Читать книгу Sachenrecht nach Anspruchsgrundlagen - Kurt Schellhammer - Страница 67
1. Die gesetzliche Definition
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Wenn § 854 I den Besitz als tatsächliche Gewalt über eine Sache definiert, meint er den unmittelbaren Besitz; von ihm handeln die §§ 854-864, während der mittelbare Besitz, der ohne tatsächliche Sachherrschaft auskommt, erst in den §§ 868-871 auftaucht. Tatsächlich beherrsche ich eine Sache stets dann, wenn ich ihr für eine gewisse Dauer räumlich so nahe bin, dass ich sie jederzeit ungehindert ergreifen kann, unabhängig davon, ob ich dazu berechtigt bin oder nicht.
Als tatsächliche Sachherrschaft[2] steht der unmittelbare Besitz im Gegensatz zur rechtlichen Sachherrschaft des Eigentums. Besitz ist tatsächliche Sachherrschaft mit und ohne Recht zum Besitz, Eigentum dagegen ist rechtliche Sachherrschaft mit und ohne Besitz. Besitzer ist nicht nur der Erbbauberechtigte, der Mieter und der Finder, sondern auch der Dieb, der die Sache dem Eigentümer gestohlen hat.
Tatsächliche und rechtliche Sachherrschaft sind nach geltendem Recht zwei verschiedene Herrschaften, die im Normalfall zwar in einer Hand liegen, aber unterschiedliche Rechtsfolgen haben. Besitzstörungen wehrt man nach §§ 859-864, Eigentumsstörungen dagegen nach §§ 985-1004 ab.
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Abgrenzen muss man den Besitz des BGB auch vom Gewahrsam der ZPO. Nach § 808 I ZPO pfändet der Gerichtsvollzieher, der einen Zahlungstitel vollstreckt, nur Sachen, die sich im Gewahrsam des Schuldners befinden. Diese Sachen darf er – vollstreckungsrechtlich – auch dann pfänden, wenn sie nicht dem Schuldner gehören. Umgekehrt darf er Sachen, die sich im Gewahrsam eines nicht herausgabewilligen Dritten befinden, nach § 809 ZPO auch dann nicht pfänden, wenn sie dem Schuldner gehören.
Da der Gerichtsvollzieher außer Stande ist, die unsichtbaren Eigentumsverhältnisse zu klären, hält er sich an den sichtbaren Gewahrsam des Schuldners. So wie § 1006 I materiellrechtlich vom unmittelbaren Besitz auf Eigentum schließt, so unterstellt § 808 ZPO vollstreckungsrechtlich, dass dem Schuldner alle Sachen, die sich in seinem Gewahrsam befinden, auch zu Eigentum gehören. Der Gewahrsam des § 808 ZPO deckt sich also mit dem unmittelbaren Besitz des § 854 I, während die Rechtsfigur des Besitzdieners nach § 855 und der ererbte Besitz nach § 857 auf den Gewahrsam des § 808 ZPO nicht übertragbar sind. Im Übrigen sehen BGB und ZPO im unmittelbaren Besitz des Eigentümers und im Eigentum des unmittelbaren Besitzers den augenscheinlichen Normalfall.
Aber auch die ZPO unterscheidet zwischen der tatsächlichen und der rechtlichen Sachherrschaft, zwischen Gewahrsam und Recht. Verfahrensrechtlich ermächtigt zwar § 808 I ZPO den Gerichtsvollzieher zur Pfändung aller Sachen im Gewahrsam des Schuldners. Materiellrechtlich hingegen darf der Gläubiger nur in das Vermögen des Schuldners vollstrecken; sein Zugriff auf schuldnerfremdes Vermögen ist nach materiellem Recht rechtswidrig. Der Dritte, dem die gepfändete Sache gehört, darf deshalb nach § 771 ZPO widersprechen und die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklären lassen[3]. Kommt er damit zu spät, kann er vom Gläubiger nach § 812 I die Herausgabe des Versteigerungserlöses oder nach § 823 I gar Schadensersatz verlangen.