Читать книгу Sachenrecht nach Anspruchsgrundlagen - Kurt Schellhammer - Страница 74
3.4 Die Einigung über den Besitzerwerb statt einer Übergabe
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Nach § 854 II geht der unmittelbare Besitz schon durch die bloße Einigung des Vorbesitzers mit dem Erwerber über, wenn dieser „in der Lage ist, die Gewalt über die Sache auszuüben“. Voraussetzung ist ein Besitz, der dem Zugriff des Erwerbers bereits offen steht. In diesem Sonderfall ersetzt die Einigung die normalerweise erforderliche Übergabe.
Anders als die Übergabe nach § 854 I ist die Einigung nach § 854 II ein Rechtsgeschäft nach §§ 104 ff., kann stillschweigend durch schlüssiges Verhalten und durch Vertreter geschlossen werden, wegen Geschäftsunfähigkeit nichtig sein und wegen eines Willensmangels angefochten werden. Die Einigung ist aber kein Verpflichtungsvertrag[16], sondern ein dinglicher Vertrag, der unmittelbaren Besitz überträgt, so wie die dinglichen Einigung nach § 929 S. 2 Eigentum überträgt[17].
Fraglich ist, ob die nichtige oder durch Anfechtung vernichtete Einigung aus der willentlichen Übergabe ein unfreiwilliges Abhandenkommen nach § 935 macht. Dagegen spricht, dass der Vorbesitzer mit dem Besitzverlust tatsächlich einverstanden war.
Der Vorbesitzer ist mit dem Besitzwechsel nach § 854 II aber nur dann einverstanden, wenn er seinen Besitz erkennbar vollständig aufgeben will[18]. Tatsächlich ergreifen muss der Erwerber die Sache nicht, es genügt, dass er dies jederzeit ohne Hilfe des Vorbesitzers ungehindert tun kann[19].
Beispiele
- | Holz lagert abfuhrbereit im Wald, und der Erwerber hat bereits die Abfuhrerlaubnis des Vorbesitzers (BGH LM Nr. 1). |
- | Der Heizungsbauer schließt im Neubau Heizkörper noch ohne Anstrich probeweise an („Rohmontage“). Da er damit seinen Willen zur Besitzaufgabe ausdrückt, erlangt der Hausbesitzer unmittelbaren Besitz. Der Eigentumsvorbehalt des Lieferanten verhindert den Besitzwechsel nicht (BGH 58, 314: zu § 55 II ZVG). |
- | Gestattet der Hofpächter seinem Kreditgeber, die Ernte zu verwerten, so erlangt dieser unmittelbaren Besitz an der Ernte erst mit deren Trennung vom Grund und Boden. Für einen früheren Besitzwechsel nach § 854 II fehlt es an einem „offenen“ Besitz, solange der Pächter die Hofschlüssel behält und weiterhin – wenn auch nach Weisung des Kreditgebers – die Felder bestellt, denn so behält er zumindest unmittelbaren Mitbesitz (BGH 27, 362: auch kein Fall des § 855). |
- | Kurz vor seinem Tod „schenkt“ ein Rechtsanwalt im Krankenhaus seiner Nichte etliche Bilder, die in seiner Wohnung hängen; dort befindet sich auch seine Kanzlei. Damit die Nichte dort vorübergehend wohnen kann, händigt er ihr die Wohnungsschlüssel aus. Einen weiteren Schlüssel hat die Bürovorsteherin der Kanzlei. Da die Witwe und Alleinerbin mit der „Schenkung“ nicht einverstanden ist, klagt die Nichte auf Herausgabe der Bilder. Einzige Anspruchsgrundlage ist § 985. Nach §§ 929, 854 II ist die Nichte nicht Eigentümerin der Bilder geworden. Die Einigung nach § 854 II kann zwar mit der nach § 929 zusammenfallen. Die Nichte hatte aber nie die reale Möglichkeit, die alleinige Sachherrschaft über die Bilder ungehindert auszuüben, denn der Rechtsanwalt hatte seinen unmittelbaren Besitz noch nicht vollständig aufgegeben. Die Erlaubnis, die Bilder abzuholen, verschaffte der Nichte bestenfalls Mitbesitz, denn auch die Bürovorsteherin besaß noch einen Wohnungsschlüssel und vermittelte als Besitzdienerin nach § 855 dem Rechtsanwalt nach wie vor zumindest unmittelbaren Mitbesitz (BGH NJW 79, 714: aber vielleicht Übereignung nach § 930). |