Читать книгу Der tolle Halberstädter. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges - Jörg Olbrich - Страница 21

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Soest, 22. Januar 1622

»Schießt die Stadt in Stücke und brennt sie nieder«, schrie Herzog Christian von Braunschweig seinen Mannen zu und ließ es sich nicht nehmen, die Lunte einer seiner wenigen Kanonen selbst zu entzünden.

Die Geschütze brüllten auf und schickten ihre tödliche Ladung gegen Soest. Mit lautem Geschrei rückten die Söldner des Halberstädters vor. Mit brennenden Fackeln liefen sie auf die Stadttore zu. Viele wurden von den Pfeilen der Verteidiger niedergestreckt, aber einigen gelang es, die Wehrtürme in Brand zu setzen.

»Wir müssen diese Stadt noch heute einnehmen!«, forderte Christian von seinem Oberstleutnant. »Wenn von Anholt mit seinen Truppen hier ankommt, bevor wir uns in Soest verschanzt haben, wird es schwer, gegen seine Übermacht zu bestehen.« Christian hatte die empfindliche Niederlage von Kirdorf noch gut in Erinnerung. Er selbst war nur knapp mit dem Leben davongekommen, als ihm ein Söldner der katholischen Liga das Pferd unter dem Hintern weggeschossen hatte.

»Die Gegenwehr der Soester Soldaten ist größer als erwartet«, gab Hermann Otto Graf zu Limburg-Stirum zu bedenken. »Außerdem werden unsere Männer erfrieren, wenn sie Soest bei dieser Kälte belagern müssen. Der Boden ist gefroren.«

»Das ist mir gleich«, entgegnete Christian zornig. »Wenn wir Soest nicht einnehmen können, brennen wir es nieder!«

»In den Niederlanden wird man es nicht gutheißen, wenn wir die Stadt vernichten, nachdem die Bürger viertausend Reichstaler an Schutzgeld bezahlt haben.«

»Das haben sich diese Betrüger selbst zuzuschreiben«, entgegnete Christian unnachgiebig. »Ich hätte mich an mein Versprechen gehalten, wäre nicht die Nachricht eingetroffen, dass zwei spanische Regimenter auf dem Weg hierher sind. Jetzt wird Soest bluten. Wir werden ihnen noch sehr viel mehr nehmen, als die mickrigen Reichstaler, die sie freiwillig gezahlt haben.«

Wieder donnerten die Geschütze los. Die Kanonenkugeln zerfetzen den linken Teil des Stadttores. Dahinter brannten bereits mehrere Häuser lichterloh. Das Knistern der Flammen war bis zum Herzog und seinem Oberstleutnant zu hören.

Christian musste husten, als ihm der schweflige Rauch aus den Geschützen in Mund und Nase stieg. Dann begann er schallend zu lachen und deutete mit der rechten Hand zum Stadttor. »Die Ratten kriechen aus ihrem Bau.«

Tatsächlich kamen die ersten Bürger der Stadt durch das Tor gerannt, um sich von den Flammen in Sicherheit zu bringen. Der Weg für das Heer Christians war frei. Achttausend Fußsoldaten und zweitausend Reiter, stürmten jetzt in die Straßen von Soest und schlugen jeden nieder, der sich ihnen in den Weg stellte.

»Löscht die Feuer«, schrie Christian panisch, nachdem seine Mannen die Stadt in ihrer Gewalt hatten. »Danach bessert die Befestigungsmauern aus.«

»Ich werde die Arbeiten überwachen«, erklärte Hermann Otto.

»Nein. Ihr kommt mit mir. Wir werden sehen, welche Schätze die Soester Bürger vor uns verstecken wollten.«

Gemeinsam mit seinem Oberstleutnant begab sich Christian auf den Weg in den St. Patrokli Dom. Gierig riss er das mächtige Holztor auf und spürte sofort die angenehme Wärme im Kirchenschiff.

Der Herzog von Braunschweig staunte nicht schlecht, als er feststellte, dass der Domschatz des Hochstifts Paderborn nach Soest gebracht worden war. Seine Männer stellten mehr als fünfhunderttausend Reichstaler sicher. Außerdem goldene Pokale, kostbare Teller und Silberbesteck.

Vier Stunden nach der Einnahme von Soest saß der Herzog mit seinem Oberstleutnant und einem Schreiber im Schankraum eines Wirtshauses und schüttete den Wein in seine Kehle, als sei es Wasser. Die Feuer waren gelöscht und die Stadt fest in der Hand seiner Truppen.

»Die Paderborner haben wohl gedacht, sie könnten ihr Gold vor mir verstecken«, sagte Christian lachend, trank seinen Krug aus und warf ihn gegen die Wand, wo er scheppernd zerbrach. »Hol mir etwas zu trinken«, fuhr er den Schreiber an, der sich beeilte, dem Befehl seines Feldherrn nachzukommen.

»Bisher war die weltliche Regierung der Stadt nicht zum Verhandeln bereit«, sagte Hermann Otto.

»Sie werden ihre Einstellung überdenken. Das verspreche ich Euch. Verfasse einen Brief an den Rat von Paderborn«, wies Christian seinen Schreiber an, als der mit einem Krug Wein zurückkehrte. »Teile ihnen mit, dass wir den ganzen Stift abbrennen und alle Bauern samt ihren Familien niederhauen, sodass sich darüber noch die Kinder ihrer Kinder beklagen werden. Als Ablösesumme fordere zehntausend Reichstaler von der Geistlichkeit, zwanzigtausend von den Ständen und dreißigtausend von den Juden.«

»Glaubt Ihr, die Paderborner werden diese Summen entrichten, nachdem Ihr ihnen bereits den Domschatz genommen habt?«, fragte Hermann Otto zweifelnd.

»Fast wünsche ich mir, dass sie es nicht tun«, erwiderte Christian ungerührt und leerte seinen Weinkrug.

***

Als Herzog Christian zehn Tage später mit seinem Gefolge in Paderborn einrückte, wurde er dort vom protestantischen Teil der Bevölkerung frenetisch empfangen. Männer und Frauen standen an der Straße und jubelten ihrem Befreier zu, von dem sie sich erhofften, dass er die Unterdrückung durch die katholischen Besatzer beenden würde. Die Jesuiten waren bereits zum Großteil geflohen, als sie von der Ankunft des Halberstädters gehört hatten.

Christian befahl den Bewohnern von Paderborn seine Soldaten aufzunehmen und versprach gleichzeitig, dass er die Stadt zurück zum Protestantismus führen würde. Er selbst zog mit den Adeligen seines Trosses zum Jesuitenkolleg. Im Speisesaal wurde er von wohlgesonnen Bürgern empfangen, die insgesamt sieben Patres festhielten und bereits ein stattliches Essen aufgetischt hatten.

»Bringt die Pfaffen in ihre Zellen und sperrt sie ein«, befahl der Herzog und machte sich dann über die Speisen, vor allem aber den Wein her. Schnell herrschte ausgelassene Stimmung im Saal. Dass die Juden in der Stadt bereits den Plünderungen von Christians Söldnern ausgesetzt waren, störte keinen der Anwesenden.

Nachdem sie ausgiebig gegessen und getrunken hatten, stand Herzog Christian auf und lief taumelnd durch den Saal. »Wir gehen in den Dom«, rief er seinen Gefährten zu. »Das Paderborner Gold wartet darauf, in Besitz genommen zu werden! Bringt alles hierher in diesen Raum.«

Neben den Begleitern des Herzogs folgten ihm auch zwei Männer des Paderborner Rates. Obwohl Christian wusste, dass die Männer versuchen würden, ihn an der Plünderung des Domes zu hindern, sagte er nichts gegen ihre Begleitung. Sie würden ihn nicht aufhalten können. Im Dom ging der Herzog direkt auf eine goldene Statue des heiligen Liborius zu.

»Ich schulde Euch meinen Dank, dass Ihr auf mich gewartet habt«, sagte Christian lachend und umarmte die Figur. »Packt sie ein und bringt sie zu den anderen Schätzen.«

Zwei Männer waren nötig, um die Statue von ihrem Platz zu tragen. Beide ächzten unter der Last, bemühten sich aber dennoch, das kostbare Stück so vorsichtig wie möglich zu transportieren. Sie fürchteten den Zorn des Herzoges, sollten sie das Abbild des Liborius beschädigen.

»Wo haben die Jesuiten das andere Gold versteckt?«, wandte sich Christian an die Männer des Stadtrates.

»Das wissen wir nicht«, antwortete Clemens Nagel, der als protestantischer Stadtrat zu den Fürsprechern Christians gehörte.

»Wie ist der Name des Oberpfaffen?«, fragte Christian weiter.

»Pater Matthäus Rimäus.«

»Schafft ihn her!«

Während er auf den Jesuiten wartete, setzte der Herzog seine Schatzsuche im Dom fort. Unter dem Hochaltar fand Christian Kratzspuren auf dem Boden. »Kommt hierher«, forderte er seine Gefährten auf. Mit vereinten Kräften gelang es, den Altar zur Seite zu schieben. So legten die Männer ein Loch frei, in dem sie eine Schatulle aus Blei fanden.

»Wollen wir doch mal sehen, was die Pfaffen hier versteckt haben«, sagte Christian, hob den Kasten aus dem Loch und öffnete ihn. Anerkennend pfiff er durch die Zähne, als er sah, dass die Schatulle bis zum Rand mit Goldmünzen gefüllt war.

»Schaut auch unter den anderen Altären nach«, befahl Christian. »Ich bin mir sicher, dass dies hier noch lange nicht alles war.«

Der Herzog ging weiter und gelangte zum Schrein, in dem die Reliquien des heiligen Liborius aufbewahrt wurden. Der Sarkophag bestand aus vergoldetem Silber. Auf seinem Deckel standen rund zwei Dutzend goldene Figuren. Auf den Seiten waren Heilige dargestellt.

Christian wusste, dass er mit diesem Schatz zahlreiche Söldner würde anwerben können. Er würde den Schrein nicht in Paderborn zurücklassen. Die Angewohnheit der Katholiken, ihre Reliquien den Pilgern zur Schau zu stellen, damit die den Reichtum der Kirche weiter vermehrten, war dem jungen Herzog zuwider. In seiner Zeit als Bischof von Halberstadt hätte er dies schon unterbunden, wenn er sich damit nicht den Zorn seiner Mutter zugezogen hätte.

»In Gottes Namen haltet ein!«, schrie Matthäus Rimäus, der gerade von Clemens Nagel in den Dom geführt wurde. »Versündigt Euch nicht an dem Heiligen Liborius.«

»Er wird es mir verzeihen«, erwiderte Christian. »Hat Christus seinen Aposteln nicht aufgetragen, in alle Welt zu gehen? Genau dies werden sie jetzt in Form von silbernen Talern tun, die ich aus dem Schrein und den anderen Schätzen gießen lassen werden.«

»Ich flehe Euch an, versündigt Euch nicht.« Dem Jesuiten stand das blanke Entsetzten ins Gesicht geschrieben. Christian kümmerte sich aber nicht weiter um ihn, sondern ließ ihn lachend stehen.

***

Der Herzog von Braunschweig ließ es sich in den nächsten acht Tagen mit seinem Gefolge im Jesuitenkolleg gut gehen. Die Paderborner mussten für das leibliche Wohl der Männer sorgen und nahmen diese Aufgabe zähneknirschend hin. Unterdessen plünderten seine Truppen die katholischen Kirchen der Stadt.

Es gab kein Haus, das nicht von der Einquartierung betroffen war. Weil er dennoch nicht für alle Soldaten Platz fand, schickte Christian ein Regiment in die umliegenden Dörfer. Die Bauern wehrten sich verzweifelt, mussten Plünderungen und Schändungen aber über sich ergehen lassen, wenn ihnen ihr Leben lieb war.

Schließlich ließ Christian Clemens Nagel zu sich rufen, um ihm mitzuteilen, dass er die Stadt verlassen wolle.

»Ein Regiment wird hierbleiben und die Stadt befestigen«, sagte der Herzog, auf die Sorge des Stadtrats hin, die Kaiserlichen könnten nach Paderborn zurückkehren. »Im Gegenzug werden uns Matthäus Rimäus und ein weiterer Pfaffe nach Lippstadt begleiten.«

»Was habt Ihr mit den Männern vor?«, fragte Nagel.

»Es wird ihnen nichts geschehen. Der Stadtrat wird um protestantische Adelige aufgestockt. Jedes Mitglied wird dreitausend Taler bezahlen, wenn es sein Amt behalten will.«

»So viel Geld habe ich nicht«, sagte Nagel entsetzt.

»Dann beschafft es Euch.«

»Habt Ihr weitere Anweisungen?«, fragte Nagel, der sichtlich bemüht war, sich seinen Ärger nicht anmerken zu lassen.

»Ab sofort wird es wieder protestantische Gottesdienste in der Stadt geben«, erklärte Christian. »Außerdem verlange ich, dass die Gebeine Wicharts von den Stadttoren abgenommen und bestattet werden.« Dem Herzog war es ein Dorn im Auge gewesen, als er bei seiner Ankunft in Paderborn gesehen hatte, wie mit den sterblichen Überresten des ehemaligen Bürgermeisters umgegangen worden war. Seit nunmehr dreizehn Jahren waren sie zur Warnung der protestantischen Bevölkerung an die fünf Stadttore von Paderborn genagelt. Es wurde Zeit, dass dieser Frevel ein Ende nahm.

Etwa drei Stunden später machte sich Herzog Christian von Braunschweig mit den Paderborner Schätzen auf den Rückweg nach Lippstadt, um das Anwerben weiterer Truppen zu überwachen. Dort ließ er den Silberschrein des Heiligen Liborius und die anderen Schätze einschmelzen und zu Talern gießen.

Es bereitete ihm diebische Freude, als er von den Münzmachern die ersten Geldstücke überreicht bekam. Er hatte sie nach seinen eigenen Vorstellungen anfertigen lassen. Sie zeigten auf der einen Seite einen aus den Wolken hervorragenden Arm mit gezücktem Schwert und der Umschrift »Alles mit Gott 1622«, und auf der Rückseite die Worte »Gottes Freund, der Pfaffen Feind«.

Der tolle Halberstädter. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges

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