Читать книгу Der tolle Halberstädter. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges - Jörg Olbrich - Страница 6
ОглавлениеBraunfels, 19. Februar 1621
»Willst du meine Magd immer noch freikaufen?«
Der Bauer Ewald Huber lachte Heinrich Wagner dreckig ins Gesicht und zeigte dabei seine beiden vorstehenden Zähne, die ihm zusammen mit den wenigen Haarsträhnen auf seinem Kopf das Aussehen einer Ratte verliehen.
Der Zimmermannslehrling schaute niedergeschlagen auf die rund zwanzig Silbertaler, die nebeneinanderliegend das Hinterteil von Veronika Waldschmidt bedeckten, so dass nur noch wenig von ihrer makellosen, weißen Haut hervorschaute.
»Hast du nicht eben noch großspurig behauptet, du hättest Geld genug?«, fragte Huber weiter und ging ein paar Schritte auf Heinrich zu. »Sagtest du nicht, du würdest für die Magd bezahlen und sie zu deinem Weib machen?« Der Bauer riss den Mund weit auf und lachte schallend. Der Geruch von Fäulnis und Bier schlug Heinrich entgegen, und er musste den Kopf zur Seite drehen.
»Hat es dir die Sprache verschlagen?« Huber ließ nicht locker und schlug Heinrich herausfordernd gegen die Schulter. Der hatte inzwischen längst erkannt, dass es ein sehr dummer Fehler gewesen war, auf den Hof in der Nähe der Braunfelser Stadtmauern zu kommen.
»Ich habe nicht so viele Münzen«, sagte Heinrich kleinlaut und wäre vor Scham am liebsten im Erdboden versunken.
»Warum verschwendest du dann meine Zeit?«, sagte Huber zornig. »Für diese Frechheit hättest du ein paar kräftige Stockschläge verdient. Du kannst froh sein, dass ich deinen Vater gut kenne. Wäre das nicht der Fall, würdest du jetzt eine tüchtige Abreibung bekommen.«
»Ich wusste nicht, dass Ihr so viel Geld verlangt.«
»Weil du ein Grünschnabel bist! Ich will nicht mehr als den üblichen Preis. Wenn jemand eine Magd von einem Hofgut freikaufen will, muss er so viele Taler entrichten, wie nebeneinander auf das Hinterteil des Weibsbildes passen. Ich habe Veronika aus der Gosse geholt und sie großgezogen. Mir steht ein angemessener Preis zu, wenn sie auf einen anderen Hof wechseln soll.«
Huber hatte sich so in Rage geredet, dass Heinrich befürchtete, doch noch eine Tracht Prügel zu beziehen. Die vom Bauern geschilderte Sitte war längst veraltet. Es gab kaum noch Menschen, die sich daranhielten. Wie hätte er wissen sollen, dass sich Huber als derartig verbohrter Holzkopf erweisen würde?
Der Bauer nahm die Münzen von Veronikas Hintern und steckte sie lachend ein.
»Kann ich jetzt endlich aufstehen?«, fragte die Magd.
Sie befand sich etwa in Heinrichs Alter und war dem Achtzehnjährigen aufgefallen, als er sie bei der Feldarbeit gesehen hatte. Ihre zarten Gesichtszüge und die langen rötlichen Haare hatten ihn in seinen Bann gezogen. In seinem Eifer hatte er schon an diesem Tag beschlossen, dass er die Unbekannte heiraten wollte. Nachdem er dann herausgefunden hatte, auf welchem Hof sie arbeitete, war er von seinem Heimatdorf die fünf Kilometer nach Braunfels gelaufen, um sie von dem Bauern freizukaufen.
»Zieh dich richtig an und mach, dass du in die Küche kommst«, befahl Huber und schlug Veronika auf den nackten Hintern, bevor sie ihr Gewand richten konnte.
Die junge Frau ging auf Heinrich zu und gab ihm eine schallende Ohrfeige. »Wie konntest du es wagen, mich einer derartigen Demütigung auszusetzen?«, schrie sie ihn an und spuckte ihm ins Gesicht. »Ich wäre nicht einmal bereit, dein Weib zu werden, wenn du die Taschen voller Silbermünzen hättest. Wage es nie wieder, mir unter die Augen zu treten.«
Wieder brach Huber in schallendes Gelächter aus. Er wollte seiner Magd ein weiteres Mal auf den Hintern schlagen, doch die wich geschickt aus.
Heinrich sah ein, dass nun der Zeitpunkt gekommen war, an dem er den Hof des Bauern Huber verlassen musste. Niedergeschlagen und mit einer schmerzenden Wange machte er sich auf den Heimweg.
***
Heinrich hatte das Haus seiner Eltern noch nicht richtig betreten, als er die zweite Ohrfeige innerhalb von zwei Stunden hinnehmen musste.
»Was hast du Tölpel dir nur dabei gedacht?«, schrie ihn sein Vater an. »Willst du mich ruinieren?«
Er weiß es also schon, dachte Heinrich und sah hilfesuchend zu seiner Mutter. Die saß auf einem Sessel, stopfte ein Loch in der Weste ihres Mannes und würdigte den Sohn keines Blickes.
»Es tut mir leid«, sagte Heinrich und blickte betreten zu Boden.
»Davon kann ich mir nichts kaufen. Willst du mir den Schaden ersetzen, weil die Kunden ausbleiben, nachdem du mich lächerlich gemacht hast?«
Heinrich antwortete nicht. Er wusste, dass jedes weitere Wort von ihm den Zorn seines Vaters weiter schüren würde. Daher blieb er in demütiger Haltung und gesenktem Kopf vor dem Zimmermann stehen. In den letzten Jahren hatte er auf schmerzliche Weise gelernt, dass Georg Wagner keinen Widerspruch duldete.
Der Lehrling fragte sich, wie seine Eltern so schnell von dem Vorfall auf dem Hof von Huber erfahren hatten. Vermutlich hatte der Bauer gleich, nachdem Heinrich sein Gut verlassen hatte, einen Reiter nach Laufdorf geschickt. Er selbst sah nicht ein, warum es falsch gewesen war, mit Huber über die Freigabe der Magd zu verhandeln. Er liebte Veronika Waldschmidt und wollte sie zu seinem Weib nehmen. Wenn er das seinem Vater jetzt aber sagte, würde er sich eine gehörige Tracht Prügel einfangen.
»Ich sehe nur eine Möglichkeit, den Spott von meinem Betrieb fernzuhalten«, sagte Georg Wagner schließlich. »Du wirst Laufdorf morgen bei Sonnenaufgang verlassen und nicht eher zurückkehren, bis Gras über die Sache gewachsen ist.«
»Was?« Heinrich sah seinen Vater entsetzt an. Mit einer Strafe hatte er gerechnet, nicht aber damit, dass er gleich verstoßen werden würde.
»Ich spreche dich frei«, sagte der Meister entschlossen. »Du wirst morgen mit deiner Walz beginnen.«
Heinrich spürte, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich. »Das kannst du nicht tun«, ächzte er.
»Doch. Ich bin dein Meister. In den letzten Jahren habe ich dir alles beigebracht, was ich dir beibringen konnte. Deine Lehrzeit dauert ohnehin bereits viel zu lange.«
Das ist nur so, weil du mir kein Geld für meine Arbeit geben wolltest, dachte Heinrich, war aber nicht so dumm, das auch auszusprechen. »Überall im Reich herrscht Krieg«, sagte der Lehrling stattdessen. »Selbst in Wetzlar wurden bereits Soldaten einquartiert. Wohin soll ich denn gehen?«
»Ich gebe zu, dass die Zeiten schwer sind«, sagte Georg Wagner. »Dennoch bleibe ich bei meiner Entscheidung. Du wirst in allen Städten Arbeit finden, die bereits vom Krieg betroffen wurden.«
Heinrich warf seiner Mutter, die mit bleichem Gesicht auf ihrem Stuhl saß, einen flehenden Blick zu. Auch Eva-Maria wagte es aber nicht, ihrem Gemahl zu widersprechen.
»Was, wenn ich mitten in eine Belagerung hineingerate, oder unterwegs von Söldnern überfallen werde?« Heinrich spürte den Zorn in sich aufsteigen. Was sein Vater von ihm verlangte, kam einem Todesurteil gleich.
»Hier wird es auch nicht mehr lange ruhig bleiben. Du hast selbst gesagt, dass Wetzlar bereits unter den Einquartierungen leidet. Was glaubst du wohl, woher die Soldaten das Essen nehmen werden, wenn sie die Stadt leergefressen haben?«
»Du schickst mich in den sicheren Tod.«
»Rede nicht so dumm daher«, wiegelte Georg Wagner den Einwand seines Sohnes ab. »Du wirst deine Wanderjahre absolvieren. Wage es ja nicht, vor Ablauf von mindestens zwei Jahren nach Laufdorf zurückzukehren. Geh und pack deine Siebensachen zusammen. Du wirst den Ort bei Sonnenaufgang verlassen.«
Heinrich bebte innerlich vor Zorn, kam der Aufforderung seines Vaters aber nach. Auf dem Weg in seine Kammer kam er an seiner drei Jahre jüngeren Schwester Karin vorbei, die auf der Treppe gesessen und alles mit angehört hatte. Jetzt sah sie ihren Bruder aus tränennassen Augen an.
Am nächsten Morgen stand Heinrich beim ersten Hahnenschrei mit fertig gepacktem Bündel in der Küche, wo ihm Eva-Maria Wagner ein Paket mit Wurst und Brot zubereitete. Er hatte gehört, wie seine Mutter in der Nacht leise auf den Meister eingeredet hatte. Der hatte sich jedoch unerbittlich gezeigt und war bei seiner Entscheidung geblieben. Jetzt stand Georg Wagner mit bitterer Miene im Wohnraum und wartete darauf, dass Heinrich endlich fertig wurde.
»So wirst du in den ersten Tagen wenigstens nicht verhungern«, sagte Eva-Maria, reichte ihrem Sohn das Paket und sah ihn traurig an.
Heinrich drückte seine Mutter zum Abschied fest an sich und ging dann zu seinem Vater. »Was ist mit dem Lohn für meine Arbeit in den letzten Jahren?«
»Ein Lehrling bekommt keinen Lohn.«
»Willst du mich wirklich ohne Geld in die Ferne schicken?« Fassungslos sah Heinrich seinen Meister an.
»Du wirst es dir verdienen müssen.«
In diesem Moment stürmte einer der Gesellen in die Stube. »Die Spanier kommen«, keuchte er völlig außer Atem. »Sie rücken direkt auf Braunfels zu.«
Heinrich und Eva-Maria schraken zusammen und selbst Georg Wagner konnte ein kurzes Zucken nicht verhindern. Wenn sein Sohn aber gehofft hatte, dass diese Nachricht den Meister dazu bringen würde, Gnade walten zu lassen, hatte er sich getäuscht.
»Es wird Zeit, dass du aufbrichst«, sagte Georg Wagner ohne eine Spur von Güte in der Stimme.
Heinrich nickte nur. Er nahm sein Bündel, öffnete die Tür und verließ das Haus seiner Eltern ohne ein Wort des Abschieds.
***
Etwa eine Stunde später sah Heinrich vor sich die ersten verfallenen Häuser der ehemaligen Reichsstadt Wetzlar. Wehmütig blickte er auf die Ruinen der Vororte, die ihren Glanz schon lange verloren hatten. Für einen jungen Zimmermann gab es hier viel Arbeit. Leider fehlten die Menschen, die diese auch bezahlen konnten.
Einst war Wetzlar eine reiche Stadt gewesen. Über Jahrhunderte hinweg hatte der Eisenabbau den Bürgern Reichtum und Wohlstand beschert. Zwar gab es noch immer reiche Vorkommen des kostbaren Erzes, doch war der Abbau schwieriger geworden, und die Unternehmer hatten sich in andere Gebiete zurückgezogen. Damit hatte der langsame Verfall der Stadt begonnen. Selbst die mächtige Kirche, die zu einem Wahrzeichen hatte werden sollen, wurde nie fertig gestellt, obwohl man Jahrhunderte daran gearbeitet hatte.
Weil Heinrich um das kaiserliche Heer wusste und er außerdem befürchtete, sein Vater könne erfahren, wenn er sich in Wetzlar aufhielt, passierte er den Ort und setzte seinen Weg fort. Der kalte Wind zog ihm bereits in jede Pore, obwohl er die recht dicke Kluft trug, die ihn als Zimmermannsgesellen erkennen ließ. Er zog sich seinen schwarzen Schlapphut so tief ins Gesicht wie möglich und steckte die Hände in die großen Seitentaschen seiner Schlaghose, in der er während der Arbeit sein Werkzeug bei sich trug.
Georg Wagner hatte seinem Sohn keine Ziele genannt, die er während seiner Wanderjahre ansteuern sollte. Nach den Regeln der Zunft hätte er ihm aber zumindest einen Meister nennen müssen, den er aufsuchen konnte. Heinrich hatte von seinem Vater nicht einmal ein Empfehlungsschreiben bekommen.
Am Nachmittag des ersten Tages seiner Walz erreichte er Gießen. Nachdem er mit Hilfe eines Schaugesellen Ausschau nach geeigneten Betrieben gehalten hatte, betrat er die Werkstadt von Hannes Baumgarten und hoffte, hier eine Anstellung zu finden, die ihm wenigstens über den Winter half. Seine Wanderung wollte er dann im Frühjahr fortsetzen.
»Gott zum Gruße, Meister Baumgarten«, begrüßte Heinrich den Mann, als er ihn an seiner Hobelbank erblickte.
Der Angesprochene drehte sich um und sah den Besucher überrascht an. »Ein Wandergeselle im Winter? Was treibt dich zu dieser Jahreszeit in meinen Betrieb?«
»Ich bin heute erst in Gießen eingetroffen«, antwortete Heinrich. »Der Schaugeselle sagte mir, dass Ihr der beste Zimmermann in der Stadt seid.«
»Soso, sagt er das. Ich frage dich noch einmal: Was treibt dich im Winter hierher? Bist du bei deinem letzten Meister herausgeflogen?«
»Nein, Meister Baumgarten. Ich habe meine Walz heute Morgen erst begonnen. Ich stamme aus Laufdorf und habe meine Lehrjahre bei Georg Wagner verbracht.«
»Ich kenne deinen Meister. Umso mehr überrascht es mich, dass er einen Gesellen im Februar freispricht.«
»Er ist mein Vater.«
»Dann überrascht es mich umso mehr.«
Heinrich war klar, dass Hannes Baumgarten ihn unverrichteter Dinge fortschicken würde, wenn er ihm die vollen Beweggründe seines Vaters darlegte. Er berichtete dem Meister daher nur, dass ein spanisches Heer auf dem Weg nach Braunfels sei, und Georg Wagner ihn aus dem Kriegsgebiet herausbringen wollte.
»In dem Fall kann ich die Entscheidung nachvollziehen«, sagte Baumgarten zu Heinrichs Erleichterung. »Ich kann dich allerdings nicht länger als eine Woche bei mir behalten«, sagte der Meister und sah den jungen Gesellen bedauernd an. »Im Winter gibt es in der Stadt wenig zu tun, und die Arbeit auf den Dächern ist zu gefährlich.«
»Ich wäre Euch dankbar, zumindest diese Zeit in Eurem Betrieb arbeiten zu dürfen.«