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2. Haupttatbestand (§ 6 Abs 1 S 1): Physischer Wegzug

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Der Haupttatbestand des § 6 Abs 1 S 1, der den klassischen Fall des physischen Wegzugs umschreibt, setzt voraus, dass die unbeschränkte StPfl der natürlichen Person durch Aufgabe jeglichen Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthaltes endet. Was unter „Wohnsitz“ und „gewöhnlicher Aufenthalt“ zu verstehen ist, bestimmt sich nach §§ 8 und 9 AO. Der bloße Wechsel des Anknüpfungsmerkmals, dh die Aufgabe jeglichen Wohnsitzes unter Beibehaltung des gewöhnlichen Aufenthalts (et vice versa), lässt die unbeschränkte StPfl nicht entfallen.[137] §§ 8, 9 AO sind auch heranzuziehen, um die „Aufgabe“ jeglichen Wohnsitzes und des gewöhnlichen Aufenthalts zu bestimmen. Im Hinblick auf den Wortlaut des § 6 Abs 1 S 1 soll es unerheblich sein, ob der StPfl überhaupt eine Ansässigkeit im Ausland begründet, in welchem Staat er ansässig wird, ob mit diesem Staat ein DBA besteht und welche Regelungen ein DBA enthält. Anders als in § 2 kommt es bei § 6 jedenfalls nicht darauf an, dass der StPfl in ein sog Niedrigsteuerland verzieht.

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Der Wortlaut („deren StPfl durch Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes endet“)[138] sieht als Beendigungsgrund für die unbeschränkte StPfl eindeutig nur die Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts vor. § 6 Abs 1 S 1 stellt bei Beendigung der unbeschränkten StPfl nach seinem Wortlaut nicht auf die Beendigung der unbeschränkten StPfl iSv § 1 Abs 1 EStG ab, sondern auf die Beendigung jeglicher unbeschränkter StPfl. Stellt etwa der wegziehende StPfl trotz Aufgabe seines Wohnsitzes einen Besteuerungsantrag gem. § 1 Abs 3 bzw gem § 1a EStG, sind die Tatbestandsmerkmale des § 6 Abs 1 S 1 nicht vollständig erfüllt.[139] Gibt der StPfl zwar jeglichen inländischen Wohnsitz und seinen gewöhnlichen Aufenthalt auf, verbleibt er aber zB auf Besteuerungsantrag gem § 1 Abs 3 EStG in der inländischen unbeschränkten StPfl und kommt es erst später zB durch Verzicht auf eine spätere Antragstellung zu einer Beendigung der unbeschränkten StPfl, so ist § 6 Abs 1 S 1 nicht erfüllt, da das Ende der unbeschränkten StPfl nicht – wie erforderlich („durch“) – auf der Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts beruht.[140] Insoweit führt dies auch dazu, dass der StPfl nach einem Wegzug unter Beibehaltung einer unbeschränkten StPfl nach § 1 Abs 3 EStG (oder § 1a EStG) eine Beteiligung an einer ausl KapGes veräußern kann, ohne dass die Rechtsfolge des § 17 Abs 1 EStG bzw die des § 6 Abs 1 S 1 ausgelöst wird. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass bei einem Wegzug in einen DBA-Staat in diesem Fall idR der Ersatztatbestand des § 6 Abs 1 S 2 Nr 2 Anwendung findet, wenn der Wegziehende im Ausland seinen Mittelpunkt der Lebensinteressen (vgl Art 4 Abs 2 MA) einnimmt.[141] Ggfs. wirkt sich die Nichteinbeziehung dieser Sachverhalte in den Anwendungsbereich des § 6 Abs 1 S 1 regelmäßig nicht zu Gunsten, sondern zu Lasten des StPfl aus. Denn es kann sich in diesem Fall zB in dem späteren Verzicht auf eine Antragstellung um ein Ereignis handeln, dass zum Ausschluss oder der Beschränkung des Besteuerungsrechts Deutschlands iSv § 6 Abs 1 S 2 Nr 4 führt. Ist in diesem Fall jedoch nur die Auffangklausel des Abs 1 S 2 Nr 4 anwendbar, kann der StPfl insoweit einen Nachteil erleiden, als § 6 Abs 5 in Fällen des § 6 Abs 1 S 2 Nr 4 keine Stundungsmöglichkeit vorsieht (vgl § 6 Abs 5 S 3 Nr 1–3 – Umkehrschluss). Vor diesem Hintergrund sind die genannten Beispielsfälle unter § 6 Abs 1 S 1 im Wege der Analogie zu subsumieren.

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§ 6 Abs 1 S 1 führt bei streng wortlautgetreuer Auslegung zu nicht sachgerechten Ergebnissen, soweit die Vermögenszuwachsbesteuerung ausgelöst würde, auch wenn im Einzelfall das Besteuerungsrecht Deutschlands trotz Beendigung der unbeschränkten StPfl des StPfl weder ausgeschlossen noch beschränkt wird.[142] Folgt man der hier vertretenen Auffassung (dazu oben Rn 5 ff, 56 ff), dass auch in den übrigen Entstrickungstatbeständen des Abs 1 S 1 und S 2 Nr 1–3 ein Ausschluss oder eine Beschränkung des dt Besteuerungsrechts hinsichtlich der Veräußerungsgewinne erforderlich ist, ist § 6 Abs 1 S 1 in folgenden Fällen nicht erfüllt:

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Fallgruppe 1: Es besteht kein DBA und Deutschland ist nicht zur Anrechnung ausl Steuern auf die Veräußerungsgewinne verpflichtet (inl Beteiligung);
Fallgruppe 2: Es besteht ein DBA, aber trotz Ausscheidens des StPfl aus der inländischen unbeschränkten StPfl wird das bestehende dt Besteuerungsrecht hinsichtlich der Veräußerungsgewinne weder ausgeschlossen noch beschränkt (inl Beteiligung);
Fallgruppe 3: Es besteht ein DBA, aber Deutschland stand zu keinem Zeitpunkt ein Besteuerungsrecht hinsichtlich der Veräußerungsgewinne zu (ausl Beteiligung).

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Beispiel (Fallgruppe 1):

Die natürliche Person A, zu 100 % an der inländischen D-GmbH beteiligt, verzieht unter Aufgabe ihrer unbeschränkten StPfl im Inland nach Monaco (Nicht-DBA-Staat).

Lösung:

Bei einer späteren Veräußerung der Beteiligung an der D-GmbH wäre A iRd beschränkten StPfl in Deutschland mit den Veräußerungsgewinnen steuerpflichtig (§ 49 Abs 1 Nr 2 Buchstabe e EStG). Soweit Monaco ebenfalls die Veräußerungsgewinne iRd unbeschränkten StPfl des A besteuert, ist Deutschland weder nach § 34c Abs 1 EStG (keine unbeschränkte StPfl im Inland) noch gem § 50 Abs 3 EStG (keine Einkünfte aus sog Drittstaaten) zur Anrechnung der ausländischen Steuer verpflichtet. Das inländische Besteuerungsrecht ist nicht beschränkt, eine Verwirklichung des § 6 Abs 1 S 1 kommt nach der hier vertretenen Ansicht nicht in Betracht. Bei wortlautgetreuer Anwendung ist § 6 Abs 1 S 1 bei Wegzug des A erfüllt. Bei Besteuerung der späteren tatsächlichen Veräußerung gem § 49 Abs 1 Nr 2 Buchstabe e EStG wäre dann § 6 Abs 1 S 5 zu beachten.

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Beispiel (Fallgruppe 2):

Die natürliche Person A, zu 100 % an der inländischen D-GmbH beteiligt, verzieht unter Aufgabe ihrer unbeschränkten StPfl im Inland nach Kenia (DBA-Staat mit Sitzstaatklausel).

Lösung:

Bei einer späteren Veräußerung der Beteiligung an der D-GmbH wäre A iRd beschränkten StPfl in Deutschland mit den Veräußerungsgewinnen steuerpflichtig (§ 49 Abs 1 Nr 2 Buchstabe e EStG). Art 13 Abs 4 DBA/Kenia sieht ausdrücklich ein Besteuerungsrecht Deutschlands in diesem Fall vor. In Kenia wird die dt Steuer bzgl der Veräußerungsgewinne auf die kenianische Steuer angerechnet (Art 23 Abs 2 Buchstabe b DBA/Kenia). Das dt Besteuerungsrecht bleibt also trotz des Wegzugs des A weiterhin uneingeschränkt erhalten. Nach der hier vertretenen Ansicht ist § 6 Abs 1 S 1 nicht erfüllt.

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Beispiel (Fallgruppe 3):

Die natürliche Person A, zu 100 % an einer portugiesischen KapGes beteiligt, ist seit dem Jahr 2001 sowohl in Portugal als auch in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig, gilt jedoch aufgrund ihres Lebensmittelspunkts in Portugal als abkommensrechtlich dort ansässig (Art 4 Abs 2 Buchstabe a DBA/Portugal). In 2003 hat A die Beteiligung erworben. Im Jahr 2012 gibt A seinen Wohnsitz in Deutschland auf und scheidet aus der inländischen unbeschränkten StPfl aus.

Lösung:

Nach der hier vertretenen Ansicht ist § 6 Abs 1 S 1 nicht erfüllt, da Deutschland gem Art 13 Abs 4 DBA/Portugal (Ansässigkeitsstaat-Klausel) abkommensrechtlich zu keinem Zeitpunkt ein Besteuerungsrecht hinsichtlich der Veräußerungsgewinne zustand. Auf die Stundungsmöglichkeit gem § 6 Abs 5 kommt es daher nicht an. Wer hier allein dem Wortlaut des § 6 Abs 1 S 1 folgend eine Vermögenszuwachsbesteuerung bejahen will, muss sich den Vorwurf einer abkommenswidrigen – und zudem wohl europarechtswidrigen – Besteuerung gefallen lassen.

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In den genannten Bsp ist aber zu beachten, dass eine Vermögenszuwachsbesteuerung gem § 6 Abs 1 S 2 Nr 4 zu einem späteren Zeitpunkt in Betracht kommen kann, wenn der Weggezogene in einen anderen Staat weiter verzieht oder die Anteile unentgeltlich auf einen anderweitig ansässigen Erwerber überträgt (vgl Rn 107).

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