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d) Auffangtatbestand (Nr 4)
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§ 6 Abs 1 S 2 Nr 4 schafft nach dem gesetzgeberischen Willen einen Auffangtatbestand.[199] Die Formulierung lehnt sich an die der übrigen Entstrickungstatbestände (vgl § 4 Abs 1 S 3 EStG, § 12 Abs 1 KStG) an. Als Auffangtatbestand hat Nr 4 an sich nur subsidiäre Bedeutung gegenüber § 6 Abs 1 S 1 und den Ersatztatbeständen des § 6 Abs 1 S 2 Nr 1–3. Durch seine Formulierung und das systematische Verständnis als Auffangtatbestand „wirkt“ Nr 4 nach der hier vertretenen Auffassung jedoch insoweit in die übrigen Tatbestände hinein, als auch dort das Tatbestandsmerkmal des „Ausschlusses oder der Beschränkung des Besteuerungsrecht“ hineinzulesen ist (dazu ausf oben Rn 5 ff, 56 ff). Bei Anwendung des § 6 Abs 1 S 1 Nr 4 ist zu sehen, dass er auf beschränkt Steuerpflichtige nicht anwendbar ist.[200]
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Ein Ausschluss oder eine Beschränkung des Besteuerungsrechts setzen denklogisch voraus, dass zuvor ein Besteuerungsrecht bestanden hat.[201] Soweit ein solches von vornherein nicht bestand, kann es auch nicht zu dessen Ausschluss oder Beschränkung kommen.
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Ein Ausschluss des dt Besteuerungsrechts kommt sowohl in Betracht, wenn die Einkünfte aus einer späteren Veräußerung der Anteile iSd § 17 EStG auf Grund eines Ereignisses steuerfrei zu stellen oder nicht mehr steuerbar sind. Es kommt darauf an, ob eine Besteuerung durchgeführt werden kann, wenn der StPfl den Tatbestand (fiktiv) erfüllen würde.[202] Durch höchstrichterliche Rechtsprechung nicht abschließend geklärt ist, ob der Ausschluss des dt Besteuerungsrechts auf ein Handeln des StPfl zurückzuführen sein muss, oder ob auch Fälle erfasst sind, die sich seinem Verantwortungsbereich entziehen, wie zB die Änderung oder der Neuabschluss eines DBA (sog passive Entstrickung, s a Rn 100). Beispielhaft sei auf Art 13 Abs. 4 OECD-MA hinsichtlich der Veräußerung von unbeweglichem Vermögen verwiesen, der das alleinige Besteuerungsrecht nicht mehr ausschließlich dem Ansässigkeitsstaat zuweist, sondern auch eine Besteuerung im Immobilienstaat zulässt.[203]
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Beispiel:
Die natürliche Person A, zu 100 % an der ausl B-GmbH beteiligt, ist im Inland auf Grund eines Wohnsitzes unbeschränkt steuerpflichtig. Hauptsächlich wohnt A im Nicht-DBA-Staat X (Mittelpunkt der Lebensinteressen), wo A ebenfalls unbeschränkt steuerpflichtig ist. Der Staat X erhebt keine Steuern auf Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalgesellschaftsbeteiligungen. Deutschland schließt nun mit dem Staat X ein DBA, das den Art 4 MA und Art 13 Abs 5 MA entspr Regelungen, aber keine sog subject-to-tax-Klausel enthält.
Lösung:
Im Anschluss an das Wirksamwerden des DBA verliert Deutschland sein Besteuerungsrecht hinsichtlich der Veräußerungsgewinne (Art 13 Abs 5 MA). § 6 Abs 1 S 2 Nr 2 ist tatbestandlich nicht erfüllt. Der Gesetzgeber[204] und die hM[205] will in diesem Fall Nr 4 anwenden, was nach dem Wortlaut zulässig erscheint. Das Argument, es handele sich um eine staatliche Maßnahme, die vom StPfl nicht beeinflusst werden kann, überzeugt hier nicht.[206] Denn die Verwirklichung eines Steuertatbestandes setzt nicht zwingend eine aktive Handlung des StPfl voraus (§ 38 AO), sondern lediglich die Verwirklichung des steuergesetzlich kodifizierten Tatbestands für die Steuerentstehung.[207] Ebenso ist § 6 Abs 1 S 2 Nr 4 anzuwenden, wenn der Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts letztlich auf einer Änderung des innerstaatlichen Rechts des ausländischen Staates beruht.[208]
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In speziellen Fällen, in denen die Ansässigkeit in einem DBA-Staat nicht an ein in Art 4 MA genanntes Merkmal knüpft, kommt eine Anwendung des § 6 Abs 1 S 2 Nr 4 ebenfalls in Betracht. Wechselt etwa ein Anteilsinhaber (Anteil an einer dt KapGes) mit Doppelwohnsitz in Deutschland und der Schweiz (Lebensmittelpunkt in der Schweiz) von der schweizerischen Pauschalsteuer zur sog modifizierten Aufwandsbesteuerung, gilt er ab diesem Zeitpunkt als in der Schweiz ansässig (vgl Art 4 Abs 6 DBA/Schweiz).[209] In diesem Moment verliert Deutschland sein Besteuerungsrecht. Da § 6 Abs 1 S 2 Nr 2 tatbestandlich nicht erfüllt ist (kein „ähnliches Ereignis“), greift § 6 Abs 1 S 2 Nr 4 (vgl auch Rn 97).[210]
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Eine Beschränkung des dt Besteuerungsrechts ist anzunehmen, wenn das Besteuerungsrecht nicht dem Grunde, sondern der Höhe nach beeinträchtigt wird. Der Gesetzgeber zielt dabei insb auf die Fälle, in denen künftig Deutschland eine im Ausland auf die Veräußerungsgewinne erhobene Steuer im Inland anrechnen muss,[211] auch wenn hierdurch streng genommen das Besteuerungsrecht an sich nicht beschränkt wird.[212] Hauptsächlich erfasst werden sollen damit Sachverhalte im Verhältnis zu Nicht-DBA-Staaten.[213] Jedoch macht sich der Gesetzeswortlaut einen typisch abkommensrechtlichen terminus technicus („Besteuerungsrecht“) zu eigen, weshalb sich eine allein nach innerstaatlichem Recht begründete Anrechnungsverpflichtung (§ 34c EStG) nicht als tatbestandliche „Beschränkung“ begreifen lässt.[214] Kernfrage einer „Beschränkung“ des Besteuerungsrechts ist zudem, ob es ausreicht, dass eine Anrechnung der ausl Steuern im Veräußerungsfall potentiell möglich ist.[215] Diese Auslegung erscheint jedoch zu weitgehend.[216]
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Vielmehr ist zum Zeitpunkt des Eintritts des „Ereignisses“ iSv § 6 Abs 1 S 2 Nr 4 danach zu fragen, ob eine konkrete Gefahr der Anrechnung ausl Steuern besteht. Dies ist zB nicht der Fall, wenn zu diesem Zeitpunkt der ausl Staat keine Besteuerung von Veräußerungsgewinnen vorsieht. Gleiches gilt auch dann, wenn der im Inland unbeschränkt StPfl Anteile an einer inländischen KapGes hält, da die Gefahr der Anrechnung ausl Steuern ausl Einkünfte voraussetzt.[217] Möglich ist eine „Beschränkung“ des Besteuerungsrechts aber in folgendem Fall:[218]
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Beispiel:
Die natürliche Person A, zu 100 % an der ausl B-GmbH mit Sitz im Nicht-DBA-Staat X beteiligt, ist allein im Inland unbeschränkt steuerpflichtig. Zum Zeitpunkt des Erwerbs der Beteiligung in Jahr 01 sah der Staat X keine beschränkte StPfl von Steuerausländern hinsichtlich der Gewinne aus der Veräußerung von im Staat X ansässigen KapGes vor. Eine solche beschränkte StPfl – vergleichbar der dt ESt – führt der Staat X im Jahr 2004 ein.
Lösung:
Ab der Einführung der beschränkten StPfl in Staat X ist Deutschland gem § 34c Abs 1 EStG im Veräußerungsfall zur Anrechnung der ausl Steuern verpflichtet. Soweit man zur Verwirklichung des § 6 Abs 1 S 2 Nr 4 generell eine dem StPfl zurechenbare Handlung voraussetzt, würde keine Entstrickungsbesteuerung ausgelöst.[219] Rechtsstaatlich dürfte eine Besteuerung aber hinzunehmen sein, wenn die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts ursächlich durch eine Änderung des nationalen Rechts des ausländischen Staates hervorgerufen wird (s Rn 109).
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Eine Einschränkung könnte der Wortlaut des § 6 Abs 1 S 2 Nr 4 insoweit enthalten, als tatbestandsgemäß nur ein gegenüber den in § 6 Abs 1 S 1, S 2 Nr 1–3 tatbestandsgemäßen Ereignissen[220] anderes Ereignis ist. Danach könnte etwa die in § 6 Abs 1 S 2 Nr 1 bestehende Gesetzeslücke bei Schenkung bzw Vererbung der Anteile an einen Begünstigten mit Doppelwohnsitz und Lebensmittelpunkt im anderen DBA-Vertragsstaat (vgl Rn 80, 83) nicht durch Anwendung des § 6 Abs 1 S 2 Nr 4 geschlossen werden, da es sich nicht um ein „anderes“ Ereignis in diesem Sinne handelte. Hingegen wird man – gestützt auf die Qualifizierung als Auffangtatbestand – den Begriff des „anderen Ereignisses“ auch in einem weiteren Verständnis auslegen können.