Читать книгу Der tolle Halberstädter. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges - Jörg Olbrich - Страница 18
ОглавлениеWien, 25. November 1621
Eintrag in die kaiserliche Chronik des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation:
Der geächtete Kurfürst Friedrich der V. verweilt weiterhin im Exil und hat Beistandsverträge mit den niederländischen Generalstaaten und Dänemark geschlossen. Unterdessen ist Johann II. als Statthalter der stark verwüsteten Kurpfalz zurückgetreten.
General Spinola konnte mit seiner spanischen Armee weite Teile der Pfalz besetzen. Als er selbst nach Brüssel abkommandiert wurde, hat General Córdoba das Kommando über das Kriegsvolk in der unteren Pfalz übernommen. Er ist mit der Armee gegen das stark besetzte Frankenthal gezogen und mit einem Sturmangriff gescheitert. Auf spanischer Seite sind mehr als dreitausend Soldaten gestorben, während die Verteidiger nur sehr geringe Verluste zu beklagen hatten.
Im August haben protestantische, pfälzische Kompanien im Bistum Speyer mehr als zehn Dörfer eingenommen und geplündert.
Nachdem Graf von Mansfeld gegen freien Abzug versprach, auf die Seite der Kaiserlichen zu wechseln, ist er geflohen und kämpft nun in der Rheinpfalz weiter gegen die katholische Liga unter General von Tilly. Seuchen und Hunger haben auf beiden Seiten viele Soldaten dahingerafft. Herzog Maximilian von Bayern ist persönlich in die Oberpfalz gereist, um die Stände zu unterwerfen.
In Ungarn hat Rudolf von Tiefenbach bei Tyrnau eine herbe Niederlage gegen Bethlen Gábor erlitten, der weiterhin in Richtung österreichischer Grenze zieht. Albrecht von Wallenstein, der am Tag des Prager Blutgerichtes zum Pfand für seine Ausgaben die Herrschaft über Friedland erhielt, hat sechstausend Männer nach Ungarn geschickt, um den Vormarsch Bethlen Gábors aufzuhalten.
Deprimiert legte Anton seine Schreibfeder weg, stand auf und trat ans Fenster. Krieg. Es gibt nichts anderes mehr als Krieg. Der kaiserliche Sekretär schaute hinaus auf den Hof, wo sich ein Regiment kaiserlicher Soldaten versammelt hatte. Die Männer waren in einem erbärmlichen Zustand. Kaum einer hatte eine Jacke, die nicht völlig verschmutzt und löchrig war. Die Hosen sahen nicht besser aus. Einige trugen noch nicht einmal Schuhe. Und das im Winter. Geschneit hatte es zwar noch nicht, aber die Temperaturen waren so niedrig, dass es nicht mehr lange dauern konnte.
Anton hatte nicht damit gerechnet, dass der Krieg nach dem Ende der böhmischen Rebellion beendet werden würde. Jetzt war es vor allem die Kurpfalz, in der das Volk unter den hindurchziehenden Heeren litt, aber auch andere Gebiete waren betroffen. Viel fehlte nicht, um dem Reich den Frieden zurückzugeben. Friedrich V. brauchte lediglich auf alle Ansprüche zu verzichten. Dann gäbe es keinen Grund mehr für seine Heerführer, das Kriegstreiben im Reich fortzuführen. Genau das würde der Kurfürst der Pfalz aber niemals tun.
In den Monaten nach dem Prager Blutgericht hatte Anton Wien nicht mehr verlassen. Hier war zurzeit wenig vom Kriegstreiben zu bemerken und im Kaiserhof ging alles einen geregelten Gang. Es gab Feste, Empfänge und Treibjagden. Sehr schnell hatte der Adel vergessen, dass sie vor einem Jahr selbst noch von einer Belagerung betroffen gewesen waren. Dabei gab es selbst in Österreich noch Gebiete, in denen das Volk unter Einquartierungen, Plünderungen und Morden litt.
Es verging kaum ein Tag, an dem kein Bote zum Kaiserhof kam und Briefe aus den Kriegsgebieten brachte. Die Inhalte waren immer ähnlich. Stadträte beschwerten sich über Besetzungen und das grauenvolle Vorgehen der Söldner. Gutsherren beklagten die hohen Abgaben, und die Feldherren schrieben, dass sie nur taten, was getan werden musste.
Kaiser Ferdinand schlug die Warnungen seines Rates beiseite, der immer wieder betonte, dass dem Hof keine Finanzmittel für einen längeren Krieg zur Verfügung stünden, und kümmerte sich zunehmend um sein eigenes Vergnügen. Anton nutzte die Zeit und brachte seine Bibliothek in Ordnung. Hier hatte er seine Ruhe und fühlte sich wohl. Einmal in der Woche besuchte er seine Mutter, die in den letzten Monaten sichtlich gealtert war.
Die Glocke des Stephansdoms schlug viermal und zeigte dem Sekretär, dass er sich bald auf den Weg machen musste, um die Grafen Leonhard Helfried von Meggau und Philipp zu Solms-Lich zu treffen. Mit ihnen gemeinsam wollte er dem jungen Christian II. von Anhalt einen Besuch abstatten. Der Sohn des ersten Beraters von Friedrich V. aus der Pfalz war heute nach Wien gebracht worden, wo man ihm in der Cärner Gasse eine Unterkunft bereitgestellt hatte, die von zwei kaiserlichen Soldaten bewacht wurde.
Obwohl sein Vater genau wie der sogenannte Winterkönig geflohen war, hatte Kaiser Ferdinand beschlossen, gnädig mit Christian II. von Anhalt umzugehen. Der war bei der Schlacht am Weißen Berg von den Kaiserlichen in Gefangenschaft genommen worden und befand sich seitdem in Arrest. Seiner reumütigen Haltung war es zu verdanken, dass der Mann das Prager Blutgericht nicht ebenfalls am Galgen hatte erleben dürfen.
Anton war gespannt darauf, Christian kennenzulernen. Er zog sich seinen gefütterten Mantel über und machte sich auf den Weg ins Freie, wo die beiden Grafen sicher bereits auf ihn warteten.
***
»Ich hoffe, Ihr hattet eine angenehme Reise und seid mit der Unterbringung zufrieden«, sagte Graf Leonhard Helfried von Meggau, ohne eine Miene zu verziehen.
Anton saß mit den beiden Grafen und Christian II. von Anhalt im Wohnraum des Hauses, das der junge Fürst gerade bezogen hatte. Anton war vom Kaiser selbst beauftragt worden, die Herren von Meggau und von Solms-Lich zu begleiten, und alles zu protokollieren, was gesprochen wurde.
»Richtet seiner Majestät meinen aufrichtigsten und untertänigsten Dank aus«, antwortete von Anhalt, der seiner Stimme trotz seines jugendlich erscheinenden Alters einen festen Klang verlieh. »Mein neuer Aufenthaltsort ehrt mich zutiefst, und ich bin sehr glücklich, dass mein Arrest hierher verlegt wurde. Gehe ich richtig in der Annahme, dass Ihr gekommen seid, um mich von der kaiserlichen Entscheidung bezüglich meines Antrages zu unterrichten?«
Christian sah die Gesandten von Kaiser Ferdinand erwartungsvoll an. Anton spürte die Anspannung des Mannes. Für den jungen Fürsten ging es um viel. Daher wunderte es den kaiserlichen Schreiber nicht, dass es ihm nur mit Mühe gelang, Ruhe zu bewahren. Auch wenn Anton wusste, was von Meggau und von Solms-Lich dem jungen Christian von Anhalt mitteilen wollten, war er gespannt, wie das weitere Gespräch verlief. Er widerstand dem Drang, an seiner Feder zu kauen, wie er es oft tat, wenn er in der Bibliothek alleine an seinem Schreibtisch saß.
In rund einem Dutzend Bittschreiben hatte Christian den Kaiser in seiner mittlerweile einjährigen Gefangenschaft ersucht, ihn aus dem Arrest zu entlassen und versprochen, seiner Majestät ein treuer Untertan zu sein. Auch andere vornehme Herren hatten beim Kaiser Fürsprache für Christian gehalten und sich für seine Ergebenheit gegenüber seiner Majestät verbürgt.
»Nachdem Ihr im Auftrag des selbsternannten Königs von Böhmen und Eures Vaters auf Seiten der protestantischen Rebellen gegen den Kaiser in den Krieg gezogen seid, hatte seine Majestät keinen Grund, leichtfertig auf Euer Gesuch einzugehen«, sagte von Meggau ernst.
Anton sah, wie der junge Fürst leicht zusammenzuckte, dem Blick des Grafen aber standhielt. Der ließ sich einen Moment Zeit, bevor er weitersprach, und genoss es sichtlich, Christian noch ein wenig auf die Folter zu spannen.
»In Anbetracht Eures tapferen Gemüts und Eures Versprechens, dem Kaiser ehrenhaft zu dienen, hat er sich entschlossen, Milde und Güte walten zu lassen.«
Anton wechselte den Blick zwischen den Männern im Raum. Er war gespannt, wie Christian auf das gleich folgende Angebot reagieren würde. Von Meggau sprach mit einer solch emotionslosen Stimme, dass der junge Fürst unmöglich erahnen konnte, ob er auf ein baldiges Ende seines Arrests hoffen konnte, oder lediglich eine Erleichterung der Umstände seiner Gefangenschaft gewährt bekam. Auch Philipp von Solms-Lich blickte Christian nur mit ausdrucksloser Miene an. Anton hatte das Gefühl, die Spannung im Raum greifen zu können.
»Gerüchten zufolge weilt Euer Vater derzeit in Schweden und hat dort König Gustav Adolf seine Dienste angeboten«, wechselte Philipp von Solms-Lich plötzlich das Thema und überraschte damit auch Anton. »Was wisst Ihr darüber?«
»Ich habe meinen Herrn Vater das letzte Mal bei der Schlacht am Weißen Berg gesehen«, entgegnete Christian und schaffte es jetzt nicht mehr, seiner Stimme einen festen Klang zu verleihen. »Es ist mir nicht bekannt, was er seither unternommen hat.«
Was soll das? Warum quält ihr den Mann so?
»Immerhin habt Ihr selbst an der Seite Eures Vaters für die Protestanten gekämpft«, sagte Graf von Solms-Lich vorwurfsvoll.
»Ich gelobe seiner Majestät untertänigste Unterwerfung und ersuche ihn nochmals um Gnade. Als gehorsamer Sohn habe ich meinem Vater im böhmischen Feldzug folgen müssen. Dies ist aus keiner bösen Einstellung gegenüber dem Kaiser und dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation geschehen.«
Anton sah Christian von Anhalt II. an, wie unwohl er sich fühlte. Er rieb seine schweißnassen Hände aneinander und sah den Grafen von Solms-Lich fast flehend an. Es war Leonhard Helfried von Meggau, der den jungen Fürsten schließlich von seinen Qualen befreite.
»Seine Majestät vertraut auf Euer Wort und ist bereit, die Wachen vor Eurer Unterkunft abzuziehen. Ihr habt die Erlaubnis, Euch in der Stadt frei zu bewegen.«
Der junge Fürst stieß einen erleichterten Seufzer aus und wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, aber von Meggau brachte ihn mit einer herrischen Handbewegung zum Schweigen.
»Seine Majestät knüpft allerdings auch Bedingungen an die Aufhebung des Arrestes. Es ist Euch nicht gestattet, die Stadt zu verlassen. Jegliche Intrigen und Handlungen, die einen bösen Verdacht erwecken, sind zu unterlassen. Seid vorsichtig im Umgang mit anderen Personen. Seine Majestät wird auch weiterhin ein Auge auf Euch haben.«
»Richtet seiner Majestät meinen untertänigsten Dank aus«, sagte von Anhalt erleichtert. »Er wird niemals einen Grund haben, an meinem aufrichtigen und kaisertreuen Handeln zu zweifeln. Auch Euch danke ich, dass Ihr die Mühen aufgenommen habt, mich über die Entscheidung seiner Majestät zu unterrichten.«
»Einen Ratschlag gebe ich Euch noch«, sagte Philipp von Solms-Lich zum Abschied. »Bleibt in Eurer Unterkunft, bis Ihr die Hand seiner Majestät geküsst und ihm die völlige Treue geschworen habt. Es gibt Menschen in der Stadt, denen die Entscheidung des Kaisers, Euch zu begnadigen, nicht gefallen wird.«
»Ich danke Euch für Euren Rat und werde mich daran halten.«
Als Anton die Unterkunft Christians mit den beiden Grafen verließ und zurück zum Kaiserhof ging, nahmen sie die Wachen mit, die bis dahin vor dem Haus postiert gewesen waren.