Читать книгу Handbuch des Strafrechts - Manuel Ladiges - Страница 154
3. Hauptverhandlung, Beschuldigtenstellung und Verteidigung
Оглавление21
Die Hauptverhandlung war öffentlich, mündlich und unmittelbar, wobei das Gesetz die Wahrung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes durch Schutzvorschriften absicherte, die dem heutigen Recht fremd sind. So schloss § 23 Abs. 3 RStPO u.a. den Berichterstatter des Zwischenverfahrens von der Mitwirkung am Hauptverfahren aus.[103] Zugrunde lag der schon in der Reformdiskussion formulierte Gedanke, wonach demjenigen die notwendige Unbefangenheit fehle, der sich aus vorherigem Aktenstudium eine Meinung über die Schuldfrage gebildet habe.[104] Der Sicherung des Unmittelbarkeitsgedankens sowie der Verfahrenskonzentration dienten ferner die Pflicht, die Urteilsgründe binnen drei Tagen nach Verkündung zu den Akten zu bringen (§ 275 RStPO) sowie das Verbot, die Hauptverhandlung für mehr als vier Tage zu unterbrechen (§ 228 RStPO).[105] Unbeeindruckt aller Kritik ließ die RStPO mit der inquirierenden Tätigkeit des Vorsitzenden ein Kernelement des tradierten Verfahrens unangetastet.[106] Einen bemerkenswerten Fortschritt gegenüber den Partikularrechten brachte die Ausgestaltung der Beschuldigtenstellung. So kannte die RStPO keine Pflicht zur wahrheitsgemäßen Aussage. Auch war der Beschuldigte zu Beginn der gerichtlichen Vernehmung zu befragen, „ob er etwas auf die Beschuldigung erwidern wolle“ (§ 136 Abs. 1 RStPO). Eine Belehrung über das Schweigerecht war freilich, entgegen der insofern geradezu avantgardistischen braunschweigischen Regelung, bewusst nicht aufgenommen worden.[107] Weitergehend als die Partikulargesetze gestattete die RStPO schon im Ermittlungsverfahren die formelle Verteidigung (§ 137 Abs. 1 RStPO),[108] wobei sie freilich das anwaltliche Akteneinsichtsrecht erst nach Abschluss der Voruntersuchung bzw. nach Einreichung der Anklageschrift uneingeschränkt gewährte (§ 147 Abs. 1 RStPO). Schließlich bestand mit Eröffnung des Hauptverfahrens das Recht des Verteidigers auf unüberwachte Kommunikation mit dem inhaftierten Angeklagten (§ 148 Abs. 3 RStPO). Nach der umstrittenen Kostenregelung des § 499 RStPO stand die Erstattung der Anwaltskosten selbst bei einem Freispruch im Ermessen des Gerichts. Notwendige Verteidigung wurde bei erstinstanzlicher Zuständigkeit des Reichsgerichts oder des Schwurgerichts gewährt (§ 140 Abs. 1 RStPO), außerdem auf Antrag des Beschuldigten fakultativ bei Verbrechen (§ 140 Abs. 2 Ziff. 2 RStPO). Zeugnisverweigerungsrechte bestanden aus familiären (§ 51 RStPO) oder beruflichen Gründen (§ 52 RStPO: Geistliche, Verteidiger, Rechtsanwälte, Ärzte). Die in § 51 RStPO genannten Personen waren „vor jeder Vernehmung über ihr Recht zur Verweigerung des Zeugnisses zu belehren“ (§ 51 Abs. 2 RStPO). Grundsätzlich war jeder Zeuge zu beeidigen, wobei regelmäßig der Voreid Anwendung fand (§ 60 RStPO). Der patriarchalische Geist des Kaiserreichs fand schließlich darin seinen Ausdruck, dass die RStPO allein den Ehemann als Beistand zuließ (§ 149 RStPO), ihm die Rechtsmittelbefugnis für seine Ehefrau einräumte (§ 340 Abs. 1 RStPO) und ihm den Privatklageweg bei Angriffen auf die Ehre und den Körper seiner Frau eröffnete (§§ 232 Abs. 2, 195 RStGB i.V.m. § 414 Abs. 2 RStPO).