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1. Zur Systematik und Auslegung der Entstrickungstatbestände

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Der Gesetzgeber hat die bisherige Unterteilung des § 6 in Haupttatbestand (§ 6 Abs 1 aF, § 6 Abs 1 S 1 nF) und Neben- oder Ersatztatbestände (§ 6 Abs 3 aF, § 6 Abs 1 S 2 Nr 1–4 nF) auch im Zuge der Überarbeitung durch das SeStEG beibehalten. Die Systematik weicht von den übrigen zentralen Entstrickungsnormen, die als Generalklauseln ausgestaltet sind (vgl § 4 Abs 1 S 3 EStG und § 12 Abs 1 KStG), ab und führt nach dem Willen des Gesetzgebers in bestimmten Fällen auch zu einer Besteuerung, obwohl eine Beschränkung oder ein Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts nicht eintritt.

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Der Haupttatbestand des § 6 Abs 1 S 1 erfasst den klassischen physischen „Wegzug“ aus Deutschland, mit der die Aufgabe jeglichen Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland verbunden ist. Dem Haupttatbestand werden zur Vermeidung von Umgehungsmöglichkeiten, die auch zu einem Ausschluss des dt Besteuerungsrechts hinsichtlich der Gewinne aus der Veräußerung der Anteile führen könnten, mehrere Ersatztatbestände zur Seite gestellt.

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Die Ersatztatbestände („stehen gleich“) der Vorgängerreglung (§ 6 Abs 3 aF) wurden durch das SEStEG zT geändert und erweitert. So ist nun neben der Übertragung der Anteile durch (ganz oder teilw) unentgeltliches Rechtsgeschäft auch die „Übertragung der Anteile durch Erwerb von Todes wegen“ auf eine nicht unbeschränkt steuerpflichtige Person tatbestandsgemäß (§ 6 Abs 1 S 2 Nr 1, 2. Alt). IRd § 6 Abs 1 S 2 Nr 2, der die Vermögenszuwachsbesteuerung auslöst, wenn der StPfl abkommensrechtlich in einem anderen Vertragsstaat ansässig wird, wird nun nicht mehr begrifflich auf „die Person“, sondern auf den „StPfl“ abgestellt. Die gleiche Änderung erfolgte in § 6 Abs 1 S 2 Nr 3, der die Besteuerung tatbestandlich an die Einlage der Anteile in einen Betrieb oder eine Betriebsstätte des StPfl in einem ausl Staat anknüpft. Dieser Ersatztatbestand hat eine weitere beachtliche Änderung erfahren. So knüpfte die Vorgängerregelung die Tatbestandsverwirklichung an die weitere Voraussetzung, dass durch die Einlage „das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile“ durch ein DBA „ausgeschlossen wird“ (vgl § 6 Abs 3 Nr 3 aF). Dieses einschränkende Tatbestandsmerkmal findet sich in § 6 Abs 1 S 2 Nr 3 nicht mehr, was – auf den ersten Blick – eine Verschärfung bedeutet. Der bisherige Ersatztatbestand des Tausches der Anteile gegen Anteile an einer ausl KapGes (§ 6 Abs 3 Nr 4 aF) ist im Zuge der Neuregelung des § 6 durch das SEStEG entfallen. Insoweit finden auf diesen Sachverhalt nunmehr allein die umwandlungssteuerrechtlichen Regelungen zum Anteilstausch (§ 21 UmwStG) Anwendung.

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Durch das SEStEG neu eingeführt wurde hingegen § 6 Abs 1 S 2 Nr 4, der als eine Art Auffangklausel[125] fungieren soll, indem er eine StPfl anordnet, wenn „der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile auf Grund anderer als der in S 1 oder der in Nr 1–3 genannten Ereignisse“ eintritt.

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Steuersystematisch ist der Aufbau des § 6 nur schwer nachvollziehbar.[126] Insb leuchtet nicht ein, weshalb der Gesetzgeber sich nicht – wie in § 4 Abs 1 S 3 EStG und § 12 Abs 1 KStG – einer Generalklausel bedient hat. Der RegE zum SEStEG sah noch eine solche allg Generalklausel vor, die eine Vermögenszuwachsbesteuerung gem § 6 daran knüpfte, ob das Besteuerungsrecht Deutschlands hinsichtlich der Gewinne aus der Veräußerung der Anteile ausgeschlossen oder beschränkt wird.[127] Eine solche Generalsklausel hätte sich deutlich besser in das steuerartenübergreifende Entstrickungskonzept des Gesetzgebers eingefügt, da sich vergleichbare Generalklauseln für den betrieblichen Bereich (vgl § 4 Abs 1 S 3 EStG) und für Wirtschaftgüter von KapGes (vgl § 12 Abs 1 KStG) finden lassen. Im Anschluss an die Einwände des Bundesrates[128] wurde in der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses[129] die Generalklausel nicht weiter verfolgt. Zur Begr wurde vorgebracht, dass die Generalklausel nicht alle bisher gem § 6 aF tatbestandsmäßigen Sachverhalte erfasse, da in einzelnen DBA auch nach einem Ausscheiden des StPfl aus der unbeschränkten StPfl ein dt Besteuerungsrecht erhalten bleibe und Gleiches auch in Nicht-DBA-Fällen gelte.

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Nach dem Willen des Gesetzgebers kann danach die Anwendung des § 6 in seinem Anwendungsbereich über den eines Entstrickungstatbestandes hinausgehen, wenn auch Sachverhalte besteuert werden, in denen das Besteuerungsrecht Deutschlands weder beschränkt noch ausgeschlossen wird. Auch die ganz hM geht davon aus, dass es – außer in § 6 Abs 1 S 2 Nr 4 – bei der Anwendung des § 6 Abs 1 S 1, S 2 Nr 1–3 nicht darauf ankomme, ob das dt Besteuerungsrecht tatsächlich ausgeschlossen oder beschränkt wird.[130]

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Eine solch weite Auslegung ist indes schon im Hinblick auf das gleichheitsrechtlich fundierte Realisationsprinzip nicht zulässig (dazu oben Rn 12). Danach ist eine Besteuerung jenseits einer tatsächlichen Gewinnrealisierung nur gerechtfertigt, wenn das dt Besteuerungsrecht tatsächlich beschränkt oder ausgeschlossen wird. Diese Bedenken bestanden bereits gg § 6 aF,[131] ohne dass der Wortlaut und die Systematik des § 6 aF eine solche einschränkende Auslegung zuließ.

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Dies hat sich durch die Neufassung des § 6 geändert. Angesichts der Formulierung des § 6 Abs 1 S 2 Nr 4 („…Ausschluss oder Beschränkung…auf Grund anderer als der in S 1 oder der in Nr 1–3 genannten Ereignisse.“) lässt sich der „Auffangklausel“ durchaus ein auf den Wortlaut und die Gesetzessystematik gestützter Umkehrschluss entnehmen, dass es auch im Anwendungsbereich des § 6 Abs 1 S 1 und der §§ 6 Abs 1 S 2 Nr 1–3 tatbestandlich eines Ausschlusses oder eine Beschränkung des dt Besteuerungsrechts bedarf.[132] Eine solche Sichtweise dürfte auch einem „Auffangtatbestand“ am ehesten gerecht werden, da dieser kraft seiner Funktion das tragende Tatbestandsmerkmal beinhaltet, welches den „kleinsten gemeinsamen tatbestandlichen Nenner“ der Entstrickungstatbestände darstellt.

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Betrachtet man § 6 zudem aus einer steuerartenübergreifenden Perspektive, erscheint nur die vorstehende Auslegung systemkonform. Einerseits stellen die §§ 4 Abs 1 S 3 EStG, 12 Abs 1 KStG allein auf den Ausschluss oder die Beschränkung des dt Besteuerungsrechts ab. Legt der StPfl seine Beteiligung an der KapGes in seine GmbH & Co KG verdeckt ein,[133] findet eine Besteuerung nur noch nach Maßgabe der Voraussetzungen des § 4 Abs 1 S 3 EStG statt (vgl ausf Rn 325 ff). § 6 Abs 1 S 3 ordnet einen Vorrang von § 17 Abs 5 EStG und umwandlungssteuerrechtlichen Vorschriften an, die idR jeweils auch auf den Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts (vgl zB §§ 11 Abs 2, 13 Abs 2 UmwStG) abstellen. Auch im Hinblick auf die Möglichkeit des Entfallens des Steueranspruchs gem § 6 Abs 3 wird es nicht iSd Gesetzgebers sein, dass jenseits des § 6 Abs 3 S 4 Nr 2 der Entfall des Steueranspruchs in Betracht kommt, auch wenn das Besteuerungsrecht Deutschlands im Einzelfall nicht wieder vollständig reaktiviert ist (vgl dazu Rn 137).

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Vorstehender Auslegung steht allein der abw Wille des Gesetzgebers entgegen. Dieser ist auslegungstechnisch von bes Bedeutung, jedoch ist er nur ein Bestandteil gesetzlicher Auslegungsregeln.[134] Nicht unberücksichtigt bleiben darf in diesem Zusammenhang aber, dass der Gesetzgeber ursprünglich mit den Regelungen des SEStEG ein systematisches „Entstrickungskonzept“ schaffen wollte, welches im Hinblick auf § 4 Abs 1 S 3 EStG, § 12 Abs 1 KStG nur durch vorstehende Auslegung verwirklicht werden kann.[135] Insoweit ist der gesetzgeberische Wille selbst nicht ohne Widerspruch.

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Folgt man dieser Ansicht, ist bei der Anwendung des § 6 Abs 1 bei jedem potentiell tatbestandsmäßigen Sachverhalt zu prüfen, ob das Besteuerungsrecht Deutschlands insoweit tatsächlich beschränkt oder ausgeschlossen wird. Die Fälle, in denen der Tatbestand iSv § 6 Abs 1 S 1 oder § 6 Abs 1 S 2 Nr 1–3 nach seinem Wortlaut zwar erfüllt ist, dass Besteuerungsrecht Deutschlands an künftigen Veräußerungsgewinnen jedoch nicht beschränkt oder ausgeschlossen wird, wären sodann zugunsten des StPfl zu lösen.[136]

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