Читать книгу Sachenrecht nach Anspruchsgrundlagen - Kurt Schellhammer - Страница 73
3.3 Der Erwerb der tatsächlichen Sachherrschaft
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Erlangt wird die tatsächliche Herrschaft entweder durch Übergabe des Vorbesitzers oder ohne Übergabe durch Ergreifen der Sache. Danach unterscheidet man den abgeleiteten vom originären Besitzerwerb, und diese Unterscheidung ist wichtig für den Erwerb des Eigentums vom Nichtberechtigten nach § 932 I 1, denn eine bewegliche Sache, die ohne Willen des Vorbesitzers in andere Hände gelangt, kommt dem Vorbesitzer abhanden und kann deshalb nach § 935 I nicht gutgläubig erworben werden. Originären Besitz ohne Übergabe erlangen der Finder und der Dieb.
Die Übergabe ist kein Rechtsgeschäft, sondern ein tatsächlicher Vorgang (Realakt), denn sie zielt nicht auf eine Rechtsfolge, sondern erschöpft sich darin, die tatsächliche Sachherrschaft vom alten auf den neuen Besitzer zu übertragen[12].
Die Vorschriften der §§ 104 ff. über Rechtsgeschäfte sind auch nicht entsprechend anwendbar. Die Übergabe erfordert keine Geschäftsfähigkeit, der natürliche Wille zum Besitzwechsel, verbunden mit dem erforderlichen Verständnis für diesen tatsächlichen Vorgang, genügt vollauf. Bei der Übergabe kann man sich nicht vertreten lassen, aber man kann den Besitz nach § 855 durch Besitzdiener übertragen und erwerben (RN 40). Man kann die Übergabe auch nicht wegen Irrtums, arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung anfechten; entweder ist die Sache übergeben oder sie ist es nicht. Auch darin unterscheidet sich der Besitz vom Eigentum: Besitz überträgt man nach § 854 I durch eine tatsächliche Handlung, Eigentum nach § 929 S. 1 durch ein Rechtsgeschäft, das freilich neben der dinglichen Einigung auch wieder eine Übergabe erfordert.
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Übergabe ist willentliches Geben und Nehmen von Hand zu Hand[13]. Alleinbesitz erwirbt man auf diese Weise nur, wenn der Vorbesitzer seinen unmittelbaren Besitz ersichtlich vollständig aufgibt[14]; andernfalls entsteht nur Mitbesitz[15].
Beispiele
- | Eine Wohnung übergibt man durch Aushändigung aller Wohnungsschlüssel (BGH NJW 79, 714: Bilder in der Wohnung; LM § 854 Nr. 8). Behält man einen Schlüssel zurück, entsteht nur Mitbesitz (BGH NJW 79, 714: Besitzdiener hat Zweitschlüssel; ferner OLG Düsseldorf NJW-RR 96, 839). |
- | Bestellte Ware übergibt der Lieferant schon durch Abladen vor dem Ladengeschäft; der allgemeine Besitzerwerbswille des Erwerbers genügt (BGH JR 68, 106; ferner DB 71, 40: Warenlager auf Fabrikgelände). |
Noch keine Übergabe ist:
- | das Gestatten der Wegnahme; erst die erlaubte Wegnahme vollendet die Übergabe (BGH 67, 209; RG 153, 261); |
- | der Abschluss eines Treuhandvertrags, solange der Treuhänder das Treugut noch nicht in seiner Gewalt hat (RG 151, 186); |
- | das Verbringen der beweglichen Sache auf ein umzäuntes Gelände, zu dem der Adressat keinen Schlüssel hat (BGH JR 75, 214). |
- | Verneint wurde eine Übergabe auch in folgendem Fall: Die Aussteuer der Braut lagert, als die Verlobung in die Brüche geht, im Zimmer des Bräutigams, der im Hause seines Vaters wohnt. Die Herausgabeklage der Braut gegen den Vater des Bräutigams scheitert am fehlenden Besitz des Beklagten (RG 106, 135). |