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2.4. Die Verantwortung für Kontexte

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Wenn menschliche Wesen Geschöpfe sind, die unterstützende Kontexte für die Entwicklung und Aufrechterhaltung verantwortlichen Handelns benötigen, wirft das Fragen darüber auf, wie solche Kontexte geschaffen werden können.58 Wir verfügen in vielen Bereichen unseres Lebens über solche Kontexte, so unvollkommen sie in vielen Fällen auch sein mögen: Insofern wir innerhalb der Kontexte mehr oder weniger wohlgeordneter Gesellschaften operieren, unterstützen eine Vielzahl von Institutionen und sozialen Normen unser rationales und moralisches Handeln. Allerdings sollten wir diese Kontexte nicht als selbstverständlich ansehen: Sie sind alles andere als perfekt, können mit der Zeit erodieren und hinterherhinken, wenn wir neue moralische Vorstellungen entwickeln.59

Wenn solche Kontexte eine Bedingung der Möglichkeit moralischen Handelns darstellen, folgt daraus prima facie implizit, dass wir auch eine geteilte Verantwortung dafür haben, solche Kontexte zu schaffen und zu erhalten.60 Die normative Struktur dieser Verantwortung ist komplex und wert, genauer betrachtet zu werden.

Bestimmte grundlegende moralische Pflichten – zum Beispiel eine Pflicht, die moralischen Rechte anderer nicht ohne guten Grund zu verletzen – gelten für alle moralischen Akteure. Daraus folgt, dass moralische Akteure Gründe dafür haben, sicherzugehen, dass sie diese Pflichten erfüllen können. Oftmals führt diese abgeleitete Pflicht zu Fragen nach Kontexten. Allerdings können wir unsere Kontexte – wenn überhaupt – nur teilweise beeinflussen. Daher teilt sich hier das Argument: Auf der einen Seite stellen sich Fragen hinsichtlich der Rechte von Akteuren auf angemessen ausgerüstete Kontexte und der Pflichten anderer Individuen, diese Kontexte zu schaffen. Auf der anderen Seite gibt es Fragen bezüglich der eigenen Mitverantwortung der Akteure, solche Kontexte sowohl für sich selbst als auch für andere zu schaffen.61

Wenn Individuen eine Pflicht haben, grundlegende moralische Normen zu erfüllen, aber in Kontexten leben, in denen es ihnen unmöglich ist, diese Normen zu erfüllen, wäre es unfair, sie zur Verantwortung zu ziehen, wenn sie diese Pflichten nicht erfüllen. Daraus folgt jedoch nicht, dass diese Pflichten für sie nicht mehr gelten würden.62 Vielmehr bedeutet es, dass wir diese Personen nicht als ausschließlich verantwortlich für ihr Fehlverhalten betrachten können – einen Teil der Verantwortung tragen auch diejenigen, die darin versagt haben, geeignetere Kontexte bereitzustellen, und die dadurch betroffenen Individuen könnten für ihr Fehlverhalten ganz oder teilweise entschuldigt werden. Man denke beispielsweise an eine Person, die als Kind missbraucht und durch diese Erfahrungen zutiefst traumatisiert wurde, was dazu führen kann, dass sie keine moralische Verantwortung übernehmen kann, wenn derartige Dinge erneut geschehen. Oder man nehme eine Person, die glaubt, sie könne sich auf ihre Kontexte verlassen – beispielsweise hinsichtlich der korrekten Ausweisung giftiger Substanzen – und einen moralischen Fehler begeht, weil diese Kontexte sie im Stich lassen. Wir würden solche Faktoren in unsere moralischen Urteile miteinbeziehen. Auch viele Rechtssysteme beziehen diese Faktoren mit ein.63 Hierbei handelt es sich um einen Bereich, in dem behutsam vorgegangen werden muss, da auch der entgegengesetzte Fehler vermieden werden muss, nämlich die Handlungsfähigkeit der Individuen zu unterschätzen, was nicht nur zu inakkuraten moralischen Bewertungen führen könnte, sondern auch zutiefst beleidigend gegenüber diesen Individuen als moralisch verantwortlichen Akteuren wäre.

Die Kehrseite dieser Aufmerksamkeit für kontextuelle Faktoren besteht jedoch in der individuellen Pflicht, die eigene Fähigkeit zu moralischem Handeln dadurch zu erhalten, dass eine Mitverantwortung für die jeweils eigenen Kontexte übernommen wird.64 Oft können die an Kontexten beteiligten Personen Faktoren antizipieren, die sie in ihrer moralischen Handlungsfähigkeit einschränken werden, beispielsweise Zeitdruck oder die Tendenz, mit den Meinungen anderer konform zu gehen. Oft können sie auch die Wahrscheinlichkeit abschätzen, dass kleine Fehler moralisch bedeutsame Konsequenzen haben werden, wie es zum Beispiel der Fall ist, wenn es im Krankenhaus um Leben und Tod geht oder in einem Forschungslabor mit gefährlichen Substanzen hantiert wird.65 Der Grad an Schaden, den Unachtsamkeit oder Unaufmerksamkeit gegenüber situationalen Kräften verursachen können, spielt eine Rolle dafür, wie viel Vorsicht eine Person walten lassen muss, um sich auf solche Situationen vorzubereiten. Die Alltagsmoral bezieht solche Faktoren oft mit ein, beispielsweise, wenn unterschieden wird zwischen einem betrunkenen Fahrer, der anderen beträchtlichen Schaden zufügen kann, und einem betrunkenen Fußgänger, der hauptsächlich sich selbst in Gefahr bringt.

Darüber hinaus haben Individuen oft die Pflicht, das moralische Handeln anderer dadurch zu unterstützen, dass sie dabei helfen, geeignete Kontexte zu schaffen. Je nach Beziehung kann dies sehr verschiedene Dinge bedeuten: Für Medizinerinnen kann es bedeuten, die Situation ihrer Patientinnen sorgfältig zu dokumentieren, sodass die Mitarbeiterinnen, die die Patientinnen später übernehmen, keine wichtigen Details übersehen. Für einen Verkehrsteilnehmer kann es bedeuten, Situationen zu vermeiden, in denen ein kleiner Fehler eines anderen Fahrers zu einer Katastrophe führen würde. Manchmal kann es moralisch gefordert sein, jemand anderen vor einem möglichen moralischen Fehler zu warnen, wohingegen ein solches Handeln manchmal auch einen unangebrachten Eingriff in das Verantwortungsfeld dieser Person bedeuten kann.66 Solche Fälle können umstritten sein, besonders im Nachhinein, wenn Dinge schiefgelaufen sind. Aber diese Tatsache sollte unsere Aufmerksamkeit nicht von der überwältigenden Zahl an Fällen ablenken, in denen diese Mechanismen – glücklicherweise – gut funktionieren.

Es gibt daher ein Netz von Querverbindungen: Wir haben sowohl eine Verantwortung, unsere eigene Handlungsfähigkeit zu erhalten, als auch, anderen dabei zu helfen, ihre Handlungsfähigkeit zu erhalten. Wir haben ein moralisches Recht, derartige Unterstützung von anderen zu erhalten, diese Personen haben allerdings solche Rechte auch gegenüber uns. In meinen Augen ist dies eine der fundamentalen Eigenschaften der Funktionsweise menschlicher Moral: Moral ist etwas, um das wir uns angesichts der Fehlbarkeit unserer eigenen Rationalität und Willensstärke sowie unserer Abhängigkeit von Kontexten gemeinsam kümmern müssen. Je wahrscheinlicher situationaler Druck ist und je moralisch wertvoller die auf dem Spiel stehenden Güter sind, desto bedeutsamer wird dieser Punkt.

In den meisten Fällen kann das Schaffen und Erhalten von Kontexten, die für moralisch verantwortliches Handeln geeignet sind, nicht durch Einzelpersonen bewerkstelligt werden. Es handelt sich dabei vielmehr um eine kollektive Verantwortung all derjenigen moralischen Akteure, die an den jeweiligen Praktiken teilnehmen. Manche von ihnen können, in Abhängigkeit ihrer Fähigkeiten und Positionen, weitergehende Pflichten als andere haben. Idealerweise besteht eine »moralische Arbeitsteilung«: Es gibt klare Rollen und Verantwortlichkeiten, sodass jede Person ihren Teil zur Schaffung geeigneter Kontexte beitragen kann.67 Wo dies der Fall ist, besteht das Ergebnis in sozialen Rollen, Strukturen und Institutionen, die Individuen in ihrem moralischen Handeln unterstützen: Sie bereiten sie auf die Arten von Druck vor, die zu erwarten sind, gestalten aber auch soziale Kontexte auf eine Weise, die das moralische Handeln der Individuen unterstützt statt unterwandert, wenn diese »im Eifer des Gefechts« handeln müssen.68 Unterstützt durch andere können Individuen Gewohnheiten und einen Charakter entwickeln, die der Verantwortung angemessen sind, die auf ihren Schultern lastet.

Daher können wir schematisch drei Arten von Verantwortung für moralische Akteure unterscheiden, zumindest für moralische Akteure der menschlichen Art. Zunächst gibt es eine direkte Verantwortung für das, was wir tun. Diese kann durch situationale Kräfte eingeschränkt werden, die manchmal auch als Entschuldigungen für Fehlverhalten gelten können, ohne dass dadurch jedoch unsere allgemeine Fähigkeit unterwandert würde, Verantwortung für unser Handeln zu übernehmen. Es gibt, zweitens, die Verantwortung dafür, wie wir unseren Charakter formen und entwickeln. Diese Verantwortung wird durch die Tatsache eingeschränkt, dass wir – besonders in der frühen Kindheit – nicht die einzigen sind, die zur Entwicklung unseres Charakters beitragen, weshalb wir in Situationen gelangen können, in denen es sehr schwierig ist, unseren Charakter auf irgendeine sinnvolle Weise zu entwickeln. Auch das kann Entschuldigungen begründen, allerdings bleibt auch hier unsere grundlegende moralische Verantwortung intakt. Und es gibt, drittens, eine Verantwortung für die Ausgestaltung unserer Kontexte, also dafür, wie diese moralisches Fehlverhalten mehr oder weniger wahrscheinlich machen. Diese Verantwortung tragen wir gemeinsam mit anderen, die aufgrund dessen uns gegenüber, wie auch wir ihnen gegenüber, Ansprüche formulieren können.

Wo das moralische Leben gut funktioniert, unterstützen sich diese verschiedenen Verantwortlichkeiten gegenseitig und ermöglichen es den Individuen, die Lasten moralischen Handelns untereinander zu teilen. Zwar leben wir in sozialen, historisch gewachsenen Strukturen, weshalb man sich in diesen Strukturen um viele dieser Verantwortlichkeiten bereits kümmert, ohne dass wir jemals darüber nachdenken müssten. Allerdings ist kein Bündel von Institutionen und sozialen Praktiken jemals perfekt. Veraltete Institutionen können sich von hilfreichen, unterstützenden Strukturen in hartnäckige Hindernisse verwandeln, die es uns erschweren, unseren moralischen Pflichten nachzukommen. Daher können wir nie davon ausgehen, dass die Mitverantwortung für Kontexte vollständig verschwindet. Nichtsdestotrotz können sich Kontexte stark hinsichtlich der Lasten unterscheiden, die sie einzelnen Individuen aufgrund dieser Mitverantwortung aufbürden.

Das bringt uns zurück zum Fall von Monika. Die Probleme, mit denen sie sich auseinandersetzen muss, entspringen der Tatsache, dass sie in einer Organisation arbeitet, in der die Kontexte darin versagen, moralisches Handeln zuverlässig zu unterstützen. Sie muss sich ständig mit situationalen Zwängen auseinandersetzen, die es ihr erschweren, ihrer Verantwortung als Ärztin gerecht zu werden. Vermutlich erschwert es ihr dieser Mangel an kontextueller Unterstützung auch, diejenige Art von Charakter zu entwickeln, die ihr dabei helfen würde, ihre Arbeit gut zu erledigen, weil sie beständig damit beschäftigt ist, Dinge abzuarbeiten, die andere vergessen haben. Und obwohl sie versucht, ihren Teil dazu beizutragen, dass die Kontexte für andere funktionieren – zum Beispiel, indem sie sich rückversichert, dass die richtigen Untersuchungen vorgenommen wurden – , befindet sie sich nicht in einer Position, in der sie hinsichtlich der tieferliegenden strukturellen Probleme etwas tun könnte: dem Mangel an Mitarbeiterinnen und dem Fehlen verlässlicher Prozesse, um Koordinationsversagen in der arbeitsteilig organisierten Versorgung der Patientinnen zu verhindern.

In einem besser geführten Krankenhaus würden solche Prozesse – beispielsweise strikte Vorgaben hinsichtlich der Hygiene oder Vorschriften zur Beratung mit einem zweiten Arzt im Falle schwieriger Entscheidungen – so weit wie möglich sicherstellen, dass selbst für eine müde, überarbeitete Ärztin, die hauptsächlich im »System 1«-Modus arbeitet, kein Risiko besteht, einer Patientin zu schaden. Monika hingegen musste mit der konstanten Angst leben, dass gleich hinter der nächsten Ecke eine moralische Katastrophe lauern könnte, wenn sie ihren Arbeitsprozessen nicht die größtmögliche Aufmerksamkeit schenkte. Sie beschrieb mir Fälle, in denen Patientinnen eine Ultraschalluntersuchung des rechten Hüftknochens erhalten hatten, obwohl sie über Schmerzen im linken Hüftknochen geklagt hatten, oder von Blutproben, die in der Ecke eines Büros vergessen wurden, obwohl sie für einen wichtigen medizinischen Test benötigt wurden. Monika gab die Schuld nicht ihren Kolleginnen, von denen viele ihr Bestes gaben, um mit der schwierigen Situation umzugehen. Häufig machte sie Überstunden, um sicherzugehen, dass sie ihren Teil zu einer guten Behandlung der Patientinnen beitrug. Dennoch lebte sie mit der ständigen Angst, dass sie irgendwann einen Fehler machen würde, dessen Konsequenzen sie für den Rest ihres Lebens verfolgen würden.

Monikas Fall verweist auf den vielleicht kontroversesten Aspekt des von mir gezeichneten Bildes moralischer Verantwortung: Die Frage, wie viel die Moral von uns verlangen kann. Es scheint extrem anspruchsvoll, eine Mitverantwortung für die eigenen Kontexte zu übernehmen. Reicht es nicht schon, mag man einwenden, dass Individuen die Verantwortung für ihre eigenen Handlungen übernehmen müssen – jetzt wird von ihnen auch noch verlangt, Verantwortung für ihre Kontexte zu übernehmen? Riskieren wir damit nicht, dass die Moral zu viele Lasten auferlegt? Monika machte häufig Überstunden oder rief noch einmal auf der Station an, sobald sie zu Hause war, um sicherzugehen, dass sie nichts übersehen hatte. Aber heißt das nicht, dass sie sich selbst in »eine Maschine für das Wohlergehen anderer« verwandelt hatte, wie G.A Cohen es einmal formuliert hat?69 Kann die Moral so viel von uns verlangen?

Diese Sorgen sind berechtigt und sie sind besonders drängend in Situationen, in denen andere – ob Individuen oder Organisationen – nicht ihren fairen Anteil leisten, um einen unterstützenden Kontext bereitzustellen, wie es vermutlich in dem Krankenhaus der Fall war, für das Monika arbeitete. Der zentrale Punkt meiner Konzentration auf Kontexte besteht jedoch darin, die Moral durch eine moralische Arbeitsteilung, die die Lasten der Moral fair verteilt, besser handhaben zu können. In einer idealen Gesellschaft, in der alle Personen ihren fairen Anteil tragen, würde uns die Moral wahrscheinlich nicht zu stark belasten, abgesehen von Notsituationen wie schwerwiegender Güterknappheit oder Naturkatastrophen.

Die allgemeine Frage nach der Zumutbarkeit steht jedoch quer zur Frage, was den Inhalt moralischer Forderungen ausmacht. Der von mir vorgeschlagene Ansatz impliziert eine andere Form von Lasten für Individuen: Eine Last, Mitverantwortung für Kontexte zu übernehmen, die es dann wiederum einfacher machen, das Richtige zu tun. Dieses Argument verläuft parallel zu demjenigen über die Charakterentwicklung: Der springende Punkt bei der Ausbildung gewisser Gewohnheiten, die zunächst eine zusätzliche Last darstellt, besteht darin, die eigenen moralischen Pflichten langfristig leichter erfüllen zu können. Ebenso verhält es sich mit der Übernahme von Mitverantwortung für soziale Kontexte, mit der wir darauf abzielen, es insgesamt leichter zu machen, das Richtige zu tun. Diese Strategie erscheint unter anderem aufgrund ihrer zeitlichen Verteilung der Lasten vielversprechend: Idealerweise können wir uns in guten Zeiten um unseren Charakter und unsere Kontexte kümmern, um dann bereit zu sein, wenn stürmischere Zeiten vor uns liegen. Wie gut diese Strategie allerdings insgesamt funktioniert, hängt in hohem Maße von den umfassenderen Rahmenbedingungen der Arbeitsteilung ab, sowohl innerhalb von Organisationen, als auch in der Gesellschaft als ganzer.

Manche Leserinnen könnten das von mir gezeichnete Bild in dem Sinne als zu »aktivistisch« kritisieren, als dass es den Einfluss überschätzt, den Individuen auf Kontexte haben können. Wie konservative – und zu einem gewissen Grad auch libertäre – Autorinnen oft behauptet haben, entstehen soziale Strukturen über lange Zeiträume, durch Versuch und Irrtum, als »das Resultat menschlichen Handelns, aber nicht als Ausführung irgendeines menschlichen Plans«, wie Ferguson es bekanntermaßen ausgedrückt hat.70 Wohlgemeinte Reformbestrebungen können unbeabsichtigte Nebeneffekte mit sich bringen, wodurch die Verhältnisse sich letztlich sogar verschlechtern können. Laut diesem Einwand sollten Menschen, statt ambitionierte Pläne sozialer Veränderung (social engineering) zu entwickeln, akzeptieren, dass sie größtenteils in Kontexte hineingeworfen wurden, die jenseits ihrer Kontrolle liegen.

Allerdings unterliegt dieser Einwand selbst einer Reihe kritischer Erwiderungen und charakterisiert auf gewisse Weise auch den von mir in diesem Buch verteidigten Ansatz falsch. Jede Theorie, die sich nicht bloß in einem deskriptiven Sinne auf eine »spontane« Ordnung beruft, sondern auch um zu behaupten, dass einer solchen Ordnung ein normativer Wert zukommt, muss eine Erklärung dafür vorlegen, wie diese Verbindung zwischen Spontanität und Wert zustande kommt. In der Vergangenheit lag einer solchen Verbindung oft die Annahme eines wohlgeordneten Universums zugrunde.71 Ohne solch eine metaphysische Grundlage ist jedoch nicht offensichtlich, warum die Resultate spontaner Prozesse als wertvoller betrachtet werden sollten als die Ergebnisse intentionalen Verhaltens. Selbstverständlich müssen wir dabei nicht die Möglichkeit ausschließen, dass spontane Prozesse gute Ergebnisse zeigen können, allerdings brauchen wir für die Bewertung dieser Resultate einen unabhängigen Maßstab, um nicht auf die Tatsache der Spontanität selbst zu verweisen – zumindest, wenn wir Theorien für eine »post-metaphysische« Zeit anstreben.72 Die kollektive menschliche Verantwortung für Kontexte ist in diesem Sinne die logische Folge eines Denkens, das auf metaphysische Hintergrundannahmen verzichtet. Um es metaphorisch auszudrücken: Es gibt keine Götter, die sich um unsere Kontexte kümmern, es liegt an uns selbst, dies zu tun.

Darüber hinaus charakterisiert dieser Einwand meinen Ansatz auch dahingehend falsch, dass er meint, ich hätte hauptsächlich großflächige soziale Planung im Sinne. Letztere setzt detailliertes Wissen hinsichtlich der infrage stehenden Institutionen voraus und kann tatsächlich fehlgehen, wenn lokale Komplexitäten nicht ausreichend in Betracht gezogen werden.73 Allerdings nimmt die geteilte Verantwortung für soziale Kontexte verschiedene Formen an, von denen viele kleineren Maßstabs sind und nicht von einer Form von Wissen ausgehen, das bloß schwer zu erwerben ist. Manchmal kann es sich schlicht um die Forderung nach einer offenen Geisteshaltung und einem Sinn für grundlegenden moralischen Anstand im unmittelbaren sozialen Kontext handeln. In anderen Fällen, wenn institutionelle Lösungen erforderlich sind, könnten wir gute Gründe dafür haben, mit unterschiedlichen Ansätzen zu experimentieren, um zu sehen, welche am besten funktionieren. Dies nicht zu tun würde jedoch bedeuten, ein zentrales Element dessen außer Acht zu lassen, was Moral für Geschöpfe wie uns bedeutet.

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