Читать книгу Der tolle Halberstädter. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges - Jörg Olbrich - Страница 14
ОглавлениеOberpfalz, 18. September 1621
Auf dem Weg zum Zelt des Generals wurde Hermann Zeuge, wie zwei Söldner einen dritten Mann aus dem Lager trugen. Dieses Schicksal teilten jeden Tag rund ein Dutzend Kameraden. In den letzten Wochen waren Hunderte gestorben. Selbst von Tilly hatte erste Anzeichen der Krankheit gezeigt, sich allerdings als einer der Wenigen davon erholt.
Hermann hoffte, dass es bei der Belagerung von Waidhaus, wo sich das protestantische Heer unter Mansfeld noch immer verschanzt hielt, bald zu einer Entscheidung kam. Die Moral in der Truppe sank täglich weiter. Schlechtes Essen und hohe Temperaturen hatten die Ausbreitung der Seuche beschleunigt. Erste Söldner wurden fahnenflüchtig. Diejenigen, die man erwischte, hatten mit hohen Strafen zu rechnen, die in der Regel mit dem Tod endeten.
Der Feldwebel war gespannt, aus welchem Grund von Tilly gerade ihn sprechen wollte. Er erinnerte sich daran, dass er vor über zwei Monaten mit ähnlich gemischten Gefühlen zu Rudolf von Tiefenbach gegangen war. Damals hatte er einen Sonderauftrag bekommen, der ihn fast das Leben gekostet hatte. Würde es ihm heute ähnlich ergehen?
Am Vorabend war Herzog Maximilian von Bayern mit seinem Gefolge im Lager der katholischen Liga eingetroffen. Einer seiner Offiziere hatte Hermann und seinen Kameraden in der Nacht ausschweifend von der unaufhaltsamen Macht Maximilians berichtet.
Ihm war es gelungen, mit seinen Truppen weite Teile der Oberpfalz zu besetzen. Dabei hatten die protestantischen Fürsten kaum Gegenwehr geleistet. Für von Mansfeld sank damit die Zahl seiner Verbündeten. Bei Cham, das nur wenige Kilometer von Waidhaus entfernt lag, hatten die Protestanten eine empfindliche Niederlage erlitten.
»Dieser Mansfeld muss ausgeschaltet werden«, sagte der Herzog gerade, als Hermann das Zelt betrat. »Wenn dies geschafft ist, wird es in der ganzen Oberpfalz niemand mehr wagen, sich gegen die katholische Liga zu erheben.«
»Er wird uns nicht mehr lange im Wege stehen«, sagte ein Hermann unbekannter Jesuit, der gemeinsam mit dem Herzog und von Tilly an einem Tisch saß. »Ist das der Mann, von dem Ihr gesprochen habt?«, fragte er den Feldherrn und deutete dabei auf Hermann.
»Ja. Das ist Feldwebel Scheidt. Er hat sich bereits große Verdienste erworben und ist einer der verlässlichsten jungen Offiziere im Heer.«
Innerlich freute sich Hermann über das Lob des gefürchteten von Tilly. Dennoch ahnte er, dass nun nichts Gutes auf ihn zukommen würde.
»Er sieht aus, als käme er aus Böhmen«, stellte der Jesuit fest.
»Das ist einer der Gründe, warum ich ihn ausgewählt habe. Er wird nicht auffallen, wenn er sich in das Lager der Protestanten schleicht.«
Jetzt war es heraus. Hermanns schlimmste Befürchtungen schienen sich zu bestätigen. Auch wenn er noch keine Einzelheiten kannte, konnte er sich schon jetzt denken, dass es für ihn wieder einmal um Leben und Tod gehen würde.
»Und Ihr seid sicher, dass der Feldwebel nicht die Seiten wechseln wird?«, fragte der Jesuit und sah Hermann geringschätzig an.
»Darauf gebe ich Euch mein Wort«, antwortete von Tilly. Dann richtete er sein Wort endlich an Hermann, der nach wie vor schweigend vor dem Tisch stand und das Gefühl nicht loswurde, dass gerade über sein Todesurteil verhandelt wurde.
»Feldwebel Scheidt. Ihr werdet Euch ins Lager der Protestanten schleichen. Dort werdet Ihr Euch zunächst einen genauen Überblick über die Schanze verschaffen. Findet Mansfeld. Schleicht Euch in sein Lager und tötet ihn.«
Hermann erschrak. Was der General da von ihm verlangte war völlig unmöglich. Selbst wenn die Mansfelder ihn nicht gleich als Feind erkannten, würde er doch nie so nahe an ihren Heerführer herankommen, dass er den geforderten Meuchelmord begehen konnte.
»Warum antwortet Ihr nicht?«, wandte sich nun der Jesuit an Hermann.
»Zu Befehl«, sagte Hermann schnell. Ablehnen konnte er den Auftrag nicht, wenn er nicht als Verräter am Galgen enden wollte. Er hatte jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder er versuchte tatsächlich, diesen wahnwitzigen Befehl zu befolgen, oder er floh sofort.
»Bringt mir Mansfelds Kopf«, sagte Maximilian. »Danach werde ich Euch zum Hauptmann befördern.«
Hermann dachte fieberhaft darüber nach, wie er seinen Kopf aus der Schlinge ziehen konnte, als er plötzlich unerwartete Hilfe bekam. Eine der Wachen vor dem Zelt kam ins Innere gestürmt und berichtete von der Ankunft eines protestantischen Offiziers.
»Er sagt, sein Name sei Graf von Solms und er sei der oberpfälzische Statthalter. Er ist ohne Begleitung und unbewaffnet. Wir haben ihn gefangen genommen, als er sich dem Lager näherte.
»Führt den Mann sofort her«, befahl der Herzog energisch. »Ihr habt ihn nicht gefangen genommen. Er wollte, dass ihr ihn zu mir bringt.«
Der Wächter ging mit eingezogenem Kopf nach draußen und kehrte wenige Augenblicke später mit dem oberpfälzischen Statthalter zurück. Das Auftreten des Mannes beeindruckte Hermann. Er schien die Ruhe selbst und sich keiner Gefahr bewusst zu sein. Seine kostbare Kleidung war tadellos sauber und saß wie angegossen.
»Graf von Mansfeld schickt mich«, erklärte von Solms, nachdem er Herzog Maximilian, von Tilly und den Jesuiten standesgemäß begrüßt hatte.
Von Hermann nahm er keine Notiz. Da der aber nicht zum Gehen aufgefordert worden war, blieb er einfach etwas abseits des Tisches stehen.
»Der Oberst will also verhandeln«, stellte Maximilian mit einem siegessicheren Lächeln fest.
»Er bietet den Eintritt seines kompletten Heeres in die katholische Liga an.«
Für einen Moment herrschte absolute Stille im Zelt. Das Angebot der Protestanten kam selbst für Herzog Maximilian so überraschend, dass er ein paar Sekunden brauchte, um seine Fassung zurückzuerlangen. Dann lächelte er den Gefangenen triumphierend an.
»Und was will Mansfeld als Gegenleistung?«, fragte der Herzog schließlich.
»Freies Geleit und den Sold für seine Männer.«
Maximilian brach in schallendes Gelächter aus. Als er sich wieder im Griff hatte, trank er seinen Weinkelch aus und stellte in laut hörbar auf den Tisch zurück. »Ihr meint es so, wie Ihr es sagtet«, sagte er dann.
»Ich bin hergekommen, um im Namen von Graf von Mansfeld zu verhandeln.«
»Feldwebel Scheidt«, sagte der Herzog mit schneidender Stimme. »Führt unseren Gast nach draußen, gebt ihm etwas zu essen und bewacht ihn. Ich muss mich mit meinem Feldherrn beraten.«
Wenn Graf von Solms sich durch die brüske Art des Herzogs beleidigt fühlte, zeigte er dies mit keiner Miene. Er folgte Hermann bereitwillig ins Freie. Der hätte jetzt gerne gehört, was die mächtigsten Männer der katholischen Liga im Zelt besprachen, musste sich aber ebenso gedulden wie der opferpfälzische Statthalter.
Hermann befahl einem der Soldaten, Speiß und Trank herbeizuschaffen. Er wollte mit von Solms in der Nähe des Zeltes bleiben, damit sie sofort reagieren konnten, wenn Maximilian sie rief. Es dauerte fast eine Stunde, bis der Herzog, von Tilly und der Jesuit, der im Orden einen hohen Rang bekleiden musste, zu einem Ergebnis kamen. In der Zwischenzeit saßen Hermann und von Solms auf einem Felsen. Während sich der Protestant stärkte, wartete der Feldwebel schweigend ab. Er war froh, dass der Graf ihm keine Fragen stellte. Insgeheim war er dem Mann dankbar, der ihn durch sein Auftauchen vor einer Aufgabe gerettet hatte, die ihm womöglich den Tod gebracht hätte.
»Richtet Mansfeld aus, dass er drei Tage Zeit hat, uns das Lager zu übergeben«, sagte Maximilian, nachdem Hermann den Vermittler wieder ins Zelt geführt hatte. »Wenn er dann mit seinem kompletten Gefolge in mein Heer übertritt, werde ich für den Sold seiner Männer aufkommen.«
»Ich danke Euch für dieses großzügige Angebot«, erwiderte Graf von Solms. Für einen kurzen Moment fackelte ein Lächeln in seinen Mundwinkeln auf.
»Wir werden gleich einen Vertrag aufsetzen«, sprach Maximilian weiter. »Bis dahin seid Ihr unser Gast.«
Innerlich atmete Hermann erleichtert auf. Sollte von Mansfeld tatsächlich die Seiten wechseln, war die Oberpfalz fest in Maximilians Hand, und sie konnten das Lager endlich verlassen. Der Feldwebel glaubte nicht, dass die Protestanten im Reich dann noch einen ernstzunehmenden Widerstand leisten konnten. Damit konnte er selbst auf eine baldige Rückkehr nach Wien hoffen.
***
Drei Tage später führten Herzog Maximilian und General von Tilly das Heer nach Waidhaus. Als die Soldaten in die Schanze der Rebellen stürmten, fanden sie diese leer vor. Hermann gehörte mit seinen Männern zu den Ersten, die in die Anlage kamen, und sich dem nicht vorhandenen Feind gegenüberstellen wollten. Offensichtlich hatte von Mansfeld die Frist genutzt und sich klammheimlich aus dem Staub gemacht.
Als Hermann die Schanze näher betrachtete, wurde ihm klar, dass es ihnen niemals gelungen wäre, Waidhaus einzunehmen. Schon gar nicht bei der zahlenmäßigen Überlegenheit des Feindes. In jedem Falle hätte es auf beiden Seiten hohe Verluste gegeben. Der Feldwebel konnte gut verstehen, warum von Mansfeld mit seinen Truppen geflohen war. Nachdem Maximilian mit seinem Heer in die Oberpfalz marschiert war, stand er alleine auf weiter Flur. Aufgeben würden die Protestanten aber nicht. Auch dessen war sich Hermann sicher.
Von Mansfelds Unterkunft fanden die Soldaten schließlich in einem unterirdischen Gewölbe. Der Vertrag, nach dem der Oberst in die Dienste der katholischen Liga treten sollte, lag zerrissen auf einem Tisch.
Herzog Maximilian schäumte vor Wut und ließ seinem Zorn freien Lauf. Nachdem er von Mansfelds Einrichtung regelrecht zertrümmert hatte, wandte er sich an von Tilly.
»Ich erwarte, dass Ihr den Feind so lange verfolgt, bis diese verräterische Bande eliminiert ist! Ich selbst werde in der Oberpfalz bleiben und die Stände hier endgültig unterwerfen.«
»Der Feind wird nicht entkommen«, versprach von Tilly entschlossen.
Für Hermann und die anderen Soldaten bedeutete dies, dass sie noch am gleichen Tag ihr Lager abbrachen und sich an die Verfolgung der Mansfelder machten. Die Stimmung im Heer wurde trotz des Verrats deutlich besser. Endlich hatten die Männer wieder etwas zu tun. Sie würden die Protestanten stellen und dieses Mal endgültig vernichten.