Читать книгу Der tolle Halberstädter. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges - Jörg Olbrich - Страница 16
ОглавлениеOdenwald, 17. November 1621
»Holt Euch alles Geld der Leute, so viel Essen, wie ihr tragen könnt und treibt das Vieh aus dem Dorf«, schrie der Rittmeister Graf von Anholt seinem Regiment zu und stürmte ihnen im Galopp voraus.
Während an der Spitze der Horde dichtes Gedränge entstand, weil jeder bei den Ersten sein wollte, die sich am Besitz der Dorfbewohner gütlich taten, ließ sich Hermann zurückfallen. An das Plündern, Brennen und Morden würde er sich nie gewöhnen. Sicher, es gehörte zum Alltag eines Söldners. Er selbst wollte aber lieber auf ein paar Münzen verzichten, als sich an wehrlosen und unschuldigen Bauern zu vergreifen. Zu essen würde es am Abend für alle genug geben. Es gab kaum eine Möglichkeit, Geld auszugeben. Was sollte er also damit?
Nachdem von Mansfeld den Herzog von Bayern übertölpelt hatte, war ihm von Tilly mit seinem Heer gefolgt. Es kam zu kleineren Scharmützeln, stellen konnte die katholische Liga die Protestanten allerdings nicht. Als die Rebellen schließlich über den Neckar geflohen waren und die Brücke hinter sich zerstört hatten, entschloss sich der General, mit seinem Heer im Odenwald das Winterquartier aufzuschlagen. In kleineren Einheiten zogen sie nun durch das Land und plünderten es.
Weil die Mansfelder in großer Eile geflohen waren, hatten sie die umliegenden Dörfer geschont. Diesen Gefallen tat die katholische Liga den Bauern nicht. Sie hatten Bensheim, Weinheim und Heppenheim geplündert und in ihre Gewalt gebracht. Das Bild, das sich Hermann zeigte, war überall das Gleiche. Und es war auch in Beerfelden nicht anders.
Die Soldaten kannten keine Gnade und schlugen auf alle ein, die dumm genug waren, sich ihnen in den Weg zu stellen. Während Hermann in den Ort hineinritt, suchten die ersten Dorfbewohner ihr Heil bereits in der Flucht und kamen ihm schreiend entgegen. Der Feldwebel hoffte, dass viele entkommen würden. Ihr Hab und Gut hatten sie in dem Moment verloren, in dem die Reiter in den Ort eingefallen waren.
Plötzlich kam eine völlig entblößte Frau schreiend aus einem der Häuser herausgerannt und stürzte sich auf Hermann. Das letzte Stück sprang sie auf ihn zu und klammerte sich an seinem Bein fest. Der Feldwebel befreite sich mit einem Tritt, doch das Weib gab nicht auf und versuchte, ihn erneut zu packen. Instinktiv zog Hermann sein Schwert und trieb es der kreischenden Frau in die Brust. Als sie leblos zu Boden fiel, wandte er sich von ihr ab und setzte seinen Weg fort. Auch wenn es ihm zuwider war, einen wehrlosen Menschen zu töten, das Weib hätte ihm gefährlich werden und von einem möglichen Angreifer ablenken können.
Überall auf der Hauptstraße lagen nun tote Dorfbewohner. Ihr Blut mischte sich mit den Wasserpfützen, die der Regen der letzten Tage zurückgelassen hatte. Hermann spürte, wie sein Magen rebellierte. Das Grauen des Krieges hatte er bereits in von Buquoys Heer kennengelernt. Die Soldaten der katholischen Liga wüteten jedoch noch grausamer. Da ihr General nicht anwesend war, gab es niemanden, der dem schändlichen Treiben Einhalt gebot.
Hermann sah zu, wie mit Essen und Kleidung beladene Soldaten aus den Häusern kamen und die Bewohner mit ihren Schwertern erschlugen, wenn sie sich gegen die Räuber wehrten. Andere Männer holten das Vieh aus den Ställen und trieben es rücksichtslos über die Leichen der ehemaligen Besitzer hinweg. Später würde es geschlachtet und auf den Feuern im Heerlager zubereitet werden.
Der Feldwebel entdeckte vor sich das Pfarrhaus und hörte die wütenden Schreie, die von dort aus auf die Straße hinaushallten. Er stieg von seinem Pferd, band es fest und betrat mit gezogener Waffe das Gebäude. Was er sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.
Im Beisein des Rittmeisters schlugen zwei der Söldner auf den Pfarrer des Ortes ein. Der Mann lag am Boden und versuchte verzweifelt, seinen Kopf mit den Armen zu schützen. Er trug lediglich noch ein Unterhemd, das in der Bauchgegend bereits rot getränkt war.
»Seid Ihr völlig von Sinnen?«, rief Hermann entsetzt. Er wollte dem Pfarrer zur Hilfe eilen, wurde aber von seinem Rittmeister aufgehalten.
»Wir werden den lutherischen Schelm schon zum rechten Glauben zurückführen«, erklärte von Anholt spöttisch. Dann wandte er sich an sein Opfer. »Willst du uns nicht ›Erhalte uns, Gott, bei deinem Wort‹ singen?«
»Ich kann nicht«, jammerte der Mann verzweifelt. Als er die Hände von seinem Gesicht wegnahm, sah Herrmann, dass die Augen blutunterlaufen waren. Auch aus der Nase liefen rote Fäden.
Der Feldwebel dachte verzweifelt darüber nach, wie er die Männer dazu bringen konnte, den armen Mann endlich in Ruhe zu lassen, als drei weitere Soldaten einen Mann und eine Frau hereinführten.
»Wir haben den Kaplan und sein Weib gefangen«, erklärte einer von ihnen voller Stolz.
»Sehr gut«, antwortete der Rittmeister. »Vielleicht wissen die beiden ja, wo der Pfaffe das Geld versteckt hat.
»Was wollt ihr von uns?«, fragte der Kaplan wimmernd.
»Wir fordern 600 Reichstaler. Gebt uns das Geld und wir lassen dich und dein hässliches Weib in Ruhe.«
»Wir haben kein Geld.«
»Das werden wir noch sehen«, sagte von Anholt. »Entmannt den Pfaffen!«
»Um Gottes willen, nein!«, schrie Hermann, wagte es aber nicht einzugreifen, als einer der Söldner dem Pfarrer einen Strick um sein Glied band und diesen strammzog. Ein Zweiter nahm sein Schwert und führte den Befehl des Rittmeisters aus.
Der Pfarrer schrie aus Leibeskräften, bis ihn schließlich eine gnädige Ohnmacht ereilte und sein Körper erschlaffte. Jetzt kümmerten sich die Männer nicht weiter um ihn. Alle wandten sich ab, als hätte es den Mann nie gegeben. Stattdessen sprach von Anholt wieder zum Kaplan.
»Wenn du nicht das gleiche Schicksal erleiden willst, solltest du lieber bezahlen.«
»Ich weiß nicht, wo der Pfarrer das Geld hat«, stammelte der kreidebleiche Mann mit aufgerissenen Augen.
»Doch, das wissen wir!«
»Dein Weib scheint vernünftiger zu sein als du«, sagte von Anholt lachend. »Wo ist das Geld? Ein weiteres Mal frage ich nicht.«
»Ich muss an den Sekretär«, gab der Mann dem Druck nach.
Der Rittmeister gab seinen Männern ein Zeichen und sie ließen den Kaplan zum Schreibtisch des Pfarrers. Dort machte er sich an der Unterseite zu schaffen und zog schließlich ein schmales Kästchen hervor. »Mehr haben wir nicht.«
»Ich denke nicht, dass das reichen wird«, sagte von Anholt. Er nahm das Kästchen entgegen, öffnete den Deckel und schaute ins Innere. Hermann erkannte am Glanz in den Augen des Rittmeisters, dass die Barschaft des Pfarramtes größer war, als er erwartet hatte.
»Reißt den beiden die Sachen vom Leib«, befahl er kurz darauf sichtlich zufrieden. »Sie wollen für uns tanzen.«
Hermann wollte schreien, schaute aber weiterhin tatenlos zu, wie die Männer das Ehepaar schlugen und ihnen jeden Fetzen vom Körper rissen, bis sie nackt im Raum standen. Aus Angst vor einer Strafe tanzte der Kaplan dann tatsächlich mit seinem Weib. Beiden liefen dabei die Tränen aus den Augen und vermischten sich auf ihren Gesichtern mit Schweiß und Dreck.
Es kam Hermann vor, als sei eine Ewigkeit vergangen, bis der Rittmeister endlich genug von diesem grausamen Spiel hatte. Gegenüber dem Kaplan und dessen Weib machte er sein Versprechen wahr, und ließ sie laufen. Der Pfarrer jedoch lag mit gebrochenen Augen in seinem Blut.
Einige Stunden später saß Hermann mit seinen Männern am Lagerfeuer. Dabei gingen ihm die schrecklichen Bilder aus dem Pfarrhaus nicht mehr aus dem Kopf. Als er einen Spieß gereicht bekam, kaute der Feldwebel lustlos auf dem Fleisch herum. Appetit hatte er keinen. In der Zeit als Soldat hatte er allerdings gelernt, dass man dann essen musste, wenn man die Gelegenheit dazu bekam.
Hermann hatte mit dem Gedanken gespielt, den General über die Vorfälle zu informieren. Glaubte der ihm aber nicht, kam es seinem Todesurteil gleich, wenn er gegen seinen Rittmeister aussagte. In der Nacht bekam Hermann kein Auge zu. Immer, wenn er sie schloss, sah er das Bild des entmannten Pfarrers in der riesigen Lache seines Blutes.