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Kiel, 20. 4. 2011

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Sybille traf Harald in der Kantine nach der Mittagspause. „Na, noch Lust auf einen Kaffee?“, fragte sie.

Harald hob unschlüssig die Hände. „Muss eigentlich gleich weiter machen im Labor“, brummelte er.

„Lass das mal für einen Moment“, sagte Sybille. „Ich hab' was viel Interessanteres als deinen Versuch. Den kannst du später auch noch zu Ende machen. Komm, ich lade dich ein.“

Sie ging an den Automaten, warf die Münzen ein und drückte ihm dann in jede Hand einen heißen, bis an den Rand mit Kaffee gefüllten Pappbecher. Nachdem sie ihn auf diese Weise in eine hilflose Person verwandelt hatte, ließ Harald sich widerspruchslos an einen der freien Bistrotische führen. Er war froh, die heißen Becher dort endlich abstellen zu können.

„Jetzt hör mal gut zu“, sagte Sybille.

Sie genoss die Spannung und zog einen winzigen Schluck des heißen Kaffees durch ihre kaum geöffneten Lippen. „Wir haben gerade aus dem Zentrallabor den Befund zu einem EHEC-Fall aus dem städtischen Krankenhaus bekommen.“

„Okay“, sagte Harald, „und?“

„Jetzt halt dich fest. Es ist etwas sehr Seltenes, ein EHEC vom Serotyp O104. So etwas hatten die im Zentrallabor vorher noch nie gesehen“, sagte Sybille und stellte ihren Becher mit Schwung ab, wobei etwas Kaffee auf den Resopaltisch schwappte.

„Na ist doch super“, sagte Harald und wurde von Sybille gleich wieder unterbrochen.

„Ja, aber jetzt kommt das Merkwürdige. Der O104 hat keine EHEC-typischen Eigenschaften. Er bildet nur Shigatoxin-2, aber trotzdem ist jemand dadurch schwer krank geworden! HUS!“

Sie schaute sich kurz um und flüsterte ihm zu: „Der EHEC von dem Patienten ähnelt dem, den der Chef in seiner Stuhlprobe hatte!“

Harald machte eine Geste mit seiner Hand. „Na, wenn Jörg das erfährt! So, wie ich ihn kenne, macht er daraus bestimmt gleich eine neue Veröffentlichung!“

„Da wäre ich mir aber nicht so sicher!“, sagte Sybille mit einem seltsamen Unterton.

„Wieso?“

„Begreifst du denn nicht?“ Sie sprach, als redete sie zu einem kleinen Kind.

Haralds Augen weiteten sich, als er zu verstehen begann: „Du glaubst, zwischen ihm und dem Patienten ...“

„Ich glaube gar nichts!“, wehrte Sybille ab. „Er wollte ja nicht, dass wir seinen EHEC im Zentrallabor serologisch bestimmen lassen! Und da ich das auch nicht gemacht habe, weis ich nicht, ob er den gleichen Typ EHEC hat, wie der von dem Patienten aus dem Krankenhaus.“

Harald fing an, sich für die Geschichte zu interessieren. „Aber falls es doch so ist? Vielleicht kennt Jörg den Patienten? Der ist doch aus Kiel! Möglicherweise besteht da ein Zusammenhang. Dann müsste man doch was unternehmen. Vielleicht hat sich Jörg bei dem Patienten angesteckt, oder es gibt hier in Kiel eine Quelle, verseuchte Lebensmittel. Zwei Leute mit einem ähnlichen EHEC Typ, am selben Ort, zur selben Zeit, das ist doch schon ein ...“

„Ein Ausbruch wolltest du sagen“, beendete Sybille seinen Satz.

„Genau! Und bei einem Ausbruch gibt es immer eine Ansteckungsquelle. Wenn man die nicht findet, dann geht das immer weiter und es stecken sich noch mehr Leute an!“

Man sah Harald an, wie es in ihm arbeitete. „Wir sollten Proben aus diesem Burgereck, oder wie das heißt, ziehen. Ich meine diesen Schnellimbiss am Bertholdplatz. Ich weiß, dass er sich öfter auf dem Heimweg dort gerne noch einen Super Size Hamburger genehmigt.“

Sybille schaute auf ihren Kaffeebecher und wiegelte ab. „Nun warte mal ab, sicher ist das alles ja nicht!

„Warum schaust du nicht einmal nach, wer das mit dem EHEC ist? Vielleicht jemand, der mit Jörg verwandt oder bekannt ist?“ schlug Harald vor.

„Meistens stehen diese Angaben ja auf dem Einsendezettel vom Krankenhaus“, überlegte Sybille, „und der ist bei uns archiviert.“

Harald machte sich zum Gehen bereit, nachdem er den Kaffee, der inzwischen Trinktemperatur erreicht hatte, zur Hälfte ausgetrunken hatte. Er konnte sich einfach nicht an Kaffee aus Pappbechern gewöhnen.

„Dann mal viel Glück“, sagte er. „Aber wir sollten dieser Frikadellenbude trotzdem mal auf den Leib rücken.“

„Nur zu!“ lachte Sybille, „aber lass das besser nicht Jörg wissen. Wenn das wirklich sein bevorzugter Futterplatz ist?“

Im Labor traf Sybille auf Jörg und erzählte ihm, dass die Probe aus dem Krankenhaus EHEC-positiv war.

„Haben sie vom Zentrallabor schon mitgeteilt, was für ein Typ EHEC es ist?“

„Gerade eben! Es ist EHEC-O104“, erwiderte Sybille.

„O104? Sind die da sicher? Das gab es doch bisher noch nie, oder?“

„Ja, das haben die vom Zentrallabor auch gesagt“, bestätigte seine Assistentin.

„Hol mir mal gleich den dazu gehörigen Probenbegleitschein vom Krankenhaus!“, sagte er schroff.

Sie kannte diesen plötzlichen Stimmungsumschwung bei ihm. Ein Wort konnte manchmal genügen, um so etwas auszulösen. Sybille stand wortlos auf, um den Einsendezettel zu holen und legte ihn auf den Tisch.

Jörg setzte sich seine Lesebrille auf. Er zog die Augenbrauen zusammen, als er laut vorlas: „Weiblich, geboren am 16. März 1989. Beim Namen steht nur M. L.“

„Und?“ Sybille war gespannt. „Sagt dir das etwas?“

„Was soll mir das denn sagen?“, fragte Jörg verwundert. „M. L., geboren am 16. März 1989, weiblich. Wegen des Geburtsdatums oder der Initialen? Ist es jemand, den ich kennen sollte? Ich habe doch nicht schon Alzheimer?“

„Es muss ja nicht jemand aus dem Institut sein“, sagte sie.

„Ja, aber außer den Leuten aus dem Institut und ein paar von der Uni kenne ich doch hier niemanden in der Stadt! Wann habe ich denn schon die Zeit, neue Leute kennenzulernen?“

Sybille beschloss, die Diskussion nicht weiter zu vertiefen. „Auf jeden Fall haben wir den EHEC von der Patientin isoliert und keiner kann uns vorwerfen, wir hätten nicht gut gearbeitet.“

„Da hast du allerdings recht! Wenn du mit dem Ergebnis sicher bist, ruf das Krankenhaus an und teile Ihnen den Befund mit. Dann sehen die mal, wie schnell wir mit der Diagnostik sein können.“

Jörg zog sich in sein Büro zurück und Sybille kontrollierte noch einmal genau die Laborprotokolle, um möglichst jeden Fehler auszuschließen. Als sie sich sicher war, wählte sie die Nummer der Station, die auf dem Einsendezettel vom städtischen Krankhaus vermerkt war.

„Schwester Angermann, Nephrologie“, meldete sich eine monoton klingende Stimme.

Nachdem Sybille den Befund durchgesagt hatte, meinte die Schwester: „Warten Sie bitte, ich hole den diensthabenden Stationsarzt, Dr. Meurer.“

Sybille wartete. Eine Weile verging, bis der Arzt schließlich ans Telefon kam. Sybille wunderte sich, denn normalerweise gaben die Schwestern den Befund an die Ärzte weiter. Warum holte sie den Doktor extra dafür ans Telefon?

„Dr. Meurer, nephrologische Station“, meldete sich der Arzt.

„Sybille Barnhelm, EHEC-Diagnostik Labor“, stellte sich Sybille ebenso formell vor.

„Schwester Angermann hat mir schon berichtet“, sagte der Arzt mit bedrückter Stimme. „Also tatsächlich EHEC! Ich dachte schon es ...“, er unterbrach seinen Satz, um hinzuzufügen: „Wir würden Ihnen gerne noch eine Kontrollprobe von der gleichen Patientin schicken.“

Irgendetwas an seinem Ton war nicht ganz normal, dachte Sybille. „Natürlich, hoffentlich geht es ihr schon besser“, antwortete sie.

„Die Patientin ist leider verstorben“, erwiderte er. Er holte tief Luft und stieß dann hervor: „Und ich habe noch nie einen so aggressiven Verlauf einer EHEC-Infektion erlebt, wie bei dieser jungen Frau!“

Sybille war betroffen. Sie dachte wieder an die positive Stuhlprobe vom Chef. „Hatten Sie die Patientin befragt, was sie gegessen hat? Wir verdächtigen da so ein Fast Food Restaurant als mögliche Quelle von verseuchtem Fleisch.“

„Also, die hatte das bestimmt nicht vom Fleischessen“, sagte der Arzt. „Die Frau war nachweislich Vegetarierin!“

***

Er schloss leise die Tür zu seinem Büro hinter sich. Das abgedunkelte Licht ließ den Ort entrückt erscheinen. Er atmete tief durch und fuhr sich mit der Hand durch sein Haar. Dann ballte er unvermittelt seine rechte Hand zur Faust und schlug damit in die geöffnete linke Handfläche, wobei er einen unterdrückten Freudenschrei ausstieß. Er nahm die Flasche Maltwhisky aus dem Schrank und goss sich drei Finger hoch davon in ein Glas. Dabei summte er ein paar Takte vor sich hin. „We are the Champions, my friend.”

Irgendwie hatte er es doch geschafft. Es hatte funktioniert! Er hatte in die Natur eingegriffen, sie hatte sich seinem Wunsch gefügt. Er war zum Herrn über das Geschick der Menschen geworden, wie ein apokalyptischer Reiter: „Und als es das vierte Siegel öffnete, hörte ich die Stimme des vierten lebendigen Wesens sagen: Komm! Und ich sah: und siehe, ein fahles Pferd, und der darauf saß, dessen Name ist Tod.“

Jetzt hing es davon ab, ob es nur bei einem Einzelfall blieb. Seine Saat war dabei aufzugehen, er musste nur weiter am Ball bleiben. Noch wagte er es nicht, daran zu glauben, dass alles, wie geplant hier und jetzt vor seinen Augen stattfinden würde.

***

EHEC-Alarm

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