Читать книгу Alte Hausmärchen - Humorvoll, spannend und zeitgemäß für Erwachsene neu erzählt, Band 1 - Jörn Kolder - Страница 6

Eine Frau will erobert werden

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 Intellektuell leicht minderbemittelter aber entwicklungsfähiger junger Mann ist hilfsbereit und findet ein glänzendes (und offensichtlich wertvolles) Federvieh

 Federvieh hat die Eigenschaft, sehr anziehend zu wirken

 Tochter eines Beamten hat das Lachen verlernt

 Wer sie wieder dazu bringt darf sie heiraten, muss aber noch ein paar Aufgaben erfüllen

 Eine große Menge Alkohol trinken

 Mächtig viel Nahrung verdrücken

 Ein Schiff organisieren, das zu Wasser und zu Lande fährt

Holzschlagen mit Überraschungen

Blödmann, Volltrottel und Idiot waren die Begriffe, mit denen der Vater und seine beiden Brüder ihn titulierten, dabei war Peter Henschel zwar keine Geistesleuchte, aber auch nicht als beschränkt zu bezeichnen. Da seine Familie allerdings zum Sozialadel gezählt werden konnte (alle, außer ihm, er arbeitete auf dem Bau, gingen keiner regelmäßigen Arbeit nach) blieben sie etwas hinter dem allgemeinen Bildungsniveau zurück und die Umgangsformen waren eher rau, so dass die Beschimpfungen an Peter meist abprallten und ihn nur wenig verunsicherten, weil er es halt nicht anders kannte. Dennoch ärgerte es ihn schon, wenn die anderen ihn als Streber bezeichneten, denn er las viel, besuchte die Volkshochschule und hatte sich in den Kopf gesetzt, irgendwann das Abitur nachzuholen, um nicht wie seine Brüder von der Stütze leben zu müssen. Obwohl sie sich in dieser Hinsicht deutlich unterschieden sahen sich die Brüder aber wie ein Ei dem anderen gleich: sie waren Drillinge und andere Leute hatten große Mühe, sie auseinander zu halten. Um Geld zu sparen gingen die Brüder ab und zu in den Wald Holz schlagen, denn sie beheizten ihre Wohnung mit diesem Material. Dass sie dies illegal taten verstand sich von selbst und sie gaben Obacht, nicht vom Förster oder anderen Leuten dabei entdeckt zu werden. Da sie aber vieles aus dem Bauch heraus und ohne große Überlegung taten hatten sie sich einen Ort nahe des Altersheimes ausgewählt, weil der Transport der geschlagenen Bäume über die dorthin führende Straße zu ihrer Wohnung nicht so mühevoll war, wie der durch den Wald.

Frank Henschel, der Vater, schickte seinen ältesten Sohn Dieter (der damals 20 Minuten vor den beiden anderen Jungen geboren worden war) wieder zu dieser Arbeit in den Wald und packte ihm Brötchen und Knacker sowie zwei Flaschen Bier in den Rucksack. Als der junge Mann kurz vor dem Heim in den Wald abbiegen wollte begegnete ihm ein alter verschrumpelter Mann mit einer dicken Hornbrille auf der Nase und einem Knotenstock in der Hand (dessen Griff dem einer Gans nachempfunden war), der ihn um etwas Nahrung bat.

Als er in den Wald kam, begegnete ihm ein altes, graues Männlein, das bot ihm einen guten Tag und sprach: „Gib mir doch ein Stück Kuchen aus deiner Tasche und laß mich einen Schluck von deinem Wein trinken! Ich bin so hungrig und durstig.“ Der kluge Sohn aber antwortete: „Geb ich dir meinen Kuchen und meinen Wein, so hab ich selber nichts, pack dich deiner Wege!“ ließ das Männlein stehen und ging fort. Als er nun anfing, einen Baum zu behauen, dauerte es nicht lange, so hieb er fehl, und die Axt fuhr ihm in den Arm, daß er mußte heimgehen und sich verbinden lassen. Das war aber von dem grauen Männchen gekommen. (6)

„Das Essen im Heim ist ja nicht schlecht, aber die Portionen sind schon etwas schmal, kannst du mir etwas von deiner Wegzehrung abgeben, junger Mann“ fragte der Alte hoffnungsvoll.

„Sag’ mal, hast du sie nicht mehr alle Opa“ erwiderte Dieter mürrisch „du kannst doch hier nicht um Essen betteln, so ein Platz im Heim kostet doch sicher ne Menge Kohle und da muss es ja eigentlich möglich sein alle satt zu bekommen, das kann doch nicht wahr sein.“

„Hast du eine Ahnung“ sagte das Männchen „die sparen an allen Ecken und Enden. Ich hab mal gelauscht, da hat der Küchenchef gebrüllt, dass er mit nicht einmal vier Euro Lebensmitteleinsatz nicht hexen kann.“

„Ach, lass’ mich mit deinem Geschwätz in Ruhe, verdrück’ dich, du alter Sack, ich hab’ zu tun“ erwiderte Dieter und schlug sich ins Dickicht.

Als er die Axt an den Baum ansetzte prallte diese zurück und hinterließ keinerlei Wirkung, wütend holte Dieter abermals aus, das Ergebnis war das gleiche. Mit der Axt öffnete er erst einmal ein Bier, biss in einen Knacker und versuchte es erneut. Wieder nichts, er trank das Bier aus und schimpfte vor sich hin, dann legte er alle Kraft in den nächsten Schlag, rutschte aber ab und die Axt fuhr ihm in den Arm, zwar nicht tief, aber recht schmerzhaft. Er brüllte auf und meinte aus den Augenwinkel heraus eine graue Gestalt hinter den Bäumen zu erkennen, die sich die Hände rieb und dann verschwand. Dieter band sich ein Tuch um die Wunde und wankte heim. Der Vater schaute sich die Verletzung an, säuberte sie mit Jod (so dass Dieter wieder aufbrüllte) und legte einen frischen Verband an.

„Du Pfeife, hör’ auf zu flennen, das ist kein Fall für den Arzt, in drei Tagen ist wieder alles in Ordnung“ belehrte er seinen Sohn „morgen geht Detlef in den Wald, vielleicht kann der das besser als du, du Versager.“

Darauf ging der zweite Sohn in den Wald, und die Mutter gab ihm, wie dem ältesten, einen Eierkuchen und eine Flasche Wein. Dem begegnete gleichfalls das alte, graue Männchen und hielt um ein Stückchen Kuchen und einen Trunk Wein an. Aber der zweite Sohn sprach auch ganz verständig:

„Was ich dir gebe, das geht mir selber ab, pack dich deiner Wege!“ ließ das Männlein stehen und ging fort. Die Strafe blieb nicht aus, als er ein paar Hiebe am Baum getan, hieb er sich ins Bein, daß er mußte nach Haus getragen werden. (7)

Auch Detlef begegnete dem offensichtlich verwirrten Heimbewohner (in der Einrichtung war für 82 Prozent der Klienten die Diagnose Alzheimer gestellt worden) fast an der gleichen Stelle wie sein Bruder tags zuvor und der alte Mann trug wieder sein Begehr nach Essen vor.

„Verpiss’ dich, du Vogelscheuche“ sagte Detlef genervt „beschwer’ dich beim Heimbeirat oder sonst wo, ich hab’ nichts abzugeben. Was treibst du dich übrigens hier draußen rum, musst du nicht in deinem Heim sein?“

„Eigentlich schon“ erwiderte das Männchen verschmitzt „aber ich habe meine Mittel und Wege da raus zu kommen, verstehst du?“

„Willst du damit sagen, dass du regelmäßig abhaust“ fragte Detlef ungläubig.

„Na klar, ich bin schon mal bis in die Nachbarstadt gekommen. Was denkst du, was das für einen Eindruck bei den Mädels im Heim gemacht hat als die Polizei mich zurück gebracht hat, sie nennen mich dort Copperfield.“

„Der Zauberer“ staunte Detlef „du bist sozusagen der Ausbrecherkönig?“

„Genau, und jetzt gib mir was zu essen.“

„Kannst du dir abschminken, ich hab’ noch was vor“ beendete Detlef das Gespräch und verschwand im Wald, wo er sich erst einmal stärkte und ein Bier trank.

Tatendurstig schlug er auf den Baum ein aber nicht der geringste Schnitzer zeigte sich in der Rinde.

Er hämmerte mehrfach auf den Baum ein, plötzlich prallte das Beil zurück und grub sich in seinen linken Fuß. Schmerzgeplagt sprang er auf und nieder und zog das Werkzeug heraus, um die Wunde zu verbinden. Als er mühsam nach Hause humpelte glaubte er eine verschrumpelte Gestalt hinter den Bäumen zu sehen, die sich Richtung Heim zurückzog.

Sein Vater schüttelte nur mit dem Kopf und warf ihm Schimpfausdrücke an den Kopf, dann befahl er Peter am nächsten Tag in den Wald zu gehen. Ihm packte er einen Kanten altes Brot und schon mehrfach aufgekochten Tee in den Rucksack und gab ihm zu verstehen, dass er daran zweifelte, dass er, als der Trottel der Familie, mehr Erfolg als seine Brüder haben würde.

Da sagte der dritte: „Vater, laß mich einmal hinausgehen und Holz hauen !“ Antwortete der Vater: „Deine Brüder haben sich Schaden dabei getan, laß dich davon, du verstehst nichts davon.“ Der dritte aber bat so lange, bis er endlich sagte: „Geh nur hin, durch Schaden wirst du klug werden.“ Die Mutter gab ihm einen Kuchen, der war mit Wasser in der Asche gebacken, und dazu eine Flasche saures Bier. Als er in den Wald kam, begegnete ihm gleichfalls das alte, graue Männchen, grüßte ihn und sprach: „Gib mir ein Stück von deinem Kuchen und einen Trunk aus deiner Flasche, ich bin so hungrig und durstig.“ Antwortet der Junge: „ Ich habe nur Aschenkuchen und saures Bier, wenn dir das recht ist, so wollen wir uns setzen und essen.“ Da setzten sie sich, und als der Junge seinen Aschenkuchen herausholte, so war’s ein feiner Eierkuchen, und das saure Bier war ein guter Wein. Nun aßen und tranken sie, und danach sprach das Männlein: „Weil du ein gutes Herz hast und von dem deinigen gerne mitteilst, so will ich dir Glück bescheren. Dort steht ein alter Baum, den hau ab, so wirst du in den Wurzeln etwas finden.“ Darauf nahm das Männlein Abschied. (8)

Der scheinbar demenzkranke Copperfield schien über eine Art inneres Radar zu verfügen, denn als Peter gerade in den Wald abbiegen wollte, war er wieder an Ort und Stelle und bat um Nahrung.

„Selbstverständlich mein Herr“ sagte Peter höflich „Sie müssen allerdings mit hartem Brot und Tee vorlieb nehmen, wenn es Ihnen recht ist, für mich bleibt noch genug übrig.“

„Du hast ein gutes Herz, mein Junge“ antwortete der Alte freudig „das will ich dir vergelten. Folge den Bäumen, die mit einem Kreuz markiert sind, dann wirst du einen finden der schon ganz kahl ist, schlage ihn und schaue in seinem hohlen Inneren nach.“

„Aber der nützt mir nichts“ erwiderte Peter „wir brauchen Brennholz und dafür ist ein hohler Baum wohl kaum geeignet.“

„Lass’ dich überraschen, du wirst erstaunt sein“ sagte das Männchen noch und verschwand.

Peter ging kopfschüttelnd in den Wald und sah das erste Kreuz, weitere markierten den Weg und dann stand er vor dem kahlen Baum. Er schlug einmal kräftig zu und dieser fiel knirschend um. Als er ihn näher betrachtete sah er, dass der Stamm hohl war und erkannte, dass im seinem Inneren etwas golden funkelte.

Alte Hausmärchen - Humorvoll, spannend und zeitgemäß für Erwachsene neu erzählt, Band 1

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