Читать книгу Der tolle Halberstädter. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges - Jörg Olbrich - Страница 12

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Oberpfalz, 02. August 1621

Hermann saß auf dem Rücken seines Pferdes und war schweißnass. Nach seinem Aufbruch in Prag war es ihm vorgekommen, als wäre es mit jedem Tag, an dem er sich seinem Ziel näherte, heißer geworden. Die Sonne brannte ohne Erbarmen vom Himmel, und der Boden war so trocken, dass er selbst beim Reiten aufpassen musste, dass er den aufgewirbelten Staub nicht verschluckte.

Weil er Böhmen so schnell wie möglich hinter sich hatte lassen wollen, hatte er die Pausen kurzgehalten. Es tat ihm in der Seele weh, durch seine alte Heimat zu reisen und die Zerstörungen mitansehen zu müssen, die sowohl von den Protestanten als auch von seinen eigenen Kameraden in von Buquoys Heer hinterlassen worden waren. Seinen ursprünglichen Plan, einen Umweg über Pilsen zu machen, hatte Hermann aufgegeben. Er wollte sich den Anblick der zerstörten Stadt ersparen, in der er aufgewachsen war. Jetzt hatte der Feldwebel die Gegend um das böhmische Roßhaupt erreicht. Hier irgendwo musste sich das Heer von General von Tilly aufhalten. Er hatte schon viel von dem berühmten Feldherrn gehört und war gespannt darauf, ihn persönlich kennenzulernen. Wenn man ihn denn überhaupt zu ihm vorlassen würde.

Am Fuße eines Berges waren es schließlich die Soldaten der katholischen Liga, die Hermann fanden. Plötzlich sah er sich zwei Landsknechten gegenüber, die ihm auf ihren Pferden den Weg versperrten. Als er sich umdrehte, sah er hinter sich zwei weitere Reiter.

»Wer bist du und wo willst du hin?«, sprach ihn einer der Männer an.

»Feldwebel Hermann Scheidt. Ich komme vom Feldherrn Graf von Buquoy und habe eine wichtige Botschaft für General von Tilly.«

»Das kann jeder behaupten. Wer sagt uns, dass du kein protestantischer Spitzel bist? Zeig mir diese Botschaft.«

»Das werde ich nicht tun. Ich habe den Befehl, den Brief nur an den General persönlich auszuhändigen.«

»Ich habe selbst in der Armee des Spaniers gekämpft«, sagte einer der Landsknechte hinter Hermann. »Ich glaube, ich habe den Feldwebel in der Schlacht am Weißen Berg schon einmal gesehen.«

»Stimmt das?«, fragte der Landsknecht, der auch zuvor das Wort an Hermann gerichtet hatte.

»Ja. Ich war dort und habe gegen die protestantischen Verräter gekämpft. Zumindest gegen diejenigen, die nicht feige geflohen sind.«

Hermanns letzte Bemerkung brachte ihm das Gelächter der vier Reiter ein, und der erste Bann war gebrochen.

»Wir bringen dich zu Tilly. Hoffentlich hast du keine schlechten Nachrichten für ihn. Seine Stimmung ist übel genug.«

»Ich fürchte, dass er tatsächlich nicht sonderlich froh über die Botschaft sein wird. Buquoy ist in der Schlacht gefallen.«

»Das tut mir leid um den Spanier«, sagte der Reiter hinter Hermann und schloss zum Feldwebel auf.

»Komm mit uns. Wir bringen dich zum General und später kannst du uns alles am Lagerfeuer berichten.«

Hermann folgte den vier Landsknechten in einen Wald und war froh, den sengenden Sonnenstrahlen endlich für einen Moment zu entkommen. Nach etwa einer halben Stunde kamen sie in das Lager der katholischen Liga, welches am Hang lag. Von hier aus konnte der Feldherr die feindlichen Stellungen im Tal sehen und somit schnell auf einen Angriff der Mansfelder reagieren.

Das Bild, das sich Hermann im Lager zeigte, kannte er aus den Erfahrungen seines eigenen Soldatenlebens bereits. Die Männer sahen abgemagert aus und trugen zum Teil nicht mehr als zerrissene Fetzen am Leib. Einige hatten wegen der großen Hitze komplett auf eine Oberbekleidung verzichtet. Sie waren verschmutzt und sonnenverbrannt. Der Gestank war selbst aus einiger Entfernung kaum zu ertragen.

Vor dem Zelt von General von Tilly musste Hermann warten, bis einer seiner Begleiter einem Hauptmann von der Ankunft des Boten berichtet hatte. Erst dann durfte er eintreten und sah sich endlich dem mächtigen Feldherrn gegenüber. Selten in seinem Leben hatte er sich so klein gefühlt.

»Mein spanischer Freund ist also gefallen«, sagte General von Tilly, nachdem er das Schreiben von Rudolf von Tiefenbach gelesen hatte, ohne dabei eine Gefühlsregung zu zeigen. »Ich hoffe, die Protestanten mussten kräftig dafür bezahlen.«

»Das mussten sie.«

»Was ist mit Euch?«, fragte von Tilly Hermann und schaute ihn herausfordernd an. »In dem Schreiben steht, dass Ihr von zwei Soldaten begleitet wurdet. Was ist mit ihnen geschehen?«

»Wir wurden überfallen. Ich selbst bin nur knapp mit dem Leben davongekommen.«

»Ich verstehe. Rudolf von Tiefenbach lobt Eure Dienste ausdrücklich und empfiehlt Euch für meine Armee. Vorerst werdet Ihr den Rang eines Feldwebels behalten. Der Hauptmann wird Euch eine Einheit zuteilen.«

Hermann wusste, dass sein Gespräch mit dem General damit beendet war. Er wartete, bis der Hauptmann ihm befahl, ihm zu folgen. Der brachte ihn anschließend zu einer Gruppe von zehn Männern, die neben einer erkalteten Feuerstelle lagen. Hermann erfuhr, dass deren Führungsoffizier bei einem Scharmützel mit den Mansfeldern, das sich am Morgen ereignet hatte, gefallen war.

Die vier Männer, die Hermann in das Lager der katholischen Liga gebracht hatten, gehörten ebenfalls zu dessen neuer Einheit. Nach seinem Bericht, wie er von Ungarn in die Oberpfalz gekommen war, nannten die Soldaten ihrem neuen Feldwebel ihre Namen. Hermann erfuhr, dass sich die beiden Heere bereits seit fast sechs Wochen hier gegenüberlagen. Nachdem Mansfeld sich mit seinem Tross in Waidhaus verschanzt hatte, und von Tilly dieses Heerlager nicht ohne sehr große Verluste einnehmen konnte, hatte der General befohlen, auf dem Hang Stellung zu beziehen.

Hermann erfuhr, dass von Mansfeld ein Heer von fast fünfundzwanzigtausend Mann zur Verfügung hatte. Insgesamt waren fast vierzigtausend Menschen in Waidhaus versammelt. Das Heer der katholischen Liga war etwa halb so groß. In den letzten Wochen hatten sich die beiden verfeindeten Gruppen belagert und beschossen, und es war immer wieder zu Angriffen und Gegenangriffen gekommen. Dabei hatte bisher keine Seite einen Vorteil erringen können.

Nachdem Hermann so von seinen Männern einen umfassenden Überblick bekommen hatte, merkte er, wie müde er war. Die lange Reise und die Hitze hatten ihm sehr zu schaffen gemacht. Der Hauptmann hatte ihm angekündigt, dass er Hermann am nächsten Morgen zu einer Offiziersbesprechung abholen würde. Die Zeit bis dahin wollte der Feldwebel nutzen, um noch etwas Schlaf zu finden.

***

Das Husten eines Söldners neben ihm riss Hermann aus dem Schlaf. Es dämmerte bereits, richtig hell war es aber noch nicht. Der Feldwebel stand auf und ging zu dem Hustenden. Er lag in gekrümmter Haltung auf der Seite und hielt sich die Hände vor den Bauch. Der Schweiß stand ihm in dicken Tropfen auf der blassen Stirn. Gleichzeitig schien er aber zu frieren und zitterte am ganzen Körper. Mit jedem Husten ging ein Zucken durch den Mann.

Hermann wusste, dass dieser Soldat niemals mehr in einer Schlacht kämpfen würde. Sehr wahrscheinlich war er spätestens am nächsten Morgen tot. Nicht zum ersten Mal musste der Feldwebel mitansehen, wie einer seiner Männer von einer Seuche dahingerafft wurde. Er schickte ein kurzes Gebet zum Himmel und flehte darum, niemals selbst von solch einer Krankheit getroffen zu werden.

Auch die anderen Männer hatten inzwischen mitbekommen, was mit ihrem Kameraden geschehen war.

»Wir müssen ihn sofort zu den anderen bringen«, sagte Winfried Gernod, einer der Söldner.

»Welche anderen?«, fragte Hermann entsetzt.

»Diese Seuche breitet sich im Lager aus wie ein Feuer. Es sterben jeden Tag welche von uns. Wer die Krankheit bekommt, wird in einen gesonderten Bereich des Lagers gebracht. Meistens ist der nächste Weg dieser armen Schweine dann der zum Scheiterhaufen.«

»Dann bringt ihn weg«, befahl Hermann und zwang sich dabei, seiner Stimme einen festen Klang zu geben. Es wunderte ihn nicht, dass das Lager der katholischen Liga mit Krankheiten zu kämpfen hatte. Bei den Mansfeldern würde es sicher nicht anders sein. Die Hitze der letzten Wochen führte schnell zu verdorbenem Fleisch und Seuchen bei den Rindern, wenn sie faules Wasser soffen. Nicht selten griff die Krankheit dann auch auf die Menschen über. Vor allem dann, wenn man von dem schlechten Fleisch aß.

»Wir müssen etwas gegen die Seuche unternehmen«, sagte der Hauptmann von Hermanns Einheit später, als er mit seinen Unteroffizieren versammelt war. »Wenn es so weiter geht, müssen die Mansfelder nur warten, bis keiner mehr von uns übrig ist, und brauchen dafür nicht einen Schuss abgeben.«

»Gegen die Hitze können wir nichts unternehmen«, stellte einer der anderen Feldwebel fest.

»General von Tilly hat einen Plan, der noch heute in die Tat umgesetzt werden soll.«

Jetzt war Hermann gespannt, was sich der alte Fuchs ausgedacht hatte. Der Feldherr führte seine Armee bereits seit Jahrzehnten in die Schlacht und verfügte über einen großen Erfahrungsschatz. Was von Tilly gegen Krankheiten und die Hitze ausrichten wollte, war Hermann ein Rätsel.

»Wir werden einen Scheinangriff auf das Lager der Rebellen führen und sie so zurückdrängen. Eine andere Einheit bringt die Katapulte in Reichweite ihres Lagers.«

Hermann sah überrascht zu seinem Hauptmann auf. Er hatte nicht erwartet, dass von Tilly tatsächlich noch Katapulte zum Einsatz brachte. Die Schlagkraft eines Geschützes war deutlich größer und es verfügte über eine größere Reichweite. Nichts lag dem Feldwebel aber ferner, als dem Befehl seines neuen Hauptmannes zu widersprechen.

Keine Stunde später führte Hermann seine Männer den Hang hinunter auf das feindliche Lager zu. Damit die Protestanten sie erst so spät wie möglich bemerkten, versuchten sie dabei keine Geräusche zu verursachen. Auf halber Strecke sah er die Geschütze der katholischen Liga. Söldner standen bereit und konnten die Kanonen sofort abfeuern. Wieder fragte sich Hermann, was von Tilly mit den Katapulten bezweckte, die hinter ihnen von Pferden herabgezogen wurden.

Es dauerte nicht lange, bis aus dem Lager der Mansfelder die ersten Schreie und Befehle zu hören waren. Kurz darauf stürmte eine Kolonne heraus, um sich den Angreifern entgegenzustellen. Hermann hörte, wie hinter ihm die Geschütze losgingen. Ihre Gegner gingen in Deckung und brachten ihrerseits die Kanonen in Stellung.

Der Hauptmann hatte seinen Unteroffizieren die Anweisung gegeben, nur so lange vorzurücken, bis die Katapulte in Reichweite der verschanzten Protestanten gelangten. Hermann wies seine Männer an, in Deckung zu gehen und die Musketen auf die Verteidiger auszurichten. Hinter ihm brachten die Soldaten der Liga jetzt verdorbene Fleischreste und legten sie in die Schalen der Katapulte. Der Gestank war so entsetzlich, dass sich Hermann mit der freien Hand die Nase zuhielt, obwohl er noch mindestens dreißig Meter von den Transportwagen entfernt war.

Aus insgesamt zehn Katapulten schleuderten seine Kameraden nun den Abfall hinter die Schanzen der Protestanten. Jetzt begriff Hermann den teuflischen Plan des Generals. Wenn die Soldaten der katholischen Liga mit Seuchen zu kämpfen hatten, sollte es den Mansfeldern nicht besser ergehen.

Der tolle Halberstädter. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges

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