Читать книгу Alte Hausmärchen - Humorvoll, spannend und zeitgemäß für Erwachsene neu erzählt, Band 1 - Jörn Kolder - Страница 8
Ein Verdacht
ОглавлениеSchwester Isolde war Mitte der fünfzig, resolut, und ließ sich von niemandem die Butter vom Brot nehmen, schon gar nicht von der Pflegedienstleiterin, die sie für arrogant und vor allem für unfähig hielt. Als Vertreterin der alten Schule sorgte sie in ihrem Wohnbereich für Zucht und Ordnung und die ihr unterstellten Pflegekräfte drängten sich nicht unbedingt danach dort Dienst zu tun, weil es in den anderen Bereichen lässiger zuging, ohne dass jedoch die Normen verletzt wurden. Dabei versteckte sich hinter dem manchmal ruppigen Auftreten der kleinen Frau, die die Gestalt einer sich nach oben verjüngenden Flasche hatte, sehr viel Wärme gegenüber den Heimbewohnern, die sie bestens versorgt sehen wollte. Obwohl der miese Personalschlüssel nähere Zuwendung zu den Senioren aus Zeitgründen eigentlich ausschloss saß Schwester Isolde oft bei den alten Frauen und Männern auf dem Bettrand und unterhielt sich mit ihnen (sofern diese dazu noch in der Lage waren), täglich hängte sie deswegen mindestens eine Stunde an ihre reguläre Dienstzeit dran. Da sie weder einen Mann gefunden und zudem kinderlos geblieben war betrachtete sie die ihr anvertrauten alten Menschen als ihre Kinder, da diese sich tatsächlich auch oft so verhielten. Philosophie zählte nicht zu den Stärken von Isolde Habermaus, aber der Gang des Lebens war ihr geläufig. Ab und an empfand sie ein Gefühl der Traurigkeit, wenn sie die Jugendbilder der Bewohner sah, die gesunde, gut aussehende und damals aktive Menschen zeigten, die heute regungs- und interessenlos in den Gemeinschaftsräumen saßen und die sie immer wieder zu aktivieren versuchte.
Was ihr momentan allerdings große Kopfschmerzen bereitete war die Tatsache, dass in letzter Zeit zunehmend Meldungen der Senioren bei ihr eingingen, dass Bargeld fehlen würde. Nun war sie nicht der Typ Mensch der Vermutungen nachging, sie brauchte Beweise und zog auch in Betracht, dass in ihrem Wohnbereich die Patienten konzentriert waren, die unter erheblicher Demenz litten. Isolde Habermaus entschloss sich, eine Art Wachsystem einzurichten, um den Dingen auf den Grund zu gehen. Eigentlich gab es nur drei Möglichkeiten: die verwirrten Senioren verschusselten die Barbeträge selbst, jemand vom Personal griff ihnen in die Tasche oder die an manchen Tagen zahlreich im Haus anwesenden Besucher waren dafür verantwortlich. Das schien ihr am wahrscheinlichsten und gab den Anstoß zu einer Dienstberatung, in der sie ihre Leute instruierte, wachsam zu sein und auch im Zweifelsfall die Besucher anzusprechen und sie ihr diskret zuzuführen, so dass sie diese näher unter die Lupe nehmen konnte.
Ihre erste Aktion war leider wenig erfolgversprechend. Ein mittelgroßer, kräftig gebauter Mann mit schütterem Haar, der geschäftlich gekleidet war und einen Beutel in der Hand trug, ging mit dem Rücken zu ihr über den Gang, öffnete die eine oder andere Tür, ging hinein und kam nach kurzer Zeit wieder heraus. Dieses falsche Lächeln dachte sie sich, der Kerl ist hochgradig verdächtig. Als der Mann wieder in einem der Zimmer verschwand blieb sie lauschend vor der Tür stehen und riss sie nach einem Moment auf.
„… hoffe, Sie sind mit unseren Produkten zufrieden, ein kleines Dankeschön an Sie“ hörte sie noch und sah, dass der Mann gerade Elvira Schumann einen Wandkalender in die Hand drückte.
„Wer sind Sie, was machen Sie hier“ fuhr Isolde Habermaus ihn wie eine Furie an aber der Mann ließ sich nicht beeindrucken, sondern hielt nur den Beutel in die Höhe, auf dem „ImmerLecker“ aufgedruckt war und der einen Kochtopf, einen Kühlschrank und Teller, Tasse, sowie Besteck zeigte.
„Olba, Jan Olba, Dr. Jan Olba“ sagte er eine Verbeugung andeutend „ihr freundlicher Dienstleister für den Food Bereich. Da sich Ihre Bewohner bei der letzten Befragung für unser Unternehmen entschieden haben bedanke ich mich mit einer kleinen Aufmerksamkeit. Der Heimleiter, Herr Krause, und die Pflegedienstleiterin, Frau Wenzel, sind selbstverständlich informiert und haben ihre Zustimmung gegeben. Komisch, dass Sie nichts davon wissen.“
„Diese blöde Gans“ zischte Isolde Habermaus leise aber Dr. Jan Olba hatte es gehört.
„Nun, Frau …“
„Habermaus“
„Frau Habermaus, die Kommunikation im Unternehmen ist manchmal gestört, ich kann ein Lied davon singen. Dann gibt es zwangsläufig Probleme, die man aber durch eine offene Atmosphäre ausräumen kann. Ich selbst war in St. Gallen zu diversen Seminaren, man kann sich nicht vorstellen, was alles schief laufen kann.“
„Bei uns läuft einiges schief, darauf können Sie Gift nehmen“ sagte sie wütend.
„Kein Grund den Mut zu verlieren. Sie als Führungskraft, das sehe ich Ihnen doch sofort an, sind es gewohnt, die Dinge in die Hand zu nehmen und aktiv zu agieren, packen Sie die Schwachstellen doch einfach an, indem Sie ein Klima der Offenheit propagieren, nur so kommt man weiter. Jetzt entschuldigen Sie mich bitte, der nächste Termin ruft. Aber vielleicht als versöhnlicher Ausklang: Kennen Sie den, treffen sich drei Chinesen im Puff?“
„Nein, und ich will diesen Witz auch gar nicht hören“ erwiderte Isolde Habermaus mürrisch.
Der Mann entfernte sich schnell und Isolde Habermaus fragte sich, was sie bloß geritten hatte, ihm Interna preiszugeben. Ganz wohl war ihr nicht dabei, aber die im Bett liegende Elvira Schumann schied glücklicherweise als Zeugin aus, da sie schon vor Jahren das Gehör verloren hatte. Sie musste ihre Strategie neu überdenken.