu begleiten, war Diepold bei ihm geblieben, um ihm Mut zuzusprechen, als ihn Magdalenas Schreie beinahe in den Wahnsinn getrieben hatten.

Nach einer halben Stunde entschied Polyxena, dass die frischgebackene Mutter nun Aufregung genug gehabt hatte, und führte die Männer nach draußen. Philipp sah ein, dass sich Magdalena ausruhen musste, wäre aber dennoch lieber bei ihr geblieben.

***

Am nächsten Morgen begab sich Philipp in seine Schreibkammer, nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass seine Gemahlin und Jakub wohlauf waren. Magdalena war noch immer etwas blass, fühlte sich aber bereits so gut, dass sie sogar ein kleines Frühstück einnehmen konnte. Philipp wäre gerne den ganzen Tag über bei ihr geblieben. In den letzten Tagen hatte sich die Arbeit auf seinem Schreitisch aber derartig aufgetürmt, dass er sich wohl oder übel damit auseinandersetzen musste, wenn er sich keine Rüge von von Wallenstein einfangen wollte. Der war zwar noch immer in Mähren, würde es aber merken, wenn sein Verwalter nicht alles zu seiner Zufriedenheit erledigte.

Zunächst nahm sich Philipp einen Brief von Albrecht von Wallenstein vor, der seinen Verwalter darin über die aktuellen Entwicklungen unterrichtete. Inzwischen hatte der Kommandant das kaiserliche Heer auf etwa achtzehntausend Soldaten erweitern können. Dennoch standen Bethlen Gábor fast doppelt so viele Männer zur Verfügung. Von Wallenstein brauchte also weitere Söldner, wenn er es zu einer offenen Schlacht mit den Ungarn kommen lassen wollte.

Bethlen Gábor war es gelungen, einige mährische Städte zu erobern. Von Wallenstein hatte ihn bisher aber zumindest am weiteren Vorrücken auf Wien hindern können. Philipp las, wie sich sein Heer über die fehlenden Geldmittel beklagte. Weil sie ohne ihren Sold nicht das Nötigste zum Leben hatten, plünderten die Soldaten das Land und vergrößerten die Armut der Bauern. Zum Abschluss seines Briefes teilte von Wallenstein seinem Verwalter mit, dass es wohl noch einige Wochen dauern konnte, bis er nach Prag zurückkehrte.

Nachdenklich ließ Philipp das Schreiben sinken. In Prag selbst hatte er alles im Griff. Wenn von Wallenstein allerdings tatsächlich noch lange fortblieb, würde er als dessen Verwalter auch zu den anderen Gütern reisen müssen, um nach dem Rechten zu sehen. Er bewunderte seinen Herren dafür, wie geschickt er seinen Reichtum in den letzten Monaten erweitert hatte.

Bereits vor der Schlacht am Weißen Berg hatte von Wallenstein dem Kaiser ein Darlehen gewährt und ihm so damit geholfen, die Kriegskosten zu bestreiten. Inzwischen beliefen sich Ferdinands Schulden auf etwa zweihunderttausend Gulden. Geld, das der Kaiser nicht hatte. Genau wie die anderen Feldherren bekam von Wallenstein deshalb Güter als Pfand. So standen die Grundherrschaften Friedlands und Reichenbergs genauso unter seinem Einfluss wie die mehrerer kleinerer Güter.

Philipp dachte daran, wie viel Geld sich Kaiser Ferdinand durch das einfache Vergeben von Gütern im Wert von mehreren Millionen Gulden entgehen lassen hatte. Mit den erwirtschafteten Einnahmen hätte Ferdinand sein Heer finanzieren können. Den Reichtum gewannen jetzt andere.

Albrecht von Wallenstein hatte es vor allem auf den ehemaligen Familienbesitz seiner Mutter in Gitschin abgesehen, an den er in der vorgesehenen Erbfolge nicht herankommen konnte.

Nachdem der erst dreiundzwanzig Jahre alte Albrecht Jan Smiricki, Wallensteins Neffe 2. Grades, im November 1618 verstorben war, fiel der Besitz an dessen geistesschwachen Bruder Heinrich. Daraufhin war es zwischen dessen Schwestern Elisabeth und Margareta zu Erbstreitigkeiten gekommen. Als Kaiser Ferdinand eine Delegation zur Schlichtung nach Gitschin geschickt hatte, flog während der Verhandlung das Schloss in die Luft. Die mehr als fünfzig Anwesenden wurden getötet.

Von Wallenstein hatte Philipp einmal erzählt, dass er Elisabeth für die Schuldige hielt. Angeblich sei sie mit einer Fackel ins Kellergewölbe gestiegen, in dem das Schießpulver gelagert war, und hatte es versehentlich entzündet.

Margareta und Heinrich überlebten die Katastrophe und flohen nach der Schlacht am Weißen Berg in das Kurfürstentum Brandenburg. Als der Kaiser die Güter konfiszierte, hatte sich von Wallenstein zu Heinrichs Vormund erklären lassen und die Verwaltung der Güter übernommen.

Während dem Sichten der Unterlagen, die ihm aus den einzelnen Gütern übersandt worden waren, dachte Philipp immer wieder an Magdalena und ihren gemeinsamen Sohn. Es fiel ihm schwer, sich auf die Arbeit zu konzentrieren, und als es Mittag wurde, gab er es schließlich auf. Er entschloss sich, noch kurz mit den Knechten zu sprechen, um ihnen die notwendigen Anweisungen zu geben und dann den Rest des Tages mit seiner Gemahlin zu verbringen.

Der tolle Halberstädter. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges

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