Читать книгу Alte Hausmärchen - Humorvoll, spannend und zeitgemäß für Erwachsene neu erzählt, Band 1 - Jörn Kolder - Страница 9
Der Dienst am Vaterland ist ehrenvoll, kann aber gefährlich sein
ОглавлениеSchwerbeschädigter junger Mann findet Anstellung bei der Bundeswehr
Verliebt sich in eine Zivilangestellte
Wird wegen Verdachts der sexuellen Belästigung zur Marine strafversetzt
Dient auf einer Fregatte
Nächste Dienststellung: Matrose an Bord eines U-Bootes
Bleibt standhaft, als er über unangenehme Zwischenfälle im Dienst schweigen soll
Wird zusammen mit der Zivilangestellten wegen nationaler Sicherheitsbedenken von einer unbekannten Organisation aus dem Weg geräumt
Die Bewerbung
Die Männer sahen alle gleich aus, nur ein einziger war etwas anders. Dieser Mann hatte nur ein Bein. Er stand aber ebenso fest auf einen Bein wie die anderen auf zweien. Und gerade der Einbeinige war es, der sich nun bemerkbar machte.Auf dem Hof, auf dem alle aufgestellt waren, standen auch andere Menschen. Aber das, was am meisten in die Augen fiel, war ein niedliches Schloss aus Papier. Durch die kleinen Fenster konnte man geradewegs in die Säle schauen. Draußen vor dem Schloss standen kleine Bäume rings um einen Spiegel, der wie ein kleiner See aussehen sollte. Schwäne aus Wachs schwammen darauf und spiegelten sich. Das war alles sehr niedlich, aber das Niedlichste war doch ein kleines Mädchen, das mitten in der offenen Schlosstür stand. (9)
Roger Brockmann war schon erstaunt gewesen, dass seine Bewerbung sofort zu einem Vertrag geführt hatte, dabei waren seine schulischen Leistungen vorsichtig formuliert als ausgesprochen mäßig und seine körperliche Konstitution als kaum geeignet zu bezeichnen. Das Schicksal hatte ihm in jungen Jahren schon übel mitgespielt. Als er vierzehn war (und die Jungs seiner Klasse darum wetteiferten, wer am meisten Bier und Schnaps vertrug) stieg er angetrunken auf das Moped eines Kumpels und kam erst im Krankenhaus wieder zu sich, wo ihm die Ärzte erklärten, dass sie ihm das rechte Bein bis zur Hüfte amputiert hätten, da die Verletzungen derart schwerwiegend gewesen wären, so dass sie keine andere Wahl gehabt hätten. Die anderen besuchten ihn schuldbewusst im Krankenhaus und versuchten ihm Mut zuzusprechen, irgendwie fand er sich damit ab nur noch ein Bein nutzen zu können und da er keine Prothese tragen wollte kam er bald gut mit seinen Gehhilfen zurecht und bewegte sich ähnlich schnell wie ein Gesunder. Dennoch blieb er verunsichert und seine schulischen Leistungen sackten in den Keller. Erst kurz vor Ende der Schule fing er sich wieder, etwas aber die Noten waren zu schlecht, um einen Ausbildungsplatz bekommen zu können. Sein Berufsberater verwies auf die Kampagne der Bundeswehr (der die Leute knapp wurden) und mehr uninteressiert bewarb er sich für einen Posten im Innendienst mit dem Ergebnis, dass er sich in einem Gespräch vorstellen durfte. Der Offizier, der ihm gegenüber saß, hatte einen seltsamen Sinn für Humor.
„Tja, das mit dem Bein ist nicht so günstig. Eigentlich bin ich ja dagegen, dass Krüppel bei der Truppe Dienst tun, aber Sie werden es nicht glauben, es gibt Vorschriften einen bestimmten Prozentsatz von Behinderten zu beschäftigen. Hier bei uns, das ist doch pervers! Wenn Sie das Bein in Afghanistan eingebüßt hätten könnten Sie mit der Hochachtung der Kameraden rechnen, aber so werden Sie wohl immer der Schütze Arsch im letzten Glied bleiben. Das bisschen Lagerwirtschaft werden Sie aber hoffentlich in den Griff bekommen und wenn Sie sich nichts zuschulden kommen lassen können Sie sich sogar regelmäßige Beförderungen verdienen. Mehr als bis zum Feldwebel wird für Sie allerdings nicht drin sein, denn mit Ihren miesen Schulnoten sind von Ihnen ja ohnehin keine besonderen Geistesleistungen zu erwarten. Aber wie gesagt, Klamotten und anderes Zeug zählen kann doch jeder Idiot, nur echte Kerle wie ich dienen mit der Waffe in der Hand. Es geht mir schon mächtig gegen den Strich, solche Versager wie Sie als Kamerad bezeichnen zu müssen, aber was will man machen, herzlich willkommen bei der Bundeswehr.“
Die Uniform stand Roger Brockmann nicht schlecht und wenn er mit den Gehhilfen an den anderen Soldaten vorbei eilte erntete er öfter anerkennende Blicke. Viele meinten, dass er ein Kriegsveteran sei, wagten aber nicht, ihn daraufhin anzusprechen. Nach und nach wurde er als „Afghanistan Brockmann“ bekannt und keiner (weder er noch seine Vorgesetzten) taten etwas, um diese Legende aus der Welt zu räumen. Der Dienst im Lager war wenig anstrengend und da er Zeit im Übermaß hatte achtete er penibel darauf, dass beste Ordnung herrschte. Schnell wusste er wo sich alles befand und die Inventur (die zur Kontrolle von Soldaten eines anderen Standortes durchgeführt wurde) erbrachte eine Nulldifferenz, so etwas hatte es vorher noch nie gegeben. Der Standortkommandant erwähnte ihn beim Fahnenappell lobend und da Brockmann zuvorkommend auftrat, nicht übel aussah und ihn die Aura eines Helden umwehte wurde er auch für die weiblichen Beschäftigten der Bundeswehr interessant.
Das Pionier Bataillon hatte erheblichen Bedarf an wiederherstellenden Gesundheitsleistungen, da sich die Soldaten des Öfteren verletzten wenn sie Brücken legten, Hindernisse in die Luft jagten, ganze Waldstriche in Brand setzten und verwüsteten, Übungsminen sprengten oder ähnlichen Unfug trieben. Für die Betreuung der lädierten Soldaten war eine junge Frau zuständig, die ihren Arbeitsraum im Erdgeschoss eines der Verwaltungsgebäude hatte und die das Namensschild an der Tür als Dr. Monika Brendel auswies. Roger Brockmann konnte sie von seinem Büro aus gut beobachten, denn im Lager verfügte er selbstverständlich auch über Ferngläser von denen er eines dazu nutzte, ihr bei der Arbeit zuzusehen. Dr. Monika Brendel hatte die Figur einer Tänzerin, war aber stark genug, physiotherapeutische Handlungen vorzunehmen und dies tat sie bis in den frühen Abend hinein (dabei nahezu ununterbrochen von Roger Brockmann beobachtet) und er erkannte, dass sie an einer Halskette einen kleinen Diamanten trug. Bald reichte ihm die Vergrößerung des Fernglases nicht mehr aus (denn er wollte jedes Detail der jungen Frau sehen), so dass er aus der Waffenkammer (die man ihm aufgrund seiner peniblen Ordnung zusätzlich zugeordnet hatte) ein Sturmgewehr entnahm, auf dem ein Zielfernrohr mit enormer Vergrößerung montiert war. Dr. Monika Brendel hatte die Angewohnheit, nach Dienstschluss noch einige Entspannungsübungen durchzuführen, wobei sie es bevorzugte, lange auf einem Bein zu stehen und das andere wie eine Tänzerin weit empor zu strecken. Roger Brockmann beneidete sie um diese Fähigkeit, aber auch er konnte gut auf nur einem Bein stehen. Nachdem er sie so einige Zeit unter die Lupe genommen hatte stand für ihn fest, dass er sich verliebt hatte. Er ahnte aber, dass die Akademikerin für ihn unerreichbar blieben würde.
Zu allem Unglück war er eines Tages, als die anderen Soldaten längst schon ihren Dienst beendet hatten, so in ihren Anblick versunken dass ihm entging, wie sich der wachhabende Offizier leise seinem Beobachtungsplatz näherte und ihn anfuhr:
„Was tun Sie da, Unteroffizier Brockmann, ich erwarte eine Erklärung!“
„Ich prüfe das Zielfernrohr, Herr Oberstleutnant“ antwortete Roger Brockmann unsicher.
„Um diese Zeit? Und was haben Sie beobachtet?“
„Ich habe nur die Visierlinie geprüft, sie ist in Ordnung“ versuchte sich Roger aus der Affäre zu ziehen.
„Ich glaube Ihnen kein Wort, Brockmann“ knurrte der andere „ich behalte Sie im Auge. Ich will keinen Spanner hier haben, verstanden?“
„Jawohl, Herr Oberstleutnant, verstanden“ bellte Roger zurück.
Er musste vorsichtiger vorgehen.