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5.3 Der Besitzerwerb durch Besitzdiener

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Besitzdiener ist nach § 855 jeder, der die tatsächliche Sachherrschaft für einen anderen ausübt, weil er insoweit die Weisungen des anderen zu befolgen hat. Dies erfordert ein Rechtsverhältnis, das den einen berechtigt, Weisungen zu erteilen, und den anderen verpflichtet, diese Weisungen zu befolgen. Das Gesetz nennt beispielhaft die Tätigkeit in einem fremden Haushalt oder Erwerbsgeschäft und verweist im Übrigen auf „ähnliche Verhältnisse“. Dass die Hausgehilfin weder die Wohnung, in der sie arbeitet, noch die Wohnungseinrichtung besitzt, und dass die angestellte Verkäuferin weder die Waren noch die Kasse besitzt, leuchtet ein, weil diese Rechtsfolge mit der praktischen Anschauung übereinstimmt und es geradezu grotesk wäre, diesen Personen Besitzschutz gegen ihren Arbeitgeber zu gewähren.

Der gemeinsame Nenner von Haushalt, Erwerbsgeschäft und ähnlichen Verhältnissen ist die rechtliche Unterwerfung einer Person unter die Weisungsgewalt einer anderen, die man auch als soziale Abhängigkeit umschreiben kann[36], wie man sie im Arbeitsverhältnis findet.

Unerheblich ist, ob die soziale Abhängigkeit auf Vertrag oder Gesetz, auf privatem oder öffentlichem Recht beruht, ob das Rechtsverhältnis wirksam oder unwirksam ist, wenn nur der Besitzdiener sich für weisungsgebunden hält und deshalb den Besitz tatsächlich für einen anderen ausübt.

Eine wirtschaftliche Abhängigkeit genügt so wenig[37] wie eine schuldrechtliche Aufbewahrungs- oder Herausgabepflicht[38], die vielmehr ein Besitzmittlungsverhältnis nach § 868 begründet.

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Beispiele

- Besitzdiener sind vor allem die Arbeiter, Angestellten und Beamten an allen Sachen des Arbeitgebers oder Dienstherrn, die sie in die Finger bekommen: die Bürovorsteherin in der Anwaltskanzlei (BGH NJW 79, 714), der angestellte Fahrer (OLG Düsseldorf NJW 86, 2513: wenn er den Dienstwagen nicht auch privat benutzen darf), der Angestellte, der die Schlüssel zu den Räumen des Arbeitgebers besitzt, in denen Kisten voller Altzahngold lagern (BGH NJW 2015, 1678), der Prokurist (RG 71, 252), die Zweigstelle einer Bank (RG 112, 113) und der Soldat (OLG München NJW 87, 1830).
- Entdeckt die Platzanweiserin eines Kinos nach der Vorstellung einen Brillantring im Wert von 2000,– € und nimmt sie ihn an sich, um ihn bei der Geschäftsleitung abzugeben, wird sie weder Besitzerin nach § 854 I noch Finderin nach §§ 965, 973, sondern nur Besitzdienerin nach § 855 für ihren Arbeitgeber, denn für ihn hat sie den Ring an sich genommen, weil der Arbeitsvertrag sie dazu verpflichtete, den Zuschauerraum nach jeder Vorführung auf verlorene Sachen abzusuchen und den Fund bei der Geschäftsleitung abzugeben (BGH 8, 130). Der Kinobetreiber hat den unmittelbaren Besitz freilich nicht erst durch das „Finden“ seiner Platzanweiserin erlangt, sondern kraft seines allgemeinen Besitzerwerbswillens schon mit dem Verlorengehen der Fundsache, wenn er diesen Willen durch Anweisung an sein Personal ausgedrückt hat, Fundsachen bei der Geschäftsleitung abzugeben (BGH 101, 186: Tausendmarkschein im Supermarkt). Nimmt die Platzanweiserin die Fundsache mit sich nach Hause, statt sie abzuliefern, erlangt sie zwar eigenen unmittelbaren Besitz, da sie ersichtlich nicht für ihren Arbeitgeber besitzen will, begeht aber verbotene Eigenmacht (§ 858 I). Dadurch kommt die Fundsache dem Kinobetreiber abhanden und kann nach § 935 I nicht gutgläubig erworben werden.
- Die Putzfrau einer Kirchengemeinde stöbert im Nebenraum der Friedhofskapelle in einer alten Kiste und fördert mittelalterliche Holzschnitzereien zu Tage. Gegen die Kirchengemeinde klagt sie auf Feststellung ihres Miteigentums an dem gehobenen „Schatz“. Sie hat sich jedoch verschätzt, denn ihre Entdeckung ist kein Schatzfund nach § 984, jedenfalls hat sie ihn nicht in Besitz genommen. Vielmehr wurde sie kraft des Arbeitsverhältnisses nur Besitzdienerin nach § 855, da die Kirchengemeinde ersichtlich auch die Kiste samt Inhalt in Besitz hatte (OLG Celle NJW 92, 2576).
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