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Boksee, 12. 4. 2011

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Nach einigen Tagen ging es Marie wieder viel besser und sie ließ sich zu den notwendigen Arbeiten auf dem Hof einteilen. Harald hatte immer wieder versucht, sie zu erreichen. Fünf neue SMS von ihm, die Marie nicht beantwortet hatte. Sie wollte in Ruhe über ihre Beziehung nachdenken und ließ ihr Handy fast die ganze Zeit abgeschaltet. Wahrscheinlich waren sie und Harald doch zu verschieden. Sie liebte das Leben und die Arbeit in der Natur, Harald schien dafür keinen besonderen Sinn zu haben. Da gab es noch viel Grundlegenderes, was sie trennte. Die Einstellung zur Welt, zur Rolle des Menschen in der Natur und zu den Menschen, mit denen sie in der Hofgemeinschaft verbunden war. Das gab ihrem Leben Halt und Sinn. Auch sie war in der Stadt aufgewachsen, aber ihre Eltern waren mit ihr im Urlaub oft auf einem Bauernhof gewesen. Vielleicht war es die Erinnerung an die vier unendlichen Sommerwochen auf dem Land als die glücklichste Zeit des Jahres, die in ihrer Erinnerung geblieben war. Vielleicht war das der Grund gewesen, warum sie den Weg, den sie als Erwachsene gewählt hatte, gegangen war.

Ihre Eltern waren skeptisch gewesen, sie hätten es lieber gesehen, dass ihre Tochter sich eine sicherere Existenzgrundlage aufbaute, hatten aber Maries Entscheidung akzeptiert. Einmal waren sie sogar auf ihrer kleinen Farm, wie sie sagten, zu Besuch gewesen.

Allerdings hatte Marie unter den Männern auf dem Hof niemanden gefunden, mit dem sie mehr als nur kumpelhaft befreundet sein wollte. Die Bemühungen von Jan waren ihr nicht unbemerkt geblieben, sie mochte ihn gern, fand aber, dass er zu alt für sie war. Außerdem hätte sie es gegenüber Clara mies gefunden, ein Verhältnis mit ihm einzugehen.

Als sie Harald kennengelernt hatte, schien es ihr, als sei ihr Leben perfekt, aber dieses Hochgefühl hatte sich nach einer Weile verflüchtigt. Im Laufe ihrer Beziehung hatte sie ihn besser kennengelernt, auch wenn sie ihn dafür mit Fragen löchern musste, weil er von selbst wenig über sich erzählte. Harald konnte mit der Idee einer Gemeinschaft, in der man gemeinsam arbeitete und lebte, nicht viel anfangen. Er sagte ihr einmal, das mit dem Bauernhof erinnere ihn an die Zeit, in der er als Halbwüchsiger auf einem Dorf gewohnt hatte. Es lag in der Nähe der Stadt, in der sein Vater arbeitete. Ihm war aus dieser Zeit hauptsächlich Langeweile in Erinnerung geblieben. Damals hatte er angefangen, sich mit Computern zu beschäftigen, um sich von dem als öde empfundenen Alltag auf dem Dorf abzulenken. Diese, drei Jahre währende Zeit, fiel in seine Pubertät. Sie hatte ihn zu einem Einzelgänger werden lassen, dem es schwerfiel, sich spontan auf andere Menschen einzulassen. Das hinterließ Spuren, setzte sich im Studium fort und die Arbeit im Labor, die Isolation unter der Glasglocke des Instituts verstärkte diese Gepflogenheit noch. In der Arbeitsgruppe von Jörg Puster war jeder bestrebt, in möglichst kurzer Zeit für sich das Beste herauszuholen. Einen zweiten Versuch gab es nicht und Beziehungen, die auf Rücksichtnahme aufbauten, konnten für die Karriere nur hinderlich sein.

Das wusste sie jetzt von ihm. Sie seufzte. Es würde wohl schwer werden, eine Seelenverwandtschaft in einer Liebe zu finden. Am meisten betrübte sie die Tatsache, dass Harald ihre Ernsthaftigkeit nicht einmal zu bemerken schien. Deswegen hatte sie keine Lust, ihn anzurufen und noch weniger, ihn zu sehen. Die Tatsache, dass er öfter probiert hatte, sie zu erreichen, konnte sie nicht so richtig einschätzen. Vielleicht fehlte ihm nur sexuelle Abwechslung, vielleicht war es auch mehr. Es würde sich finden, dachte Marie und stand wieder auf, um sich um die Keimlinge zu kümmern.

Ein stechender Schmerz im Unterleib ließ sie innehalten. Was war das jetzt schon wieder? Sie hatte doch die Koliken seit drei Tagen nicht mehr gehabt und nun war es wieder da, doch irgendwie anders. Es würde sich beruhigen, hoffte sie und atmete bewusst tief ein und aus. Aber der Schmerz kam erneut und war so stark und anhaltend, dass Marie sich gegen den Packtisch lehnte, die Zähne zusammenbiss und sich nur noch auf ihren Atem konzentrierte. Vor ein paar Tagen hatte das noch gut funktioniert, um den Schmerz zu bekämpfen, aber jetzt wurde es ihr schwarz vor den Augen. Sie setzte sich, da kein Stuhl in der Nähe war, auf den Boden und presste ihre beiden Oberschenkel gegen ihren Körper. Als sie versuchte wieder aufzustehen, ließ es ihr Kreislauf nicht zu. Inzwischen waren die anderen auf sie aufmerksam geworden und Jan war als Erster bei ihr.

„Was ist los mit dir?“

Sie hob ihren Kopf, war leichenblass und hatte kleine Schweißtropfen auf der Stirn. „Weiß nicht“, murmelte sie. „Schmerzen ..., sind bestimmt meine Tage.“ Sie dachte daran, dass ihre Regel ausgeblieben war, nachdem sie das letzte Mal mit Harald geschlafen hatte. Das war an dem Abend, an dem er noch unbedingt ins Labor wollte. Sie war so gekränkt, dass sie wütend danach seine Wohnung verlassen hatte, mit der festen Absicht nicht mehr wiederzukommen. Seitdem hatten sie sich nicht mehr gesehen.

Jan legte seine Hand auf ihre Stirn. „Du hast Fieber, eindeutig.“

Im ersten Moment hatte er gedacht, sie wäre schwanger, aber das war es nicht.

„Dieses Mal holen wir einen Arzt“, bestimmte Jan. Die anderen, die um Marie und ihm herumstanden, nickten besorgt und zustimmend.

„Kannst du aufstehen?“, fragte Clara. Marie biss sich auf die Lippen und versuchte es, aber ihre Beine knickten wieder ein. Jan und Michael nahmen sie in die Mitte und trugen Marie ins Haus und brachten sie auf ihr Zimmer. Clara kümmerte sich um Marie, während Jan die Nummer des Arztes suchte, der vor einem Jahr schon einmal für einen Krankenbesuch auf den Hof gekommen war.

Nachdem er zehn Minuten später endlich mit Dr. Steiger verbunden war, stellte dieser ein paar Fragen und meinte dann: „Bringen Sie sie in die Notaufnahme des städtischen Krankenhauses. Nachdem was Sie sagen, halte ich das für angebrachter, als wenn ich erst zu Ihnen komme. Ich könnte nicht vor heute Abend, meine Praxis ist voller Patienten und um sicherzugehen, sollte Frau Lehnert möglichst gleich ärztlich untersucht werden. Ich werde im Krankenhaus anrufen und die Patientin dort avisieren. Ist sie transportfähig?“

Jan bejahte und erklärte sich bereit, Marie mit Clara zusammen ins städtische Krankenhaus zu bringen. Marie ging es zu schlecht, als dass sie Einwände gegen diesen Vorschlag vorbringen mochte. Clara setzte Marie neben sich auf dem Beifahrersitz des Transporters und Jan fuhr mit quietschenden Reifen los. Als sie nach vierzig Minuten in der Notaufnahme ankamen, wurden sie schon von zwei Ärzten erwartet. Jan und Clara wurden hinausgeschickt, während Marie untersucht wurde. Nach einer Viertelstunde kam eine Ärztin in den Warteraum und teilte den beiden mit, dass sie Marie hierbehalten müssten.

„Was hat sie denn?“, fragte Clara.

„Sind sie mit Frau Lehnert verwandt?“, fragte die Ärztin.

„Nein, aber wir leben und arbeiten zusammen“, sagte Clara nachdrücklich.

Die Ärztin nickte und versprach anzurufen, wenn es etwas Neues gäbe, dann drehte sie sich um und ging mit raschen Schritten wieder in das Behandlungszimmer zurück. „Fahren Sie jetzt besser nach Hause“, sagte sie, bevor sie durch die Tür verschwand. „Sie können hier nichts weiter für ihre Bekannte tun, wir melden uns.“

Nachdem sie Marie im Krankenhaus gelassen hatten, waren Jan und Clara, schweigsam in ihre eigenen Gedanken versunken, zurück zum Hof gefahren.

„Du bist in sie verliebt, gib es doch zu!“, schoss es unvermittelt aus Clara heraus. Sie saß kerzengerade neben ihm und schaute ihn von der Seite an.

„Wie kommst du denn jetzt auf so ’n Quatsch?“, fragte Jan genervt.

„Weil man das in solchen Situationen besonders gut merkt“, sagte Clara. „So übertrieben fürsorglich, wie du schon die ganze Zeit um sie herum geschlichen bist.“

„Du bist doch bloß eifersüchtig“, knurrte Jan.

Er beschleunigte den Lieferwagen mehr, als er sollte, sodass er ein paar Meter weiter vor einer Kurve scharf abbremsen musste. „Und einen Streit können wir jetzt als Allerletztes gebrauchen!“

Den Rest der Fahrt bis zum Hof sprachen sie nicht mehr miteinander. Jan dachte darüber nach, ob Clara recht hatte. Natürlich hegte er Gefühle für Marie, aber weiter war doch nichts gewesen. Er schlug sich den Gedanken aus dem Kopf und hatte keine Lust, weiter darüber zu grübeln. Das brachte doch nichts. Er würde mit Clara später darüber reden, wenn sie sich beruhigt hatte und er mehr mit sich selbst klargekommen war. Nach einer halben Stunde schweigsamer Fahrt waren sie wieder auf dem Hof angekommen. Die anderen umringten sie und fragten, was mit Marie wäre.

„Die Ärzte haben sie dabehalten. Die wollen genau wissen, was mit ihr los ist. Sie werden sich bestimmt bald melden“, sagte Clara.

Jan war nicht länger bei den anderen stehen geblieben, sondern hatte seinen Weg ins Haus und sein Zimmer fortgesetzt. Charlie, der Hofhund, wollte ihm folgen, aber Jan schickte ihn weg. Er ließ sich angezogen, wie er war, auf sein Bett fallen, starrte an die Zimmerdecke und dachte nach. Liebte er Clara noch? Er war sich nicht mehr sicher. Vieles, was ihn mit ihr verband, hatte mehr mit dem Hof und der Gemeinschaft zu tun. Und Marie? Manchmal hatte er es sich vorgestellt, er mit ihr, wie das wäre. Sie hatte so einen Enthusiasmus, eine Frische, wie sie Clara früher auch gehabt hatte. Aber Claras Frische war durch die Sorgen um das wirtschaftliche Überleben des Hofes Stück für Stück einer Müdigkeit gewichen, die schleichend in ihre Beziehung eingedrungen war.

Noch bin ich jung genug, um mein Leben völlig neu zu gestalten, dachte Jan und fuhr sich mit der Hand über seine Haare, die an einigen Stellen begannen, schütter zu werden. Noch! Aber viel Zeit blieb auch nicht mehr. Er schüttelte den Kopf. Das sind Träume, dachte er, atmete tief ein und hielt die Luft für einen Moment an, um sie wieder herauszupressen. Das Klingeln des Telefons riss ihn aus seinen Gedanken. Es musste das Krankenhaus sein. Er sprang auf und ihm war für einen Moment schwindlig, aber er fasste sich und stürzte zum Telefon.

„Guten Tag“, meldete sich eine junge, männliche Stimme, „spreche ich mit der Hofgemeinschaft Keim und Sprosse?“

„Ja, mit Jan Heinrich von der Hofgemeinschaft“, bestätigte Jan. Er war ein wenig enttäuscht, dass es nicht das Krankenhaus war, sondern ein Kunde.

„Mein Name ist Harald Pütz“, sagte der Anrufer. Er zögerte, sprach dann weiter: „Also, ich wollte mich erkundigen, ob bei Ihnen eine Frau Lehnert, Marie Lehnert arbeitet?“

Jan spannte seine Halsmuskeln unwillkürlich an. Für einen Moment wollte er dem Impuls folgen, einfach aufzulegen, fragte dann aber: „Warum wollen Sie das denn wissen? Sind Sie verwandt mit Frau Lehnert?“

„Nein, das nicht. Wir sind befreundet und seit ein paar Tagen habe ich gar nichts mehr von Marie, von Frau Lehnert gehört und ich wollte mich nur erkundigen, ob ...“

„Frau Lehnert ist krank!“, entgegnete Jan.

„Was! Was hat sie denn?“, fragte Harald.

„Hören Sie. Am besten, Sie warten, bis Frau Lehnert sich bei Ihnen meldet, und rufen hier nicht wieder an“, erwiderte Jan unfreundlich.

„Ja, dann“, stotterte der Anrufer, „entschuldigen Sie bitte.“

Freizeichen. Er hatte aufgelegt.

Eifersucht! Konstatierte Jan, der den tutenden Hörer immer noch in der Hand hielt. Das ist es. Du bist verdammt noch mal eifersüchtig. Er ärgerte sich darüber, war aber trotzdem froh, sich an diesem Stadtschnösel abreagiert zu haben. Er gab sich einen Ruck und ging hinunter auf den Hof, um zu arbeiten. Clara sah ihn fragend an, als würde sie von ihm eine Erklärung erwarten, aber Jan tat so, als merkte er das nicht. Er beschäftigte sich intensiv mit einer der großen Drehtrommeln, die fürchterlich quietschte und offensichtlich einen Lagerschaden hatte.

Eine Stunde später kam Clara zu ihm. „Das Krankenhaus hat angerufen.“

„Was!!“ Und das sagst du mir erst jetzt?“

„Gerade vor fünf Minuten, du hast es neben deiner quietschenden Drehtrommel wohl nicht gehört“, sagte Clara. „Marie ist ernsthaft krank. Irgendwas mit ihren Nieren. Jedenfalls müssen sie Marie dabehalten.“

„Dann fahren wir morgen vorbei, sie besuchen!“, sagte Jan verbissen und hantierte weiter mit dem Schraubenschlüssel, um Clara nicht ansehen zu müssen.

„Das möchten die Ärzte aber nicht“, zischte Clara ihm wütend ins Ohr. „Marie ist auf der Intensivstation. Da darf sie überhaupt keinen Besuch haben!“ Sie ging, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen.

EHEC-Alarm

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