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13. Abbiegen (§ 9 StVO)

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Das Vorrecht des Längsverkehrs gegenüber den Abbiegern gehört, wie das Vorfahrtsrecht, zu den wesentlichen Grundlagen des Straßenverkehrs. Dies gilt auch für den Rechtsabbieger.[235]

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Wer abbiegen will, muss dies rechtzeitig und deutlich ankündigen und hat dabei den Fahrtrichtungsanzeiger zu benutzen.[236] Unter Abbiegen ist auch das Einbiegen in ein Grundstück zu verstehen. Das Einbiegen aus einer Wendeschleife in den fließenden Verkehr ist einer Grundstücksausfahrt gleichzusetzen.[237] Muss der Fahrer eines überlangen (15,5 m) Gliederbusses die Gegenfahrbahn in Anspruch nehmen, wenn er einbiegen will, trifft ihn die besondere Sorgfaltspflicht, sofort anzuhalten, wenn Gegenverkehr auftaucht.[238] Muss der Abbieger zwei Gegenfahrspuren überqueren, so darf er erst dann einbiegen, wenn beide Fahrspuren frei sind.[239]

Die Ankündigung ist im Allgemeinen dann rechtzeitig, wenn die anderen Verkehrsteilnehmer sich auf die Absicht des Einbiegens in Ruhe einstellen können.[240] Von entscheidender Bedeutung ist die Zeitspanne, die zwischen der Zeichengebung und dem Abbiegen liegt.[241] Beim Linksabbiegen muss der Kraftfahrer in Rechnung stellen, dass hinter ihm fahrende Fahrzeuge mit größerer Geschwindigkeit fahren und das Richtungszeichen vielleicht nicht bemerkt haben.[242]Der Anscheinsbeweis bei einem Unfall mit einem Überholer spricht gegen den Abbieger[243] (s. auch Rn. 167).

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Vor dem Abbiegen nach links ist der Fahrer eines Kfz verpflichtet, sich rechtzeitig bis zur Mitte der Straße, auf Fahrbahnen für eine Richtung möglichst weit links, einzuordnen. Diese Einordnungspflicht besteht schon bei einer Straßenbreite von 6 m.[244] Hat ein Fahrzeugführer sich zur Straßenmitte eingeordnet, so braucht ein nachfolgender Fahrer nicht damit zu rechnen, dass der Vorausfahrende ohne Fahrtrichtungsänderungsanzeige nach links abbiegt.[245] Etwas anderes kann bei Kolonnenfahrt im Stadtverkehr gelten.[246] Einen „Zweitüberholer“ trifft eine gesteigerte Sorgfaltspflicht.[247]

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Die Pflicht zur zweiten Rückschau vor Beginn des Linksabbiegens kann deshalb, abgesehen von den Fällen, in denen das Linksüberholen aus technischen Gründen unmöglich ist, nur dann entfallen, wenn ein Linksüberholen so grob verkehrswidrig wäre und daher so fern liegt, dass sich ein Linksabbieger trotz der von ihm geforderten höchsten Sorgfaltsstufe nicht darauf einzustellen braucht.[248] Nochmalige Rückschau auch stets dann, wenn der Fahrzeughalter unmittelbar vorher vom Straßenrand angefahren ist und sich gleich eingeordnet hat.[249] Abbiegen kurz nach Beginn einer unterbrochenen Leitlinie verpflichtet zur vorherigen nochmaligen Rückschau.[250] Die Haftung des Überholers kann sich auf 1/3 belaufen, wenn der Linksabbieger die Fahrtrichtungsanzeiger betätigt und sich bis zur Mitte einordnet, er aber die zweite Rückschau versäumt hat.[251] Kam der Linksabbieger seiner doppelten Rückschaupflicht nicht nach und setzte der andere Unfallbeteiligte trotz unklarer Verkehrslage zum Überholen an, kann eine hälftige Haftung gerechtfertigt sein.[252]

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Beim Abbiegen in ein Grundstück muss sich der Fahrzeugführer darüber hinaus so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist (§ 9 Abs. 5 StVO).[253] Der Haftungsmaßstab wird dadurch nochmals erhöht.[254] Der in ein Grundstück Einbiegende trägt regelmäßig für das damit verbundene Verkehrsgeschehen allein die Verantwortung.[255] Dies gilt nicht gegenüber einem aus demselben Grundstück ausfahrenden Kfz.[256] Beim Einparken von einer mehrspurigen Richtungsfahrbahn auf einen Mittelstreifen zwischen zwei getrennten Fahrbahnen gelten die erhöhten Sorgfaltspflichten entsprechend.[257] Maßgeblich für § 9 Abs. 5 StVO – korrespondierend zu den sich aus § 10 StVO ergebenden Pflichten – ist, dass das Fahrzeug den fließenden Verkehr verlässt.[258]

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Der im Gegenverkehr herannahende Verkehrsteilnehmer darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass sein Vorrecht auf ungehinderte Vorfahrt beachtet wird.

Kommt es zwischen einem Linksabbieger und einem in Gegenrichtung geradeaus fahrenden Kraftfahrzeug zu einem Zusammenstoß, spricht für das Verschulden des Abbiegenden der Anscheinsbeweis.[259] Erschwerte Sichtverhältnisse auf den Gegenverkehr entlasten den Linksabbieger grundsätzlich nicht, er muss sich dann vorsichtig in die Gegenfahrbahn hineintasten. Sie führen zu einer weiteren Erhöhung der von ihm zu vertretenden Betriebsgefahr.[260] Im Einzelfall kann den Entgegenkommenden aber ein Mitverschulden treffen. Dies z.B. dann, wenn er das sog. „Vortastrecht“ des Linksabbiegers, dessen Sicht eingeschränkt ist, missachtet.[261] Ein Verstoß gegen die Beleuchtungspflicht kann zur überwiegenden Haftung des entgegenkommenden Verkehrs führen.[262] Überquert ein Inlineskater die Fahrbahn, obwohl er erkennen kann, dass ein entgegenkommender Pkw beim Linksabbiegen sein Vorrecht missachten wird, trifft ihn eine Mithaftung von 15 %.[263] Der nach links Einbiegende braucht im Allgemeinen nicht damit zu rechnen, dass ein entgegenkommender Kraftfahrer ohne erkennbaren Grund die Straßenmitte benutzt.[264] Biegt ein Fahrer nach links ab, weil er wegen fehlerhaften Blinkens davon ausgeht, dass der Entgegenkommende nach rechts abbiegt, so trifft u.U. beide Fahrer ein gleich hohes Verschulden an dem Zusammenstoß.[265]

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Abbieger haben alle entgegenkommenden Fahrzeuge auf oder neben der Fahrbahn durchfahren zu lassen. Sie müssen Schienenfahrzeuge, Fahrräder mit Hilfsmotor und Radfahrer auch dann durchfahren lassen, wenn sie neben der Fahrbahn in der gleichen oder entgegengesetzten Richtung fahren (§ 9 Abs. 3 StVO).[266] Auf Fußgänger muss der Abbieger besondere Rücksicht nehmen, wenn nötig, muss er warten. Verstößt ein Linksabbieger gegen seine Wartepflicht aus § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO und kommt es deswegen zu einem Unfall, hat er i.d.R., wenn nicht im Einzelfall Besonderheiten vorliegen, in vollem Umfang oder doch zum größten Teil für eingetretene Unfallfolgen zu haften.[267]

Unterbricht der Linksabbieger den Vorgang so rechtzeitig, dass der Entgegenkommende gefahrlos passieren könnte, dann überwiegt bei dem infolge Vollbremsung des Vorfahrtsberechtigten entstehenden Unfall dessen Verschulden (80 : 20).[268] Ein Verkehrsteilnehmer kann i.d.R. einen Mitverschuldenseinwand gegenüber einem auf sein verkehrsgerechtes Verhalten Vertrauenden nicht aus dem Vorwurf herleiten, dieser habe mit seinem (des Einwendenden) groben vorsätzlichen Verkehrsverstoß vorsorglich rechnen müssen.[269] Der entgegenkommende Fahrer braucht deshalb seine Fahrgeschwindigkeit grundsätzlich nicht zu mindern.[270] Linksabbiegen vor einem in schneller Fahrt entgegenkommenden Fahrzeug ist derart grob schuldhaft, dass die Betriebsgefahr des entgegenkommenden Fahrzeuges und selbst das in einer leichten Geschwindigkeitsüberschreitung liegende Verschulden unberücksichtigt bleiben können.[271] Überschreitet der Geradeausfahrer jedoch die zulässige Geschwindigkeit erheblich, so trifft ihn ein überwiegendes oder sogar alleiniges Verschulden bei einem Zusammenstoß mit einem Linksabbieger.[272] Er darf sein Vorrecht nicht erzwingen, wenn er erkannt hat oder hätte erkennen können, dass es missachtet wird.[273] Kommt er durch Bremsen wegen eines Linksabbiegers ins Rutschen, trifft ihn eine 40 %ige Mithaftung.[274]

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Die Wartepflicht des Linksabbiegers gegenüber dem auf derselben Straße Weiterfahrenden kann entgegen dem natürlichen Verlauf der Straße durch vorfahrtregelnde Beschilderung geändert werden. Wer nach links abbiegen will, muss entgegenkommende Fahrzeuge, die ihrerseits nach rechts abbiegen wollen, durchfahren lassen (§ 9 Abs. 4 StVO).[275] Nach § 9 Abs. 4 S. 2 StVO müssen Kfz, die sich entgegenkommen und beide nach links abbiegen wollen, voreinander abbiegen, es sei denn, die Verkehrslage oder die Gestaltung der Kreuzung erfordern, erst dann abzubiegen, wenn die Fahrzeuge aneinander vorbeigefahren sind.

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Beim Einbiegen in eine trichterförmige Straßeneinmündung ist der Mittelpunkt der Trichterbreite rechts zu umfahren.[276] Das Gleiche gilt für das Linksabbiegen aus einer nach beiden Seiten trichterförmig erweiterten Straßeneinmündung. Bei einer trichterförmig erweiterten, vorfahrtsberechtigten Einmündung hat der Linksabbieger Vorfahrt auf der gesamten Trichterfläche.[277]

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Mehrspuriges paralleles Abbiegen ist im Großstadtverkehr zulässig und im Interesse des Verkehrsflusses auch gewünscht. Es folgt schon aus § 9 Abs. 1 StVO, dass derjenige Vorrang genießt, der sich der Abbiegerichtung entsprechend eingeordnet hat und anschließend in engem Bogen abbiegt. Der in einem weiten Bogen Abbiegende darf dabei den Nebenmann nicht einengen, schneiden oder in irgendeiner Form behindern.[278] Bei mehrspurigem parallelen Abbiegen nach rechts auf mit Richtungspfeilen entsprechend gekennzeichneten Fahrbahnen (Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO, Abschnitt 9 Nr. 69) muss der links Fahrende den Bogen so weit nehmen, dass er die in der rechten Spur fahrenden Fahrzeuge nicht in Bedrängnis bringt und umgekehrt. Es besteht in diesen Fällen grundsätzlich kein Vorrang des am weitesten rechts eingeordneten Fahrzeugs, sondern die Pflicht zum Spurhalten.[279] Beim Linksabbiegen gilt dies gleichermaßen und selbstverständlich auch, wenn die Fahrspurmarkierungen über die Haltelinien hinaus im Kreuzungsbereich fortgeführt werden.

1. Kapitel Die Haftung des Kraftfahrzeughalters und -führersV. Verhalten im Straßenverkehr › 14. Wenden/Rückwärtsfahren (§ 9 Abs. 5 StVO)

Kraftverkehrs-Haftpflicht-Schäden

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